Schweitzer Fachinformationen
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Mit schweren Schritten und einer leichten Unsicherheit auf der Geraden nähert sich der Barkeeper Jake Heuer nach einer langen Schicht seiner Bleibe, der Pension Koch, die er gemeinsam mit Spiro und der Wirtin Margarete, von allen nur Gretchen genannt, bewohnt. Sein Foxterrier Erbse trottet verschlafen an der Leine, dann stemmt er alle Viere in den Boden, um sich ein letztes Mal hinzuhocken. Jake schlingert am anderen Ende der Leine, dann stoppt auch er und sieht sich um. Mit ein paar Gläsern Absinth haben sich Inspiration und Dichtung an seine Seite begeben, sie haben ihn links und rechts untergehakt und seinen Heimweg in ein Epos verwandelt. Die Straße Am Karlsbad liegt Grau in Grau, die Dämmerung ist noch zu schwach für Farben. Ein Mann schleppt sich nahe der Hausmauern übers Trottoir. >Im Morgengrauen schon erschöpft wie Sisyphos<, denkt Jake. >Die lange Reihe armer Schweine reicht durch die Jahrtausende bis hierher, bis jetzt, bis in diese Sekunde.< Er kann sie grunzen hören. Durch leere Straßen reihen sich die Schweine, durch Moore und Äcker, über Berge und Täler bis an die Hänge eines steinigen Hügels in Ithaka. Er ist überwältigt. Dann wird sein Moment der Erkenntnis gestört. Mit klackernden Absätzen hastest eine Eifrige durch die verschwommene Weite der Straße. Jake verliert für einen kurzen Augenblick das Gleichgewicht. >Unangenehm, diese mit dem Lineal gezogene Geradlinigkeit. Geradezu beängstigend.< Zu seiner Beruhigung schlurft gleich darauf ein Kind mit unbegrenzten Zeitreserven planlos durch den Rinnstein. Jake lächelt. Ein wartender Chauffeur, ein dunkler Berg hinter seinem Steuer, schlägt die Zeit tot. Ruhende Masse, in der ab und an eine Zigarette aufglüht. Absinth ist doch eine feine Sache, denkt Jake. Der bringt einen auf Ideen. Erbses Geschäft ist erledigt, sie setzen sich wieder in Bewegung. Er zieht den unwilligen Hund in die Mitte der Straße, weist mit kreisendem Arm auf die schlafenden Fenster und lacht. »Sie stützen sich«, erklärt er dem skeptischen Tier, »sonst würden sie fallen, die Bürgerhäuser. Sie stehen Schulter an Schulter in einer Reihe. Aber würde man sie fragen, wären sie lieber Villen, weitläufig und elegant, hingegossen in üppige Gärten, erreichbar nur über knirschende Wege aus weißem Kies. Der ganze Zierrat, die Simse, Statuen und Säulen, die angeklebten Ranken und Rosetten aus Gips können uns nicht täuschen. Auf vier Etagen liegt die Ambition der Großbürger übereinander wie die Schichten einer Torte. Sie würden so gerne repräsentieren, aber die plumpe Schwere der Sparsamkeit bleibt ihnen auf den Leib geschrieben.« Er lacht, Erbse sieht ihn an. Feuchte, dunkle Augen, unergründlich wie die einer Sphinx. »Glaub's mir. Zwischen sich dulden sie an manchen Stellen noch die alten Gewerbe oder die Reste ehemaliger Landwirtschaft. Wo heute unsere Terasse ist haben mal Hühner gepickt. Kannst Du Dir das überhaupt vorstellen? Die Fabriken und die Bauernhäuser mit ihren Scheunen und Ställen sind noch ehrlich. Sie wollen gar nichts repräsentieren, sie sind Arbeitsstätten, nichts weiter. Sie wissen, dass es vollkommen ausreicht, einfach seinen Zweck zu erfüllen.« Erbse gähnt und schüttelt sich. »Banausin«, sagt Jake und setzt sich wieder in Bewegung. Der unerwartete Ansturm frühmorgendlicher Wahrheit jagt ihm einen Schauer über den Rücken. Beeindruckt vom eigenen Tiefsinn fädelt er endlich nach mehreren Anläufen den Schlüssel ins Torschloss.
Im weiten Hinterhof, an dessen Ende die Pension Koch liegt, steht ein braunes Pferd. Festgebunden an der Balustrade der Terrasse schnaubt es leise und heller Atem dampft aus seinen Nüstern. Erbse prescht vor und erwürgt sich fast an ihrem Halsband. Ihre vornehme Abstammung aus einer Zucht im Süden Englands verpflichtet sie zu furchtloser Jagd, aber auch zu besinnungsloser Raserei. Ihr heiseres Gebell überschlägt sich. Wer in Haus und Hof bisher noch nicht wach war, ist es jetzt. Jake blickt nachdenklich auf das Pferd, greift sich schließlich den bebenden Hund und hält ihm die Schnauze zu. Das Pferd steigt aufgeregt und reißt an seinem Strick. Aus der Tür schiebt sich Spiros zerzauster Kopf, an ihm vorbei drückt sich Nike.
»Guten Morgen, Schönste. Gehört dieses große Tier etwa dir? Erbse hätte vor Schreck fast einen Herzinfarkt bekommen. Ich übrigens auch.«
»Morgen, Jake«, grüßt Nike und streift mit freundlicher Hand im Vorbeigehen seine Wange. Mit leiser, dunkler Stimme spricht sie zu dem Pferd, fängt seinen hochgerissenen Kopf mit festem Griff in die Mähne, zieht ihn zu sich, liebkost die geweiteten, weichen Nüstern, gurrt weiter, krault und streichelt, bis es sich beruhigt.
In der Küche hat Spiro den Kessel aufgesetzt und Kaffee gemahlen. Erbse lungert noch immer aufgebracht knurrend vor der Tür.
»Wolltet ihr nicht gestern vorbeigekommen sein? Gewartet habe ich die ganze, öde Nacht«, sagt Jake.
Spiro gießt auf. »Nike ist nicht aufgetaucht. Ich habe hier herumgesessen, dann war es spät und ich bin ins Bett. Gegen sechs hat sie an mein Fenster geklopft.«
Jake grinst. »Geringfügig verspätet.«
»Was will man machen?« In Spiros Morgenmantel gleitet Nike in die Küche.
Jake schnüffelt. »Woher kenne ich diesen Geruch? Ländlich-sittlich, ich erinnere mich vage.«
»Das ist das Pferd, das mir seinen Duft angeschmiert hat«, gesteht sie bereitwillig und zieht die bloßen Füße unter den Körper.
Spiro betrachtet diese Füße und denkt, dass er sie gern in seinen Händen wärmen würde, aber er murmelt nur: »Man gewöhnt sich dran«, und haucht ihr einen Kuss aufs Haar. Als sie im frühen Halbdunkel unter seine Decke schlüpfte, war es noch feucht vom Tau, Nase und Ohren kalt, nur ihre Lippen waren warm und weich. Er hat sie nicht gefragt, warum sie gestern nicht gekommen ist. In einer eigentümlichen Mischung aus Hast und Hingabe hat er sie geküsst und wäre es nach ihm gegangen, hätte dieser Kuss weitergehen können bis ans Ende aller Tage. Eine zugegebenermaßen lange Zeitspanne, die durch Erbses hysterisches Gebell abrupt und empfindlich verkürzt wurde. Trotzdem. Wie so oft in ihrer Gegenwart muss er sich zusammenreißen, damit er nicht besinnungslos, aber glücklich grinsend den Idioten gibt. Idioten mag sie nicht, das weiß er, und macht sich instinktiv bisweilen rar, stürzt sich in die Arbeit, geht boxen, will ihr Erfolge präsentieren wie ein Jagdhund seine apportierte Beute. Manchmal fragt er sich, ob sie dieselbe Strategie verfolgt. Auch sie ist ehrgeizig. In nächster Zeit schließt sie ihr Studium ab und sie ist gut, sehr gut sogar. Bald wird sie ihr letztes Examen schreiben und schon jetzt gibt es Offerten für die Anstellung danach. Ob er selbst dann noch immer eine Rolle in ihrem Leben spielt, eine größere, länger angelegte, daran verbietet er sich zu denken. Bloß keine Pläne, die sie verschrecken könnten. Jede Minute mit ihr ist kostbar, als könne sie sich in der nächsten auflösen, ein großes, aber flüchtiges Glück. Doch wenn er ehrlich ist, hätte er es gern etwas verbindlicher. Er möchte wissen, wohin diese Liebe geht, ob sie überhaupt irgendeine Richtung hat oder nur einer ihrer Launen folgt. Wenn er nachts neben ihr liegt und hört, wie ihr Atem leichter und gleichmäßiger wird, spürt, wie sich ihr warmer Körper an seiner Seite entspannt, drängen ihn Fragen, nagen und bohren. Aber er wagt nicht, sie auszusprechen.
Auf ihrem Stuhl kauernd, folgt sie ihm nun mit einem schwer zu deutenden Blick.
»Wo drückt der Schuh? Was ist los?«, fragt er.
»Ich sag's, aber du musst versprechen, dass du mich nicht auslachst.«
Er hebt die Finger zum Schwur und sie nickt zufrieden.
»Gestern Abend war ich bei den von Aues. Baron Johannes von Aue, ein Jugendfreund, stirbt, er hat Tbc. Das ist natürlich unendlich traurig, aber darum geht es jetzt erst einmal gar nicht. Seine Mutter, die Baronin, hat ein Medium eingeladen, eine merkwürdige, kleine Frau, die angeblich Kontakt zum Totenreich aufnehmen kann, zu den Geistern der Verstorbenen, um genau zu sein. Johannes hat verständlicherweise Angst vor dem bevorstehenden Ende. Die Seance sollte ihm helfen und hat es vielleicht sogar getan. Aber aus dem Geisterreich meldete sich angeblich auch mein Vater, weil er mir etwas zu sagen hätte. Das zumindest versuchte dieses Medium mir weiszumachen. Natürlich glaube ich nicht an so einen Hokuspokus, aber eigenartig ist es schon.«
In Spiro meldet sich der Polizist. »Aber was genau dir der Geist deines Vaters sagen möchte, das erfährst du sicher...
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