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Urlaub«, schlug Wilhelm Berger vor. »Was hältst du von Urlaub?« Berger war Kriminalkommissar bei der Hamburger Polizei. Er saß mit seiner Frau und ihrem gemeinsamen Sohn beim sonntäglichen Frühstück.
»Urlaub wäre schön«, sagte Dagmar. Sie sah ihren Mann an. Wilhelm hatte bisher noch nie vorgeschlagen, dass sie in Urlaub fahren sollten. Es ist die Lage, dachte sie.
Die politische Lage war noch immer angespannt. Nach der Kristallnacht im letzten Jahr und der Krise im März hatten sich die Gemüter zwar wieder etwas beruhigt, und inzwischen schien es, als hätte sich die Welt mit der Besetzung der Tschechei und der Aufteilung der Slowakei abgefunden. Aber natürlich gab es noch andere Krisenherde. Danzig zum Beispiel. – Vielleicht war dies die letzte Gelegenheit, gemeinsam Urlaub zu machen. Sie hatten seit vielen Jahren keinen Urlaub gemacht.
»Glaubst du denn«, fragte sie zögernd, »dass deine Mörder dir ein paar Tage freigeben?«
Berger nickte. Die Mörder waren nicht das Problem. So viele gab es gar nicht in Hamburg, und der Letzte, den sie erwischt hatten, der stand jetzt vor Gericht. Wahrscheinlich gab es keinen Urlaub, bis der Becker-Prozess vorbei war. Für den Fall, dass er doch noch als Zeuge gehört werden sollte. Aber das Verfahren sollte Ende der kommenden Woche abgeschlossen sein.
»Urlaub?«, sagte Horst. »Klasse!« Ihr Sohn war jetzt zehn Jahre alt. Er schlug die Jugendburg zu und kam zu ihnen an den Tisch.
Es war eine spontane Idee, aber warum nicht? Sowohl sein Chef Richter als auch Pagels, der neue Mann, waren Junggesellen. Die brauchten keine Rücksicht auf die Schulferien zu nehmen.
»Wo fahren wir hin?«, wollte Horst wissen.
Darüber hatte sich Wilhelm Berger noch keine Gedanken gemacht.
»In der Zeitung habe ich neulich Anzeigen gesehen. Hotels und Pensionen an der Nord- und Ostsee. Das muss hier doch noch irgendwo …« Dagmar hatte sich auch keine Gedanken über Urlaub gemacht, aber seit die Bank sie entlassen hatte – sie war ja Halbjüdin –, brauchte sie niemanden mehr um ein paar freie Tage zu bitten. Zum Glück war sie noch nicht dazu gekommen, das Altpapier wegzuwerfen. Der Stapel lag noch neben der Spüle. Da war die Zeitung, die sie gesucht hatte. Der Hamburger Anzeiger, Wochenendausgabe vom 10./11. Juni.
Wilhelm Berger warf einen Blick auf die Schlagzeilen. Olympische Winterspiele in Deutschland – Ein ehrenvoller Auftrag. Richtig, das hatte er schon wieder vergessen. Das klang verheißungsvoll. Die Schweiz hatte wegen irgendwelcher Querelen ihren eigenen Antrag zurückgezogen, und so war Garmisch für die Winterspiele 1940 ausgewählt worden. Niemand würde sich um die Olympiade bewerben, der in den Krieg ziehen wollte, dachte Berger. Überhaupt war die Zeitung voll von positiven Nachrichten. Zum Beispiel gab es eine neue Flugverbindung nach Oslo. Die Lufthansa setzte jetzt Großflugzeuge vom Typ Condor ein. Reisegeschwindigkeit: 375 Kilometer pro Stunde. Fantastisch! Auf diese Weise konnte man bequem in vier Stunden nach Norwegen fliegen. Vielleicht sollte man … Berger verwarf den Gedanken. Das war jenseits ihrer finanziellen Möglichkeiten. Susannes überstürzte Abreise nach Amerika hatte den Rest ihres Vermögens aufgezehrt.
Susanne.
Gleich nach der Kristallnacht hatte Berger dafür gesorgt, dass sie außer Landes kam. Sie war Jüdin. Dagmar hatte ihre Tochter mit in die Ehe gebracht. Mit der Flucht hatten sie Susannes leiblichen Vater überrumpelt, und Dagmar und Wilhelm hatten einige bange Wochen überstehen müssen, aber es hatte geklappt. Und wenn auch Susanne vermutlich drüben nicht recht willkommen war, hatte der Vater sein Kind doch wenigstens nicht nach Deutschland zurückgeschickt.
Dagmar blätterte inzwischen die Angebote der Badeorte durch. »Natürlich langen sie in den Schulferien besonders kräftig zu«, sagte sie empört. »Guck mal hier, das Kurhaus Kühlungsborn zum Beispiel. Im Juli und August nehmen sie 8,50 RM für die Vollpension. Und außerhalb der Schulferien nur 3,50 RM. – Als ob die Lebensmittel in den Ferien teurer wären!«
Außerhalb der Schulferien kam nicht infrage. »Es gibt sicher auch günstigere Angebote«, sagte Berger.
»Ich will sowieso nicht an die Ostsee«, sagte Horst. »Da ist ja überhaupt nichts los. Keine vernünftigen Wellen, nicht mal Ebbe und Flut, einfach gar nichts. Können wir nicht woanders hinfahren?«
»Dann nehmen wir die Nordsee«, schlug Dagmar vor. Sie hatte rasch die Preise überflogen. Um die 5 RM für Vollpension würden sie schon ausgeben müssen. Und dann kam wahrscheinlich noch die Kurtaxe hinzu. »Oder ganz etwas anderes? Thüringen vielleicht?«
»Thüringen ist auch nicht billiger«, erklärte Horst. »Und da gibt es überhaupt kein Wasser. Und wie diese Orte schon heißen: Finsterbergen zum Beispiel. Das kann gar kein fröhlicher Urlaub sein.«
»Gut.« Wilhelm Berger bezweifelte, dass ihm ein Strandurlaub gefallen würde. Aber wenn die anderen es so wollten …
»Soll ich gleich anrufen?«, fragte Dagmar. »Hier sind Telefonnummern angegeben. Haus Dohrn zum Beispiel. St. Peter-Ording. Die nehmen nur 4,50 RM.«
Nein, das war Wilhelm Berger dann doch zu überstürzt. Er musste zumindest vorher mit den Kollegen gesprochen haben.
»Wir sollten es kurzfristig machen«, sagte Dagmar. »Ganz, ganz kurzfristig. Du klärst das morgen mit Richter, und übermorgen fahren wir los. Sonst kommt doch wieder irgendetwas dazwischen.«
»Ich spreche morgen mit Richter«, versprach Berger. »Aber dass wir übermorgen losfahren, das geht nicht. Das ist zu kurzfristig. In einer Woche vielleicht …«
»Polizeirevier 10, Jurowski.« Welcher Idiot rief denn jetzt am Sonntagmorgen an? Jurowski warf einen Blick auf die Uhr. Es war noch nicht einmal neun!
»Ist da das Polizeirevier in der Martinistraße?« Eine aufgeregte Männerstimme.
»Ja. – Wer spricht dort, bitte?«
»Hören Sie, im Schröders Park – wissen Sie, wo das ist? – also, im Schröders Park, da liegt ein Mann auf einer Bank.«
»Ja, und?«
»Der ist – ich glaube, der ist ohnmächtig oder so …«
»Ja, wir werden uns darum kümmern. Wenn Sie mir bitte Ihren Namen … Hallo?« Wütend knallte Jurowski den Hörer auf die Gabel.
»Was ist denn los?« Sein Kollege lachte, hatte offenbar beste Laune.
Na, das würde sich jetzt gleich ändern. »Ein anonymer Anruf: In Schröders Park liegt ein Besoffener auf einer Bank. Kümmere dich drum! – Und geh nicht allein, nimm einen der Kollegen mit, falls der Kerl renitent sein sollte.«
Der Mann im Park war nicht renitent. Es war überhaupt gar kein Mann, sondern eine Frau, die dort lag, und die lag nicht auf der Bank, sondern daneben. Und sie war tot. Als Berger eintraf, lief gerade ein Zug in die Station Kellinghusenstraße ein. Der Fundort der Leiche lag direkt neben dem Damm der Hochbahn. Schon von Weitem sah Berger die Absperrung. Ein Schupo hielt ihn auf; Berger zeigte seinen Ausweis, durfte passieren.
Vorsichtig näherte er sich der Toten. »Oh«, sagte er.
Pagels grinste. »Das habe ich auch als Erstes gesagt.« Pagels war vor drei Monaten als Ersatz für Fehlandt gekommen. Ein kleiner, zäher Bursche. Angeblich aus gutem Hause. Aber ein Zyniker. Berger mochte ihn nicht.
Richter erhob sich. »Sieht übel aus.«
Ja, die Tote sah übel aus. Eine Frau, vielleicht vierzig Jahre alt. Sie lag halb auf dem Weg, halb auf dem Rasen. Jemand hatte ihr den Schädel eingeschlagen und ihr obendrein das Gesicht zerschnitten. Sie war vollständig bekleidet; ein Sexualdelikt konnte man also vermutlich ausschließen.
»Raubmord?«, fragte Berger.
»Dies hier?« Richter deutete auf die Kopfverletzungen der Toten.
»Die Handtasche fehlt«, sagte Berger. »Keine Frau geht ohne Handtasche.«
»Dass die Handtasche fehlt, habe ich auch gesehen. Und an der rechten Hand, hier an den Fingern, da hat sie wohl irgendwelche Ringe getragen. Die sind auch weg. Du siehst die Abdrücke. Aber die Armbanduhr ist noch da. Und das ist keine billige Uhr. Andererseits diese Verletzungen …«
»Brutal«, sagte Berger.
»Der Schädel ist eingeschlagen. Absolut tödlich innerhalb weniger Minuten. Aber sie war noch nicht ganz tot, als er ihr das Gesicht zerschnitten hat. Das Blut ist noch geflossen,...
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