Schweitzer Fachinformationen
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Mokhtar Alkanshali und ich verabreden uns in Oakland. Er ist gerade aus dem Jemen zurückgekehrt, nur knapp mit dem Leben davongekommen. Mokhtar, ein amerikanischer Staatsbürger, wurde von seiner Regierung im Stich gelassen und musste auf sich allein gestellt saudischen Bomben und Huthi-Rebellen entgehen. Er hatte keine Möglichkeit, das Land zu verlassen. Die Flughäfen waren zerstört, und die Straßen, die außer Landes führen, waren unpassierbar. Es wurde keine Evakuierung geplant, keine Hilfe geleistet. Das Außenministerium der Vereinigten Staaten kümmerte sich nicht um Tausende Amerikaner jemenitischer Herkunft, die gezwungen waren, eigene Mittel und Wege zu finden, um einem Blitzkrieg zu entkommen - Abertausenden in den USA hergestellten Bomben, die von der saudischen Luftwaffe über dem Jemen abgeworfen wurden.
Ich warte vor einem Café der Rösterei Blue Bottle Coffee auf dem Jack London Square auf Mokhtar (Betonung auf der ersten Silbe). Anderswo in den Vereinigten Staaten, in Boston, läuft ein Gerichtsverfahren gegen einen jungen Mann, der angeklagt ist, zusammen mit seinem Bruder zwei Bomben während des Boston-Marathons gezündet zu haben, mit drei Todesopfern und Hunderten Verletzten. Hoch oben kreist ein Polizeihubschrauber zur Beobachtung des Streiks der Arbeiter im Hafen von Oakland. Es ist das Jahr 2015, vierzehn Jahre nach 9/11 und sieben Jahre nach Amtsantritt von Präsident Barack Obama. Als Nation haben wir die extreme Paranoia der Bush-Jahre überwunden; die Schikanen gegenüber amerikanischen Muslimen haben ein Stück weit nachgelassen, aber jede von einem amerikanischen Muslim begangene Straftat lässt die Islamophobie wieder einige Monate lang aufflammen.
Als Mokhtar ankommt, sieht er älter und gelassener aus als bei unserer letzten Begegnung. Der Mann, der da aus dem Auto steigt, trägt eine Kakihose und einen lila Pullunder. Er hat eine gegelte Kurzhaarfrisur und einen ordentlich gestutzten Kinnbart. Er geht auffällig ruhig. Sein Oberkörper bewegt sich kaum, während seine Beine ihn über die Straße und zu unserem Tisch auf dem Bürgersteig tragen. Wir schütteln einander die Hände, und mir fällt auf, dass er an der rechten Hand einen klobigen Silberring mit filigranen Mustern und einem großen rubinroten Stein trägt.
Er verschwindet kurz im Blue Bottle, um Freunde zu begrüßen, die drinnen arbeiten, und um mir eine Tasse äthiopischen Kaffee zu holen. Er besteht darauf, dass ich abwarte, bis er auf die richtige Trinktemperatur abgekühlt ist. Kaffee sollte nicht zu heiß getrunken werden, sagt er. Die Hitze überlagert das Aroma und betäubt die Geschmacksknospen. Als wir endlich in Ruhe sitzen und der Kaffee abgekühlt ist, erzählt er mir von seiner Gefangennahme und Befreiung im Jemen, wie er im San Franciscoer Viertel Tenderloin aufwuchs - in vielerlei Hinsicht die problematischste Gegend der Stadt - und wie er im Kaffee seine Berufung fand, während er als Portier einer schicken Hochhausanlage in der Innenstadt arbeitete.
Mokhtar redet schnell. Er ist sehr witzig und ungemein aufrichtig, und er illustriert seine Geschichten mit Fotos auf seinem Smartphone. Manchmal spielt er die Musik vor, die er sich während einer bestimmten Episode seiner Geschichte angehört hat. Manchmal seufzt er. Manchmal staunt er über sein Leben, sein Glück, dass aus ihm, einem armen Kind aus Tenderloin, ein durchaus erfolgreicher Kaffeeimporteur geworden ist. Manchmal lacht er, wundert sich, dass er nicht tot ist, obwohl er die saudische Bombardierung von Sanaa erlebt hat und von zwei verschiedenen Splittergruppen im Jemen als Geisel festgehalten wurde, nachdem das Land in den Bürgerkrieg stürzte. Doch vor allem will er über Kaffee reden. Will mir Bilder von Kaffeepflanzen und Kaffeebauern zeigen. Will über die Ursprünge des Kaffees reden, ineinandergreifende Geschichten erzählen von Abenteuern und Heldentaten, die dem Kaffee seinen heutigen Status als Triebkraft für einen Großteil der weltweiten Produktivität und als globale Siebzig-Milliarden-Dollar-Konsumware verschafft haben. Er wird nur ein einziges Mal langsamer, als er schildert, wie besorgt seine Familie und seine Freunde während seiner Gefangenschaft im Jemen waren. Tränen steigen ihm in die großen Augen, und er verstummt kurz, starrt die Fotos auf seinem Smartphone an, ehe er sich wieder sammelt und weiterredet.
Heute, da ich dieses Buch abschließe, sind seit unserem Treffen in Oakland drei Jahre vergangen. Bevor ich dieses Projekt in Angriff nahm, war ich ein anspruchsloser Kaffeetrinker und stand Spezialitätenkaffee äußerst skeptisch gegenüber. Ich fand ihn zu teuer, und ich hielt jeden für einen Angeber und Blödmann, der sich zu sehr dafür interessierte, wie sein Kaffee aufgebrüht wurde oder woher er kam, oder der sich in lange Warteschlangen stellte, nur um einen ganz bestimmten Kaffee zu trinken, der nach einer ganz bestimmten Methode zubereitet worden war.
Aber die Reisen zu Kaffeefarmen und -farmern rund um den Globus von Costa Rica bis Äthiopien haben mich eines Besseren belehrt. Mokhtar hat mich eines Besseren belehrt. Wir haben seine Familie im kalifornischen Central Valley besucht, und wir haben Kaffeekirschen in Santa Barbara gepflückt - auf der einzigen Kaffeefarm Nordamerikas. In Harar haben wir Khat gekaut, und auf den Hügeln über der Stadt sind wir zwischen einigen der ältesten Kaffeepflanzen auf der Erde spazieren gegangen. Als wir in Dschibuti Mokhtars Spuren folgten, besuchten wir ein staubiges und trostloses Flüchtlingscamp in der Nähe des Hafenstädtchens Obock, und ich beobachtete, wie Mokhtar darum kämpfte, den Pass eines jungen jemenitischen Zahnmedizinstudenten zurückzubekommen, der vor dem Bürgerkrieg geflohen war und nichts mehr hatte - nicht mal seine Identität. In den entlegensten Bergregionen des Jemen tranken Mokhtar und ich süßen Tee mit Botanikern und Scheichs und hörten uns die Klagen von Menschen an, die nichts mit dem Bürgerkrieg zu tun hatten und sich nur nach Frieden sehnten.
Nach all dem machte die Mehrheit der US-Wähler - genauer gesagt der Wahlmänner - die Präsidentschaft eines Mannes möglich, der versprochen hatte, Muslimen die Einreise in die USA zu verbieten - »bis wir genau wissen, was los ist«, sagte er. Nach der Amtseinführung versuchte er zweimal, ein Einreiseverbot für Bürger aus sieben überwiegend muslimischen Staaten durchzusetzen. Auf dieser Liste stand auch der Jemen, das vielleicht verkannteste Land der Welt. »Ich hoffe, sie haben in den Camps WLAN«, sagte Mokhtar nach der Wahl zu mir. Es war ein makabrer Scherz, der unter US-amerikanischen Muslimen die Runde machte und auf der Annahme basierte, dass Trump bei der ersten sich bietenden Gelegenheit - zum Beispiel im Falle eines muslimischen Terroranschlags in den USA - die Registrierung oder gar Internierung aller Muslime fordern wird. Als Mokhtar diesen Scherz machte, trug er ein T-Shirt mit dem Aufdruck MAKE COFFEE, NOT WAR.
Mokhtars Sinn für Humor durchdringt alles, was er tut und sagt, und ich hoffe, es ist mir in diesem Buch gelungen, nicht nur diesen Humor wiederzugeben, sondern auch die Art, wie er Mokhtars Blick auf die Welt prägt, selbst wenn sie sich von ihrer gefahrvollsten Seite zeigt. Während des jemenitischen Bürgerkriegs wurde Mokhtar in Aden von Milizionären gefangen genommen und eingesperrt. Da er in den USA aufgewachsen ist und die amerikanische Popkultur praktisch mit der Muttermilch aufgesogen hat, kam ihm der Gedanke, dass einer seiner Entführer aussah wie Karate Kid. Als Mokhtar mir die Episode erzählte, nannte er den Mann immer nur Karate Kid. Wenn ich diesen Spitznamen hier verwende, dann nicht, um die Gefahr, in der Mokhtar sich befand, herunterzuspielen. Ich halte es hingegen für wichtig, die Einstellung eines Mannes widerzuspiegeln, der unglaublich schwer zu verunsichern ist und für den Gefahren lediglich vorübergehende Barrieren auf dem Weg zu einem bedeutsameren Ziel sind - das Auffinden, Rösten und Importieren von jemenitischem Kaffee sowie die Förderung der Bauern, für die er sich einsetzt. Und ich vermute mal, dass dieser Milizionär tatsächlich so aussah wie der Ralph Macchio der frühen 1980er-Jahre.
Mokhtar ist voller Demut angesichts der historischen Entwicklung, an der er teilhat, und zugleich respektlos gegenüber seinem eigenen Platz darin. Aber seine Geschichte ist eine von der altmodischen Sorte. Sie handelt im Wesentlichen vom amerikanischen Traum, der sehr lebendig und sehr bedroht ist. Seine Geschichte handelt auch von Kaffee und von Mokhtars Anstrengungen, die Kaffeeproduktion im Jemen zu verbessern, einem Land, in dem vor fünfhundert Jahren erstmals Kaffee angebaut wurde. Sie handelt auch vom San Franciscoer Viertel Tenderloin, einem Tal der Tränen in einer enorm reichen Stadt, und von den Familien, die dort wohnen und versuchen, in Sicherheit und mit Würde zu leben. Sie handelt von der seltsamen Vormachtstellung der Jemeniten im kalifornischen Spirituosenhandel und der erstaunlichen Geschichte der Jemeniten im Central Valley. Und davon, wie ihre Arbeit in Kalifornien ein Widerhall ihrer langen landwirtschaftlichen Tradition im Jemen ist. Und davon, dass Direkthandel das Leben der Bauern verändern kann, indem er ihnen Einfluss und Ansehen verschafft. Und davon, dass Amerikaner wie Mokhtar Alkanshali - US-Bürger, die enge Beziehungen zum Land ihrer Vorfahren unterhalten - durch unternehmerisches Engagement und beharrlichen Einsatz...
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