Schweitzer Fachinformationen
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Als Alan im Dschidda-Hilton erwachte, war er schon zu spät dran. Es war 8.15 Uhr. Er war kurz nach fünf eingeschlafen.
Er wurde um acht in der King Abdullah Economic City erwartet. Die Fahrt dahin würde mindestens eine Stunde dauern. Er musste duschen, sich anziehen und ein Auto besorgen, konnte also frühestens um zehn da sein. Er würde am ersten Tag seines Einsatzes hier zwei Stunden zu spät kommen. Er war ein Idiot. Er wurde mit jedem Jahr idiotischer.
Er wählte Cayleys Handynummer. Sie meldete sich mit ihrer heiseren Stimme. In einem anderen Leben, einer anderen Drehung des Rades, wo er jünger und sie älter und sie beide dumm genug wären, es zu versuchen, wären er und Cayley etwas Erstaunliches gewesen.
- Hallo, Alan! Es ist wunderschön hier. Na ja, vielleicht nicht wunderschön. Aber Sie sind nicht da.
Er erklärte es. Er log nicht. Dafür hatte er nicht mehr die Energie, die nötige Kreativität.
- Ach, keine Sorge, sagte sie mit einem kleinen Lachen - ihre Stimme barg die Möglichkeit, zelebrierte die Existenz eines fantastischen Lebens beständiger Sinnlichkeit -, wir bauen gerade erst auf. Aber Sie werden sich selbst eine Transportmöglichkeit besorgen müssen. Weiß einer von euch, wie Alan herkommen kann?
Offenbar rief sie das dem übrigen Team zu. Der Raum klang riesig. Er stellte sich einen dunklen und leeren Ort vor, drei junge Leute mit Kerzen in Händen, die auf ihn und seine Laterne warteten.
- Er kann kein Auto mieten, sagte sie zu ihnen.
Und dann zu ihm. - Können Sie ein Auto mieten, Alan?
- Ich regele das, sagte er.
Er rief in der Lobby an.
- Hallo. Alan Clay hier. Wie ist Ihr Name?
Er fragte nach Namen. Eine Angewohnheit, die Joe Trivole ihm eingeschärft hatte, als sie zusammen für Fuller-Brush-Produkte unterwegs waren. Frag nach Namen, wiederhole Namen. Wenn du dich an die Namen von Leuten erinnerst, erinnern sie sich an dich.
Der Mann an der Rezeption sagte, sein Name sei Edward.
- Edward?
- Ja, Sir. Mein Name ist Edward. Was kann ich für Sie tun?
- Wo kommen Sie her, Edward?
- Jakarta, Indonesien, Sir.
- Ah, Jakarta, sagte Alan. Dann merkte er, dass er nichts zu Jakarta sagen konnte. Er wusste nichts über Jakarta.
- Edward, meinen Sie, ich könnte über das Hotel einen Wagen mieten?
- Haben Sie einen internationalen Führerschein?
- Nein.
- Dann sollten Sie das lieber nicht tun.
Alan rief den Hotelportier an. Er erklärte, er brauche einen Fahrer zur King Abdullah Economic City.
- Das wird ein paar Minuten dauern, sagte der Portier. Sein Akzent klang nicht saudisch. Anscheinend arbeiteten keine Saudis in diesem saudischen Hotel. Alan hatte sich das schon gedacht. Ihm war gesagt worden, dass überall nur wenige Saudis arbeiteten. Sie importierten Arbeitskräfte für alle Bereiche. Wir müssen jemanden Geeigneten finden, der Sie fahren kann, sagte der Portier.
- Können Sie nicht einfach ein Taxi rufen?
- Nicht direkt, Sir.
Alan wurde sauer, aber dieses Problem hatte er sich selbst eingebrockt. Er dankte dem Mann und legte auf. Er wusste, dass er in Dschidda oder Riad nicht einfach ein Taxi rufen konnte - so stand es jedenfalls in den Reiseführern, die allesamt hysterisch auf die Gefahren hinwiesen, die ausländische Reisende im Königreich erwarteten. Das US-Außenministerium hatte für Saudi-Arabien die höchste Warnstufe ausgegeben. Entführungen waren nicht unwahrscheinlich, Alan könnte an Al Kaida verkauft, als Geisel festgehalten, über Grenzen verschleppt werden. Aber Alan hatte sich noch nie irgendwo gefährdet gefühlt, dabei war er in den Neunzigern beruflich in Juárez, in den Achtzigern in Guatemala gewesen.
Das Telefon klingelte.
- Wir haben einen Fahrer für Sie. Wann möchten Sie ihn?
- So schnell wie möglich.
- Er ist in zwölf Minuten da.
Alan duschte und rasierte sich den fleckigen Hals. Er zog sich an: Unterhemd, weißes Button-down-Hemd, Kakihose, Slipper, hellbraune Socken. Kleide dich einfach wie ein amerikanischer Geschäftsmann, war ihm geraten worden. Es gab abschreckende Beispiele von übereifrigen Westtouristen, die lange Thawbs trugen und den Kopf bedeckten. Die sich anzupassen versuchten, mit allen Mitteln. Derlei Bemühungen wurden nicht geschätzt.
Während er den Kragen seines Hemdes richtete, befühlte Alan den Knoten, den er einen Monat zuvor im Nacken entdeckt hatte. Er hatte die Größe eines Golfballs, stand von der Wirbelsäule ab und fühlte sich an wie Knorpel. An manchen Tagen dachte er sich, dass der Knoten Teil der Wirbelsäule war, was könnte er denn sonst sein?
Es könnte ein Tumor sein.
Ein solcher Knoten, direkt an der Wirbelsäule - der musste aggressiv und tödlich sein. In letzter Zeit fühlte sich Alan etwas wirr im Kopf und unsicher auf den Beinen, und es war irgendwie vollkommen und schrecklich einleuchtend, dass da irgendwas wuchs, an ihm nagte, ihm die Lebenskraft raubte, alle Klarheit und Zielstrebigkeit auspresste.
Er hatte vorgehabt, zum Arzt zu gehen, hatte es dann aber doch nicht getan. Kein Arzt konnte so etwas operieren. Alan wollte keine Bestrahlung, wollte nicht kahlköpfig werden. Nein, der Trick war, das Ding ab und an zu betasten, auf Begleitsymptome zu achten, es noch ein bisschen mehr zu betasten und dann nichts zu tun.
Innerhalb von zwölf Minuten war Alan startklar.
Er rief Cayley an.
- Ich verlasse jetzt das Hotel.
- Gut. Bis Sie ankommen, haben wir alles aufgebaut.
Das Team konnte ohne ihn dahin kommen, das Team konnte ohne ihn alles aufbauen. Also warum war er dann überhaupt da? Die Gründe waren dürftig, aber für seine Mitwirkung ausschlaggebend gewesen. Erstens war er älter als die anderen Teammitglieder, die allesamt eigentlich noch Kinder waren, keiner über dreißig. Zweitens hatte er einmal König Abdullahs Neffen kennengelernt, als sie Mitte der Neunziger an einem Kunststoff-Projekt beteiligt gewesen waren, und Eric Ingvall, der New Yorker Reliant-Chef, meinte, die Beziehung würde ausreichen, um die Aufmerksamkeit des Königs zu gewinnen. Was wahrscheinlich nicht stimmte, aber Alan hatte es vorgezogen, ihn in dem Glauben zu lassen.
Alan war heilfroh über den Job. Er brauchte den Job. Die gut achtzehn Monate vor Ingvalls Anruf waren demütigend gewesen. Eine Steuererklärung für ein zu versteuerndes Einkommen von 22.350 Dollar einzureichen war eine Erfahrung, auf die er in seinem Alter nicht mehr gefasst war. Er hatte seine Consultingfirma sieben Jahre lang von zu Hause aus betrieben, und Jahr für Jahr waren die Einnahmen geschrumpft. Kein Mensch wollte Geld ausgeben. Noch vor fünf Jahren waren die Geschäfte gut gelaufen; alte Freunde hatten ihm Aufträge verschafft, und er war nützlich für sie. Er brachte sie mit Verkäufern in Kontakt, zog Strippen, fädelte Deals ein, machte Kohle. Er hatte sich nützlich gefühlt.
Jetzt war er vierundfünfzig Jahre alt und für die amerikanische Unternehmenswelt so faszinierend wie ein Flugzeug aus Lehm. Er konnte keine Arbeit finden, konnte keine Aufträge an Land ziehen. Er war von Schwinn zu Huffy gegangen, weiter zu Frontier Manufacturing Partners, dann zu Alan Clay Consulting, um schließlich zu Hause zu hocken und sich auf DVD anzugucken, wie die Red Sox die Finalspiele von '04 und '07 gewannen. Das Spiel, in dem sie gegen die Yankees vier Homeruns in Serie schafften. 22. April 2007. Er hatte sich die viereinhalb Minuten hundertmal angesehen und jedes Mal so etwas wie Freude empfunden. Ein Gefühl von Richtigkeit, von Ordnung. Es war ein Sieg, der nie wieder weggenommen werden konnte.
Alan rief die Rezeption an.
- Ist der Wagen da?
- Es tut mir leid, der Fahrer verspätet sich.
- Sind Sie das, der Mann aus Jakarta?
- Ja.
- Edward.
- Richtig.
- Hi, Edward. Wie viel später kommt der Wagen denn?
- In zwanzig Minuten. Darf ich Ihnen vielleicht etwas zu essen aufs Zimmer schicken?
Alan trat ans Fenster und schaute hinaus. Das Rote Meer war ruhig, unscheinbar aus dieser Höhe. Eine sechsspurige Schnellstraße führte direkt an ihm entlang. Ein Trio Männer in Weiß angelte am Pier.
Alan blickte auf den Balkon neben seinem. Er betrachtete sein Spiegelbild in der Scheibe. Er sah durchschnittlich aus. Wenn er rasiert und ordentlich gekleidet war, ging er als seriös durch. Aber unter seiner Stirn hatte sich irgendwas verdunkelt. Seine Augen waren eingesunken, und das fiel den Leuten auf. Bei seinem letzten Highschool-Klassentreffen sagte ein ehemaliger Footballspieler, den Alan nicht hatte ausstehen können: Alan Clay, du hast einen leeren Blick. Was ist los mit dir?
Eine Windböe wehte vom Meer heran. In der Ferne schob sich ein Containerschiff übers Wasser. Hier und da ein paar andere Schiffe, winzig wie Spielzeug.
Auf dem Flug von Boston nach London hatte ein Mann neben ihm gesessen. Er trank Gin Tonic und hielt Monologe.
Eine ganze Weile war's gut, oder?, hatte er gesagt. So etwa dreißig Jahre oder so? Vielleicht auch nur zwanzig, zweiundzwanzig? Aber es war vorbei, keine Frage, das war es, und jetzt mussten wir uns genau wie Westeuropa auf eine Ära gefasst machen, die von Tourismus und Krämerseelen geprägt sein würde. Das hatte der Mann im Flugzeug doch...
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