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[.] - ich will überhaupt lauter Unmögliches, aber lieber will ich das wollen, als mich im Möglichen schön zurechtzulegen.[1] Dies schrieb im Jahre 1903 Franziska zu Reventlow in ihr Tagebuch. Am 18. Mai 1871 in Husum geboren, wurde sie auf den Namen Fanny Liane Wilhelmine Sophie Adrienne Auguste Comtesse zu Reventlow getauft. Gestorben ist sie am 26. Juni 1918 in Ascona.
Ihr Lebensweg führte Franziska zu Reventlow vom Norden des Deutschen Reiches in den Süden. Als Kind in Husum lernte sie Theodor Storm kennen; als Jugendliche lebte sie wie Heinrich und Thomas Mann und wie Erich Mühsam in Lübeck. Anfang der neunziger Jahre zog sie nach München, dem damaligen Zentrum der Künste des Deutschen Reiches; ab 1910 lebte sie in Ascona, dem Ort, an dem man versuchte, die in jener Zeit entwickelten Utopien von einer naturverbundenen Lebensweise umzusetzen. Eine ungebrochene Reiselust führte sie immer wieder in andere Länder wie Griechenland, Spanien und Italien. Eine ihrer Romanheldinnen drückt dieses Lebensgefühl so aus: Bahnhöfe und Hotelzimmer - ich bin sehr glücklich. Ein unschätzbares Gefühl: nicht hier und nicht da, sondern einfach fort zu sein.[2]
Franziska zu Reventlow ließ sich nicht von den Konventionen ihrer Zeit vereinnahmen und sollte somit zum Skandal und zugleich zum Mythos der wilhelminischen Gesellschaft werden.[3] Viele Zeitgenossen erwähnen sie mit Bewunderung und Amüsement, aber auch mit Skepsis und moralischen Einwänden: zum Beispiel Franz Hessel, Thomas Mann, Theodor Lessing, Rainer Maria Rilke oder Ludwig Klages.
Eine wesentliche Rolle spielte Franziska zu Reventlow im kulturellen Leben Münchens um die Jahrhundertwende. In dieser Zeit verstand sie sich als Malerin und nicht als Schriftstellerin, auch wenn sie bereits einige Erzählungen und Novellen veröffentlicht hatte.
Ihre künstlerischen Bestrebungen standen jedoch für ihre Zeitgenossen nicht im Vordergrund. Sie sahen in Franziska zu Reventlow eher einen neuen Frauentypus. Mit ihrer Lebensweise und ihrer Einstellung zu Erotik und Sexualität sprengte sie den Rahmen der damaligen Frauenbilder, die sich in der zeitgenössischen Literatur zwischen Femme fragile und Femme fatale bewegten.
Franziska zu Reventlows ungewöhnliche Ansichten über erotische Beziehungen machten sie zu einer schillernden Projektionsfläche im Kaiserreich. Sie hatte verschiedene Liebesbeziehungen und verheimlichte diese nicht. Deshalb kann man sie auch nicht als Affären bezeichnen, weil damit Anrüchigkeit und Verworfenheit verknüpft sind. In ihren Aufsätzen und literarischen Texten vertritt Franziska zu Reventlow die Auffassung, dass körperliche Treue keinen Wert an sich darstellt, und fordert volle geschlechtliche Freiheit[4] für beide Geschlechter.
Als Mutter eines unehelichen Kindes stand Franziska zu Reventlow zu ihrer Entscheidung, das Kind allein zu erziehen, und sie verschwieg den Namen des Vaters. Gleichzeitig erhob sie den Anspruch auf freie Entfaltung ihrer Sexualität. Damit wurde Franziska zu Reventlow zur Inkarnation der «erotischen Rebellion»[5] oder der «sexuellen Revolution»[6]. Für einige Zeitgenossen, wie zum Beispiel Ludwig Klages und seine Freunde, verkörperte Reventlow um diese Zeit eine «heidnische Heilige», eine Kombination von Hetäre und Mutter, und wurde somit die Personifikation ihrer Philosophie.[7]
Leben und Freiheit waren zentrale Kategorien im Denken, Schreiben und Leben Reventlows. Bereits als Neunzehnjährige schrieb sie: Ich will und muß einmal frei werden; es liegt nun einmal tief in meiner Natur, dieses maßlose Streben, Sehnen nach Freiheit. Die kleinste Fessel, die andere gar nicht als solche ansehen, drückt mich unerträglich, unaushaltbar und ich muß gegen alle Fesseln, alle Schranken ankämpfen, anrennen.[8]
Ihre Lebensfreude wurde von ihren Freunden und Freundinnen - Letztere hatte sie tatsächlich, auch wenn in manchen Darstellungen der Eindruck entsteht, sie habe ausschließlich mit Männern Umgang gepflegt - herausgestellt. Erich Mühsam, der Reventlows materielle Not und die gesellschaftlichen Schwierigkeiten als ledige Mutter durchaus wahrnahm, schrieb über sie: «Freilich war sie eine viel zu lebenshungrige und künstlerisch bewegte Natur, um sich nicht unbedenklich den Launen ihres sinnlichen Begehrens zu überlassen, und dazu ein viel zu fröhlicher Charakter, um sich nicht mit unvergleichlicher Leichtigkeit und selbst Ausgelassenheit über die schikanöse Misere des Daseins hinwegzusetzen.»[9]
Die Folgen ihres Bedürfnisses nach Unabhängigkeit wurden dabei manchmal übersehen. Zeitweilige Depressionen, Erschöpfungszustände und psychosomatische Störungen waren die Kehrseite der Leichtigkeit und Nonchalance, mit der sie ihren Mitmenschen begegnete. Als nach ihrem Tod die Tagebücher veröffentlicht wurden, waren viele ihrer Zeitgenossen, die sie ausschließlich als vergnügungsfreudige und lebensfrohe Bohemienne sahen, schockiert. In ihrem Tagebuch heißt es zum Beispiel: Ach, ich bin gelaufen, gelaufen, hingefallen, wieder aufgestanden, umgeworfen, wieder aufgesammelt, bis ich da angekommen bin, wo mein Ziel anfängt. Angst und Zweifel, Kräfteversagen und die Müdigkeit.[10]
Franziska zu Reventlow schrieb über ihre Ängste und depressiven Stimmungen, über ihre Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit; Lebenslust und Lebensmüdigkeit wechseln einander im rasanten Tempo ab. Diese Ambivalenz ihrer Gefühle kommt im Nebeneinander von Freiheitsdrang und der gleichzeitigen Sehnsucht nach Zugehörigkeit zum Ausdruck.
[.] bei mir steht und fällt alles mit dem Erotischen [.][11], hatte sie einmal notiert. In ihrem praktischen Leben stand und fiel aber auch alles mit dem Geld. Nicht selten geriet sie in materielle Not. Mit ausgesprochenem Sinn für Komik und Satire entwickelte die «Gräfin», wie sie von ihren Freunden genannt wurde, eine eigene Philosophie des Geldes und zeigte noch in den größten Notlagen, in denen sie schon ihren gesamten Hausstand versetzt hatte, Witz und Ironie.
Die ihr Leben bestimmenden Themen Freiheit, Liebe und Geld durchziehen auch ihr schmales literarisches Werk, das neben kleineren Erzählungen und Novellen aus vier Romanen und einem Romanfragment besteht. Ausgehend von ihrer eigenen Biographie entwirft Franziska zu Reventlow verschiedene literarische Frauenfiguren, die in ein Wechselspiel von Selbst- und Fremdbildern geraten. Ihr erster Roman, Ellen Olestjerne, erschien 1903, Franziska zu Reventlow war gerade dreißig Jahre alt. Nach dem Muster eines Entwicklungsromans zeichnet sie den Lebensweg der Protagonistin Ellen Olestjerne von der Kindheit bis zu ihrer Zeit als Künstlerin und der Geburt ihres Kindes. Der Roman ist keine Autobiographie; der literarische Charakter des Romans kann angesichts der biographischen Übereinstimmungen zwischen Autorin und Protagonistin leicht übersehen werden. Dennoch kann Ellen Olestjerne als Versuch Franziska zu Reventlows verstanden werden, sich ihrer eigenen Identität und ihres Selbst bewusst zu werden. Mit der Beschreibung einer bedrückenden Kindheit und Jugend und der Thematisierung einer problematischen Mutter-Tochter-Beziehung liefert Franziska zu Reventlow Erklärungen, warum die Protagonistin Ellen Olestjerne einen unkonventionellen, den Vorstellungen ihrer Familie widersprechenden Lebensweg wählt. Damit lässt der Roman Rückschlüsse auf Reventlows Selbstverständnis zu.
Die anderen Romane Franziska zu Reventlows sind erst nach ihrem Fortgang von München in Ascona entstanden. Über Männer, Männertypen und Männerpathos schreibt sie in Von Paul zu Pedro (1912) und erinnert mit ihrem leichten Plauderton an die galante französische Salonliteratur. In ihrem Roman Herrn Dames Aufzeichnungen (1913) setzt sie sich souverän und distanziert mit der Ideologie der in jenen Münchener Jahren sehr umstrittenen Kosmiker-Runde auseinander und liefert damit ein authentisches Bild der Epoche sowie eine durchaus aktuelle, nicht nur auf die historischen Ereignisse zu beziehende Auseinandersetzung mit dogmatischen Ideologien.
Sie trug, außer ihren Namen, nichts an sich, was vom Moder der Vergangenheit benagt war. In die Zukunft gerichtet war ihr Leben, ihr Denken; sie war ein Mensch, der wußte, was Freiheit bedeutet, ein Mensch ohne Vorurteile, ohne traditionelle Fesseln, ohne Befangenheit vor der Philistrosität der Umwelt. Und sie war ein froher Mensch, dessen Frohsinn aus dem tiefsten Ernst des Charakters kam. Wenn sie lachte, dann lachte der Mund und das ganze Gesicht, daß es eine Freude war, hineinzusehen. Aber die Augen, die großen, tiefblauen Augen, standen ernst und unbewegt mitten zwischen den lachenden Zügen. Die Gräfin war eine schöne Frau, ihr Äußeres von strahlendem Reiz, und das Herz erfüllt von der Schönheit des Lebens und von der Sehnsucht nach einer schönen und freien Menschenwelt.
Erich Mühsam
Wiederum von ihrer eigenen Lebensgeschichte ausgehend, ironisiert Franziska zu Reventlow in dem Roman Der Geldkomplex (1916) die Psychoanalyse, indem sie die Ich-Erzählerin die Auffassung vertreten lässt, dass psychische Störungen ausschließlich auf materielle Gründe zurückzuführen seien.
Das Leben in der Münchener Boheme und später in Ascona war für Franziska zu Reventlow der schwierige Versuch, ein «Leben in...
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