Schweitzer Fachinformationen
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»Noch mal danke für die Einladung, Onkel Andi. Aber ich bin kein großer Fan von Hasenbraten, obwohl deine Haushälterin hervorragend kocht. Ohnehin müsste ich dringend nach Hause. Und außerdem ist es erst elf Uhr. Seit wann isst du so früh?«
Sissi Sommer, die hübsche Kommissarin vom K1 in Memmingen, tupfte sich mit einer blütenweißen Leinenserviette den Mund ab und spuckte verstohlen etwas in den gestärkten Stoff. Sie war eine attraktive, wohlproportionierte Brünette mit wachen braunen Augen und langem dunklen Haar, das ihr locker über die Schultern fiel. Obwohl sie auf die vierzig zuging, wirkte sie in ihrer kurzärmeligen maisgelben Bluse und der weißen Jeans keinen Tag älter als dreißig.
»Ich habe nicht oft frei, und wir hätten uns doch am Sonntag ohnehin in der Kirche gesehen. Nun bin ich aber wirklich pappsatt.« Mit diesen Worten schob sie ihren Teller so unauffällig wie möglich ein Stückchen von sich weg.
»Als ich hörte, dass du auf dem Rückweg aus Kempten bist, dachte ich, wir könnten mal wieder zusammen plaudern, darum habe ich das Essen vorverlegt«, verteidigte sich Pfarrer Sommer und nahm einen kleinen Schluck von dem schweren Rotwein, der im Glas schimmerte. »Ich sehe meine Nichte viel zu selten, es sei denn, sie braucht mich im Rahmen ihrer Ermittlungen.« Das klang ein wenig vorwurfsvoll.
»Lieb von dir, Onkel Andi, aber du weißt selbst, wie anstrengend und zeitintensiv meine Arbeit ist.« Sissi lächelte ihren Onkel freundlich an.
Ihr Gegenüber, ein untersetzter Mann Mitte sechzig mit grauem Haarkranz über blitzenden blauen Augen in einem freundlichen Gesicht, nickte bestätigend. Seit Jahrzehnten kümmerte sich Pfarrer Sommer in der Gemeinde Legau mit viel persönlichem Einsatz um seine verirrte katholische Herde. Wenn er von der Kanzel über Hölle und Verdammnis wetterte, blieb kein Auge trocken. Seine Predigten waren über die Grenzen des Landkreises hinaus berühmt-berüchtigt und sogar dem Bischof in Augsburg zu Ohren gekommen, der nach dem dritten vergeblichen Versuch, Sommer zu einer sanfteren Tonart zu überreden, jede Hoffnung aufgegeben hatte. Diese Allgäuer waren eben ein sturer Schlag. Außerdem mochten sie ihren Pfarrer trotzdem und ließen nichts auf ihn kommen.
Sommer liebte seine störrischen Schäflein, war einem guten Roten oder einem kühlen König-Ludwig-Dunkel nicht abgeneigt und gönnte sich gelegentlich eine Zigarre, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Jetzt betrachtete er seine Nichte besorgt.
»Wann seid ihr denn das letzte Mal verreist, Sissi? Du arbeitest wirklich sehr viel, und ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den letzten Jahren eine Urlaubskarte von dir bekommen hätte. Also, wann?«
Sissi überlegte einen Moment. »Weiß ich gar nicht mehr«, antwortete sie dann. »Aber ich wohne in einer Gegend, in der andere Urlaub machen, es ist also zum Aushalten. Onkel Andi, ich sollte jetzt wirklich los. Peter wartet mit dem Essen auf mich, und wir wollen später noch was zusammen unternehmen.«
»Hat dir das Fleisch nicht geschmeckt?«, erkundigte sich ihr Onkel, als ihm das beinahe unberührte Essen auffiel. »Ist ganz frisch.«
»Doch, natürlich.« Anstandshalber pickte Sissi ein Stück Salzkartoffel mit der Gabel auf und schob es sich in den Mund. »Wirklich frisch. Ich habe vorhin schon befürchtet, es würde gleich vom Teller hüpfen und davonhoppeln.«
»Als Kind warst du nicht so heikel«, tadelte Sommer seine Nichte.
»Da hab ich dir ja auch noch abgekauft, dass das Christkind auf weißen Flügeln ins Wohnzimmer schwebt und dass ich umgehend in die Hölle komme, wenn ich lüge, Onkel Andi.« Sissi legte ihre Gabel ab und erhob sich. »Wir sehen uns bald wieder. Sonst alles okay bei dir?«
»Selbstverständlich.« Pfarrer Sommer zwinkerte ihr mit seinen strahlend blauen Augen zu. »Ein bisschen Blutdruck, ein bisschen dies und das. Wie das halt in meinem Alter so ist. Und selbst?«
Sissi seufzte. »Du weißt, dass Peter letztes Jahr mit dem Brotbacken angefangen hat?«
»Nicht nur ich, das ganze Dorf«, bejahte ihr Onkel. »Immerhin hat er uns alle reichlich damit bedacht. Seine Kreationen waren zum Teil sehr abenteuerlich.«
»Er hat sage und schreibe siebzehn Bücher über Brot gekauft und eine Zeitschrift abonniert, die tatsächlich den Namen >Brot< trägt«, erzählte ihm Sissi. »Seit Neuestem bäckt er auch noch alles Mögliche in Brotteig ein. Und ich muss es dann essen.«
»Klingt nicht so schlimm«, tröstete sie ihr Onkel. »Und Peter kocht wirklich gut. Sein Beef Wellington ist erstklassig.«
»Nicht in Sauerteig«, widersprach ihm Sissi verstimmt. »Und das ist noch nicht alles. Letzte Woche kamen drei neue Bücher mit Do-it-yourself-Tipps.«
»Ist doch vorbildlich«, wandte ihr Onkel ein.
»Denkst du?« Sissi lächelte säuerlich. »Du würdest dich wundern, was man alles fürs Selbermachen braucht. Bei uns zu Hause sieht es allmählich aus wie im Wohnmobil von Walter White aus >Breaking Bad<, diesem fiktiven Chemielehrer, der sein Geld mit dem Kochen von Methamphetamin verdient hat. In der Garage steht kübelweise Natron, weil mein Mann meint, das helfe gegen Bauchweh, Kalkflecken, Blähungen, schlechten Geruch und zu flachen Kuchen.«
Sommer grinste. »Mir gefällt das«, verteidigte er Sissis Mann. »In der Nachkriegszeit hat man das meiste selbst gemacht. Es gab ja so gut wie nichts.«
»Ich bin noch nicht fertig«, fiel seine Nichte ihm ins Wort. »Neulich war ich ausnahmsweise im Keller im Abstellraum, weil ich was gesucht habe. Da stehen tatsächlich drei nagelneue Schwerlastregale, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich weiß nicht mal, wie er die allein da runtergebracht hat.«
»Auch das ist nicht verwerflich, dass er Stauraum schafft. Was hast du nur?«, wunderte sich Sommer.
»Denkste.« Sissi schnaubte. »Wir horten seit Neuestem Dosenbrot, Wurst in Dosen, Volleipulver, kanisterweise Mineralwasser, Campingkocher plus Gaskartuschen, ungefähr zehn Kilo Kerzen und einen halben Ster Klopapier. Onkel Andi, ich hab so viel davon zu Hause, ich könnte damit handeln.«
»Herrje.« Sommer staunte. »Weshalb das denn?«
»Ratschlag des Bundesamts für Katastrophenschutz, behauptet mein Mann«, antwortete Sissi grimmig. »Du weißt doch, dass Peter staatliche Verlautbarungen immer wörtlich nimmt.«
»Das habe ich aber auch gelesen«, verteidigte Pfarrer Sommer Peter. »Jeder Haushalt sollte zwei Wochen lang mit dem klarkommen, was er daheim hat, falls es einen Blackout gibt beispielsweise.«
»Mein Mann ist ein sehr umsichtiger Mensch.« Sissi seufzte. »Einer der Gründe, warum ich ihn so sehr liebe. Er sorgt gerne vor. Aber er übertreibt dabei immer. Was mach ich denn mit dem ganzen Klopapier? Und dann noch das megateure vierlagige!«
»Vielleicht bekommt ihr mal Durchfall und seid dann froh drum«, versuchte Sommer seine Nichte zu trösten. »Das wird ja nicht schlecht.«
Sie musste lachen. In diesem Moment ertönte ein Summton.
»Ist das deins?« Sommer wies auf Sissis Umhängetasche, die auf der Eckbank lag.
Hastig fischte sie ihr Smartphone aus der Tasche und meldete sich.
»Sehr gut, Chef, danke. Ich hab ja heute f.« Ihre Miene wurde mit einem Schlag ernst. »Wo? Ach du liebe Güte. Ja, ich bin tatsächlich gerade in der Nähe und mache mich umgehend auf den Weg. Ist Klaus bereits vor Ort?« Sie lauschte einen Moment.
»In Ordnung. Das war's dann wohl mit meinem freien Tag. Wir melden uns, sobald wir was haben. Wiederhören.« Sie beendete das Gespräch, hängte sich ihre Tasche um und begab sich in Richtung Tür. »Ich muss, Onkel Andi. Danke für das Essen.«
»Scheint dir wirklich nicht geschmeckt zu haben, mein Essen«, meinte er vorwurfsvoll. »Neuer Fall?«
»Leider, Onkel Andi«, bejahte sie. »Du weißt, mehr darf ich dir nicht verraten. Und nun iss weiter. Wird ja alles kalt.« Sie winkte ihm zum Abschied und verschwand leichtfüßig durch eine große Tür aus dunkler Eiche.
Ihr Onkel lauschte dem Klang ihrer Schritte, bis sie verhallt waren, dann machte er sich wieder an seinen Hasenbraten. Er war tatsächlich beinahe kalt.
»Das ging ja schnell.« Klaus wartete neben seinem Auto auf sie, das am Waldrand geparkt war. »Zwei Kollegen von der Streife sind auf der Lichtung, zusammen mit der Frau, die ihn gefunden hat.«
»Dieses Auto«, Sissi deutete auf einen ungefähr zwanzig Meter entfernten dunkelgrauen SUV am Waldrand, hinter dem ein Streifenwagen stand. »Es gehört Andreas Auer, das sehe ich am Kennzeichen.«
»Das ist der Name des Opfers«, klärte Klaus sie auf. »Die Frau, die ihn entdeckt hat, konnte ihn identifizieren. Sie kannte ihn persönlich. Ach, ich hatte ganz vergessen - ihr kennt euch ja alle persönlich.«
Sissi zuckte kaum...
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