Schweitzer Fachinformationen
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Da war eine Leiche in einem Labor alter Schule: ein Mann im weißen Kittel, der in merkwürdig neonfarbenem Licht in einer Pfütze lag, die halb aus Blut, halb aus einer transluziden Flüssigkeit zu bestehen schien. Rund um ihn Verwüstung: zerbrochene Fläschchen, Kolben, Bunsenbrenner und eine robuste Olympia-Schreibmaschine, die er im Todeskampf vom Tisch gezogen haben musste. Klickte man auf das linksstehende Mikroskop, konnte man einen der wesentlichsten Hinweise erkennen: eine Petrischale, in der tausende Mikroben schwammen - eine Ursuppe, in der gerade etwas Ungeheures zu geschehen schien. Und dann war da noch ein zweiter Mann, der, schockiert über den ersten gestützt, dessen Hand in der seinen hielt und sich allein durch diese Geste als ein Freund offenbarte.
Ein Schnitt durch das restliche Haus erlaubte aber, auch in andere Räume zu sehen wie in einem Diorama. Das heißt, man konnte erkennen, dass neben dem Zimmer, in dem der Mann lag, noch weitere waren. Links und rechts befanden sich andere Laborräume, während darunter, durch diese mit einer Stiege verbunden, Büros waren, in denen Dokumente und Bürobedarf gelagert waren. Auf dem Gang standen zwei sich unterhaltende, Zigaretten anzündende Frauen, die von den tödlichen Geschehnissen oben nichts mitbekommen zu haben schienen. Auf Gegenstände und Personen konnte man klicken, sie untersuchen: Die beiden rauchenden Frauen etwa offenbarten dabei einen Dialog, der verriet, dass die eine der beiden erhebliche Schulden angehäuft hatte. Man sah bei jenen Zooms in die Charaktere auch, was jeder dabeihatte: ein anderer Wissenschaftler, der im Nebenlabor stand, etwa eine Dienstliste, ein Buch über das Paläozoikum und einen Umschlag mit Geld.
All das war gefroren in der Zeit - ein Wimmelbild, in dem man Informationen sammeln konnte, Notizen entdecken, sie genauer studieren, sie vergrößern - in dem sich aber dadurch nichts änderte. Wie ein deduzierender, jedoch vollkommen machtloser Gott, war das Größte, was man erreichen konnte, zu untersuchen, was geschehen war. Und dann waren da auch Wirbel und Farbverschiebungen, die nicht hätten sein dürfen. Auf einmal begann die Leiche, die doch eigentlich nur hätte liegen sollen, zu zucken und sich zu winden, als würde etwas sie von innen würgen.
»Das ist wohl eine Pre-Alpha-Version?« Der Typ sah aus, wie man sich einen an Kalifornien gescheiterten Investor vorstellen würde - Flare Jeans, Fu-Manchu-Bart, Lederjacke über Karo-Hemd - und ich wusste schon jetzt, dass ich verloren hatte. Solche Typen, quasi der Reintypus eines Typs, können Imperfektionen nicht abfedern, sondern wollen nur Ladenfertiges, da sie entgegen ihrem Auftreten den ganzen Tag nichts anderes tun, als den Speichel eines Vorgesetzten zu lecken.
»Kleinen Moment, das ist nur die Hardware. Sekunde - na, jedenfalls ist das Ziel des Spiels, dass man nur über die Szene herausfinden soll, wer all diese Leute sind, in welcher Beziehung sie stehen, und natürlich, was passiert ist. Ach Gott, da stimmt was nicht«, sagte ich, wovon sich der Typ aber gar nicht irritieren ließ. Mein Computer war ein zehn Jahre alter Toshiba Satellite A20, der stets zur Unzeit einzugehen pflegte. Einen neuen zu kaufen war in meiner momentanen Lage ausgeschlossen. Bausparvertrag und diverse Notgroschen hatte ich letztes Jahr aufgebracht - und jetzt, jetzt saß ich dem Typen gegenüber und hoffte nichts sehnlicher, als dass er mir anbieten würde, auf Firmenkosten einen Toast zu bestellen.
»Immer problematisch, wenn man ein Spiel ganz alleine entwickelt, da gibt's meistens Makel. Das konnte ein Chris Sawyer noch machen, als man vorgerenderte Grafiken verwendet hat. Heute wollen die Leute einfach mehr. Ist so. Nix gegen Sie. Ist so.«
»Nun«, sagte ich, »dann lassen Sie sich diesmal geneigtest vom Gegenteil überzeugen.«
Unter einem Think-Backwards-Game versteht man ein Spiel, in dem nicht Figuren noch Strategien die Modulatoren sind, die bewegt und variiert werden müssen, sondern die Zeit selbst. Man spielt Ursache und Wirkung, und zwar spielt man sie rückwärts. Das Ziel eines TBG ist es, herauszufinden, wie es zu einer Situation gekommen ist, also rückwärts von der Anschauung zum Grund zu kommen, und zwar durch Indizien und Extrapolation von Wenn-Dann-Zusammenhängen, kurzum durch das Entwerfen von Fiktionen. TBGs sind für Einzelspieler, Kooperation ist also nicht möglich.
Wir nennen die Szenerie, mit der der Spieler anfangs konfrontiert wird, das Ausgangslevel. Durch Klicken auf verschiedene Hinweise muss eine Idee davon gewonnen werden, wie es zur dargestellten Lage gekommen ist. Solche Hinweise können etwa sein: Papierstücke, Briefe, Karten, die Positionen von Menschen, Dinge, die die Leute mithaben, und andere stumme Hinterlassenschaften. Das bedeutendste Werkzeug aber ist die Spekulation, die Ausschlussdiagnose. Das Think-Backwards-Game ist ein Rätsel nach dem Typ der sogenannten Logicals. Wird der Hergang des Verbrechens über ein Textfeld schließlich richtig benannt, springt der Spieler ein Stück zurück in die Vergangenheit der Geschichte, wo eine weitere Szene dieses Kriminalfalls auf ihn wartet. So ist die Methode zu wiederholen.
Ein TBG ist kein Text-Based-Adventure. Es hat Bilder, es hat ein grafisches Interface. Der Spieler tippt keine spekulativen Befehle ein, um in der Handlung vorwärtszukommen, er sammelt Hinweise, um etwas zu erkennen.
Ein TBG ist kein Point-and-Click-Adventure. Zwar kann man Gegenstände betrachten oder benützen, jedoch keine Effekte damit erzielen, da der Wirkhorizont eines TBG die Vergangenheit ist und nichts in die Zukunft Gerichtetes vorgenommen wird.
Ein TBG ist kein Detektivspiel, denn das, was es einzigartig macht, ist dass man das Rätsel gar nicht kennt, das man lösen soll.
Die Erfinderin der Think-Backwards-Games, das bin ich. Für das Schreiben eines Think-Backwards-Games ist die entscheidendste Fähigkeit, die vollkommen willkürlichen Enden der Entropie einer Geschichte - DER Geschichte - zusammenbinden zu können. Alles, was dem Spieler bleibt, ist herauszufinden, was passiert ist. Man spielt nicht als ein Charakter, sondern als omniscienter, quasi auktorialer Beobachter. Am Ende erhält der Spieler weder Belohnungen noch Upgrades; allein das Wissen, das Aha-Erlebnis, das er durchs Nachdenken erwirbt, ist die Belohnung.
»Wollen Sie auch etwas essen?«, fragte ich beiläufig. »Etwas Kleines?«
»Was soll eigentlich das Setting? Ist das ein Labor oder was?« Ärgerlicher- und vor allem auffälligerweise würde ich meine Frage nun wiederholen und auf eine Gelegenheit für diese Wiederholung warten müssen.
Ich hatte meine Hoffnung abgelegt, dass aus solchen Treffen jemals etwas resultieren könnte, was einem Vertrag ähnelte. Vielmehr war die Erwartung eines sogenannten Bewirtungsbelegs zum tragenden Grund geworden, mich die Gumpendorferstraße hinunter ins Café Sperl zu schleppen. Da nämlich Typen jeden Handgriff, der für die Firma unternommen wurde, mit einer abgesetzten Mehrwertsteuer untermauerten, und weil wir wenigstens offiziell geschäftlich miteinander verkehrten, konnte man sich die Bestellung eines Kaffees (obligat) sowie eines Schinken-Käse-Toasts (optional) zubilligen.
»Ich habe das Spiel im Milieu der Wissenschaft angesiedelt, weil es inhaltlich ein formales Element widerspiegelt. Es geht um das Ableben von Doron Markovic, einem Biologen, der gemeinsam mit einigen Kollegen über den Ursprung des Lebens geforscht hat. Die Frage ist, was er darüber so Brisantes herausgefunden hat, dass er sterben musste. Während man mehr und mehr über sein Leben herausfindet, geht man auch biologisch immer weiter zurück. Herr Ober!«
»Um Gottes Willen, kompliziert! Und der Titel Capricorn wird dir jetzt auch nicht unbedingt helfen, das zu verkaufen. Das ist ja eigentlich bloß ein komplizierteres Cluedo, oder nicht?«
»So würde ich es nicht sagen.« Ich lächelte eisern. »Außer dass es um negative Beweise geht und man herausfinden muss, wer was nicht getan haben kann. Aber das wirklich Besondere an meinem Entwurf ist, dass es keinerlei Upgrades gibt oder Gegenstände, die man bekommen kann wie bei den herkömmlichen Point-and-Click-Adventures«, sagte ich. »Alles, was der Spieler bekommt, sind Informationen, das heißt, man könnte sagen, dass alle Upgrades im Hirn der Rezipienten stattfinden. Man hat eigentlich von Anfang an alle Möglichkeiten, zum Beispiel diese zerbrochene Tafel zusammenzusetzen. Aber dass man das kann, erfährt man erst später.«
»Mir gefällt das Design nicht. Es wirkt beengt irgendwie.« Das Problem an Typen ist ihre vollkommene, geistesentleerte Verdummung, die nach Modeworten schnappt wie ein manischer Köter. Aber ich disziplinierte mich in die Geduld hinein, um wenigstens nicht mit leerem Magen nach Hause zu kommen.
»Ich bestelle etwas Kleines. Entschuldigung -« Erfolgloses Bewinken des Obers.
»Ich meine, dass man nichts verändern, sondern maximal herausfinden kann, wie es zu einer Situation gekommen ist - da ist...
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