Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Da saß ich nun in meiner neuen Freiheit. Sie bestand aus drei Zimmern. Zu meinem Schlafzimmer gehörte ein mickrig, kleiner Ostbalkon, des Weiteren gab es ein ungünstig geschnittenes Wohnzimmer auf der Südseite und eine Küchenzeile, in die sich niemals Tageslicht verirrte. Nur Lukas, der Sohn von meinem Noch-Ehemann und mir, hatte das große Los gezogen. Sein Zimmer lag im Norden, war angenehm kühl und der Internetzugang funktionierte quasi ohne nennenswerte Störungen. Kein Mensch plante einen Umzug im August, während die Hundstage das öffentliche Leben fast zum Erliegen brachten. Aber mein Noch-Ehemann verlangte von mir, unverzüglich das Haus, dass ich in den letzten Jahren in mühevoller Kleinarbeit in einen bewohnbaren Zustand verwandelte, verlassen sollte. Allein der traumhaft schöne Bauerngarten, würde mit Sicherheit in jedem Gartenmagazin den ersten Preis erzielen. Das Recht, mich vor die Tür zu setzen hatte er, denn dummerweise lief der Vertrag für unser angemietetes Haus auf seinen alleinigen Namen und bestand bei Hochzeit auf einen Ehevertrag, somit hatte ich das Nachsehen. Ich wiederum bestand aber darauf, dass er meinen Mädchennamen annahm, das allerdings zur Folge hatte, dass sein Vater ihn enterbte.
Ich blickte mich um, sah die vielen Umzugskartons, die lieblos irgendwo abgestellt waren. Da ich schon immer nah am Wasser gebaut hatte, kamen wir mal wieder die Tränen. Jetzt war ich wieder genau in der gleichen Situation wie vor fünfundzwanzig Jahren. "Ach Lena, sei doch nicht traurig. So schlimm finde ich es hier auch wieder nicht. Du musst positiv denken, nach vorne blicken, an die Zukunft denken. Außerdem brauchst du dir bei diesem Minibalkon keine Gedanken mehr zu machen, wie du deine unzähligen Bauernhortensien überwintern sollst. Aber ich denke für eine Topfgeranie langt der Platz allemal." "Hortensien sind winterhart", blitzte ich ihn an. "Aber warum erzähle ich dir das überhaupt, soweit ich mich erinnern kann, war ich die einzige Person, die ihre Zeit mit Gartenarbeit verbrachte." Mein halbwüchsiger Sohn kam aus seinem kühlen Reich. In letzter Zeit sprach er mich immer mit meinem Vornamen an. Vielleicht wollte er damit kundtun, dass er nun auch schon zu den Großen zählte und dass ich ja nicht auf die Idee kam, ihm irgendwelche Kleidervorschriften zu machen. Zu Zeit war er auf dem Skater Trip und trug nur noch angesagte Marken aus seinem Lieblingsgeschäft. Allein die Schuhe kosteten ein Vermögen und hielten ganze sechs Wochen, bevor sie aus dem Leim gingen. Aber das sei ganz normal, versicherte mir der Verkäufer aus dem Skater-Laden. Seine hielten auch nur drei Wochen.
"Lena meine X-Box 360 funktioniert schon. Super, oder?" Im gleichen Atemzug fragte er mich: "Wann gibt es denn eigentlich Essen." Das war wiederum typisch für meinen Sohn. Wenn er weiterhin so einen Appetit entwickelte und wöchentlich zehn Zentimeter an Höhe gewinnt, werde ich bald staatlichen Zuschuss für Kleidung und Ernährung beantragen müssen. Aber schließlich hatte er ja noch einen Vater, sollte er sich das nächste Mal um die Einkleidung kümmern. Verstohlen wischte ich mir die Tränen weg und meinte sarkastisch. "Falls es dein Zustand erlaubt, könntest du dich mal zu Abwechslung um das Essen kümmern. Was meinst du? Im Übrigen lautet die Frage nicht wann es etwas zu essen gibt, sondern was. Wir haben ja nichts an Vorräten im Kühlschrank." "Ha das war ein guter Witz", meinte Lukas. "Komm schon, in diesem Nest wird es ja wohl einen Supermarkt geben." Ich war nur froh, dass die Wohnung über eine Einbauküche verfügte, sonst wäre mein Kind glatt dem sicheren Hungertod erlegen. Ich seufzte, nahm den Haustürschlüssel und war schon an der Tür. Eigentlich war ich auch ein Frustesser und wenn ich mich schlecht fühlte, konnte ich einen gewaltigen Appetit entwickeln, aber diesmal fühlte ich mich sogar dafür zu miserabel. "He, du hast deinen Autoschlüssel vergessen", Lukas winkte mit ihm. "Bist du verrückt, ich setze mich doch bei dieser Hitze nicht in das Auto. Wir fahren mit Rädern." "Oh Lena, das ist so was von uncool, das kannst du mir glauben. Wenn mich jemand aus meiner neuen Klasse sieht, dann bin ich das Stadtgespräch für die nächsten zehn Jahre." "Mach dir mal darüber keine Sorgen, die liegen alle am Baggersee", beruhigte ich ihn.
Ich holte die Fahrräder aus der Garage und dachte daran, als Lukas die Kunst des Fahrradfahrens erlernte. Er war damals bereits schon fünf Jahre alt, aber er war mit allen Dingen etwas später. Unser Großer, zehn Jahre älter als Lukas, schloss mit mir damals eine Wette ab. "Was wetten wir! Um zwanzig Euro, dass ich ihm in einer viertel Stunde das Radfahren beibringen kann. Man muss den Jungen nur richtig motivieren." Ich schlug ein und war fünfzehnzehn Minuten später um zwanzig Euro ärmer. Allerdings hasste er unsere sonntäglichen Fahrradtouren und blieb stets weit hinter uns zurück. Natürlich maulend und mit hängenden Mundwinkeln: " Mir ist es heiß, ich habe Durst, die Sonne scheint, jetzt fängt es an zu regnen, wann gibt es was zu essen, ich bin müde...." usw.
Ach mein Großer, teils vermisste ich ihn, teils war ich froh, nicht mehr diese unüberwindlichen Wäscheberge bewältigen zu müssen. Er hatte die Angewohnheit seine Kleidung auf dem Boden zu verteilen, mit dazu kamen unendliche Cola- und Fanta Flaschen, die er ebenso dekorativ in Szene setzte. Nicht zu vergessen, den gesamten Vorrat an Trinkgläsern. Ich schimpfte oft mit ihm, dass ich mir irgendwann den Hals in diesem Chaos brechen würde, aber das berührte ihn kaum. Als er noch kleiner war räumte ich jeden Tag hinter ihm her, aber als er mit seiner ersten Freundin nach Hause kam, ließ ich das bleiben. Nicht dass ich eifersüchtig war, aber ich dachte mir, wenn er rumknutschen kann, dann kann er auch aufräumen. Ich wechselte nur noch die Bettwäsche. Die Fenster allerdings wurden mit Nichtbeachtung bestraft, ich hatte meine Gründe dafür, aber dazu später. Wenn allerdings seine Freundin am Wochenende zu Besuch kam oder wir eine Familienfeier hatten, mutierte er plötzlich zu einem zivilisierten Mitteleuropäer räumte sein Zimmer auf und ich konnte nur noch unter Einsatz meines Lebens die Waschküche betreten.
Wir radelten nun los und Lukas zog das Genick ein. Vielleicht war doch ein potenzieller Klassenkamerad unterwegs. Ich traf auf eine ältere Dame, die ihren Hundeopi spazieren führte. "Entschuldigen Sie bitte, gibt es hier in der Nähe einen Supermarkt?", fragte ich sie freundlich. "Ja glei da vornne um die Eck is Helga's Einkaufsparadies." Ich bedankte mich höflich. Du meine Güte, an diesen Dialekt werde ich mich nie gewöhnen, dagegen war Hessisch fast charmant. Als ich vor zweiundzwanzig Jahren von Erbenheim, in der Nähe von Wiesbaden, in einer dieser heimeligen und idyllischen Spargelgemeinde gezogen bin, musste ich anfangs immer noch mal nachfragen. Gell verstand ich aber sofort. Schließlich erinnerte es mich an diesen Karnevalshit: "Gell' du hasch mich gelle gern." Ich war nur heilfroh, dass unsere Söhne ihn nicht von den anderen Kindern übernommen hatten. Aber kannte man sich in einem Ort aus, war es auch kein Problem sich woanders zu Recht zu finden, schließlich glichen sie sich wie ein Ei dem anderen.
"Du Lena, aber zu deinem Cowboy sage ich aber nicht Papa. Das ist dir ja wohl klar, oder. Ich habe nämlich einen." "Das ist nicht mein Cowboy, das weißt du ganz genau. Robbi ist der Stallbetreiber, bei dem ich mein Pferd eingestellt habe, mehr nicht. Vielleicht begreifst du das, im Gegensatz zu deinem Vater." Robbi hieß im wirklichen Leben Robert und betrieb im Nachbarort einen kleinen Westernreitstall sowie eine Hobbyzucht für Pintos. Auch bot er immer mal wieder Verkaufspferde an. Vor einem halben Jahr inserierte er:
Englischgerittener, fünfzehnjähriger
Hannoveraner-Wallach, Stockmaß 1,74 m an
Freizeitriter günstig abzugeben. Tel. ....
Und da ein Reiter ohne Pferd nur ein Mensch ist, schaute ich ihn mir unverbindlich an. Ich verliebte mich auf den ersten Blick. Der Wallach, namens Rebell, war trotz seines Namens einfach ein Traumpferd. Sanft blies er mir in mein Haar und schmiegte seine Nüstern in meine Ellenbogen. Juhu, jubelte ich innerlich, all meine Mädchenträume von Prinz, Blitz oder wie alle meine Pferdchen hießen, gingen in diesem Moment in Erfüllung. Und natürlich freute ich mich, dass Robbi so ein gutaussehender Pferdemensch war, das in diesen Kreisen leider sehr selten vorkam. Entweder besaßen sie wunderhübsche Pferde und waren nicht tageslicht-tauglich, oder aber man konnte mit ihnen in die Öffentlichkeit, dafür besaßen sie aber keine vernünftigen Pferde. "Die jetzige Besitzerin verkauft ihn ausschließlich wegen Zeitmangels", meinte Robbie sachlich. Zeitmangel, dass ich nicht lache. Das behaupten alle...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.