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Den halben Tag schon goss es in Strömen. Scheinbar gleichmütig lenkten die durchnässten Reisenden ihre Pferde den Pfad entlang, während der Wind ihnen den Regen ins Gesicht trieb. Von ihren Umhängen liefen Rinnsale, das Banner hing vor Nässe zusammengeklebt und schlaff herab, die Hufe ihrer Pferde ließen das Wasser von den Pfützen aufspritzen.
Schon lange hatte niemand mehr ein Wort gesagt. Lediglich ein Räuspern oder ein Husten waren dann und wann zu hören.
Vor allem die beiden Reiter an der Spitze des kleinen Zuges - ein Graf von etwa dreißig Jahren und ein Ritter Anfang zwanzig, beide sonnenverbrannt und sehnig, mit ernsten, düsteren Mienen - wirkten ganz in Gedanken versunken.
Die Überlegungen des einen flogen voraus, was ihn wohl erwarten mochte, wenn er nach zweieinhalbjähriger Abwesenheit auf seine Ländereien heimkehrte.
Die Gedanken des Jüngeren hingegen waren ganz in der Vergangenheit gefangen - bei alldem, was er während des Kreuzzuges erlebt hatte, von dem sie gerade zurückkamen. Bei den Männern, die er sterben sah, unter ihnen sein bester Freund, und bei den unsäglichen Opfern, die dieser Kriegszug durch Verrat und unheilvolle Streitereien gekostet hatte.
Der Graf von Weißenfels drehte sich um und beorderte mit einer Geste den Anführer der Reisigen zu sich, die er unterwegs in seine Dienste genommen hatte.
»Drei Meilen voraus müsste ein Dorf mit einem Wirtshaus sein, sofern es nicht inzwischen niedergebrannt oder aufgegeben ist. Reite vor und kündige uns an. Das Essen soll bereitstehen, wenn wir kommen, die Pferde brauchen Hafer. Wir halten uns dort nur so kurz wie möglich auf. Ich will noch vor Anbruch der Dämmerung die Burg erreichen.«
Der Anführer verneigte sich und galoppierte ohne ein weiteres Wort davon.
Seine Männer hatten den Befehl gehört und blieben stumm. Es war sinnlos, zu hoffen, in der Schankstube die Kleider trocknen zu können, wenn sie sowieso gleich wieder hinausmussten. Und der Himmel sah nicht aus, als würde es heute noch zu regnen aufhören. Je kürzer die Rast, umso eher würden sie auf Dietrichs Burg Weißenfels ankommen und sich dort aufwärmen können.
Das Gasthaus an der Wegkreuzung existierte wirklich noch. Der Wirt, ein behäbiger Mann mit ruß- und fettverschmiertem Kittel, war trotz des Regens nach draußen gekommen, um die Gäste mit einer tiefen Verbeugung zu begrüßen. Wortreich beteuerte er, sie seien hier bestens aufgehoben und ein warmes Mahl vorbereitet.
Er gab seinen Stallknechten ein paar Befehle, dann schlurfte er zurück zum Haus und verharrte kurz unter dem Türbalken, um seine triefend nasse Bundhaube abzunehmen und auszuwringen.
»Ich bleibe bei den Pferden und habe ein Auge darauf, dass sie gut versorgt werden«, bot Thomas, der junge Ritter, dem Grafen an.
Der musterte seinen Gefolgsmann und Kampfgefährten kurz mit prüfendem Blick, stimmte aber mit einem Nicken zu. Den Jüngeren überkam wieder einmal das beunruhigende Gefühl, Graf Dietrich würde seine Gedanken lesen und die Beweggründe für das Angebot erkennen.
Die Pferde, die sie sich nach der Fahrt übers Meer von dem Sold gekauft hatten, den der französische König ihnen im Heiligen Land für ihren Einsatz bei der Belagerung und Eroberung Akkons gezahlt hatte, waren nicht so edel wie die, die sie üblicherweise ritten, jedoch unentbehrlich und völlig erschöpft. Die Pferdeknechte des Schankhauses gaben sich sichtlich Mühe, sie gut zu versorgen. Wahrscheinlich hofften sie auf diesen oder jenen Hälfling zusätzlich für ihre Arbeit.
Allerdings verspürte Thomas schon beim ersten Anblick des Wirtes Misstrauen. Vielleicht lag das auch daran, dass er überhaupt jegliches Vertrauen in die Welt verloren hatte.
Hauptsächlich aber wollte er allein sein und seine Gedanken sammeln, bevor sie heute Abend Graf Dietrichs Burg erreichten, zu der sie seit Wochen unterwegs waren. Sich wappnen für das, was ihn dort an schlimmen Nachrichten erwarten mochte.
Fern der Heimat, in Outremer, hatten sie vom Machtantritt des neuen Markgrafen von Meißen erfahren, Dietrichs älterem Bruder Albrecht von Wettin. Thomas wusste nicht, wie es seiner Familie seitdem ergangen war. Ob sie in Freiberg bleiben durfte oder vor dem blutrünstigen Herrscher fliehen musste, der schon Thomas' Vater hatte ermorden lassen.
Wenn die Dinge schlecht verlaufen waren, würde er seine zwei Jahre jüngere Schwester in Weißenfels vorfinden. Ihr hatte Graf Dietrich auf seiner Burg Zuflucht versprochen. Vielleicht hatte sich sogar seine gesamte Familie dort in Sicherheit bringen können.
Aber wenn die Dinge ganz schlecht in der Mark Meißen standen, dann würde niemand von seiner Familie in Weißenfels auf ihn warten.
Dann waren alle tot. Und Thomas selbst hatte auch noch eine Todesnachricht zu überbringen: an die Eltern seines besten Freundes Roland. Diese bittere Pflicht konnte ihm keiner abnehmen. Auch wenn er den Hals riskierte, indem er Raimunds Ländereien in der Mark Meißen aufsuchte - er musste es tun.
Vermutlich war immer noch ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Albrecht von Wettin, der nunmehrige Herrscher der Mark Meißen, würde nicht vergessen haben, dass Thomas dem Kaiser die Nachricht überbrachte, wie er seinen Vater, den alten Markgrafen Otto, gefangen genommen hatte, um die Macht an sich zu reißen. Und noch weniger würde Albrecht ihm nachsehen, in die Dienste seines verhassten jüngeren Bruders getreten zu sein.
Dass sie auf Pilgerreise ins Heilige Land gewesen waren, würde weder Thomas noch Dietrich helfen, auch wenn Wallfahrer unter dem Schutz des Papstes standen. Kein Einziger der Kreuzfahrer war bis nach Jerusalem gekommen. Die wenigen vom einst viele tausend Mann starken Heerbann des Kaisers Friedrich von Staufen, die die Angriffe auf dem Marsch, die Hitze, den Weg durch die Steppe ohne Wasser und Nahrung und die Schlachten überlebt hatten, die nicht von Seuchen dahingerafft worden oder bei der fast zweijährigen Belagerung Akkons schlicht verhungert waren, folgten unmittelbar nach der Einnahme der Stadt ihrem Anführer Leopold von Österreich und kehrten zurück in die Heimat, weil der englischen König Richard den Herzog zutiefst beleidigt hatte.
Eine verschlafen wirkende Schankmagd kam in den Stall, sah sich suchend um, dann stakste sie auf den jungen Ritter zu, knickste und reichte ihm einen großen Becher Bier und eine Schüssel mit dampfend heißer Kohlsuppe, in der ein paar gräuliche Fleischbrocken schwammen.
Thomas schüttelte sein tropfnasses dunkles Haar und strich es zurück, ehe er beides entgegennahm. Er stellte die Suppe auf einem Querbalken ab und trank einen Schluck Bier, ohne auf den Geschmack zu achten. Die Knechte hatten den Pferden inzwischen Wasser gegeben und Hafersäcke umgebunden, ihnen die Sättel abgenommen und sie mit Stroh trockengerieben. Dann gingen sie nach einer Verbeugung vor dem Ritter hinaus. Thomas hörte noch, wie ihnen jemand über den Hof zurief, einer solle mehr Brennholz bringen und ein anderer zwei Eimer Wasser vom Brunnen holen.
Er lehnte sich an einen Pfosten und verlor sich in Erinnerungen, während die Suppe neben ihm erkaltete.
Ein leises Rascheln riss ihn aus seinen Gedanken.
Mit ein paar gewaltigen Sätzen war er in der Ecke, in der er einen Schemen wahrgenommen hatte, riss den Mann hoch, der sich angeschlichen hatte, und wuchtete ihn gegen die hölzerne Rückwand des Stalls, die unter dem Aufprall erbebte.
»Was hast du hier zu suchen?«, brüllte er. Der zu Tode erschrockene Fremde umklammerte das Messer, mit dem er sich am Gurt des prächtigsten Sattels - dem Graf Dietrichs - zu schaffen gemacht hatte.
Ein gedungener Mörder!, war Thomas' einziger Gedanke, als er bemerkte, dass der Gurt angeschnitten war. Plötzlich rauschte ihm wieder das Blut durch die Adern, wie auf dem Schlachtfeld sah er nichts weiter als das Gesicht des Mannes, den es zu töten galt. Er zog sein Schwert mit einer so schnellen Bewegung, dass der andere nicht fliehen konnte, holte aus und schlug ihm mit aller Wucht den Kopf ab.
Dann drehte er sich um, ohne noch einen Blick auf den enthaupteten Leichnam zu werfen, und ging zurück zu dem Pfosten. Keuchend von der Anstrengung sank er auf ein Knie. Nach einigen Atemzügen stemmte er sich wieder hoch und wischte die blutige Klinge mit einer Handvoll Heu ab.
Sein Geschrei war trotz des trommelnden Regens bis ins Gasthaus durchgedrungen; der erschrockene Wirt, der Anführer der Reisigen und fünf seiner Männer rannten herbei. Augenblicke später folgte ihnen Graf Dietrich mit langen Schritten.
»Dieser Kerl hat Euern Sattelgurt angeschnitten, mein Fürst!«, berichtete Thomas. Beschämt senkte er den Kopf. »Verzeiht meine Unbeherrschtheit. Ich hätte ihn fragen sollen, wer ihn geschickt hat.«
Der Graf betrachtete das abgemagerte, ernste Gesicht des jungen Mannes mit den umschatteten Augen.
»Für Eure Wachsamkeit danke ich Euch«, sagte er und wandte sich an den Wirt, der entsetzt auf den Leichnam starrte.
»Kennst du diesen Mann?«, fragte er streng.
Mit der Fußspitze stieß der Wirt gegen den Kopf des Toten, um einen Blick auf dessen Gesicht werfen zu können, und bekreuzigte sich. »Das ist einer von den Gesetzlosen, die hier die Wege unsicher machen. Seht, er hat das Henkersmal! Er sollte letzten Sommer gehenkt werden, weil er eine junge Frau und ihren Säugling erschlagen hatte. Doch der Strick riss, so kam er frei. Sicher wollte er die silbernen Beschläge stehlen.«
Nun sank der Wirt vor Dietrich auf die Knie und verschlang die schmutzigen Finger ineinander.
»Glaubt mir, ich habe nichts damit zu tun, edler Herr!«,...
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