Schweitzer Fachinformationen
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Zwei grüne Beinwellspitzen schauen aus dem Schnee heraus. Es ist Januar, ein kalter Tag im Taunus. Ich stehe auf einer versteckten Waldlichtung, die für das Wild freigehalten wird. Von meinen früheren Besuchen weiß ich, dass dieser Platz ein Paradies für Kräuter ist - für Huflattich, Johanniskraut, Wilde Möhre, Dost, Beifuß, Kreuzlabkraut und viele andere Arten. Am Rand der Lichtung hat der Beinwell ein großes Feld erobert. Vielleicht wurde dort einmal ein Wurzelstückchen zusammen mit Gartenabfällen abgeladen, denn es ist kein wirklich typischer Standort für das Raublattgewächs. Normalerweise siedelt er gerne auf Feuchtwiesen, in Auenlandschaften, an Bachsäumen und Uferböschungen. Er mag nährstoffreichen, humosen Lehmboden. Aber er hat genug Kraft, sich auch an weniger günstigen Standorten zu behaupten.
Im Winter zieht er sich komplett unter die Erde zurück. Doch dieser Winter war recht mild, und so sind die ersten Spitzen schon wieder zu sehen, lange vor der Zeit. Vorsichtig berühre ich einen Austrieb. Ganz leicht bricht er direkt über dem Boden ab, fast so, als hätte er eine Sollbruchstelle eingebaut. Die eingerollten Blättchen fühlen sich frisch und saftig an und schmecken genauso, wie sie aussehen - ein bisschen schleimig außerdem, ein typisches Kennzeichen dieser Pflanze.
Die meisten Triebe, die ich entdecke, sehen schon ein wenig abgenagt aus. Da scheinen noch andere auf den Geschmack gekommen zu sein. Viele Tiere sind hier unterwegs, der Boden ist uneben und voller Löcher. An einem dieser Trittlöcher hat das Wild einen Teil der Beinwellwurzeln freigelegt. Geschadet hat es ihnen nicht, sie wachsen weiter, als sei nichts geschehen.
Ein paar Tage später besuche ich den Beinwell in meinem Garten. Es ist ein Comfrey, der so genannte Garten- oder Futterbeinwell. Auch er schiebt schon die ersten Spitzen durch die halb verrotteten Blätter vom Vorjahr. Dazwischen, fast hätte ich sie übersehen, liegen zwei Wurzelstückchen. Sie müssen den ganzen Winter über dort gelegen haben, ich habe sie beim Wurzelgraben wohl vergessen. Wie alte Ästchen sehen sie aus - braun, nass und modrig. Aber sie fühlen sich immer noch fest und lebendig an.
Beim Anschneiden zeigt sich das weiße Innere der Wurzel, und fröhlich teilt mir der Beinwell mit: »Hey, ich liege zwar seit Monaten hier auf dem kalten, nassen Boden herum, aber ich bin voller Kraft. Und wenn du mir jetzt ein bisschen Erde gibst, dann lege ich richtig los!« Es gibt wohl kaum eine Pflanze, die so voller Vitalität steckt wie der Beinwell. Die Wurzel ist verletzt? »Kein Problem, ich wachse trotzdem.« In der Mitte durchgebrochen? »Umso besser, ich verdopple mich.« Selbst kleinste Wurzelstückchen, in die Erde gesteckt, werden fast immer eine neue Pflanze hervorbringen.
Bei der Beschreibung der Wurzel sind manche Autoren fast poetisch geworden: kohlschwarz von außen - weshalb die alten Kräuterkundigen ihn auch »Schwartzwurz« nannten -, im Inneren aber »lilienweiß« (Kölbl 1961, S. 36). Auf solche Gegensätze werden wir beim Beinwell noch häufiger stoßen.
Der Wurzelstock einer älteren Pflanze ist kräftig und stark verzweigt. Einzelne Wurzeln können bis zu drei Zentimeter dick werden und über einen Meter in die Tiefe reichen, bei manchen Beinwellarten bis zu vier Metern. Eine ältere Pflanze ganz auszugraben, ist deshalb kaum möglich. Nur bei den jungen, ein- bis dreijährigen Pflanzen kann es gelingen, sie komplett aus der Erde zu ziehen.
Beinwell gehört zur Familie der Raublattgewächse (Boraginaceae), zusammen mit Borretsch, Lungenkraut, Natternkopf, Ochsenzunge und einigen anderen. Auch das Vergissmeinnicht zählt dazu. Raublatt - das ist ganz wörtlich zu nehmen. Die älteren Blätter und Stängel des Beinwells fühlen sich fast wie Schmirgelpapier an. Sie sind mit stabilen Borsten besetzt, je nach Art mehr oder weniger.
Im Frühjahr, wenn die ersten Blätter sprießen, wird er in der Wiese oft übersehen. Kein Wunder, eine Schönheit ist er in diesem Stadium nicht. Meist sieht er ein bisschen unordentlich aus, kreuz und quer stehen seine Blätter durcheinander. Ganz im Gegensatz übrigens zum giftigen Fingerhut, der im frühen Stadium zwar ähnliche Blätter hat, sie aber wohl sortiert in einer ordentlichen Rosette anordnet. Zudem sind die Blätter des Fingerhuts samtweich und am Rand gekerbt - noch ein eindeutiges Unterscheidungsmerkmal zum Beinwell. Eher ähneln die Beinwellblätter denen des Alant, mit denen sie auch früher hin und wieder verglichen wurden.
Drei oder vier Wochen nach den ersten Blättern schiebt der Beinwell dann die Blütenstängel in die Höhe. Fährt man mit dem Finger daran entlang, so fühlen sie sich entweder rau und borstig an oder fein und weich - je nachdem, ob man von oben nach unten streicht oder umgekehrt. Jetzt muss die Lupe her, und beim genauen Hinschauen sehen wir: Die Borstenhaare zeigen allesamt nach unten, zum Boden hin. »Diese stechenden Gebilde sind mehr oder weniger rückwärts gerichtet und von doppelter Form«, heißt es dazu in Schmeils Leitfaden der Botanik von 1909, »neben sehr großen, mehr geraden finden sich kleinere von der Gestalt eines Gemshornes«. Das ist ein wichtiges Detail, denn es kann dabei helfen, die unterschiedlichen Beinwellarten auseinanderzuhalten. Doch davon später mehr.
Es ist vor allem die Kieselsäure, die seine Borsten so rau und widerspenstig macht. Unsere Vorfahren haben sich das zunutze gemacht und Beinwellblätter über Nacht als Ungezieferfallen ausgelegt, in denen Wanzen und Flöhe hängenblieben und am Morgen entsorgt werden konnten (Bock 1577/1964, S. 88).
Botaniker gehen davon aus, dass sich der Beinwell durch sein raues Äußeres gegen Tierverbiss und Insektenfraß schützt. Auch den Schnecken falle es schwer, am Stängel emporzukriechen: »Die langen, scharfen Borsten dringen [.] wie Lanzenspitzen in die weiche >Kriechsohle<«, heißt es dazu im Schmeil. Doch Beinwellblätter schmecken gut, und Schnecken finden immer einen Weg. Junge Pflanzen des wilden Beinwells und auch der Comfrey, der eine etwas weichere Behaarung hat, sind nicht vor ihnen sicher. Meine Beobachtung ist, dass sich Schnecken zielsicher für die Sorte 'Bocking No. 4' entscheiden, wenn sie die Auswahl haben. Es ist die Art, die unter Kräutergärtnern als »kulinarische Sorte« gilt.
Der Beinwell blüht im »Brachmonat« und im »Heumonat« - so steht es in den alten Kräuterbüchern, gemeint sind Juni und Juli. Doch das hat sich ein wenig verändert. Schon im Mai beginnt die Blütezeit, und wenn er geschnitten wird, dauert sie bis Ende August, je nach Lage auch bis in den September hinein.
Fast wie ein Schneckenhaus sehen die eingerollten Knospenstände aus, manche vergleichen sie mit einem Skorpionschwanz. Der Fachbegriff dafür ist zweistrahliger Wickel oder auch Wickeltraube. Sie stehen in den Blattachseln der oberen Stängelblätter. Sogar die Knospen und die fünfzipfeligen Kelchblätter sind dicht behaart, so wie ein schlecht rasierter Bart. Doch sobald sich die ersten Blüten zeigen, ahnt man, dass noch eine andere Seite im Beinwell steckt. Plötzlich kommt Farbe ins Spiel, ein zartes Violett, ein Cremeweiß oder Rot in verschiedenen Schattierungen. Mit jeder Blüte, die sich öffnet, entrollt sich der Wickel etwas mehr, und der Beinwell zeigt sich in einer Schönheit, der sich kaum jemand entziehen kann. Vielleicht ist es gerade dieser Gegensatz zwischen ruppig und zart, verletzlich und widerspenstig, der die Menschen so berührt, wenn sie sich Zeit nehmen, einen blühenden Beinwell genauer zu betrachten.
Wie kleine Glocken zeigen die Blüten mit der Öffnung...
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