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Immer wieder fiel ihm etwas in die Hände, das ihn daran hinderte, mit dem Ausräumen von Mamas Wohnung zügig weiterzukommen. Er hatte sich nicht dazu überwinden können, das Auflösen ihres Haushalts einer professionellen Entrümpelungsfirma zu übergeben. Einer der Kartons am Dachboden war voll mit Urlaubserinnerungen, ein Beweis, wie wichtig ihr die Italienurlaube mit der Familie gewesen waren. Was zählte heute schon eine Woche an der oberen Adria? Für seine Mutter war es ein unvergessliches Erlebnis gewesen. Da war zum Beispiel das Fotoalbum, an das er sich noch gut erinnern konnte. Es war immer wieder herumgereicht worden, wenn Besuch gekommen war. Man musste ja schließlich alle darüber aufklären, dass man sich eine Reise nach Italien leisten konnte.
Verblasst waren die Bilder, und einen rosa Stich hatten sie alle. Auf den Fotos vom Strand waren hauptsächlich dicke Menschen in altmodischen Badeanzügen zu sehen, die meisten davon kannte er nicht einmal. Auf einigen Seiten fanden sich dann aber auch Familienfotos. Uschi im Tretboot, er selbst - mit dicker Brille - im Liegestuhl, das unvermeidliche Winnetou-Buch auf dem Schoß. Besser gesagt, auf dem Bauch, der damals schon viel zu dick gewesen war. Er ertrug es nur schwer, Fotos von sich selbst aus dieser Zeit zu sehen. Mama im Bikini. Eine der wenigen Frauen, die damals so etwas gewagt hatten. Sehr freizügig waren aber auch Bikinis damals nicht gewesen, er hatte den Eindruck, als seien die Körbchen aus festem, dichtem Stoff viel zu groß für die kleinen Brüste seiner Mutter. Dafür stellten Uschi und Mama üppig mit Blütenranken dekorierte Badehauben zur Schau. Papa war auf keinem der Bilder, er hatte offenbar immer fotografiert. Es war ihre erste Urlaubsreise gewesen, die in diesem Album dokumentiert war. Sie waren mit dem Bus gefahren. Eine untergegangene Welt, dachte er seufzend. Und anstatt zügig weiter auszumisten, setzte er sich auf Mamas altes, abgewetztes Sofa und hing Erinnerungen nach.
Morgen fahren wir nach Caorle. Es wird mein erstes Mal am Meer sein. Ich bin unglaublich aufgeregt, denn ich war überhaupt noch nie im Ausland, bin noch nie über die Grenzen Österreichs hinausgekommen.
Wir werden mit einer ganzen Gesellschaft von Kastenkirchenern mit dem Bus reisen. Ja, mit dem Bus. Wir haben nämlich kein Auto. Etwas Besonderes ist das nicht, denn von den 36 Buben in meiner Volksschulklasse verfügen nur drei über Eltern, die ein Auto besitzen.
Wir, das sind ich, Siegfried, zehn Jahre alt und etwas übergewichtig. Man nennt das bei uns "gut beieinander". Dann meine Schwester Uschi, die ist acht Jahre alt und spindeldürr, sowie mein Vater Adolf und meine Mutter Edeltraud. Ja, ich weiß, dass der Name meines Vaters ein wenig bedenklich stimmt. Aber davon später. Ich muss ja jetzt sehen, dass diese Geschichte auch wirklich weitergeht.
Ich darf meinen eigenen Koffer packen. Der ist braun, aus verstärkter Pappe hergestellt, und hat an den Ecken Lederstücke aufgenäht. Der Griff ist aus hartem Kunststoff und schneidet beim Tragen schmerzhaft in die Handflächen.
Natürlich musste man seine Koffer mühsam per Hand schleppen und konnte sie weder rollen noch auf den Rücken schnallen. Was hatte er sich abgeschleppt, bis er endlich im passenden Alter für Rucksackreisen gewesen war! Danach war man ja direkt in die Ära der Rollkoffer übergegangen.
Ich packe hauptsächlich Bücher ein, denn wenn wir eine Woche in Italien bleiben, muss ich mich als Erstes darum kümmern, dass mir der Lesestoff nicht ausgeht. Zwei, nein, drei Karl-May-Bücher. Karl May hat unglaublich viele Abenteuergeschichten geschrieben. Soviel ich weiß, war er ein Verrückter, der sich jede Menge Indianergeschichten ausgedacht hat. Wüstengeschichten aus Nordafrika hat er auch geschrieben. Alle voller wilder Abenteuer. Karl hat im 19. Jahrhundert gelebt, und von Amerika und seinen Indianern hat er höchstens Kupferstiche gesehen. Vielleicht hat er auch ein paar Bücher gelesen, von Abenteurern, die Expeditionen nach Amerika oder Afrika unternommen haben. Der Karl, der hat jede Menge Fantasie gehabt. Und ich lese so viel, damit ich auch so viel Fantasie bekomme wie der Karl, weil ich nämlich Schriftsteller werden möchte. Meine Schulkollegen kennen teilweise nicht einmal dieses Wort. Schriftsteller. Ich muss ihnen dann erklären, dass das ein Kerl ist, der Bücher schreibt. "Bücher schreibt?", haben manche mit aufgerissenen Augen den Kopf geschüttelt.
Dann kommen noch Donald-Duck-Bücher hinein. Zur Entspannung. Man kann schließlich nicht immer Indianer- und Wüstengeschichten lesen. Die muss ich vor meiner Mutter verstecken, weil sie der Meinung ist, dass das Schundhefte sind. Sie glaubt, wenn man Donald-Duck-Bücher liest, verblödet man und wird gewalttätig. Weil in den Geschichten hie und da einmal geprügelt wird. Mama kriegt schon Zustände, wenn einmal "WUMMS!" neben einem Bild steht, auf dem einer mit der geballten Faust zuschlägt. Und aus dem Kopf zischen kleine Blitze. Das Gleiche gilt, zumindest der Meinung meiner Mama nach, auch für das Fernsehen. Fernsehserien, in denen geschossen wird, dürfen wir auf keinen Fall sehen. Anscheinend glaubt sie, dass wir, sobald wir erwachsen sind, sofort in einen Waffenladen rennen, uns mit Schusswaffen eindecken und gleich vor der Ladentür damit herumzuballern beginnen, wenn sie uns erlaubt, "Bonanza" anzusehen. Das ist eine Westernserie, in der geschossen wird. Manchmal.
Die Donald-Duck-Bücher verstecke ich also am besten unter meinem gestreiften Pyjama. Sicherheitshalber stopfe ich auch noch einen warmen Winterpullover in den Koffer. Man weiß ja nie. Die italienischen Hotels, munkelt man, haben überhaupt keine Heizung. Und im Fernsehen heißt es im Wetterbericht immer wieder, ein Mittelmeertief sei im Anzug. Wäre mir sowieso lieber, ehrlich gesagt. Ich könnte dann im Hotel in meinem Bett liegen bleiben und lesen. Und müsste nicht an den doofen Strand hinaus. Ich war noch nie an einem Strand, aber angeblich gibt es da Krabben, die einen in die Zehen zwicken, und Quallen mit langen Tentakeln, die fürchterlich brennen, wenn man sie berührt. Und das Essen, habe ich gehört, soll auch ziemlich seltsam sein. Hat Hansi gesagt. Der war voriges Jahr schon in Caorle. Fürchterlich angegeben hat er damit. Er war nämlich in der vierten Klasse der Einzige, der schon am Meer war. Aber heuer! Da wird er kleinlaut sein, wenn wir wieder einen Aufsatz über das aufregendste Ferienerlebnis schreiben müssen. Wenn man so etwas im Gymnasium überhaupt macht. Im Herbst komme ich nämlich ins Gymnasium. Gleich nach dem Urlaub. Wir fahren natürlich in der letzten Ferienwoche - da ist schon Nachsaison und alles viel billiger, sagt Papa. Mama rümpft über die Nachsaison die Nase, möglicherweise ist ihr die nicht fein genug.
Mein Kopf ist hochrot, als ich den Koffer die Stiege hinuntergeschleppt habe. Wegen der vielen Bücher ist er sehr schwer geworden. "Aber Siegfried!", schreit meine Mama. "Du bist ja ganz heiß im Gesicht! Du wirst mir doch nicht etwa Fieber bekommen!" Mama ist schon eine ganze Woche lang total nervös, weil wir ans Meer auf Urlaub fahren. Es ist auch ihr erstes Mal. Bisher war sie höchstens in Kärnten bei Verwandten. Noch nicht einmal in Wien ist sie gewesen, ehrlich nicht.
Heute konnte sich kein Mensch vorstellen, dass ein erwachsener Mensch noch nie in Wien gewesen war, aber so war das damals eben. Er konnte sich noch vage an die erste Reise nach Wien erinnern, er musste etwa zwölf gewesen sein, sie waren in einen weiß-blau bemalten Zug gestiegen, der "Transalpin" genannt wurde. Und sie hatten bei einer entfernten Tante übernachtet, die sehr dick war und in deren Wohnung es schlecht roch.
Ein Urlaub in Italien ist ein echtes Highlight. Etwas ganz Besonderes. Meine Oma, die ist bis jetzt nie weiter als bis nach Bad Aussee gekommen. Papa hat ihr versprochen, dass wir einmal auf den Großglockner fahren zu ihrem Geburtstag, aber da wird die Oma wohl noch ein Weilchen warten müssen.
Mama ist übrigens die Einzige, die mich "Siegfried" nennt. Denn das Abkürzen von Vornamen, das findet Mama unfein. Und was meine Mama am liebsten möchte, ist fein zu sein. Eine "feine Dame". Das ist eine Wunschvorstellung von vielen Frauen, "feine Damen" zu sein. Die Illustrierten sind voll davon. Eine Mindestanforderung dafür scheint mir, dass man in einem teuren Kostüm mit weißen Handschühchen mit Spitzen daran auf einer Seeterrasse Tee schlürft und dabei den kleinen Finger wegstreckt, wenn man die Tasse anfasst. Also, hörbar schlürfen darf man dabei wohl nicht, denn das wäre wieder unfein. Leider streiten meine Eltern oft wegen der Feine-Damen-Geschichte, zum Beispiel dann, wenn mich mein Papa "Friedl" nennt und meine Schwester "Sigi" zu mir sagt. Ich finde "Friedl" auch ziemlich blöd, weil ich eine Großtante habe, die Elfriede heißt, und die nennen auch alle "Friedl". Papa wollte mich "Friedrich" nennen, das klingt eigentlich genauso blöd wie Siegfried. Papa ist dafür immer ein bisschen peinlich berührt, wenn die Mama "Adolf!" schreit. Das hat etwas mit Politik zu tun, habe ich schon mitbekommen, aber was genau, das muss ich noch herausfinden. Vielleicht hat auch der Kaiser "Adolf" geheißen, von dem die Mama immer schwärmt. Seine Frau jedenfalls, die hat Sissi geheißen, und das ist ja auch ein abgekürzter Name. Für Elisabeth. Aber wenn der Papa das meiner Mama erklärt, gibt es meistens Streit. Von royalen Angelegenheiten, meint Mama dann, verstehe Papa nun wirklich nichts. Mama kennt sich mit royalen Angelegenheiten aus, weil sie immer die "Bunte...
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