Schweitzer Fachinformationen
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"Komm jetzt endlich! Komm!" Mama ist ungeduldig. Ich muss aber noch das Hexenhaus holen, das ich heute aus Karton gebastelt habe. Ich will es mit nach Hause nehmen. Dann kann ich mit meinen Playmobil-Männchen spielen. Die passen da hinein. "Jetzt bitte!" Mama klatscht mit den Händen gegen ihre Oberschenkel. Aber sie muss auf mich warten.
Ich laufe noch einmal zurück in den Gruppenraum. "Das Haus!", sage ich zu Tante Cornelia. "Wo ist das Haus?" Sie nimmt es vom Tisch und legt es mir vorsichtig auf die ausgestreckten Arme. "Du könntest es auch hierlassen und morgen noch bemalen!", meint sie. Ich schüttle den Kopf und gehe wieder in die Garderobe.
"So, jetzt aber!" Mama fasst mich an den Oberarmen und drückt mich auf die Bank. Ich habe Angst, dass das Hexenhaus kaputtgeht, und halte es krampfhaft fest. "Wir sind schon so spät dran!", schnauft Mama, während sie mir die Hausschuhe auszieht und meine Füße in die Stiefel hineinzustopfen versucht. "Kannst du nicht ein bisschen mithelfen?" Ich muss mein Hexenhaus festhalten. Außerdem beginnt es draußen gerade zu schneien. "Kann ich am Nachmittag rausgehen? Einen Schneemann bauen?" "Verdammt nochmal, jetzt steck endlich deinen Fuß rein!" Mama ist richtig wütend geworden. Ich sehe den Schneeflocken zu, die immer dichter vom Himmel fallen. "Gibt's ein Problem?" Tante Cornelia steckt den Kopf durch die Tür. Meine Mama schüttelt den Kopf. "Schon geschafft!" Jetzt muss ich mein Haus doch abstellen, denn während ich meine dicke Jacke anziehe, kann ich es nicht halten. "Das lassen wir da! Wir haben zu Hause schon genug von dem Krempel!", entscheidet Mama.
Das darf nicht sein. Mein Hexenhaus! Ich brauche es doch! Heute Nachmittag schon! Und sie hat es sich nicht einmal genau angesehen. Ich spüre, wie sich meine Augen mit Tränen füllen. Ich halte das Haus mit beiden Händen fest und stampfe mit den Füßen wütend auf den Boden. "Das Dach ist aus Lebkuchen!", schluchze ich, als sie mich an einer Hand nach draußen zieht. "Und die Fenster aus Marzipan!" Ich lecke mir mit der Zunge über die Lippen und lasse das Haus nicht los. Die Tränen versiegen wieder. "Schnell jetzt! Ich muss noch das Essen fertig machen, bevor Papa nach Hause kommt!" Ich klettere ins Auto, stelle das Hexenhaus neben mir ab und setze mich auf meinen Sitzpolster. Mama greift nach dem Sicherheitsgurt, aber vor lauter Hast gelingt es ihr nicht, ihn im richtigen Gurtschloss einrasten zu lassen. "Verdammt!", flucht sie.
Das nächste Mal beginnt sie zu schimpfen, als wir an der ersten Ampel die Grünphase knapp verpassen. Sie schlägt sogar aufs Lenkrad und fährt ruckartig an, als die Ampel erst gelb zeigt. "Ich habe Durst! Bleib beim Supermarkt stehen!" Ich will unbedingt etwas trinken! "Du wartest, bis wir zu Hause sind. Da kannst du Wasser trinken!" "Ich will aber kein Wasser! Du sollst stehen bleiben! Jetzt!" Ich schreie so laut, dass Mama zusammenzuckt. Schon wieder die Tränen. Sie gibt Gas und schießt über eine Kreuzung, als die Ampel gerade von Gelb auf Rot schaltet. Und sie flucht wieder.
Ich kenne das schon. Bevor Papa nach Hause kommt, ist Mama immer nervös, aufgeregt und furchtbar hektisch. Und ich brauche dann immer etwas, das gerade nicht da ist. Das ist einfach so. Ich brülle noch mehrmals nach Saft, sie soll endlich langsamer machen, sich endlich einmal mit mir beschäftigen. Sie hat nicht einen einzigen Blick auf mein Hexenhaus geworfen!
Daheim habe ich eine Playmobil-Hexe. Sie hat einen spitzen Hut mit einer Feder und einen lila Rock mit Flicken drauf. Außerdem einen Besen, orange Haare und eine orange Brille. Die wird gut in das Hexenhaus passen. Mama hat sie noch nicht gesehen, denn eigentlich ist sie für Mädchen, und ich habe mit Sophie getauscht. Sophie wollte unbedingt einen Astronauten haben, und davon hatte ich zwei. Oder drei. Mama hält nicht viel davon, wenn ich mit Sachen spiele, die eigentlich für Mädchen sind. Oder, genauer gesagt, sie hält nicht viel davon, weil Papa strikt dagegen ist, dass ich mit Mädchensachen spiele. Er kauft mir immer nur Bubenspielzeug. Einmal habe ich mir aus dem Lego-Katalog etwas ausgesucht, das rosa und lila war. Da ist Papa ganz eigenartig geworden, hat die Seite aus dem Katalog gerissen und ist rausgegangen. Gesagt hat er nichts.
Hänsel und Gretel passen auch gut ins Hexenhaus. Als Hänsel nehme ich den . "Aussteigen! Oder bleib da, wie du willst!" Mama lässt die Heckklappe aufspringen und holt ihren Einkaufskorb heraus. Ich bleibe sitzen und nehme mein Hexenhaus auf den Schoß. Plötzlich ist es still, ich höre die Haustüre ins Schloss fallen. Mama ist hineingegangen und hat mich alleine gelassen. Das Gurtschloss kann ich schon selbst öffnen, aber ich bleibe trotzdem im Auto. Da ist es so angenehm und friedlich. "Es war so finster, und auch so schrecklich kalt .", singe ich. Hoffentlich kommen meine Eltern nicht auf die Idee, mit mir in den Wald zu gehen und mich dort zurückzulassen. Es ist wohl besser, wenn ich doch aussteige. Vor der Haustür muss ich das Hexenhaus noch einmal abstellen, um die Tür aufzubekommen. Die Türschnalle ist ganz schön hoch oben.
"Spinnst du jetzt komplett?", schreit Mama, als ich mich mit den Stiefeln an den Füßen auf den Weg in den ersten Stock mache. Vor lauter Schreck lasse ich mein Hexenhaus fallen, es purzelt zwei Stufen hinunter. Schon wieder kommen die Tränen. Ich brülle jetzt auch, aber vor Schreck und vor Zorn. "Was fällt dir denn ein, mit den dreckigen Stiefeln auf die Treppe!" Ich habe vergessen, dass es eine ganz strenge Regel gibt, dass man nicht mit Schuhen in den ersten Stock darf. Ich habe einfach nur daran gedacht, so schnell wie möglich mein Hexenhaus unter mein Bett zu stellen, wo es sicher ist. Jetzt ist es womöglich kaputt.
"Sieh dir das einmal an!" Mama deutet auf die schmutzigen Sohlenabdrücke auf den Stufen. "Das kann ich jetzt auch noch wegputzen, bevor Papa kommt!" Ich brülle noch lauter, als ich entdecke, dass sich das Dach des Hauses an einer Ecke gelöst hat. Es ist sogar verbogen. "Mein Haus! Mein Haus!", schreie ich, während mir Mama grob die Stiefel von den Füßen zerrt. Ich nehme es wieder auf die Arme und haste auf Socken die Treppe hinauf. Erst, als ich es unter meinem Bett verstaut habe, lässt das Schluchzen nach. Ich glaube, ich kann es wieder reparieren. Die Playmobil-Figuren müssen in einer der Schubladen unter dem Kleiderschrank sein. Ich öffne sie.
Als Erstes finde ich einen Bauarbeiter mit Warnweste, Schutzhelm und Gehörschutz. Ich nehme ihn heraus, denn er kann den Verkehr auf dem Teppich regeln. Vor allem muss er aufpassen, dass keine Autofahrer bei Rot oder Gelb über die Baustellenampel fahren. Eine Ampel muss auch irgendwo im Kasten sein. Ich krame weiter herum. Da ist noch ein Bauarbeiter mit Schubkarre und einer mit Funkgerät. Nein, das ist ein Feuerwehrmann. Ich stelle beide neben den ersten, sie können ihm helfen. Ich muss noch eine Absperrung suchen, damit niemand über die Baustelle fährt. Und ein Auto, das an der Absperrung stehen bleiben muss.
Ich höre, wie unten die Haustür zufällt. Das muss Papa sein. Normalerweise kommt er zu Mittag nicht nach Hause, aber er muss heute Abend noch nach Finnland fliegen. Oder nach Holland, ich habe es mir nicht gemerkt. Da ist jedenfalls morgen eine wichtige Sitzung in der Filiale. In Irland. Ja, in Irland, glaube ich. Jedenfalls irgendwas mit "Land" am Ende. Ich schaue über das Treppengeländer nach unten. Papa ist gerade dabei, meine Stiefel aufzuheben und ordentlich nebeneinanderzustellen. Prüfend fährt er mit dem Finger über einen der schmutzigen Abdrücke auf den unteren Treppenstufen und betrachtet dann seine Fingerkuppe. "Hier sieht's ja aus!", sagt er. "Ist wenigstens das Essen fertig?"
"Es war ein bisschen chaotisch heute!", höre ich Mamas Stimme aus der Küche. Sie klingt ein wenig zittrig, wie immer, wenn Papa nach Hause kommt. "Und Leo hat wieder einmal entsetzlich getrödelt." Papa schüttelt den Kopf und verschwindet in der Küche. "Leopold, meinst du", höre ich ihn noch sagen. "Du weißt, dass ich es nicht dulde, dass Vornamen verhunzt werden!" Seine Stimme ist lauter geworden. Ich gehe zurück in mein Zimmer und lasse das Auto gegen die Absperrung krachen. Der Arbeiter, der aufpassen sollte, verliert zur Strafe seinen Kopf. Hätte er eben besser achtgegeben!
"Leopold!" Papa ruft von unten, und seine Stimme klingt bedrohlich und ungeduldig. "Leopold, komm zum Essen herunter!" Ich springe auf und haste die Treppe hinunter. Papa mag es nicht, wenn man ihn warten lässt. Wenn er etwas sagt, muss es sofort passieren. Nicht später. Ich bleibe auf der untersten Stufe stehen. Papa lächelt. Er trägt einen grauen Anzug mit Weste und Krawatte darunter. Mit den Fingern der rechten Hand fährt er mir durchs Haar. "Du sollst doch nicht trödeln!", ermahnt er mich. "Wenn Mama etwas sagt, wird es gleich gemacht! Sie hat ja nicht so viel Zeit wie du!" Ich habe auch keine Zeit gehabt, denke ich. Zuerst keine Zeit, um Mama das Hexenhaus zu zeigen, und dann keine, um stehen zu bleiben und im Supermarkt Saft zu kaufen. "Ich hab Durst!", sage ich, denn ich habe vergessen, etwas zu trinken, als wir nach Hause gekommen sind.
"Jetzt setzen wir uns zu Tisch. Da kannst du dann trinken. Ordentlich. Aus einem Glas, wie es sich gehört." Papa mag es nicht, wenn ich mir Wasser aus dem Badezimmer im Zahnputzbecher hole. Wasser wird bei Tisch aus einem Glas getrunken. "Wozu haben wir die schönen Gläser?", fragt er immer.
Ich rutsche auf meinen Stuhl. Papa zieht sein Sakko aus und drapiert es sorgfältig über die Stuhllehne. Er...
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