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Sie hätte doch Jus studieren sollen, wie ihre Mutter es ihr geraten hatte. "Da lernst du die richtigen Leute kennen. Die Söhne von Rechtsanwälten, Bankdirektoren und so weiter." Ihre Mutter hatte nicht im Traum daran gedacht, dass man als Frau zu irgendeinem anderen Zweck studieren könnte, als um sich einen reichen Mann zu angeln.
Dennoch. Soviel Unsinn sie manchmal von sich gab, in diesem Punkt hatte sie recht gehabt. Germanistik war doch nicht das Wahre. Die Studenten, die um sie herum saßen, waren nicht einmal gepflegt. Von attraktiv ganz zu schweigen. Ausgebeulte Hosen, fleckige T-Shirts, zottelige Haare und Bärte. Man durfte ernsthaft bezweifeln, dass auch nur einer von ihnen aus halbwegs gutem Hause war. Natürlich war sie sich dessen bewusst, dass sie sie mit ihren Blicken förmlich auszogen. Die Mädchen hier waren ja, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht viel besser.
Gelangweilt blätterte Sabine um. Eine Seite hatte sie schon mitgeschrieben, obwohl ihr nicht ganz klar war, was der Professor mit dieser Vorlesung überhaupt bezweckte. Faust durch die Jahrhunderte, na und? Wen interessierte das, und vor allem: Brauchte man das als Lehrerin? Allerdings, ganz unattraktiv war der Mann nicht, sie hatte etwas übrig für graumelierte Herren. Und er trug einen guten Anzug, womöglich sogar italienisch. Ob er verheiratet war? Vielleicht dazu noch seine Sekretärin vögelte, oder eine Doktorandin? Zuzutrauen war es ihm. Sie konnte ja bei ihm eine Prüfung über die Vorlesung ablegen, so würde sie ihn vielleicht näher kennenlernen. Oder, noch besser, einfach einmal in seiner Sprechstunde auftauchen. Sie konnte ihn ja fragen, ob er ihre Masterarbeit betreuen wollte - warum nicht? Es würde ihm sicher auffallen, wie stilsicher und sorgfältig sie gekleidet war.
"Ja, meine Damen und Herren, das war es für heute mit meinen Ausführungen. Wir sehen uns nächsten Mittwoch wieder." Noch bevor er ausgesprochen hatte, verließen die meisten Studenten fluchtartig den Hörsaal. Es waren ohnehin schon viel weniger gewesen als zu Beginn des Semesters.
Sorgfältig strich sie ihren Rock glatt und stand von ihrem Platz in der zweiten Reihe auf. Der Professor nickte und lächelte ihr zu. Sie erwiderte sein Nicken, ebenso das Lächeln. Man tat gut daran, den Professoren aufzufallen. Weit vorne zu sitzen und auf ein makelloses Äußeres zu achten, gehörte dazu. Der Professor würde sich daran erinnern, dass sie regelmäßig seine Vorlesung besucht und immer fleißig mitgeschrieben hatte. Zumal sie immer auf demselben Platz gesessen war. Langsam stieg sie die Stufen zum Ausgang hinauf. Ein paar Studenten saßen noch auf den Kanten der Pulte im Hörsaal und unterhielten sich. Über Fußball, glaubte sie zu hören.
Draußen warf sie einen Blick nach rechts. Mehrere Grüppchen standen rauchend vor dem Haupteingang, ein paar strebten den Fahrradständern zu, der Rest verteilte sich in Richtung Toiletten und Bibliothek. Sabine nahm ebenfalls die Stiege hinunter zur Toilette. Sorgfältig zog sie Lidstrich und Lippenstift nach. Es war immerhin schon früher Nachmittag, eine kleine Make-up-Auffrischung war um diese Zeit angesagt.
"Hallo!" Er stand da, als hätte er vor der Toilette auf sie gewartet. "Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?" Sie musterte ihn skeptisch. Sie wusste lediglich, dass er Daniel hieß, außer der Faust-Vorlesung auch noch ein Seminar mit ihr gemeinsam besuchte und ein blauweißes Rennrad besaß, das er mit einem riesigen Bügelschloss vor der Uni ankettete. Er war nicht unattraktiv, sein mittellanges Haar war allerdings verwuschelt und offenbar rasierte er sich nicht täglich. Aber er roch gut, das musste sie eingestehen.
Sie zuckte mit den Schultern. "Wo?" Er zeigte mit einer Kopfbewegung hinauf ins Erdgeschoß. "Uni-Buffet?" Sie seufzte. "Wenn's sein muss." Prinzipiell hatte sie nichts dagegen, eingeladen zu werden, aber es musste nicht unbedingt das Uni-Buffet sein. Es gab schließlich auch gepflegte Innenstadtcafés. Eigentlich hätte er sie vorangehen lassen sollen, dachte sie bei sich. Keine Umgangsformen. Andererseits hatte sie so Aussicht auf einen knackigen Hintern und eine schlanke, offensichtlich muskulöse Silhouette. Was er wohl von ihr wollte?
"Ich hab schon besseren Kaffee getrunken." Sie setzte die Tasse ab. Er lächelte. "Aber nicht in so angenehmer Gesellschaft." Ziemlich billige Anmache. Aber ein charmantes Lächeln. "Du redest nicht viel. Und nicht mit allen. Das gefällt mir." Sie zog die Augenbrauen hoch. "Dich hab ich noch nie mit einer Freundin gesehen." Etwas gekünstelt breitete er die Arme aus und zog eine Grimasse. Sie schlug bewusst langsam ihre Beine übereinander. Tatsächlich senkte er kurz seinen Blick. "Ich hab nicht viele Freundinnen. Da bin ich ein bisschen wählerisch." Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee. Mit etwas Zucker wäre er sogar annehmbar gewesen. In der Öffentlichkeit allerdings legte sie großen Wert darauf, nicht beim Verzehr von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln gesehen zu werden. Es ließ auf Disziplinlosigkeit schließen. Und das Letzte, was sie tun wollte, war, sich gehen zu lassen.
"Ich habe da so eine Idee, wegen dem Mittelalterseminar", sagte er. Sie ahnte, worauf er hinauswollte, und fühlte sich sofort ein wenig in die Enge getrieben. Die Seminararbeit konnte auch in Partnerarbeit erledigt werden, man erhoffte sich dadurch Synergieeffekte, interessantere Ansätze. Sie hatte bisher nicht nach einem Partner gesucht, und dabei hatte sie es eigentlich auch belassen wollen.
"Würdest du die Arbeit mit mir schreiben? Es könnte Spaß machen." "Spaß? Mittelalter?" So wie sie das sah, ging es mehr oder weniger um endloses Exzerpieren und Zusammenfassen der gängigen Literatur zum Thema. Oder war er lediglich auf ein Abenteuer mit ihr aus? "Weißt du was?", sagte sie und stand auf. "Ich schreib meine Arbeiten lieber alleine. Und wenn du mich anmachen willst, lass dir etwas Kreativeres einfallen." Sie ließ ihn stehen. "Kann ich wenigstens deine Telefonnummer haben? Falls mir was Kreatives einfällt." Sein Lächeln war wirklich irgendwie . Sie wusste selbst nicht, was sie tat, als sie einen Stift hervorkramte, nach seiner Hand griff und ihre Nummer auf seinen Handrücken kritzelte.
Nur wenige Stunden später hatte sie eine Nachricht von ihm auf ihrem Handy. Erstens, so schrieb er, habe er schon einige Vorarbeit geleistet. Sie solle sich den mitgesandten Link ansehen. Zweitens schlug er vor, sich zu einer ernsthaften Besprechung im Café Melchior zu treffen. Das war schon eher nach ihrem Geschmack. Und drittens meinte er, mittelalterliche Epen würden sich auch hervorragend zur Umarbeitung in erotische Romane eignen. Ob sie auf eine Kostprobe Lust habe. Das war schon unverschämt. Sie öffnete ihren Laptop und fand den Link, den er ihr geschickt hatte. Er enthielt nicht nur einen brauchbaren Entwurf für eine Gliederung der Arbeit, sondern auch schon die Rohfassung eines ersten Kapitels. Sie beschloss, es mit ihm zu versuchen. Allerdings wollte sie, so angenehm sie das Lokal auch fand, mit ihm nicht ins Café Melchior. Dort wurde sie lieber mit anderen Leuten gesehen. Er könne morgen Nachmittag zu ihr kommen, schrieb sie. Sie schickte ihm ihre Adresse.
Zwar war es ihr ein wenig peinlich, dass sie im Studentenheim wohnte, doch war sie ausnahmsweise dem Rat ihrer Mutter gefolgt und hatte ein Zimmer im Heim einer konservativen Studentenorganisation genommen. Dort stünden die Chancen höher, Leute aus dem richtigen Umfeld zu treffen, hatte Mama gemeint. Das Zimmer war geräumig und komfortabel, dafür aber auch teuer. Zudem stellte sich heraus, dass die Leute, die ihre Mutter als "die Richtigen" bezeichnete, überhaupt nicht in Studentenheimen, sondern in eigenen Wohnungen lebten. Bei einem Besuch zu Hause war wieder einmal ein heftiger Streit zwischen ihren Eltern losgebrochen, als sie davon berichtet hatte. "Da siehst du es!", hatte ihre Mutter gezischt - und den Vater daraufhin mit Vorwürfen überhäuft, die alle darauf hinausliefen, dass er zu wenig tüchtig sei, zu wenig verdiene, dass sie ihre Karriere, ja, ihr ganzes Leben ihm geopfert habe, und nichts, gar nichts, sei dabei herausgekommen. Ihr war das peinlich gewesen, sie hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen, das ihre Mutter unverändert gelassen hatte, seit sie ausgezogen war. Der Rückzug hatte nichts genützt, die schrillen Schreie ihrer Mutter wurden selbst durch die geschlossene Tür kaum gedämpft. Sie beschloss, sich ehestmöglich selbst eine Wohnung zu besorgen.
Daniels Vorarbeit war nicht schlecht, soweit sie das beurteilen konnte. Sie hatte sich mit der Thematik noch kaum auseinandergesetzt, das hatte, so fand sie, Zeit. Bestimmt war er in der Lage, eine gute Note für sie herauszuholen. Und wenn sie es geschickt anstellte, musste sie selbst nicht allzu viel Arbeit investieren. Er hatte erotische Mittelalterromane erwähnt. Sie überlegte.
Als sie mittags nach Hause kam, hatte sich die Sonne gerade durch die Wolken gekämpft, die am Morgen noch für Nieselregen gesorgt hatten. Sie trat auf den Balkon. Der Boden war bereits getrocknet, der Beton unter ihren nackten Füßen warm. Man konnte sich in die Sonne setzen. Nach den vier Stunden in Seminaren und Vorlesungen am Vormittag hatte sie sich das redlich verdient. Sie zog ihren Pullover über den Kopf, entledigte sich ihrer Strumpfhose und klappte den Liegestuhl auseinander. Ein paar Windstöße ließen sie gelegentlich frösteln, doch die Sonne wärmte ihre Haut schnell wieder auf. Sie sah auf die Uhr. In einer halben Stunde würde Daniel kommen. Sofern er pünktlich war. Pünktlichkeit, das war ihr wichtig. Sie selbst kam nirgendwohin und zu keinem Anlass zu...
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