Schweitzer Fachinformationen
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Die Weißwurst platzte, und das Innere quoll wie ein brutal wachsendes Geschwür über den heißen Grill. Mit dem Unterarm wischte ich mir den Schweiß aus der Stirn. Verfluchter Mist! Ich wendete die Würstchen so schnell ich konnte, um weitere Katastrophen zu verhindern. Verdammt, ich hab doch gleich gesagt, dass eine Weißwurst nicht auf den Grill gehört! Das weiß nun wirklich jedes Kind: Weißwürste werden in heißem Wasser erhitzt, nicht gegrillt. Aber mach das mal einem Australier begreiflich, der ALLES, was nicht bei zwei auf den Bäumen ist, auf den Grill wirft. Aussies sind Wilde, Fleischfresser ohne jede Raffinesse. Völlig egal, von welchem Tier das Stück stammt, Hauptsache, es kommt ein großer Fleischlappen dabei heraus. Gewürze? Zubereitung? Für den Australier eher hinderlich. Deswegen haben die auch von Würstchen keine Ahnung. Da müsste man ja mit dem Fleisch was anstellen, bevor es auf den Barbecue geklatscht wird.
Autsch! Gerade hatte ich mir den Daumen mit der Zange gequetscht. Geschah mir ganz recht. Was konnten die Australier schon dafür, dass ich keine Würstchen braten konnte? Ich wollte schon wieder fluchen, aber John sollte nicht merken, wie genervt ich war.
Ich stand in meiner Wurstbude, schwitzte wie ein Schwein und redete mich innerlich in Rage. Kann mir mal bitte jemand erklären, was zum Teufel ich hier eigentlich mache? Wie? In Australien deutsche Bratwurst verkaufen? Das glauben Sie doch selbst nicht! Und überhaupt: Ich und kochen! John meinte mal, ich würde selbst noch Wasser anbrennen lassen. Das war zwar schon eine Weile her, und ich habe seither beim Kochen durchaus Fortschritte gemacht, dennoch: Die Situation war absurd. Ich war in Australien, stand vor einem Profi-Grill und versuchte allen Ernstes, meinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf deutscher Bratwürstchen zu verdienen.
Ich drehte mich zu John um, der den ersten Schwung Brötchen aufgeschnitten hatte. Ein warmes Gefühl überkam mich, und mein Puls schlug gleich ein wenig ruhiger. Kein anderer hätte mich je dazu bringen können, eine Weißwurst zu grillen. John würde im Gegenzug sicherlich behaupten, dass niemand außer mir ihn jemals hätte bewegen können, eine Weißwurst auf bayrische Art zu verspeisen. Er hat es getan. Für mich, sagt er, und dass er es wieder tun würde, obwohl er es nach wie vor eklig findet, das wabbelige Brät aus der Pelle zu zuzeln.
»Stammt dieser Brauch noch aus Zeiten, bevor die Römer euch Barbaren ein paar Tischsitten beibringen konnten?« John hatte den lauwarmen Naturdarm angeekelt ins Gras geschnippt. Sehr komisch. Ich hätte ihm mit der Varusschlacht kommen können, aber das würde nur vom Thema ablenken.
Denn mein Thema war ab sofort die deutsche Bratwurst in all ihren Variationen und vor allem die Frage, wie ich sie in meiner neuen Heimat down under am besten an den Mann und die Frau bringen würde. Der süße Senf zur Weißwurst zum Beispiel kam hier überhaupt nicht an. Ich hatte mir eine große Tube aus Deutschland schicken lassen. Beim Testessen verzogen Johns Freunde nur den Mund und spuckten das mühsam Gezuzelte samt Senf auf ihre Teller zurück. Sie machten aus ihrem Missfallen keinen Hehl und ließen mich ohne Umschweife wissen, dass sie mein kulinarisches Angebot für einen schlechten Scherz hielten: »Jeez, bloody hell, wer hat denn den Zucker in den Senf gerührt? Hast du den mit dem Salz verwechselt? Yuk!«
Nichts Geringeres als Jesus und die Hölle wurden bemüht, um das einheitliche Geschmacksurteil rüberzubringen: widerlich! »Ist ja gut«, beruhigte ich die Männerrunde und bot Bier zum Runterspülen an. War doch nur ein Klacks Senf. Was sagt denn ein Australier erst, wenn er etwas wirklich Schlimmes erlebt? Ich wollte es lieber nicht wissen. Allerdings war es auch kein Wunder, dass der deutsche Senf in Australien nicht auf Gegenliebe stieß. Hier bevorzugt man hot english, einen Senf, den ich auf einer Schärfe-Skala von eins bis zehn mit einer zwölf bewerten würde. Trotzdem war ich enttäuscht. Warum freuten sich nicht alle so wie ich über eine gute Wurst mit Senf?
Ich seufzte, als die zweite Weißwurst erste Platzwunden zeigte, nahm sie vom Grill und pfefferte sie in den Mülleimer.
»Hey! Was machst du denn da?« John machte den Abfalleimer wieder auf. »Die Wurst sieht doch großartig aus. Du musst nur warten, bis die Risse schön kross gebraten sind. Die Wiesswörst wird noch unser Verkaufsschlager, wart's mal ab!«
Nicht mal meinem Mann konnte ich die korrekte Aussprache beibringen. Vielleicht hatte ich mir zu viel vorgenommen. Musste es ausgerechnet ein Würstchenstand in Australien sein? Wie sollte das gutgehen? Trotzdem wollte ich mir in mein begrenztes Fachwissen über Würstchen nicht von einem Australier dreinreden lassen, selbst dann nicht, wenn es mein Mann war. Ich klopfte John auf die Finger, als er nach der entsorgten Wurst griff, um sie näher zu inspizieren. Kommt überhaupt nicht in Frage, dass ich mich am anderen Ende der Welt in Sachen deutscher Wurst belehren ließ. Ich sag denen doch auch nicht, wie sie ihr Känguru braten sollen! Ich stellte auf stur und bewachte mit Argusaugen die bereits seit mehr als einer Stunde im Wasser dümpelnden Würste. Sie waren meine letzte Bastion im Kampf gegen die australische Einverleibungskultur. Dieser Wall würde nicht auch noch fallen, meine Liebe zu John hin oder her. Ab sofort kommt mir keine Weißwurst mehr auf den Grill und damit basta!
John linste über meine Schulter hinweg auf die traurige Truppe im Sud. Er winkte ab: »Die kannst du vergessen, darling. Glaub es mir doch! Entweder du grillst sie, oder wir lassen es ganz mit der Wiesswörst.« Er schüttelte sich angeekelt: »Sieht aus wie ein gekochter Pi. yikes!«
Ist ja mal gut jetzt. Yuk, yikes. Alles widerlich. Wie viele Wörter braucht es denn noch, um die hässlichen Gefühle für unsere Weißwurst auszudrücken? Ich atmete hörbar aus. Eine volle Stunde hielt ich noch durch, dann gab ich auf. Niemand ist eine Insel. Kein Mensch wollte meine schwimmende Wurst, und wir konnten nicht unsere ganze Ware wegwerfen, nur weil ich trotzig auf deutscher Reinkultur bestand. Die deutsche Fleischer-Innung würde mir wohl kaum die fünf Kilo Weißwurst im Kühlschrank ersetzen, nur weil sie sich originalgetreu zubereitet nicht verkaufen ließ. Und wir mussten unsere Würstchen nun mal verkaufen, am besten viele.
Mit den Schulden, die wir uns für mein leichtsinniges Unternehmen aufgebuckelt hatten, waren wir darauf angewiesen, dass unsere nagelneue Wurstbude schnell Gewinn abwarf. Zögerlich gab ich mich der Einsicht hin, dass Geschäfte nur zu machen waren, wenn ich teilkapitulierte. Ich musste ja nicht gleich alle Ideale über Bord werfen. An der Rezeptur würde ich jedenfalls nichts ändern, aber um ehrlich zu sein, hatte danach auch keiner verlangt.
»Von mir aus. Die verkaufst dann aber du. Ich bringe es nicht übers Herz, meine Heimat so schamlos zu verraten. Schon wieder. Was zu viel ist, ist zu viel!«
John reckte die Faust zum Sieg und gab mir einen Kuss auf die Wange.
Weißwurst vom Grill. Ich schüttelte mich wieder. Noch leicht verärgert griff ich zur Grillzange und legte die restlichen Würste der angebrochenen Packung in einer ordentlichen Reihe auf unseren Flammengrill. Herrlich, wie der glänzte! Sauteuer war er gewesen, aber ich wollte unbedingt diese typischen Grillstreifen auf der Wurst haben. Wir waren schließlich ein Gourmetgrill und keine Fettpfanne. Gutes hat seinen Preis, und der musste nun abbezahlt werden. Ich seufzte. Mich hatte die Erkenntnis getroffen, dass ich weit mehr Kompromisse eingehen musste als geplant, wenn ich down under mit einem deutschen Imbiss Erfolg haben wollte. Ich hatte mir das Unternehmen »Grillmeister« irgendwie einfacher vorgestellt. So hieß unser Imbiss nämlich - auch wenn es erst mal nur eine Bude auf vier Rädern war.
Wir hatten großartige Pläne und stellten uns vor, dass in ein paar Jahren ganz Australien von »Grillmeister«-Wägelchen überrollt werden würde, und ich wäre dann die Wurstkönigin Australiens. Das sollte keine Träumerei bleiben, das war mein Geschäftsplan. Think big, klotzen statt kleckern. Es heißt doch immer, man soll sich seine Ziele bildlich vorstellen, und so sah ich mich samt Krone und Zepter das australische Volk mit deutscher Wurst beglücken. Ich würde Currywurst ins Volk werfen und Begeisterungsstürme ernten. Bildlich gesprochen hatte ich beim Universum schon mal jede Menge Wurst bestellt, und jetzt musste sie nur noch verkauft werden. Easy peasy, lemon squeezy, wie der Australier sagt. So leicht wie eine Zitrone auszudrücken. Im Ernst, so in etwa hatte ich mir meine neue Karriere am anderen Ende der Welt vorgestellt, obwohl ich wie gesagt keine Ahnung von Würstchen hatte oder vom Gaststättengewerbe überhaupt. Eigentlich war ich Medienfrau, in Deutschland hatte ich fürs Fernsehen gearbeitet, und wenn es mit den Bestellungen ans Universum nicht klappen sollte, dann war diese Bude hier die vielleicht beknackteste Idee in meinem ganzen Leben.
Die Würste platzten im Minutentakt, heißes Fett spritzte mir ins Gesicht. Ich fluchte jetzt doch halblaut vor mich hin, packte die unförmigen, leicht angekokelten Fleischbrätmonster in die Warmhalteschale und reichte sie wortlos John, der sie gleich der wartenden Schlange präsentierte: »Wow, das nenn ich doch mal eine Wörst!«, bewarb er die armseligen Krüppel. Ich konnte nicht hinsehen, so sehr schämte ich mich.
Als sich tatsächlich Interesse regte, winkte John mich heran, weil ich mal wieder alles erklären musste. Mein Akzent ist im Bratwurst-Geschäft nämlich der Renner....
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