Inszenierungen für die Kamera
Fotos sind Dokumente. Sie zeigen uns, wie etwas einmal gewesen ist, sie helfen uns, uns zu erinnern, sie dienen uns als Nachweise und Belege. Und weil dem so ist, wollen wir sie echt und wollen wir sie wahr.
Zugegeben, das wollen nicht alle. Laura Horn, zum Beispiel, eine 50jährige Notfall-Koordinatorin bei der Polizei in Rochester, New York, hatte nach ihrer Scheidung die Freude an den zahlreichen Urlaubsfotos von Kreuzfahrten und aus der Karibik, auf denen immer auch, neben anderen Mitreisenden, ihr Ex zu sehen war, verloren. Da sie die Bilder jedoch nicht fort werfen wollte, tilgte sie ganz einfach den Ex von den Bildern - mit Photoshop. Natürlich wisse sie, sagte Frau Horn der New York Times, dass ihr Mann auf diesen Reisen mit dabei gewesen sei, doch ohne ihn auf den Bildern, könne sie sich diese unbeschwerter anschauen und sich an ihre positiven Erinnerungen halten.
Für alle diejenigen, die mit ihren Fotos nicht (oder nicht mehr) zufrieden sind, ist Photoshop in der Tat ein Geschenk des Himmels. Noch nie war es so einfach, Gott zu spielen, und Laura Horn ist beileibe nicht die Einzige, die diese Möglichkeiten genutzt hat. Doch was im Privaten einfach nur Selbstbetrug, ist bei der Inszenierung der öffentlichen Wahrnehmung problematisch. Wird dem französischen Präsidenten Sarkosy auf einem Urlaubsbild, das ihn im Sommer 2007 in New Hampshire beim Paddeln zeigt, eine Speckrolle wegretouchiert, mag man ja noch die Schultern zucken, doch dass (so geschehen im August 2006) ein freier Mitarbeiter der Agentur Reuters, die aus den Trümmern aufsteigenden Rauschschwaden im von israelischen Kampfbombern bombardierten Beirut verdunkelt, damit sie den Eindruck von einer brennenden Stadt vermittelten, ist nicht hinnehmbar. Genau so wenig wie das Foto vom Juli 2008, das vier iranische Raketen zeigte, von denen eine offensichtlich digital hinzugefügt worden ist.
An Fotos "herumzudoktern" ist nichts Neues, das gibt es, seit es die Fotografie gibt. Aufhellen, Nachdunkeln, eine Horizontale in eine Vertikale umwandeln etc, sei es in der Dunkelkammer oder am Computer - welcher Foto-Redakteur hätte dies oder Ähnliches nicht schon mal gemacht? Und überhaupt: was soll denn schon dabei sein? Nun ja, es kommt ganz drauf an, welche Fotografie wir meinen. Von der Werbefotografie erwartet niemand, dass sie aufrichtig ist (es soll jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass 'aufrichtiges Informieren' Bestandteil erfolgreichen Werbens sein kann), von Nachrichtenbildern hingegen erwarten wir, dass sie uns die Wirklichkeit so präsentieren, wie sie der Fotograf vor Ort gesehen und mit seiner Kamera eingefangen hat.
***
Dass Fotos die Wirklichkeit abbilden, sei eine Illusion, meint Pedro Meyer, der Herausgeber der Online Foto-Zeitschrift Zone Zero. Einmal aus den allseits bekannten Gründen, der Wahl des Objektivs, des Films etc., dann aber auch, weil es zwischen der Fotografie und anderen Arten dokumentarischen Schaffens Parallelen gebe, die oftmals übersehen würden. So sei etwa der Journalist keine simple Kopiermaschine, er reproduziere nicht gedankenlos, was sich vor seinen Augen abspiele, sondern er sammle Informationen und stelle dann, was er in Erfahrung gebracht, so zusammen, dass akkurat wiedergeben werde, was sich vor Ort abgespielt habe. Ein Dokumentarfilmer tue genau dasselbe, auch er mache Aufnahmen mit der Vorstellung im Kopf, wie er diese anschliessend zusammenfügen wolle.
Jeder Schritt, meint der frühere Fotojournalist Jeff Share, den ein Fotograf mache, also was, wann, wo, warum und wie aufgezeichnet werde, sei subjektiv und ein Foto deswegen immer eine dekontextualisierte Wiedergabe der Realität, festgehalten von einem Menschen, der bewusste oder möglicherweise unbewusste Entscheidungen fällt, die von seiner kulturellen Herkunft, seinen Erfahrungen, Vorlieben und Abneigungen geprägt sind. Joan Fontcuberta, der Herausgeber von Photovision, geht noch einen Schritt weiter: er hält den Begriff "manipulierte Fotografie" für eine Tautologie, da jedes Foto manipuliert sei.
Wer so argumentiert, verkennt das Wesen der Manipulation, bei der es um eine bewusste Irreführung geht. Er verkennt zudem, was wir von der Fotografie (nein, nicht von der, die sich als Kunst versteht) wollen: die Realität, so wie sie sich unseren Augen präsentiert, einfangen; den Augenblick festhalten; die Zeit zum Stillstand bringen. Wir wollen wissen, was und wie etwas gewesen ist, wir wollen eine Vergangenheit; uns interessiert dabei die Vorstellungswelt der Fotografen weit weniger als wie sich die Dinge vor dem Kameraauge abgespielt haben.
***
Die Gegenwart einer Kamera verändert jedes Geschehen.
Wissen wir, dass unser Verhalten aufgezeichnet wird, geben wir uns Mühe, möglichst gut rüber zu kommen: wir setzen uns in Szene, geben uns locker oder ernst, inszenieren uns nachdenklich oder teilnehmend, je nachdem was uns gerade vorteilhaft scheint - und manchmal verdrücken wir uns auch.
Diejenigen, die sich von Berufs wegen darzustellen haben, verlassen sich für ihre öffentliche Inszenierung häufig auf Berater, die ihren Schützlingen weltweit offenbar dasselbe raten. Politiker der sogenannt wichtigen Sorte jedenfalls strahlen und winken immerzu, wenn sie aus Flugzeugen oder Limousinen steigen, nicken und lachen, Daumen nach oben gebeugt, imaginären Bekannten oder ein paar Fotografen zu. Sie werden wissen, wie Susan Sontag in ihrem Beitrag "Looking at war" für den New Yorker geschrieben hat, dass wir uns - wenn wir selber nicht dabei gewesen sind, uns niemand den Kontext erklärt hat, wir nur Fotos gesehen haben - später einmal nur noch an die Bilder erinnern werden.
Treffend schilderte Spiegel Online (unter dem schönen Titel: "Winken ohne Publikum") die Ankunft von George Bush Junior und Frau im Juli 2007 zum Staatsbesuch in Deutschland, die wir allerdings nicht so zu sehen gekriegt haben "Um 21.30 Uhr, eine Viertelstunde früher als geplant, setzt die Air Force One auf der Rollbahn in Rostock-Laage auf. Um 21.35 Uhr geht die Tür auf, noch einmal zwei Minuten dauert es, bis der Kopf des US-Präsidenten zu sehen ist. Neben George W. Bush steht seine Frau Laura, beide winken. Es gibt niemanden, der zurückwinkt. Der Flughafen ist weiträumig abgesperrt, die einzigen Zuschauer sind die Agenten des Secret Service und die Journalisten auf dem eigens errichteten Pressepodest."
Wir haben uns daran gewöhnt, wir wissen, dass das Ganze geheuchelt ist und scheren uns in aller Regel nicht weiter drum, ausser es kommt einer und belegt, wie wir zum Narren gehalten werden. Dann fühlen wir uns betrogen, wie etwa bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking, als die Kameras ein hübsches, singendes Mädchen zeigten, das jedoch gar nicht selbst sang, sondern sich der Stimme eines anderen, weniger hübschen, bediente - so angeordnet von den politisch Verantwortlichen.
Wir wissen (und akzeptieren scheinbar), dass die wichtigen Dinge hinter geschlossenen Türen stattfinden und staunen, wenn gelegentlich durchsickert, wie es da zu und her geht. Wie konditioniert wir bereits sind, merken wir vor allem dann am besten, wenn uns eine Nachricht ungefiltert erreicht und wir plötzlich aufmerken. Wie im Juli 2006 in St. Petersburg, als ein Mikrofon aufschnappte wie Bush mit Blair redet: "Yo, Blair, how are ya doin'?" Also auch nicht viel anders als die jungen Leute mit ihren Handys im Zug.
Weil wir diese Realität nicht ertragen, haben wir uns eine eigene Wirklichkeit erfunden: die Wirklichkeit der öffentlichen Inszenierung. Und diese soll, um auch wirklich "wirklich" zu werden, im Bild festgehalten werden, denn, so Susan Sontag in ihrem Essay über die Bilder aus Abu Ghraib: "Leben heisst fotografiert werden und Aufzeichnungen vom eigenen Leben zu besitzen." Nicht nur, nein, aber auch.
***
". in Hollywood, couples who have chemistry on screen often don't like each other off screen, and the ones who are involved off screen often don't have any chemistry on screen", so Maureen Dowd: in der The New York Times vom 33 Februar 2008
Die Welt der Fotos ist eine Welt des Scheins und für diese ist kennzeichnend wie etwas wirkt und nicht wie etwas ist. Auf den Punkt gebracht hat es der legendäre Hollywood-Studioboss Samuel Goldwin: "The most important thing in acting is honesty. Once you've learned to fake that, you're in."
Wir alle wissen: es gibt fotogene und weniger fotogene Menschen. Das heisst jedoch nicht, dass die Kamera lügt, das heisst nur, dass das, was die Kamera wahrnimmt und was unsere Augen wahrnehmen, nicht dasselbe ist. Auch "eine Kurzzeitbelichtung von 1/8.000 Sekunde, dass man die Schweisstropfen des Sportlers nur so spritzen sieht", so Julian Rossig in seinem Buch "Fotojournalismus", schafft das menschliche Auge nicht; andererseits bildet die Kamera die Welt nur zweidimensional ab, auch wenn die Person hinter der Kamera doch alles gerade noch so schön dreidimensional gesehen hat.
Auch wenn uns klar ist, dass Fotos uns die Dinge oftmals nicht so zeigen, wie unsere Augen sie wahrnehmen - getäuscht und angelogen werden wollen wir nicht. Das Sich-In-Szene-Setzen für die Kamera ist dabei nicht das Problem (und uns eh zur zweiten Natur geworden), fragwürdig ist die bewusste Irreführung, der Vertrauensmissbrauch - vor oder hinter der Kamera.
Nachdem Saddam Hussein am 13. Dezember 2003 festgenommen worden war, stellte das amerikanische Kriegsministerium (das, ganz im Sinne von Orwell, Ministerium für Verteidigung, genannt wird) ein Video her, das den Gefangenen als Kriegstrophäe vorführte (was gemäss den zahnlosen Genfer Konventionen untersagt ist): Ein Mann mit...