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Ein Rad-Star auf der Suche nach der menschlichen Seite des Profiradsports
Der Niederländer Tom Dumoulin gilt als einer der besten Radsportler seiner Generation. In seiner Karriere gewann er zwei olympische Medaillen, zwei Weltmeistertitel und mehrere Etappen bei allen drei großen Landesrundfahrten, aber sein größter Erfolg wird immer der Sieg in der Gesamtwertung des Giro d'Italia 2017 sein.
Ein Jahr nachdem er seine Karriere im Alter von 31 Jahren beendet hat, reist Tom Dumoulin mit dem Schriftsteller und Journalisten Nando Boers quer durch Europa an die Orte, die in seiner Laufbahn als Radprofi eine entscheidende Rolle spielten: nach Bergen in Norwegen, nach Andorra-Arcalís, nach Monza, Oropa, Bormio und zum Stilfser Joch in Italien. Gemeinsam wollen sie auf dieser Reise Antworten auf die Frage finden, was ihm der Sport in all den Jahren eigentlich bedeutet hat. Dabei werden nicht nur Erinnerungen an seine größten Erfolge und Siege lebendig, sondern er wird auch mit Schauplätzen schwerer Niederlagen und Stürze konfrontiert.
»Nach Gefühl - Ein Radsportleben« ist der Bericht dieser läuternden Reise: Ein offenherziges Selbstporträt eines Ausnahmesportlers mit Herz und Charisma, Ecken und Kanten im Rückblick auf seine Karriere und zugleich eine unverdrossene Liebeserklärung an den Profiradsport.
Einer der populärsten Radsportler seiner Generation: Über viele Jahre war Tom Dumoulin das Gesicht und Aushängeschild des niederländischen Radsports.
Ein Karriererückblick von beeindruckender Offenheit - originell und temporeich erzählt.
Wie eine Erfolgslaufbahn in den höchsten Sphären des Sports zum Drahtseilakt wird, bei dem hinter jeder Kurve und jedem Triumph auch Ängste, Unsicherheiten und Verzweiflung lauern.
Und warum der Radsport - trotz allem - der schönste Sport der Welt bleibt.
Tom kommt mit dem Leihscooter zu unserer Verabredung. Er hat das Teil am Amsterdamer Hauptbahnhof aufgetrieben, wo er mit dem Zug aus Maastricht angekommen war. Wir treffen uns auf derselben Caféterrasse, wo wir ein paar Monate vorher über seine Zeit als Radprofi gesprochen hatten. Damals hatten sich anschließend sämtliche Scooter in der Gegend gegen ihn verschworen. Keines der Dinger hatte sich freischalten geschweige denn starten lassen, sodass ihm nichts anderes übriggeblieben war, als den Weg vom Café zum Verlag, wo wir den Vertrag für dieses Buch unterzeichnen wollten, im Laufschritt zurückzulegen.
Ich war an jenem Nachmittag mit meinem Stadtrad unterwegs, das entsetzlich quietschte, und musste ordentlich strampeln, um mit Tom Schritt zu halten. Er lief im Slalom über Geh- und Radwege und sorgte für ziemliches Aufsehen unter den Menschenmassen auf der Kinkerstraat. Aber das war Tom egal. »Ich mag das einfach!«, rief er, als er in Richtung Museumsplein trabte. Jetzt sitzen wir uns wieder an der gleichen Stelle gegenüber, an einem Holztisch auf der Terrasse, die an die Gracht grenzt. Ein Stück die Straße hinunter liegt die Wohnung, die Tom vergangenen Winter gekauft hat. Der Sommer, den wir gemeinsam auf der Straße verbracht haben, neigt sich dem Ende entgegen.
Tom reist hin und wieder von Maastricht her, um das Flair der niederländischen Hauptstadt zu genießen. Aus Maastricht wegzuziehen, kommt für ihn aber nicht in Frage. Dort, in der Provinz Limburg, kam er an einem Sonntag, dem 11. November 1990, als ältester Sohn von Erna Burg und John Dumoulin zur Welt. Die Abstecher nach Amsterdam fühlen sich eher wie ein Urlaub an. Eine seiner beiden Schwestern wohnt ebenfalls dort. Als er sich vor kurzem mit ihr und seiner anderen Schwester - die beiden heißen Nina und Simone, offenbar nicht in Anlehnung an die berühmte Sängerin (»Meine Eltern waren da immer etwas vage. Sie meinten nur, es seien einfach zwei schöne Namen.«) - in einer Mischung aus Bistro, Weinbar und Restaurant traf, erzählten sie ihm, wie sehr sie sich freuten. »Nach all der Zeit, in der ich über 150 Tage im Jahr im Ausland unterwegs war und Rennen auf der ganzen Welt bestritt, hatten sie das Gefühl, endlich ihren Bruder zurückzuhaben.« In gewisser Weise liegt es auf der Hand, dass er jetzt so fröhlich und gelöst wirkt. Damit seine Schwestern ihren Bruder zurückbekommen konnten, musste er es schaffen, Abstand vom Radsport zu finden, und die dafür notwendige Ruhe fand er erst, als er seine Karriere an den Nagel gehängt hatte. Ohne Fahrrad konnte er versuchen, wieder zu sich selbst zu finden. Und wie es aussieht, scheint ihm das auch ganz gut zu gelingen.
Sein Lächeln ist heute besonders breit. Er will später noch ein paar Runden durch den Vondelpark laufen, denn bald steht ein Halbmarathon an, an dem er teilnehmen möchte. Es ist nicht so, dass er Sport gänzlich abgeschworen hätte. Sein Rucksack mit den Laufsachen steht neben ihm auf dem Boden. Das Logo seines letzten Arbeitgebers ist darauf noch zu erkennen. Sein letztes internationales Rennen im Baskenland liegt etwas mehr als ein Jahr zurück.
»Vermisst du das Radfahren?«
»Im Moment noch nicht.«
Da ist wieder dieses Grinsen. Dieses neue Leben gefällt ihm, auch wenn es ihm noch etwas seltsam vorkommt. Er hat das Abenteuer, als das er seine Radsportkarriere bezeichnet, durchaus genossen, aber in den zurückliegenden Jahren hatte sich das Leben für die auserlesene Gruppe von Profis, die zur absoluten Weltspitze zählen - zu der auch er selbst mehrere Jahre lang gehörte -, rasant in eine Richtung entwickelt, die ihm nicht behagte. Der Radsport war in seinen Augen zu einem Sport für Mönche geworden: nur etwas für die wenigen Athleten, die in Abgeschiedenheit existieren können, die akribisch detaillierte Trainingsprogramme abarbeiten können, die sich permanent in Verzicht üben, sich höchstens zweimal im Jahr etwas gönnen (eine Pizza! ein Glas Wein!), täglich von Trainern und Coachs überwacht werden, ständig darauf achten, ihre Mahlzeiten auf das Gramm genau abzuwiegen, um bloß nicht irgendwann selbst zu viel auf die Waage zu bringen. »Der Radsport, wie er heute ist, passt nicht mehr zu dem, was ich bin, und er passt nicht mehr zu dem, was ich sein will.«
Ich frage, ob ihm inzwischen klarer geworden ist, wer er sein will. Er nickt. Er sei jetzt jemand, der sich nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere interessiere. »Früher habe ich mich nur dafür interessiert, wie ich ein besserer Radfahrer werden kann. Jetzt möchte ich herausfinden, welche Art Leben ich führen will. Wie möchte ich anderen gegenüber sein?«
Wir geben unsere Bestellungen auf. Zwei Hähnchen-Sandwichs und zwei Kaffee. Nachdem das erledigt und die Kellnerin an einen anderen Tisch gegangen ist, seufzt Tom erleichtert. »Weißt du, ich habe einfach wieder Energie. Während wir hier sitzen, merke ich, dass es mir echt gut geht. Ich mache mir keinen Kopf, es gibt kein Training morgen, ich muss kein beschissenes Training vom Vortag verdauen. Ich bin frisch und fit. Ich bin hier. Ich genieße das tolle Wetter und wie schön es ist, hier am Wasser zu sitzen und zu Mittag zu essen.«
»Du bist also einfach glücklicher als zu der Zeit, als du Rad gefahren bist?«
»Ja«, sagt er entschieden hinter seiner Sonnenbrille. »Das war natürlich alles schon eine außergewöhnliche Erfahrung. Der Radsport hat mich widerstandsfähiger gemacht. Aber keine Frage: Ich fühle mich jetzt freier. In den letzten Jahren hatte ich nicht nur die Kontrolle über meine Karriere, sondern auch über mein Leben verloren. Und das lag daran, dass diese Karriere einen so großen Teil von mir ausmachte. Ich hatte meine Autonomie völlig verloren. Und jetzt habe ich sie wieder zurück. Ich kann wieder meine eigenen Entscheidungen treffen.«
Ein paar Wochen zuvor saßen wir mit seinen Eltern an einem Tisch in der Küche seines Elternhauses, etwas außerhalb des Zentrums von Maastricht. Wir tranken Kaffee, aßen Kirschkuchen und blätterten in einem Stapel Aktenordner. Seine Mutter hatte Toms Karriere von seinen ersten Rennen an dokumentiert, mit selbst beschrifteten Fotos, kleinen Berichten und Schnipseln aus der Clubzeitung der »Bergklimmers«, seines ersten Vereins. Es war 13 Monate her, dass er sein letztes Rennen als Profi bestritten hatte.
Seine Eltern hatten im Wohnzimmer durchsichtige Kunststoffboxen mit Trikots, Mützen und Bidons gestapelt. Tom hatte keine rechte Lust, alles zu öffnen und durchzusehen. Als seine Mutter ein altes Interview auf den Tisch legte und ihm zuschob, meinte sie, wie erstaunlich sie es fand, was er darin alles erzählte. »Meine Tage als Freibeuter sind vorbei«, stand über dem Artikel.
Tom nahm den Zeitungsausschnitt gar nicht erst in die Hand, er wollte seine Worte von damals nicht noch einmal lesen. Als ob er ihnen misstraute. Er meinte zu seiner Mutter, dass es genau dasselbe sei wie neulich mit dem Video, das ein Radhersteller gemacht hatte, mit dem er einen Botschafter-Vertrag abgeschlossen hatte. Auch dieses Promo-Video, mit alten Aufnahmen des jungen Tom beim Amstel Gold Race, hatte er sich erst ansehen wollen, nachdem er viele positive Reaktionen darauf bekommen hatte. »Vorher habe ich mich nicht getraut, mir das anzugucken. Und selbst jetzt habe ich es noch nicht zu Ende gesehen. Ich möchte mal wissen, wie es euch damit ginge, wenn ein solcher Film über euch gemacht würde. Ihr habt ja leicht reden, ihr habt keine Ahnung, wie das ist.«
Seine Mutter hat alle Interviews aufbewahrt, das ganze Material, damit er es sich eines Tages noch einmal ansehen kann. »Dafür bin ich auch echt dankbar«, versicherte Tom ihr, »aber das alles schaue ich mir irgendwann vielleicht in 20 Jahren oder so mal an.«
Seine Mutter erinnerte sich, wie eines Tages, am Morgen des Amstel Gold Race, das alljährlich rund um Maastricht ausgetragen wird, auf der Wiese praktisch direkt gegenüber von ihrem Haus, wo Tom oft mit seinen Freunden spielte, die Helikopter landeten. Eigentlich war es ein militärischer Übungsplatz, Teil der Kaserne, die auf der anderen Straßenseite lag. Mit ihren damals noch dürren Körpern schlängelten sich die Jungs immer zwischen den Gitterstäben des Zauns hindurch und spielten, wenn der Rasen frisch gemäht war, auf der leeren Wiese Fußball.
An jenem Morgen im April hoben die Hubschrauber unter gehörigem Lärm von dem Areal ab. An Bord waren die Kamerateams, die den größten niederländischen Radsportklassiker für das Fernsehen verfolgten und den Zuschauern am Nachmittag dann Luftbilder der Fahrer lieferten, wie sie sich ihren Weg durch die limburgische Landschaft bahnten, um als Erste die Ziellinie auf dem Kanaaldijk zu erreichen, direkt am Ufer der Maas, unweit der Straße, in der die Familie Dumoulin wohnte.
Am einzigen niederländischen Radsport-Sonntag von internationaler Bedeutung herrschte rund um das Haus der Dumoulins immer reges Treiben. Zeitungsartikel hatten die Familie darauf aufmerksam gemacht, dass das Peloton wieder im Anmarsch war und am Sonntag auf dem Marktplatz von Maastricht starten würde. »Mama und Papa haben mir dann erzählt, dass morgen der Tag des Rennens wäre.«
Auf seinem Handy hat er ein Video davon. Tom an der Strecke des Amstel Gold Race, als kleines Kind, in den späten 1990er Jahren. Er weiß noch ungefähr die Stelle, wo er stand und zusah. »Weißt du, wo der Sint Pietersberg liegt? Nun, am Fuße des Hügels gibt es eine Kreuzung mit fünf Abzweigungen. Bei der großen Villa von André Rieu kamen...
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