Schweitzer Fachinformationen
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Paula
Es stürmt, als unsere Fähre den Hafen von Piräus verlässt. Piräus, ich hatte an das Lied gedacht, ein Schiff wird kommen, und das bringt mir den einen . Deswegen stellte ich mir blaues Meer und weiße Segelboote vor.
Aber der Hafen von Piräus wimmelt vor allem von Schiffskränen, Containern, Lagerhallen und Müll, der im Wasser an die Kaimauer schwappt. Als wir an der Reling stehen, ziehen außerdem dunkle Wolken auf, Regen und Windböen reißen uns fast von Bord. Wir wollten romantisch an Deck schlafen, unter dem Sternenhimmel, unsere Heimat ist das Meer und so, dieses Meer ist aber eher angriffslustig als romantisch gestimmt, es lässt das Schiff nach dem Auslaufen von links nach rechts und hoch und runter schwanken, die Gischt spritzt bis zu uns hoch, eine Welle erwischt unsere Rucksäcke. Wir müssen uns wohl oder übel einen Schlafplatz im Inneren suchen. Zweimal werden wir vertrieben, einmal, weil wir einen Notausgang blockieren, einmal wegen einer Kiste mit Schwimmwesten, die zugänglich bleiben muss. Wir finden schließlich einen Treppenabsatz und breiten die Schlafsäcke aus, sie sind feucht geworden. Auch meine Klamotten sind feucht und klamm. Es ist kalt, eine Klimaanlage läuft.
»Das fängt ja gut an«, sage ich. »Wir werden uns erkälten.«
»Nicht gleich schlechte Laune kriegen! Wir haben Bier, wir haben zwei Snickers und das hier.« Sie kramt ihren Walkman heraus. Er ist trocken geblieben und funktioniert. Wir hören Trio, Da Da Da, während die Leute an uns vorbeigehen, sie haben Kabinen und betrachten uns von oben herab, als wären wir Hunde, die im Weg liegen und vertrieben gehören.
Zett und ich sitzen an die Wand gelehnt, essen Snickers, trinken warmes Bier und hören Musik, bis die Batterien leer und die Leute in ihren Kabinen verschwunden sind, wo sie in ihren trockenen Betten schlafen.
Unsere Fähre läuft bei Sonnenschein in den Hafen von Skopelos ein. Draußen schäumen noch ein paar Gischtkronen, doch hier im Hafenbecken ist das Meer glatt und glänzend, man kann Fische sehen. Der Himmel über dem Städtchen ist strahlend blau, als hätte es den Sturm in der Nacht nie gegeben. Wir stehen unterhalb der Brücke und beobachten die Matrosen, die das Anlegemanöver vorbereiten. Sie hantieren mit Seilwinden und dicken Tauen und bekommen Anweisungen von einem Mann in weißer Uniform, der per Funk mit der Brücke verbunden ist, ein Knacken und Rauschen.
Als das Schiff nah genug und im richtigen Winkel die Hafenmole angesteuert hat, wirft einer der Matrosen ein Seil mit einem kleinen Gewicht hinüber ans Ufer. Dort steht ein Typ von der Insel bereit, um die Kugel rasch aufzulesen und dann kräftig am Seil zu ziehen, er hievt ein schweres, nasses Tau aus dem Meer. Es braucht zwei Mann, das Tau um einen Poller an der Mole zu winden, und als es geschafft ist, streckt einer den Daumen hoch in Richtung Brücke. Eine Winde setzt sich in Bewegung, sie zieht das Tau an, strafft es, sodass das Meerwasser heraustrieft. Das Schiff bewegt sich nun noch dichter an die Hafenmauer heran und drückt schließlich gegen die Autoreifen, die dort aufgereiht festgebunden sind, quetscht die Reifen sanft zusammen, und das ganze Ungetüm kommt schließlich zum Stillstand.
»Skopelos, Skopelos!«, ruft einer der Arbeiter und treibt zur Eile an. Zett macht eine Handbewegung, los, los, wir müssen runter vom Schiff, sonst fährt es noch mit uns weiter. Ich wuchte meinen Rucksack auf den Rücken, er ist schwer von der Feuchtigkeit, aber ich habe den Schwung raus.
Am Anleger kommen Leute auf uns zu. »Rooms, rooms!«, rufen sie, es klingt wie Rums, rums, sie halten aufgeschlagene Mappen mit Fotos in die Höhe. Wir schütteln die Köpfe.
»No, thank you. Camping!«
Eine junge Frau tritt vor uns hin: »Camping, yes, look!«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Zett nimmt die Sache in die Hand. »No, thank you, wild camping, okay? Do you know, where?«
»Aah, no money?« Die Frau lacht. »Take a taxi to Panormos Beach.«
»No money«, gibt Zett lachend zurück und zuckt mit den Schultern.
Aber es geht ihr eigentlich nicht um die paar Mark für den Campingplatz, sondern ums Abenteuer. Ich war von Anfang dagegen. Wildcampen ist verboten in Griechenland, angeblich wird es in der Nebensaison geduldet, gerade hier auf Skopelos in der Panormos-Bucht.
Aber was, wenn das nicht stimmt? Wenn die Einheimischen etwas dagegen haben? Wenn die Polizei kommt und uns verjagt? Dann ist es vielleicht schon spät und dunkel, und wir haben keine Bleibe. Es arbeitet ständig in meinem Kopf, was, wenn, was dann und immer so weiter.
»Du Angsthase, du musst mal was erleben«, hat Zett schon in Deutschland bestimmt.
»Wollen wir nicht doch .?«, versuche ich es jetzt ein letztes Mal.
»Auf keinen Fall! Wo kann man das noch, wild campen, hm? Hier ist alles sicher, und ich bin bewaffnet.«
»Du bist was?«
»Bewaffnet. Komm, da drüben stehen die Taxis. Wir müssen los, damit die Schlafsäcke noch trocknen.«
In der Bucht stapfen wir über den Kies, vorbei an einer Taverne und an ein paar Zelten, ich höre deutsche Wortfetzen.
»Wo läufst du hin? Stellen wir uns zu den anderen.«
Aber Zett hält nichts davon. »Da können wir ja gleich auf dem Campingplatz schlafen. Nein, wir gehen weiter, über den Felsvorsprung, wir suchen uns eine einsame Bucht, nur für uns, verstehst du?«
Ich laufe einfach hinter ihr her. Zett hat das Kommando, ich habe Hunger und nichts zu melden. Ich kann nur mit knurrendem Magen den schweren Rucksack über den Felsvorsprung schleppen, immer weiter, es sind ihr noch zu viele Menschen am Strand. Endlich bleibt sie stehen.
»Hier«, sagt sie, setzt ihren Rucksack ab und wischt sich mit dem T-Shirt-Ärmel übers Gesicht.
Wir stehen etwas oberhalb einer winzigen Kiesbucht. Das Wasser ist so klar, dass man jeden einzelnen Stein am Grund sehen kann, die Wellen funkeln in der Sonne. Kein Mensch weit und breit. Wo wir stehen, ist die Erde platt getreten, bestimmt hat hier schon ein Zelt gestanden. Vielleicht im letzten Jahr. Um uns herum drei Kiefern, die für Schatten sorgen. Zett meint, das wäre wahnsinnig wichtig, damit wir morgens länger schlafen können, wenn wir das Zelt richtig platzieren. Sie kennt sich eben mit allem aus. Ein kleiner Felsbrocken und ein Baumstamm liegen um eine rußige Feuerstelle herum, unsere Möbel. Alles ist einfach perfekt. Wir legen die Schlafsäcke und die nassen Klamotten auf den Kies in die Sonne, damit ist die Bucht schon fast ausgefüllt, so klein ist sie, nur für uns, wie Zett gesagt hat. Dann bauen wir schweigend das Zelt auf. Klopfen Heringe in den Boden, spannen die Seile, packen unsere Vorräte aus.
Das ist der schönste Moment, wenn die Arbeit getan ist, wenn alles steht und hält und wenn Zett eine Flasche Retsina auspackt und ich das Brot und die Tomaten. Wir sitzen auf unserer privaten Terrasse mit Ausblick aufs Meer, Zett auf dem Baumstamm, ich auf dem Felsbrocken, und wir essen und trinken, und in diesen Momenten ist dieses andere, es ist weg, weit weg, so wie die Beule kaum mehr zu spüren ist, sie wird kleiner und kleiner, heilt einfach so, ist das nicht seltsam? Jetzt, als mir der Retsina in den Kopf steigt und die Tomaten so gut schmecken, ist es irgendwie gar nicht mehr wahr, was passiert ist, es ist nur ein Film, den ich gesehen habe, und langsam vergesse ich ihn. Das Meer plätschert, die Wellen rollen sanft an, ein regelmäßiges Schwappen, dazu Zetts Lachen, das lauter wird mit jedem Schluck Wein, alles ist gut jetzt. Die Zikaden setzen ein.
Nachts liege ich trotz des vielen Weins wach. Zett stiftet mich immer zum Trinken an, ich weiß nicht, warum. Sie schläft schon. Die Zikaden haben aufgehört zu zirpen, alle gleichzeitig, wie verabredet. Von der Taverne weht noch eine Weile Musik zu uns her, dann wird es ganz still. Nur das Meer gibt noch nicht auf, es gibt nie auf, rauscht und schwappt weiter. Ab und zu knackt es in den Bäumen über uns, die Äste und Pinienzapfen arbeiten in der kälter werdenden Nacht.
Zett fängt an, leise zu schnarchen, das kenne ich schon, sie hat Polypen in der Nase. Es stört mich nicht, im Gegenteil, es beruhigt mich. Das Mondlicht wirft Schatten, die sich über mir im Wind bewegen.
Ich bin gerade am Eindösen, als ich aufschrecke. Ich habe etwas gehört. Etwas anderes. Ein anderes Knacken, nicht von oben aus den Bäumen, sondern lauter und viel näher. Ich greife nach Zett, ich klopfe ihr auf den Rücken, und als sie nicht reagiert, schüttele ich sie.
»Was, Paula?«
»Hör doch mal«, flüstere ich.
Es ist still. Kein Mucks. Zett rollt sich wieder zurecht, ihr Schlafsack raschelt. Ich und meine Angst. Das denkt sie bestimmt: Paula und ihre Angst.
»Da ist nichts«, sagt sie schläfrig. »Nur Bäume.«
»Entschuldige.«
»Schlaf jetzt.«
Ich lausche weiter. Ich habe es doch gehört. Ganz nah. Vielleicht ein Tier. Ein streunender Hund. Ich könnte ihn zähmen, ihn zu unserem Wachhund machen. Ihn mitnehmen. Oder streift eine Ziege durch die Gegend? Habe ich Angst vor einer Ziege? Am Ende ist es vielleicht nur eine Maus. Die anderen Zelte sind gar nicht so weit weg. Die Kiefernzapfen knacken bloß manchmal etwas lauter. Morgen früh können wir zur Taverne gehen und bekommen vielleicht einen frischen Mocca. Alles ist gut. Alles ist doch gut. Ich muss nur einschlafen.
Doch ich liege mit offenen Augen wach, starre in die Dunkelheit, lausche, höre Zetts Atemzüge mit ihrer verstopften Nase. Wie kann sie schlafen, wir beide ganz allein hier draußen in der...
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