Waadtländerin und Pariser.
Inhaltsverzeichnis Ein Nervenzufall.
Inhaltsverzeichnis Die hübsche Madame Picard lag auf dem Sopha und hatte einen heftigen Nervenzufall. Ihr Mann ging verdrießlich und unruhig hin und her und begriff nicht, wie bei einer vernünftigen Frau ein so unvernünftiger Zufall möglich sei. Herr Picard war an Nervenzufälle bei seiner Frau gewöhnt, aber so einer! Wie gesagt, konnte man einen solchen Nervenzufall haben?
Die hübsche Waadtländerin ließ den ernsthaften Genfer nicht lange darüber in Ungewißheit. Sie schrie höchst erbärmlich, daß er sie nicht mehr liebe.
»Aber, meine Theure,« fing der Gatte an.
»Nein, lassen Sie mich,« schluchzte sie. »O, ich weiß es seit lange. Glauben Sie, daß solche Veränderungen dem Herzen einer Frau nicht fühlbar werden? Angebetet, wie ich war, glaubst Du, ich empfinde nicht, Grausamer, daß Du kalt geworden bist, trostlos, ganz und gar kalt?«
»Pauline, wir sind dreizehn Jahr verheirathet.«
»Und das ist ein Grund, um uns nicht mehr zu lieben? Nun wohl, wie Sie wollen, Monsieur, wie Sie wollen.«
Der Mann sprach von Uebertreibung und unbilligen Forderungen, so vernünftig, wie ein Genfer Kaufmann nur sprechen kann. Die Frau aber geberdete sich vor dieser unwillkommenen Vernunft immer krankhaft unverständiger, so daß dem Manne zuletzt Nichts übrig blieb, als der Bonne zu schellen und nach dem Doctor zu schicken.
Die Bonne erhob, als sie ihre Herrin in einem solchen Zustande sah, die Augen gen Himmel, zuckte tragisch die Achseln und verkündete, indem sie durch die Küche eilte, Monsieur bringe Madame noch um, das sei ganz klar.
Die Köchin und ein eben anwesendes Nähtermädchen umarmten den kleinen dreijährigen Emil, der ihrer besondern Sorgfalt anvertraut war, schüttelten traurig die Köpfe und seufzten: »armes Kind!« Emil begehrte noch eine Butterschnitte; unter neuen schweren Seufzern empfing er sie von den bewegten Dienerinnen. Er biß hinein, beschmierte sich beide Backen und watschelte in dieser wahrhaft kindlichen Verfassung hinaus auf die Gallerie, ohne im mindesten zu wissen, daß seine Mutter als ein Gegenstand des tiefsten Mitleidens auf ihrem Sopha am Rande des Grabes lag.
Die Mutter schien es zu wissen, denn sie wehklagte über ihre armen Kinder und beschwor ihren Mann, wenigstens diese zu lieben. Der Mann murrte: das verstehe sich ja von selbst.
Nein, das verstand sich nicht von selbst. Wer die Mutter nicht mehr liebte, wie leicht konnte der auch der Kinder vergessen.
Herr Picard griff sich mit allen zehn Fingern langsam in das Haar. Es war ihm dies seit zehn Jahren nicht begegnet, aber seine Frau hatte sich auch noch nie so aufgeführt.
Sie lag starr und sprachlos, als der Doctor kam. Herr Picard fand diese Sprachlosigkeit recht gut - der Doctor war anderer Meinung. Kaum hörten das die Bonne, die Köchin und das Nähtermädchen, so erhoben sie einstimmig ein Geschrei von solcher Stärke, daß Herr Picard fürchtete, die ganzen Eaux-vives könnten aufrührerisch werden. In dieser Vorstadt von Genf stand nämlich das Häuschen, welches einen kleinen Hof, einen kleinen Garten und zwei kleine Gallerien hatte und von Herrn Picard nebst Frau und Kindern bewohnt wurde.
Nachdem Madame zu Bett gebracht und mit Essenzen gerieben worden war, bekam sie die Sprache wieder und verlangte nach ihren Kindern. Die beiden ältesten Jungen konnten nicht aufgefunden werden - sie fischten irgendwo, wahrscheinlich in nicht kleiner Gefahr, aus dem Kahn in den See zu fallen. Der kleine Emil wurde von der Bonne herbeigeführt - die Mutter küßte ihn und verzog den Mund, weil sie mit dem Kusse Butter auf die Lippen bekommen hatte. Die Bonne, ziemlich hart über ihre wenige Sorgfalt für den Kleinen angelassen, rümpfte die Nase und versicherte dann draußen in der Küche: man könne es Madame nie recht machen; Monsieur möge es manchmal schwerer mit ihr haben, als man glaube. Die Köchin und das Nähtermädchen stimmten der Bonne völlig bei, und Madame schlief ein, ohne länger bedauert zu werden.
Unterdessen las der Doctor dem gelangweilten Ehemanne Moral. Eine so reizbare Frau müsse geschont werden, oder man könne der übelsten Folgen gewärtig sein. Herr Picard rief mit unterdrückter Erbitterung: »Wenn ich nur erst wüßte, wie ich sie schonen soll!« - »Wissen Sie's nicht?« fragte der Doctor. »Nein, ich weiß es nicht,« erwiederte der verdrossene Mann. »Nun, das müssen Sie wissen,« schloß der Doctor phlegmatisch.
Herr Picard wäre beinah heftig geworden, obgleich er ein Genfer war. »Sie können gut reden - Sie haben auch eine Frau-« - »Aber die hat keine Nervenzufälle,« ergänzte der Doctor.
»Das war's, was ich sagen wollte. So haben Sie leicht predigen, was Sie nicht zu thun brauchen.«
»Ich predige nur, was nöthig ist. Denn ich wiederhole Ihnen - schonen Sie Ihre Frau, oder - Sie möchten sie nicht gern verlieren, nicht wahr?«
»Was für eine Frage!«
»Nun, Sie können sie verlieren, wenn dergleichen Auftritte sich öfter wiederholen. Widersprechen Sie ihr nie, sie mag verlangen, was sie will.«
»Zu verlangen versteht sie,« sagte Herr Picard mit einem Seufzer, der vielfachen Erinnerungen galt. »Man sollte meinen, sie wäre statt am See von Joux in Paris geboren worden.«
»Was wollen Sie?« antwortete kaltblütig der Doctor. »Es giebt Frauen, die haben das Genie der Caprice, wie andere das Genie der Liebe. Ihre Frau ist eine von den ersteren.«
Madame Picard.
Inhaltsverzeichnis Also im Jouxthal war sie geboren und in einem Pensionat zu Morges erzogen worden. Ihre Mutter hielt in ihrem kleinen Geburtsort ein kleines Hotel und hatte ein artiges Vermögen. Als Pauline siebzehn Jahr war, verliebte Herr Picard, Pelz- und Schnittwaarenhändler aus Genf, sich in das hübsche waadtländer Mädchen und heirathete sie nach kurzer Bewerbung. So kam sie, jung, unerfahren und erwartungsvoll, in die dritte oder vierte Klasse der Genfer Gesellschaft - vielleicht auch in die fünfte oder sechste. Genf ist ja in so viel Klassen getheilt, wie ein botanisches System. Wodurch die eigentliche Aristokratie sich auszeichnet, habe ich nie verstehen können; man sagte mir, sie sei stolzer als irgend eine, wohne im Winter in der obern Stadt, im Sommer auf dem Lande und sei eben die Aristokratie. Gewiß ist es, daß Madame Picard nicht in die Aristokratie kam und kein Haus in der obern Stadt, sondern nur eins in den Eaux-vives hatte. Trotzdem gelang es ihr, sich zu einer recht angenehmen Frau auszubilden, freilich nur an der Oberfläche und zugleich aus der Natur heraus. Groß und voll gewachsen, würde sie sich ganz gut bewegt haben, hätte sie sich nicht eine gewisse kindische Lebhaftigkeit angeeignet. Die ist bei einem kleinen Figürchen recht niedlich, fällt dagegen bei einer großen Gestalt leicht ins Lächerliche. Ihr Gesicht war weniger gefällig, breit, mit starken Backenknochen und keinem schönen Profil. Im Hute sah sie sogar häßlich aus, in einem kleinen umgeknüpften Tuche dagegen recht anlockend. Sie wußte das und trug sich oft so, verdarb aber, was die Tracht für sie that, gewöhnlich wieder durch kleine gezierte Mienen. Die arme Pauline wollte gern recht gefährlich kokettiren und hatte doch weder große Anlagen dazu, noch die Gelegenheit, ihre kleinen zu entwickeln. Sie war daher unaufhörlich in Bewegung, machte sich immer laut, sprach nur von sich, schob fortwährend ihren Fuß vor, ließ die Hände nie ruhen, wurde mit einem Wort kokett im kleinen Styl. Daß sie den unglücklichen Genfer Accent annahm und mit gekniffenen Lippen zwischen den Zähnen sprach, war nicht nur verzeihlich, sondern unvermeidlich, aber freilich nicht wohltönend. Ihre Bildung war nicht mangelhafter als die der Genferinnen, doch will das nicht viel sagen. Sie hatte das Italienische angefangen und wieder liegen lassen, das Deutsche angefangen und aufgegeben und nur das Englische fortgesetzt, so daß sie es seit einem Jahre ihren beiden ältesten Knaben lehren konnte. Wurde englisch gesprochen, so verstand sie es nicht, aber die Anfangsgründe der Grammatik waren ihr noch erinnerlich genug, um sie überlieferungsartig den Kindern mittheilen zu können. Ihr musikalisches Talent beschränkte sich auf den Vortrag von Walzern, bei denen sie den Takt, um nicht herauszukommen, mit dem Fuße schlug und mit einem ausdrucksvollen Spiel der üppigen Schultern begleitete. In ihren politischen Gesinnungen war sie Republikanerin und Aristokratin, dabei sehr feurig und entschlossen. Wenn die Genfer gedacht hätten wie sie, würde James Fazy, der einstweilige Regent dieser Duodezrepublik, es nicht lange gewesen sein. Im Uebrigen litt sie seit ihrem ersten Wochenbette an einer krankhaften Reizbarkeit der Luftröhre, weßwegen sie nicht mehr singen durfte, stand ihrem Hauswesen mit Ordnungsliebe vor, hegte ziemlich mütterliche Gefühle für ihre beiden häßlichen Zwillinge und ihren kleinen dümmlichen Emil, thronte in einem kleinen Kreise von Freundinnen und würde sich mit Fassung in ihre dreißig Jahre geschickt haben, wäre ihr Mann ihr Liebhaber geblieben. Aber damit hatte er allmählich aufgehört. Natürlich; waren sie nicht dreizehn Jahr verheirathet, hatten sie nicht zwei zwölfjährige und einen dreijährigen Jungen, war Herr Picard nicht ein Kaufmann und vor Allem ein Genfer? Es giebt viele Dinge, welche ich mir vorstellen, eben so viele aber, die ich mir nicht vorstellen kann - zu diesen letztern gehört ein Genfer, der seine Frau anbetet. Naive Mittheilungen von Genferinnen selbst haben mir einen sehr kleinen Maßstab für die Genfer Ehemannsgalanterie in die Hand gegeben. Auch gelten die deutschen Frauen bei den Genferinnen für verzogene...