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Mehr als ein Monat verging, und El Capitán kam nicht in Schwung. Anfangs herrschte noch etwas Betrieb, solange Leute zum Kondolieren hereinschauten, gruppenweise Tische besetzten, um ihnen einen Gefallen zu tun, oder schlicht schnüffeln wollten, wie sie sich anstellten, diese hochnäsigen, unnahbaren Mädchen, die das verfluchte Pech gehabt hatten, letztlich klein beigeben und die Ärmel aufkrempeln zu müssen.
Nach Feierabend jedoch war alles wieder unerträglich armselig, und so dauerte es nicht lange, bis sie beschlossen, sich aufzuteilen, weil sie einsahen, dass es Kraftverschwendung war, wenn sich acht Hände von früh bis spät einem so wenig einträglichen Geschäft widmeten.
Luz war die Erste. Alle kamen überein, dass sie die Stelle, die ihr das Ehepaar Irigaray in der Wäscherei angeboten hatte, annehmen und so ein paar Dollar für die Gemeinschaftskasse hinzuverdienen sollte. Ein paar Tage später ergriff Mona die Initiative. Seit jeher war sie die Schnellste im Rechnen, Organisieren, Erledigen gewesen, weshalb sie Buchführung und Vorratshaltung jetzt komplett übernahm. An manchen Tagen kaufte sie auf dem Gansevoort Market Obst und Gemüse, an anderen ging sie hinunter zum Markt von West Washington, und fast ohne ein Wort zu verstehen, kaufte sie magere Hühner und all die billigen Teile, die kaum jemand haben wollte: Hirn, Backenfleisch, Zunge, Schweinsrüssel; gelegentlich streifte sie bereits bei Tagesanbruch über den Fulton Fish Market am East River, wo ihr Vater eine Zeit lang gearbeitet und riesige Fische zerlegt hatte, wie es sie in ihrem Meer nicht gab. Sie stand ungeheuer früh auf und legte lange Wege zurück, stets unter der Last des Schuldenbergs, von dem sie nicht wussten, wie sie ihn bewältigen sollten, doch wenigstens konnte sie auf diese Weise die Ausgaben auf ein Minimum beschränken. Und jeden Tag kehrte sie mit etwas Nahrhaftem zurück, das Remedios in ein wohlschmeckendes Gericht verwandelte, auch wenn sie sich unablässig beschwerte, weil ihr die mediterranen Grundzutaten fehlten, mit denen sie zu kochen gewohnt war. Mandeln. Oliven. Petersilie. Lorbeer.
An jenem Aprilmorgen stieß Mona mit der Schulter die Tür zur Gaststätte auf und kam eilig herein. Sie war spät dran und erwartete, dass ihre Schwester und ihre Mutter meckern würden, weil schon fast Mittag war und noch nichts auf dem Herd stand. Zu ihrer Überraschung empfingen sie sie jedoch nicht mit den üblichen Vorhaltungen, sondern in Gesellschaft eines Mannes. Er saß auf einem Barhocker an dem Teil der Theke, wo sie die Bestellungen herausreichten, Remedios und Victoria standen auf der anderen Seite in der Küche und waren nur von der Taille aufwärts zu sehen. Die entspannte Haltung des Fremden ließ darauf schließen, dass sie sich schon seit einer Weile unterhielten.
Der Mann erhob sich bei ihrem Eintreten, und Mona taxierte ihn rasch. An die fünfzig, vermutete sie. Vielleicht schon darüber; sie hatte nicht viel Erfahrung im Umgang mit reifen Männern, es fiel ihr schwer, ihr Alter zu schätzen. Anständig angezogen, auch wenn seine Kleidung unübersehbar seit Jahren in Gebrauch war, mittelgroß, etwas beleibt, dunkelblondes Haar mit grauen Schläfen und Geheimratsecken, buschige dunkle Brauen und ein leichtes Doppelkinn. Vor ihm lag ein Bündel Zigarren; auf dem Boden stand ein kompakter, mit Stoffbändern verschnürter Stapel aus etlichen Kisten mit bunten Etiketten.
»Ich bedaure Ihren schmerzlichen Verlust, Señorita .«, sagte er im Tonfall des spanischen Südens.
Er streckte ihr die Hand hin, und als Mona sie ergreifen wollte, ohne ihren umfangreichen Einkauf loszulassen, fielen ihr zwei Zwiebeln herunter und kullerten über den Boden.
»Vielen Dank«, murmelte sie, während sie sich danach bückte.
Ohne ein weiteres Wort verschwand sie in der Küche; der Unbekannte schaute auf die Uhr, sagte irgendetwas von anderen Verpflichtungen und nahm seine Kisten auf.
»Wer ist der Kerl?«, fragte sie flüsternd ihre große Schwester.
»Einer, der behauptet, Vater gekannt zu haben, Luciano Sowieso.«
Sie wartete, bis der Mann sich endgültig verabschiedet hatte und zur Tür ging, ehe sie ihr das Kästchen zeigte, das er auf dem Tresen zurückgelassen hatte. Auf dem Deckel war das Bild einer schönen jungen Frau mit roten Blumen im Haar, um sie herum Palmwedel, Wappen und der Markenname Cuesta Rey.
»Er verkauft Tabakwaren«, erklärte Victoria. »Er ist Vertreter einer Firma in Tampa, in Florida, und hat darauf bestanden, uns diese Zigarren dazulassen. Angeblich werden sie in fast allen Restaurants nach dem Essen den Gästen angeboten und werfen einen guten Gewinn ab.«
»Und womit gedenkst du sie zu bezahlen, wo es hier jeden Tag knapper wird?«
»Wir haben sie in Kommission. Wenn wir sie loswerden, gut. Wenn nicht, nimmt er sie wieder mit. Er ist in Ordnung. Kürzlich verwitwet.«
Sie wandte sich nach ihrer Mutter um und grinste schelmisch.
»Vielleicht könnten sie sich ja gegenseitig trösten .«
Mona unterdrückte ein Auflachen und gab ihrer Schwester einen Klaps.
»Du hast hoffentlich nicht vor, die beiden zu verkuppeln.«
Die Mutter selbst, die keine Ahnung hatte, was hinter ihrem Rücken getuschelt wurde, holte sie in die Realität zurück.
»Schlimm genug, dass wir wenig Kundschaft haben, aber noch schlimmer wird es, wenn die Leute kommen und wir nichts haben, was wir ihnen auftischen können. Was ist denn heute los mit euch, wollt ihr uns vollends ruinieren?«
Vermutlich ärgerte es sie, sich jetzt abhetzen zu müssen, weil es schon so spät war, oder sie war zerstreut durch die Erinnerung an ihren toten Gatten, die der Besuch des Tabakverkäufers heraufbeschworen hatte, oder irgendetwas hatte sie abgelenkt. Tatsache war, dass den beiden Schwestern, als sie eine halbe Stunde später die Tische deckten, plötzlich ein Schrei in den Ohren gellte.
Sie rannten in die Küche, wo sich Remedios mit schmerzverzerrter Miene eine Gesichtshälfte hielt. Beide stürzten auf sie zu.
»Was ist passiert, nimm mal die Hand weg!«
»Nicht mit den Fingern, nicht reiben, ganz vorsichtig!«
Beim Anbraten des Hühnchens war das heiße Öl hochgespritzt; sie hatte eine schwere Verbrennung am Lid und mehrere kleine auf der rechten Wange und an der Schläfe. Ihre Töchter zwangen sie, den Kopf übers Spülbecken zu halten, und benetzten die Wunden mit kaltem Wasser, dann setzten sie sie hin und ließen sie das Gesicht nach oben zu der rußgeschwärzten Decke drehen und bestreuten die Stellen mit Salz.
Auch nach Stunden ließ der Schmerz nicht nach, und sie lief den ganzen Tag mit Essigumschlägen herum, klagte und jammerte und war höllisch reizbar. Alle drei waren froh, als die letzten Gäste endlich gegangen waren. In einer Weile, nachdem sie sich die Reste einverleibt hätten, würden auch sie nach Hause gehen können. Sie wollten sich gerade zu Tisch setzen, als Luz kam. Trotz der späten Stunde und ihrer Erschöpfung schien mit der Jüngsten immer ein frischer Windstoß hereinzuwehen, und fast jeden Abend brachte sie eine Anekdote, Neuigkeiten oder Tratsch mit, wodurch es ihr meistens gelang, die Stimmung zu heben.
»Heute bin ich früher aus der Wäscherei gegangen«, verkündete sie, nachdem sie beim Anblick der Kompresse, hinter der das halbe Gesicht ihrer Mutter verschwand, ein paar schrille Schreie ausgestoßen hatte. »In La Nacional werden bald die Proben zu einer Zarzuela beginnen, und Doña Concha hat mir erlaubt, mich mal zu erkundigen.«
Flugblätter mit dem entsprechenden Aufruf waren im ganzen Viertel verteilt worden; wer weiß, Kleine, hatte die Baskin gesagt, während sie ein blütenweißes Hemd schüttelte, wo du doch so gern singst und tanzt, vielleicht hast du ja Chancen . Letztes Jahr gab es La Revoltosa, im Jahr davor La rosa del azafrán. Alle Beteiligten waren reine Amateure, geprobt wurde in den Räumen von La Nacional, ...
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