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Als nicht "reinrassiges Geschöpf unter den Musenkindern" und "merkwürdiges poetisches Gebilde" (vgl. Grimm 2002: 11) wird die Ballade zuweilen als "Grenzgängerin zwischen Lyrik, Epik und Dramatik" (Pinkerneil 2000: 10) eingeführt. So finden sich in Balladen von Sagen und Mythen sowie geschichtlichen und alltäglichen Ereignissen geprägte Erzählungen zu vielfältigen Themen (u. a. Schicksal, Liebe, Tod etc.) (vgl. Bogosavljevic/Woeseler 2009: 35).
Inszeniert sind sie unter Verwendung unterschiedlicher Redeformen, teilweise sogar innerhalb einer Ballade (u. a. Erzähler- und Figurenrede), sowie sprachlicher und formaler Mittel. Die Schwierigkeiten, die mit diesem Grenzgängertum einhergehen, werden bereits nach einem kurzen Blick in verschiedene Erläuterungen zur Ballade deutlich.
Nur selten finden sich heute noch knappe Formulierungen wie z. B. bei Duden online:
Die Ballade ist ein [volkstümliches] Gedicht, in dem ein handlungsreiches, oft tragisch endendes Geschehen [aus Geschichte, Sage oder Mythologie] erzählt wird.
oder im Lexikon Deutschdidaktik (Kliewer/Pohl 2006: 36):
Die Ballade ist eine erzählende Gedichtform, Verbreitung seit dem Ende des 18. Jh. als Kunstballade. Vorläufer sind die (meist) gesungene Volksballade und die Morität. Für moderne Formen der Ballade wird z. T. auch die Gattungsbezeichnung Erzählgedicht verwendet. Die Ballade vereinigt in sich lyrische, epische und dramatische Elemente; immer wieder wird J.W. Goethes Zeitschriftenartikel "Ballade. Betrachtung und Auslegung" von 1821 zitiert, in dem er auf diesen gattungsverbindenden Aspekt hinweist und die Ballade mit einem "lebendigen Ur-Ei" vergleicht, weil in ihr die poetischen "Elemente" noch nicht getrennt sind.
Die nicht nur hier im Lexikon der Deutschdidaktik angeführte Rekurrenz der Ballade als "lebendiges Ur-Ei" dient auch in einer Vielzahl von Sprach- und Lesebüchern sowie zahlreichen fachwissenschaftlichen Balladenanthologien als Grundlage. Mit Verweis auf Goethes Ausführungen im Aufsatz "Ballade, Betrachtung Auslegung" (1821) vereinen Balladen die "drey Grundarten der Poesie" durch ihre epische Erzählweise mit lyrischer Grundform und dramatischer Gestaltung. So heißt es:
Die Ballade hat etwas mysterioses ohne mystisch zu seyn; diese letzte Eigenschaft eines Gedichts liegt im Stoff, jene in der Behandlung. Das Geheimnißvolle der Ballade entspringt aus der Vortragsweise. Der Sänger nämlich hat seinen prägnanten Gegenstand, seine Figuren, deren Thaten und Bewegung, so tief im Sinne daß er nicht weiß wie er ihn ans Tageslicht fordern will. Er bedient sich daher aller drey Grundarten der Poesie, um zunächst auszudrücken was die Einbildungskraft erregen, den Geist beschäftigen soll; er kann lyrisch, episch, dramatisch beginnen, und, nach Belieben die Formen wechselnd, fortfahren, zum Ende hineilen, oder es weit hinausschieben. Der Refrain, das Wiederkehren ebendesselben Schlußklanges, giebt dieser Dichtart den entschiedenen lyrischen Charakter. (Goethe 1821/1981, Bd. 1: 400)
Obwohl die Metapher des Ur-Eis die Balladenforschung bis heute dominiert (vgl. Bartl 2017: 22), scheint sie allein nicht auszureichen, um die Vielfalt der Ballade zu erfassen. Auch deutlich ausführlichere Definitionsversuche zur Ballade verweisen durch ihre verstärkte Verwendung von Abtönungspartikeln wie meist, oft und manchmal überdeutlich auf die bis heute vorherrschende Schwierigkeit, eine "greifbare Kategorisierung und abschließende - oder zumindest als Arbeitsdefinition funktionale - Definition" (Bartl 2017: 23) auszugeben. So beschreibt Hartmut Laufhütte (vgl. 1979/1992: 25) die Ballade z. B. als "eine episch-fiktionale Gattung. Sie ist immer in Versen, meist gereimt und strophisch, manchmal mit Benutzung refrainartiger Bestandteile und oft mit großer metrisch-rhythmischer Artistik gestaltet".
Auch im Definitionsversuch von Fauser (2000) heißt es: "Innerhalb des Gefüges der Gattungen verschieden eingeordnet, steht die Ballade formal oft der kurzen Verserzählung am nächsten" (Fauser 2000: 14).
Zu diesen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass es keine "spezifisch balladischen Themen gibt" (Laufhütte 1979, Nachwort: 613, Gaier 2019: 12). Zumbach beschreibt die bisherigen Versuche der Fachwissenschaft, eine konzise Balladendefinition aufzustellen, in Folge dessen als "schwammige Umkreisungen" (Zumbach 2008: 7). Maren Conrad erklärt sie gar als gescheitert, weil Goethes Definition zur Ballade bis heute vorherrschend ist (vgl. Conrad 2014: 43). Es verwundert daher nicht, dass jüngste Versuche, eine Antwort auf die Frage: "Was ist eine Ballade?" zu geben, inzwischen ganze Kapitel füllen (vgl. hierzu aktuell Segebrecht 2012, Nachwort; Bartl 2017: 9-19) oder umkehrt, eine Antwort schlicht verweigert wird. So hält Gaier fest: "Mit Absicht sage ich nicht: 'Die Ballade ist .', denn damit gerät man in die Festsetzung eines Begriffs, dem dann die Dichter unter Strafandrohung vernichtender Kritik oder Nichtachtung gehorchen müssen. [.] Um Streit zu vermeiden, biete ich keinen Begriff ('Ballade ist .')" (2019: 11). Gaier wählt stattdessen eine "handlungstheoretische Anweisung", indem er beschreibt, dass Balladen zu Bewusstsein bringen, "dass jemand eine Grenze setzt, verteidigt oder überschreitet" (ebd.).
Im Vergleich zu den umfassenderen Ausführungen der jüngsten Zeit macht der erneute Blick auf die Ur-Ei-Metapher deutlich, dass es Goethe damit geradezu charmant gelingt, sich der Frage zu entziehen, zu welcher Gattung die Ballade nun eigentlich gehört (vgl. Weißert 1993: 5). Folglich entstand der Eindruck, die Ur-Ei-Definition und ihre Anhänger:innen würden als Mittler zwischen den lange Zeit konkurrierenden Sichtweisen zur Gattungszuordnung der Ballade fungieren. Auf der einen Seite wird der Ballade eine "epische Grundstruktur mit Zusatzmerkmalen" zugeschrieben, die ein "Vorgangskontinuum" beschreibt (Laufhütte 1979: 350). Dies führt dazu, so Käte Hamburger 1957, "dass wir den Inhalt des Balladengedichts nicht mehr als Aussage eines lyrischen Ichs, sondern als fiktive Existenz fiktiver Subjekte auffassen" (243). Bezeichnet wird die Ballade daher auch als "Handlungsgedicht mit einem Konfliktpotential" (Grimm 2002, aber auch Segebrecht 2012). Auf der anderen Seite wird die Ballade aufgrund ihrer lyrischen Erzählweise der Lyrik zugeordnet (vgl. auch Müller-?Seidel 1963a, Müller 1980). Bis heute hält der Diskurs um die Ballade als "Gattungshybrid" (Conrad 2017: 22) weiter an (vgl. die Beiträge im Sammelband Bartl et al. 2017).
Wenngleich auch die neueren Publikationen zur Ballade Goethes Ur-Ei-Definition viel Gutes abgewinnen können, da sie sich einer "apodiktischen Einordnung" verwehrt und damit den Facettenreichtum der Balladendichtung nicht unzulässig reduziert (vgl. Bartl 2017: 15), dominiert der seit den 1960er-Jahren etablierte Terminus der Ballade als Gedicht mit Erzählfunktion den heutigen fachwissenschaftlichen Diskurs (vgl. Knezevic 2017: 288). Deutlich wird jene starke Verankerung des Epischen, die sich deutlich von traditionellen lyrischen und dramatischen Texten abgrenzt, wenn die gebundene Sprache vieler Balladen aufgebrochen wird. Schnell zeigt sich dann, dass mit nur wenigen Eingriffen in den Text das Umschreiben in eine Erzählung gelingt. Hierzu tragen nicht nur der Einsatz eines heterodiegetischen Erzählers bei, der die ungewöhnlichen konflikthaften bis ins Dramatische hinein gestalteten Begebenheiten und Ereignisse meist im Ur-Tempus des Epischen, dem Präteritum, wiedergibt, sondern auch die lineare und konzise Darstellung der abgeschlossenen Handlung.
Allerdings zeigt der Blick auf verschiedene Balladen, dass die Erzählfunktion ganz unterschiedlich ausgeprägt sein kann. So finden sich einerseits Balladen wie z. B. Ruppels "Holger, die Waldfee" (vgl. Kap. 5.3.2) oder Hacks "Vom schweren Leben des Ritters Kauz vom Rabensee", die fast ausschließlich durch einen Erzähler vorgetragen werden. Andererseits ist die Erzählfunktion zum Beispiel in Goethes Ballade vom "Erlkönig" (Kap. 5.2.3), auf eine die dramatische Wechselrede zwischen Vater, Kind und Erlkönig rahmende Einführungs- und Abschlussstrophe begrenzt. Zu jenen Balladen mit schwach ausgeprägter Erzählfunktion zählt auch Schillers "Die Kraniche des Ibykus" (Kap. 5.3.4). Nur kurz wird hier die dramatische Wechselrede durch Einschübe unterbrochen, die sich wie Regieanweisungen lesen lassen und zusammen mit dem oftmals musterhaften Freytagschen Schema eines Spannungsbogens aus knapper Exposition, Spannungssteigerung, Peripetie (Höhepunkt), abfallender Handlung (ggf. mit retardierendem Moment) und der Lösung des Konflikts die Nähe zum Drama zeigen (vgl. Bartl 2017: 16). In anderen Balladen wie z. B. Eichendorffs "Waldgespräch" oder diversen Rollenballaden, u. a. von Julia Engelmann ("Die Ballade vom König", 2016), tritt der Erzähler ganz hinter die Figuren zurück. Einmal mehr zeigt sich die Ballade auch in diesen Beispielen als Grenzgängerin. Folglich verwundert es nicht, dass die Forderungen lauter werden, die fachwissenschaftlichen Diskussionen zur Dominanz des episch-fiktionalen Gehalts der Ballade erneut zu öffnen (vgl. hierzu u. a. Bartl 2017: 15).
Ob die vielseitigen Formen der Balladen mit den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten zu einem Abschluss gekommen sind oder ob sie sie sich an die neuen Gegebenheiten und Möglichkeiten angepasst...
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