II
Inhaltsverzeichnis Wäre die rotbraune Hautfärbung nicht gewesen, man hätte die junge Indianerin für eine Angehörige der kaukasischen Rasse halten können, denn ihrer Gesichtsbildung fehlte der gewöhnliche Typus der Indianerrassen mit den breiten, wie Ecken hervorstehenden Backenknochen und der platten Nase. Der Schnitt des Gesichtes war zierlich und regelmäßig, und sie sah aus wie eine plötzlich zum Leben erweckte Bronzefigur einer griechischen Schönheit, ein Eindruck, der noch durch das keineswegs indianisch hartsträhnige, sondern weiche und wellige Haar verstärkt wurde.
Jetzt lag freilich ein Ausdruck des Schmerzes auf diesem überraschend anziehenden Gesicht.
»Mein Fuß,« sagte sie in englischer Sprache und mit einer überaus wohlklingenden Stimme. Sie machte eine Bewegung mit dem Fuße, der aber sofort ein leises Stöhnen des Schmerzes folgte, und ich begann ohne Zögern, den pelzgefütterten Mokassin aufzuschnüren und vorsichtig abzustreifen.
Ein kleiner, wohlgeformter Fuß kam zum Vorschein, der aber am Knöchelgelenk eine beginnende Schwellung zeigte und in einer etwas schiefen Stellung zum Unterschenkel fixiert war. Ich begann zu untersuchen, was aber trotz aller Vorsicht die ich dabei anwandte, nicht ohne wiederholtes schmerzhaftes Stöhnen abging. Gebrochen war der Fuß offenbar nicht, aber aus dem Gelenk gesprungen, und ich machte mich sofort daran, ihn wieder einzurenken, was mir auch mit zwei oder drei energischen Drehungen, die von einem deutlichen Knacken, aber auch von einem herzhaften Schrei aus dem Munde der jungen Indianerin begleitet waren, gelang.
»Du hast deinen Fuß verrenkt,« erklärte ich ihr dann, mich ebenfalls der englischen Sprache bedienend, »aber die Sache ist jetzt wieder in Ordnung. Freilich, ein paar Tage wirst du hier bleiben müssen, bis er wieder ganz heil ist.«
Ich nahm dann etwas Whisky und begann das Gelenk vorsichtig zu massieren, was ihr augenscheinlich große Erleichterung brachte. Dann legte ich mit Hilfe eines in zwei Stücke gerissenen Handtuches, da mir das ganze für diesen Zweck zu groß erschien, einen nassen Umschlag um das Gelenk, den ich warm bedeckte, und wandte mich dann der jungen Indianerin wieder zu.
»Well, wie fühlst du dich jetzt?«
»Besser, viel besser.«
Nachdem ihre Augen dann noch eine Weile forschend auf mir geruht hatten, fügte sie hinzu: »Ich kenne dich.«
»Du kennst mich?«
»Ja, du bist Dr. Werner aus Winnipeg. Ich habe deinen Namen gehört, als du in Lebret warst, vorigen Sommer.«
Es war richtig. Lebret ist eine Missionsanstalt des Oblaten-Ordens mit einem angrenzenden kleinen Nonnenkonvent und einer Erziehungsanstalt für Töchter katholischer Ansiedler, sowie einer Schule für indianische Kinder beiderlei Geschlechts, die hier nicht nur in den Elementarfächern, sondern auch die Mädchen in den Haushaltungskünsten und die Knaben in allen möglichen Handwerken unterrichtet werden. Ich war im Sommer dort gewesen, um meinen Freund, Baron von Amerhorst, zu besuchen, der früher preußischer Offizier war, dann aber die schmucke Uniform des Dragonerleutnants mit der Soutane des Oblaten-Ordens vertauscht hatte und sich in Lebret auf seine demnächstige Priesterweihe vorbereitete.
Wir hatten unsere Mahlzeiten in dem allgemeinen Speisesaal, zusammen mit den indianischen Zöglingen, eingenommen. Für die Patres und zwei oder drei Ordensbrüder war auf einem Podium eine besondere Tafel hergerichtet, und wir wurden dort von ein paar indianischen Mädchen bedient. Unter diesen, dessen begann ich mich jetzt wieder zu erinnern, befand sich dasselbe junge Mädchen, das jetzt ein Zufall, den ich noch immer nicht verstehen konnte, mitten in einem kanadischen Blizzard in meine Höhle geführt hatte.
Ihr von dem gewöhnlichen Indianertypus so sehr abweichendes Gesicht und die zierliche geschmeidige Figur, die sich nicht weniger als dieses von den meist recht plumpen, robusten Körpern der Indianerinnen unterschied, waren mir schon damals aufgefallen, und eine Bemerkung, die ich darüber zu meinem Freunde machte, hatte dieser lächelnd mit einem: »Jawohl, aber sie sind nicht alle so,« erwidert.
»Es ist übrigens eine Häuptlingstochter,« fuhr er dann fort, »eine Sioux und Enkelin von Dead Body, 1 von dem Sie gehört haben werden.«
Ich hatte nicht nur von Dead Body gehört, sondern war mehrmals mit ihm in Southey, wohin er manchmal aus seiner Reservation in den Touchwood Hills kam, um Einkäufe zu machen, zusammengetroffen. Er war eine der merkwürdigsten Erscheinungen, die mir jemals zu Gesicht gekommen waren. Sein Name Dead Body - früher hatte er wohl einen anderen geführt - stammte aus der letzten, von Riehl 2 angestifteten Indianerrevolution. In einem Gefecht in der Nähe des Forts Qu'Appelle war Dead Body als tot auf dem Kampfplatze zurückgeblieben, später aber von seinen Stammesangehörigen als ihr Häuptling nach deren Lager gebracht worden, um mit alten Ehren und den üblichen unheimlichen Begräbniszeremonien bestattet zu werden.
Als diese nach zwei oder drei Tagen im vollen Gange waren, war Dead Body, der bis dahin bewußtlos und mit allen Anzeichen des Todes dagelegen hatte, wieder zum Leben erwacht und schließlich trotz seiner schweren Wunden von dem Medizinmanne seines Stammes, dessen Ruf sich dadurch ebenfalls verbreitete, gesund gepflegt worden.
Als ich ihn kennen lernte, mußte er wohl schon 70 oder 75 Jahre zählen, war aber noch ziemlich rüstig. Und obwohl er ein echter Indianer mit einem unauslöschlichen Haß gegen alle Bleichgesichter war, hatte er es doch, wohl aus Eitelkeit, über sich gewinnen können, in einem schwarzen Schulmeisterkittel, den er, Gott weiß wo, aufgegabelt und augenscheinlich mit unsäglicher Mühe jahrelang vor dem Verfall bewahrt hatte, einherzustolzieren. Daß sein Cowboyhut aus grauem Filz, seine langen schwarzen Zöpfe, seine hirschledernen Hosen und gleichen Mokassins damit nicht ganz übereinstimmten, schien ihn weiter nicht zu stören. Unsere Unterhaltung, obwohl recht freundschaftlich, - ich glaube tatsächlich, daß ich bei ihm in besonderer Gunst stand - war freilich immer ziemlich lückenhaft gewesen, da er nur ein paar Brocken Englisch sprach und mir damals die Siouxsprache noch ziemlich fremd war. Ich versuchte immer, ihm das meiste in der Kri-Sprache verständlich zu machen, die ich recht gut beherrschte, und von der er einige Kenntnisse hatte, da sein Stamm lange Jahre hindurch Kri-Indianer als Nachbarn gehabt hatte.
Das alles kam mir im Augenblicke in die Erinnerung.
Aber wie kam das Mädchen von Lebret hierher, eine Entfernung von etwa hundert englischen Meilen? (150 km)
»Ich bin nicht mehr in Lebret,« erklärte sie auf meine Frage. »Ich bin achtzehn Jahre und jetzt wieder in der Reserve.«
Das erklärte allerdings ihre Anwesenheit in dieser Gegend, denn die nächste Reserve, und um die konnte es sich nur handeln, begann kaum sechs oder sieben Meilen von hier. Wie sie aber in den Schneesturm hierher kam, wo sich weit und breit keine menschliche Behausung befand, war mir noch immer ein Rätsel.
»Wie ist dein Name, little woman?« (kleines Fräulein) fragte ich sie.
»Minnehaha,« war die Antwort.
»Das heißt so viel wie Lachendes Wasser?« fragte ich.
Sie nickte.
»Bist du nicht eine Christin?« fragte ich etwas überrascht, denn von den indianischen Kindern, die bis zum siebzehnten Jahre in den Missionen oder Industrieschulen, wie sie genannt werden, erzogen werden, während welcher Zeit sie jedes Jahr nur eine Ferienzeit von vier Wochen daheim in ihrer Reserve verbringen dürfen, nehmen die meisten den christlichen Glauben und damit einen andern Namen an, bevor sie am Schlusse ihrer Schulzeit nach ihren Reserven entlassen werden.
Es ist zwar den Leitern der Schule nicht erlaubt, zu lebhafte Beeinflussung nach dieser Richtung hin zu üben, und die indianischen Eltern tun während der kurzen Ferienzeit ihr bestes, den Kindern gegen jeden solchen Gedanken Schrecken einzujagen, da sie ja dann nach dem Tode die Eltern, die sich in einem andern Himmel befinden, nicht Wiedersehen würden, aber die geistige Atmosphäre, in der die Kinder so viele Jahre leben, bleibt nicht ohne Wirkung, und neun von zehn nehmen doch den christlichen Glauben an.
»Ich bin katholisch,« antwortete sie nicht ohne einen Anflug von Stolz, »und in der Schule nannte man mich Mary. Aber in der Reserve ...« Sie brach ab, und erst nach einer Weile fügte sie leiser hinzu: »Sie sind furchtbar böse auf mich - und wollten den Christengott wieder aus mir austreiben.«
»Well, Minnehaha,« sagte ich, und ich weiß nicht recht, warum ich den indianischen Namen gebrauchte, »das wirst du mir alles dann erzählen und auch wie du in diesem Blizzard - hör nur, wie es weht - hierhergekommen bist. Aber erst wollen wir etwas Kaffee machen, und du wirst wohl auch hungrig sein. Versuch eine Viertelstunde zu schlafen, dann werde ich alles fertig haben.«
Ich schürte das Feuer an, hing einen Kessel mit frischem Schnee gefüllt darüber und traf alle Vorbereitungen zu einer herzhaften Mahlzeit für meinen Schützling.
Die Augen der jungen Indianerin folgten jeder meiner Bewegungen, aber sie sprach kein Wort. Erst, als ich ihr den dampfenden Kaffee reichte und sie den frisch-duftenden Trank zu schlürfen begonnen hatte, wobei der Bann der Kälte, der ihren Körper umfangen hatte, sich in einigen wohligen Schauern auflöste, sagte sie: »Das ist gut.«
Sie aß dann von dem gebratenen Speck, den Kartoffeln und dem Biskuit mit dem gesunden Appetit der Jugend, der durch einige überschlagene Mahlzeiten...