Schweitzer Fachinformationen
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Inmitten von dichten silbrigen Halmen, die über das Ufer bis ins Meer hinein wuchsen, lag, die Glieder weit von sich gestreckt, ein Mensch. Er hatte die Lider geschlossen. Er lächelte. Die Luft roch nach Salz und Pinien. Am Himmel zogen Adler ihre Kreise, am Boden liefen Sterntaucher ihre Bahnen. Der Einzige, der mit Gewissheit hätte Auskunft darüber geben können, ob der Mensch inmitten der Halme wach war oder schlief, war der Mensch selbst. Er lag als stilles, leichtes Kreuz, im Schatten der Bäume, durch deren Geäst man die Wolken sah, und wenn der Wind in sie fuhr, fiel schütteres Laub auf ihn. Erst als die Sonne unterging, schlug er die Augen auf, trat aus dem Schatten und fing zu beten an.
Der Mensch, der im Licht der untergehenden Sonne sein Tagwerk begann, war George. George waren Sonne und Mond heilig, und am liebsten betete er zu ihnen, wenn die Sterne aus dem nachtblauen Tuch der Nacht hervorgekrochen kamen. Er betete, indem er die Hände gen Himmel reckte, mit der Stirn den Boden berührte und eine Geschichte, die er »Fata« nannte, hinauf zu den großen Lichtern sang. George liebte die Sonne genauso wie den Mond, doch hatte er auch gelernt, die Sonne zu fürchten, und so waren alle frei liegenden Körperteile vom Hals abwärts mit einfachem Tuch umwickelt. Darüber trug er einen grauen Rock, dessen einstige Form sich nur noch schwer erraten ließ. Den Kopf bedeckte ein Fell, das er wie zu einem Turban flocht. Es hatte einmal einem weißen Tier gehört.
Am anderen Morgen stand George auf dem Marktplatz eines schottischen Küstenortes. Die zahnlosen Kinder des Dorfes jagten ihn, was häufig geschah, wenn er irgendwo auftauchte, bei seinem morgendlichen Gebet über den Platz und versuchten, ihm den Schutz über die Ohren zu ziehen. George flüchtete auf einen hohen Felsen. Dort saß er eine Weile, in völliger Reglosigkeit, doch mit einem zum Schuss gespannten Körper, um dann jäh in die Tiefe zu schnellen und schließlich mit einem Bündel glänzender Fische unter dem Arm auf den Marktplatz zurückzukehren.
Das Wasser aus seinem Rock auswringend, schlug George die noch zuckenden Tiere gegen den Stein. Einem Barsch biss er den Kopf ab. Er kaute den Bissen und schluckte einen Teil hinunter, die andere Hälfte ließ er in seinem Brotbeutel verschwinden. Dann zog er aus seinem Seesack beschriebene Blätter hervor und begann, die übrigen Fische darin einzuwickeln. Die Umstehenden standen still, nur das Muschelband um Georges Handgelenk raschelte.
Wer er sei, fragte ein Mann, der nur noch einen einzigen vorderen Zahn in seinem Mund vorzuweisen hatte.
Woher er komme, fragte ein anderer, dessen Gesicht kein Lächeln zu kennen schien.
George aber hätte nicht einmal zu sagen gewusst, ob er sich an einer französischen oder an einer schottischen Küste befand.
Fischmann!, Seemann!, kreischten die Kinder und zeigten mit schmutzschwarzen Fingern auf Georges tropfende Silhouette.
George stand da und blickte in die neugierigen Gesichter. Wer er war, hätte er nicht sagen können. Seine Vergangenheit lag im Dunkeln, wie ein mattglänzender Spiegel erschien ihm sein Gedächtnis bisweilen. Einzig seine Tage waren klar wie die Silberlinge, die er am Abend in Essig sauber kochte. Er streifte die Küsten entlang und verweilte, wenn Form und Anzahl der Fische ihm behagten.
Der Einzahnige, der ihn eben noch spöttisch belächelt hatte, verstummte, als George, der den ersten Fisch des Tages, eine schlanke, hochmütige Dorade, zum Verkauf in die Höhe hielt, mit summender Stimme zu fabulieren begann. Der Mann starrte verwundert auf das Blatt, in das die Dorade dabei eingewickelt wurde.
Mitten in seine Fata hinein streckte sich George eine Hand aus sonderbar weißem Fleisch entgegen. Von den Fingern der Hand wuchsen bunte Steine, die an glänzenden Ringen steckten. Die Hand war eine Hand aus Eisen, über die ein weißer Handschuh gezogen war.
Als George aufsah, blendeten ihn zwei kleine Augen, die im Gesicht eines alten Mannes hockten. George zog die Nase kraus und schnüffelte. Der Mann verströmte den Duft von Myrrhe.
Der Fisch hing, nicht mehr George und noch nicht dem Käufer gehörend, schwankend in der Luft. Und in der Luft hing auch Georges, mit schuppigem Tuch umwickelte Hand mit dem Muschelband, leise raschelnd wartete sie auf die Münzen.
Es hatte ein dumpfes Raunen unter den Bewohnern gegeben, als der Bischof von Innes aus der Kutsche gestiegen war. Die Leute des Küstenstriches fürchteten den Mann, von dem man sich hinter vorgehaltener Hand zuflüsterte, dass er den Einfällen der Inquisition nicht so abgeneigt war wie die Landeskirche, der er neuerdings diente. Er war in den Aufstand um die katholischen Stuarts und Bonnie Prince Charlie verwickelt gewesen, war aber dann zum Glauben der britischen Krone hinübergewechselt.
George summte nichts ahnend seine Fata zu Ende, verbeugte sich, zeichnete den Umriss einer Münze in die Luft und überreichte dem Einzahnigen schnell seine Dorade.
Dann trat er heran, um die andere Hand des Bischofs zu bestaunen. In ihr floss gewöhnliches Blut, aber auch sie war mit einem edlen Handschuh bekleidet. George deutete auf sein schuppiges Tuch, das bis zu den Fingerspitzen reichte.
Weiße Hände wie diese, sagte er und hielt einen Fisch in die Luft, hätte er gern, doch müsse man arg viele Fische dafür hergeben.
Der Bischof sah George mit zusammengekniffenen Augen an, dann griff er nach dem oberen Ende des ihm dargebotenen Makrelenpäckchens und schüttelte es, bis sich das Blatt aufrollte und der Fisch zurück in Georges Hände fiel. Der Bischof starrte auf das ölige Blatt. Es war dicht beschrieben mit einer Fata. Die meisten konnten das Geschriebene, das George aus seinem Seesack zog, nicht lesen, geschweige denn verstehen, doch gaben sie ihm bereitwillig ihre Münzen, denn sie freuten sich über die wundersame Zugabe mit dem zarten, überaus schön anzusehenden Muster.
George verwendete alles, was ihm auf seinen Wanderungen begegnete. Er schrieb auf getrocknete Palmblätter, auf dünne Holzscheite, auf Leinentücher. Das Kostbarste, was George besaß, war eine granitene Mine.
Die Makrele des Bischofs war eingewickelt in eine Erzählung von Adam, der unter dem Baum im Garten Eden saß. Eva sang ihm aus einem Folianten vor, während sich eine zierliche Schlange träge und zutraulich um ihrer beider Fesseln rollte.
Den Heilbutt, den er daraufhin verlangte, erhielt der Bischof zusammen mit einer dramatischen Schilderung über eine Stadt, in der bunt glänzende Schriftzeichen von den Dächern leuchteten.
Die Dorfbewohner lauschten Georges Stimme, die immer wieder unverhofft hinüberwechselte in ein langsames ehrwürdiges Latein, das an Sonntagen von den prächtigen Kanzeln der Kirchenmänner auf sie herabregnete. Während George sprach, zeichnete seine Hand mit anmutigen Bewegungen Gestalten in die Luft. Und wie er da stand und fabulierte, erschien der sonderbare Mensch in dem abgetragenen Rock den Bewohnern des Dorfes von unerhörter Schönheit. Sie klatschten und warfen die Hände empor, als George zum Abschied einen eleganten Kopfstand darbot. Die Dorfkinder hüpften um ihn herum, und das Klatschen hörte erst auf, als die Kinder es ihm nachtaten, ihre Körper den Kampf gegen die Schwerkraft verloren und Kopf auf Stein und Stein auf Kopf aufschlugen.
Die Sonne hing als stille Scheibe über dem Hafenbecken. Der Bischof schnüffelte an den Blättern.
Obwohl das Geschriebene dem Bischof sprunghaft, unvollständig und allzu farbenfroh erschien, war es doch schön und fromm gepredigt. Einen solch famosen Schreiber konnte er brauchen, denn wann immer er selbst seine Predigten verfasste, sträubte sich die Schrift sonderbar unter seiner Hand. Wenn er auf die Kanzel trat, um die mühsam gefertigten Zeilen aufzusagen, klangen ihm die Worte dumpf und falsch. Vielleicht hielten sich seine Schäfchen deshalb zunehmend fern. Er schüttelte sich bei dem Gedanken an die wenigen und dazu fauligen, stinkenden Gesichter, die ihm sündig aus dem Kirchenschiff entgegenschielten.
Der Bischof tippelte sich mit dem steifen Zeigefinger gegen die Lippen und merkte, wie die Vorstellung, George bei sich aufzunehmen, sein haariges Herz erhitzte.
Er steckte die Makrele und den Heilbutt in seine Rocktaschen und winkte den Jungen zu sich heran.
George schob das schützende Fell ein Stück über seine Ohren, beugte sich vor und sog dabei den Duft der Myrrhe ein.
Eine warme Mahlzeit, ein warmes Bett, Dach über dem Kopf. Dies alles erhalte er, wenn er nur mit ihm käme, um fortan das Schreiben der bischöflichen Predigten zu übernehmen.
Die warme Mahlzeit, sagte George mit einem freundlichen Nicken, könne auch kalt sein, das Bett sei nicht vonnöten. Aber ein kleines Dach über dem Kopf, eines, das man überall mit hinnehmen könne, freue ihn sehr.
Unter den neugierigen Augen der Dorfbewohner packte George seine Fische zusammen, schnürte den Seesack und bestieg, während die Kinder ihm auf schmutzschwarzen Fingern hinterherpfiffen, die bischöfliche Kutsche.
Sie fuhren über Wege und Straßen, Klippen und Kornfelder wechselten einander ab, und überall glaubte sich George vom Duft des Meeres begleitet.
Als die Kutsche am Abend ein abgelegenes Dorf erreichte und vor dem bischöflichen Anwesen hielt, reckte George augenblicklich die Arme in die Luft und warf sich nieder, um, wie es seine Gewohnheit war, der im Meer untergehenden Sonne die Ehre zu bezeugen. Erstaunt sah er sich um. Ein Wasser war hier nirgendwo zu sehen.
Der Bischof führte ihn auf geradem Weg in seine...
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