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Für junge Leute, die der oberen sozialen Schicht angehörten, war vom 1. Jh. v. Chr. bis zum Ende der römischen Kaiserzeit innerhalb der schulischen Ausbildung der Grammatik- und Rhetorikunterricht die häufigste in den Institutionen verankerte Bildungsform, die sich nach dem Besuch der Elementarschule anbot.50 Marrou schreibt dazu, dass "in diesem langen Zeitraum [..] die römische Gesellschaft und deren Lebensweise, Bedürfnisse, Geschmack, Literaturbetrieb tiefgreifende Veränderungen erfahren" hätten, jedoch auch, dass bei Betrachtung der römischen Bildungskonzeption im Allgemeinen eine Beständigkeit zu verzeichnen sei. Daher sei es auch möglich einen typischen Ausbildungsverlauf zu skizzieren.51 Ward sagt über das griechisch-römische Konstrukt der Rhetorik: "No systematic theoretical presentation of persuasive language practice has ever been so comprehensive, so minutely articulated, or so phenomenally influential over such a long period of time as the Greco-Roman rhetorical system."52
Im Elementarschulbereich lehrte der magister ludi die Kinder das Lesen und Schreiben sowie Rechnen. In Form eines Propädeutikums konnten die Schüler daraufhin beim grammaticus eine theoretische Rhetorikvorausbildung besuchen, wo ihnen die Regeln für das richtige Sprechen vermittelt (ars recte dicendi)53 und die klassischen Dichter erläutert wurden (enarratio poetarum).5455 Als letzte Instanz konnten sie sich schließlich vom rhetor in die Kunst der Rede einführen lassen, die ihnen in der Politik oder im Rechtswesen karrieretechnisch nützlich sein konnte. Auch zur Lebenszeit von Augustinus war dieser Weg der schulischen Ausbildung noch deutlich institutionell verankert.56 Der Kirchenvater deutet selbst -jedoch auf kritische Weise- in seinen "confessiones" vielerorts an, dass er diesen Schulweg gehen musste.57
Die Auseinandersetzung mit den klassischen Dichtern beim grammaticus vollzog sich seit Varro in vier Phasen: Lectio, emendatio, enarratio und iudicium.58 Die Lectio beinhaltete, dass der Rezipient sich genau mit jedem einzelnen Wort eines Textes auseinander setzte und diesen dann in richtiger Betonung laut vorlesen konnte. Die emendatio meinte die Abschrift eines Textes, in die Korrekturen eingefügt werden sollten- eine Verbesserung der Vorlage sollte dahingegen nicht passieren. Während der enarratio wurden Eigentümlichkeiten der rhetorischen und literarischen Form festgehalten und der entsprechende Text interpretiert. Das iudicium schließlich meinte die Beurteilung der ästhetischen Qualität des Textes. Auch wurde in diesem Arbeitsschritt der moralische und philosophische Wert der Vorlage betrachtet. Inhaltlich relevante Wissensgebiete wie wir sie heute als Schulfächer kennen bot der grammaticus den Schülern mittels Sachkommentaren -u.a. zum Thema Biologie, Geographie usw.59
Der Unterricht vom rhetor umfasste die praktische und theoretische Einführung in die Beredsamkeit. Die rhetorische Technik (ars) enthielt einmal die unterschiedlichen Gattungen der Rede (genera causarum) und dann die Arbeitsschritte des Rhetorikers (officia oratoris) wie die inventio (das Auffinden des Stoffes), die dispositio (Anordnung des Stoffes), die elocutio (die Ausformulierung), die memoria (das Einprägen der Rede) und zuletzt die pronuntiatio (das Halten der Rede). Für die Analyse von Augustinus' Haltung gegenüber der Rhetorik wird in späteren Kapiteln dieser Arbeit vor allem die elocutio von zentraler Bedeutung sein. Sie betrifft die Unterscheidung der drei Stilarten, wie Augustinus sie vor allem im vierten Buch von "De doctrina christiana" in Bezug auf die Konzeption einer Predigt formuliert, in den schlichten Stil (genus tenue), welcher mittels sachlicher Argumentation (docere, probare) das Auditorium von einer Sache zu überzeugen (persuadere) oder zu belehren versucht, in den mittleren Stil (genus medium), welcher die Zuhörer mit leichtem Schmuck wohlwollend zu stimmen und zu erfreuen (delectare, conciliare) sucht und schließlich in den erhabenen/pathetischen Stil (genus grande/sublime), welcher die Affekte des Publikums erregen will (movere, perturbare, flectere).60
Neben der Korrektheit der Sprache (puritas, latinitas), die die Schüler bereits vom grammaticus gelernt haben, war die Qualität ein bedeutendes Kriterium bei der Erstellung einer Rede: Die Klarheit (perspicuitas) des Vortrages war ebenso wichtig wie die Anpassung des Stoffes und der Ausführung an den Hörerkreis und auch an die eigenen Fähigkeiten, sodass von einer Angemessenheit (aptum) gesprochen werden konnte.
Wurden beim Grammatiklehrer noch klassische Dichter studiert, so verlangte der Rhetor die Beschäftigung mit als anerkannt geltenden Vorbildern (imitatio). Teilweise wurden Partien von den Musterrednern auswendig gelernt. Obwohl Cicero u.a. zu den Vorbildern zählte, wurde er dennoch nur unter dem sprachlich-stilistischem Gesichtspunkt betrachtet innerhalb der Rhetorikausbildung. Die Beschäftigung mit der Philosophie war nicht unbedingt üblich und nur im geringen Maße, falls dies doch der Fall war. In den "confessiones" kritisiert Augustinus, dass der philosophische Aspekt komplett unterging, als in seiner Zeit Ciceros "Hortensius" so oberflächlich behandelt worden sei.61 In den "confessiones" 4,16,30 sagt er, dass er sich demgemäß autodidaktisch die Abhandlungen der Freien Künste angeeignet habe:
"Et quid mihi proderat, quod omnes libros artium, quas liberales vocant, tunc nequissimus malarum cupiditatum servus per me ipsum legi et intellexi, quoscumque legere potui?"
Während seit dem Ende der Republik ein zweisprachiger Unterricht auf Latein und Griechisch durchaus üblich war und sich so auch noch im 2. Jh. n. Chr. im westlichen Reich zeigte, nahm die Qualität und Quantität im 3. Jh. n. Chr. deutlich ab.62 Es wundert also nicht, dass Augustinus in den "confessiones" schreibt: "Ich glaube, es geht den griechischen Kindern mit Vergil genauso, wenn sie gezwungen werden, ihn zu lernen wie ich den Homer. Offenbar goss die Schwierigkeit, eine fremde Sprache von Grund auf zu lernen, Galle über die griechischen Reize..."63 Dennoch formuliert er für den christlichen Exegeten die Forderung, die Originalsprachen zu beherrschen wie Altgriechisch und Althebräisch.64 Er selbst kann sein eigens aufgestelltes Kriterium allerdings nicht erfüllen.
Die Bedeutung, die die eben vorgestellte Ausbildung hinsichtlich der gesellschaftlichen Verhältnisse hatte, hat Torsten Krämer kurz und bündig zusammengefasst: Sie ermöglichte eine distinktive Identität, die den Könner in einen ausgewählten Kreis Gebildeter heben konnte. Damit war sie auch ein geeignetes Werkzeug, um sich auf dem politischen oder juristischen Spielfeld einen Namen zu machen und andere von sich selbst zu überzeugen. Auch Augustinus, der sich in der Zeit seiner Ausbildung als äußerst talentiert erwiesen haben soll, konnte durch die richtige Anwendung seiner Redekunst die Stelle als Rhetorikprofessor am Mailänder Hof erlangen. Hierfür sei -laut Quellen- im Bewerbungsverfahren um die Stelle ein Probevortrag vor dem Stadtpräfekten Symmachus notwendig gewesen, der bei jenem gut angekommen sein soll:
"Itaque posteaquam missum est a Mediolanio Romam ad praefectum urbis, ut illi civitati rhetoricae magister provideretur impertita etiam evectione publica, ego ipse ambivi per eos ipsos Manichaeis vanitatibus ebrios.ut dictione proposita me probatum praefectus tunc Symmachus mitteret."65
49 Augustinus, Contra Academicos, 3,43.
50 H. I. Marrou, Augustinus und das Ende der antiken Bildung, S.4.
51 Eadem, ibidem , S.5.
52 J. O. Ward, Roman Rhetoric and it's afterlife, in: A companion to Roman Rhetoric, S.354.
53 Inhalte waren vor allem die Phonologie und Morphologie. Die Syntax wurde nur rudimentär unterrichtet. Außerdem gab es die Suche und Erforschung der sog. vitia der Dichter, d.h. es wurden gezielt Sprachfehler klassischer Dichter wie z.B. Barbarismen betrachtet -zum einen, um gegebenenfalls eigene Fehltritte zu vermeiden, zum anderen, um im Sinne einer künstlerischen Gestaltung der eigenen Rede Legitimation für bewusste Fehlernutzung zu haben. Auch Augustinus geht in "De doctrina christiana" entsprechend derselben Bildungslaufbahn so vor und sucht vitia. Für Näheres zu den Inhalten der grammatischen Unterweisungen siehe H. I. Marrou, Ende der antiken Bildung, S. 11-13.
54 Die Auswahl der Autoren orientierte sich...
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