Schweitzer Fachinformationen
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Herbst 2018 bis Frühjahr 2019, Deutschland/Bremen
Molin
Das Hämmern an meiner Zimmertür erinnert mich extrem an die Disco-Bässe von gestern Abend. Ich blinzele kurz, blicke zum Fenster, sehe das graue Bremer Regenwetter und ziehe mir die Bettdecke über den Kopf.
»Bäm . bäm . bäm«, dröhnt es in meinem Kopf.
»Molin, aufstehen, es ist halb zwölf!«, höre ich die Stimme meines Vaters, die noch durchdringender ist als sein Klopfen. Wie immer, wenn er mich um diese Uhrzeit weckt, schwingt dieser genervte und ungeduldige Unterton mit: »Na los, du kannst doch nicht dein ganzes Leben vergammeln!«
Mein ganzes Leben. Was soll denn das jetzt heißen? Ich bin doch gerade erst mit der Schule fertig geworden, habe mein Abi in der Tasche, da hab ich mir doch wohl etwas Erholung und Entspannung und ein paar ausgelassene Partys verdient.
»Ja gleich!« Ich bin ebenfalls genervt, berechtigterweise, immerhin bin ich vor ein paar Monaten achtzehn geworden, Papa hat also genau genommen überhaupt kein Recht, mich so herumzukommandieren.
»Jetzt!«
»Moment noch .« Mein ganzes Leben. Übertreibt er da nicht ein bisschen? Und was meint er überhaupt? Die letzten Wochen, in denen ich endlich mal chillen konnte? Oder meine Zukunft? Ich habe keinen blassen Schimmer, wie die aussehen soll, und will auch nicht darüber nachdenken. Das wird sich schon finden. Einige meiner Freundinnen haben sich zwar schon an der Uni eingeschrieben, ein paar andere wollen eine Asienreise machen, aber das klingt mir alles viel zu anstrengend. Ich hab eigentlich zu nichts so richtig Lust, außer mit meinen Freundinnen Party zu machen und mit meinem Freund abzuhängen - obwohl unsere Beziehung im Moment eher suboptimal läuft. Die Wahrheit ist, ich habe keinen Plan.
»Komm in die Gänge, Molin, los, ich hab 'ne Idee!« Papa lässt einfach nicht locker, und so quäle ich mich aus dem Bett, schleppe mich ins Bad und betrachte mein zerknautschtes Katergesicht im Spiegel. Ich seufze und tue mir jetzt schon leid - wenn Papa eine Idee hat, artet das meistens in Arbeit aus.
»Was hältst du davon, wenn wir zusammen eine Fernreise unternehmen? Ganz weit weg . einen Roadtrip, mit einem Land Rover und Dachzelt oder so was in der Art?«, fragt Papa eine halbe Stunde später, als wir zusammen in der Küche sitzen, ich zum Frühstück, er zum Mittagessen. Da meine Eltern getrennt leben, gibt es hier nur uns zwei: Meine jüngere Schwester Lotta ist bei meiner Mutter geblieben, während ich mit meinem Vater zusammenwohne.
»Wie bitte?« Ich blicke von meiner Müslischüssel hoch und denke, dass ich mich verhört haben muss. »Was hast du gesagt?« Eigentlich bin ich mit meinen Gedanken gerade woanders, bei meinem Freund nämlich, mit dem ich mich gestern heftig gestritten habe. Ich überlege, wie es mit uns weitergehen soll.
Also was war das denn da gerade eben, hat Papa wirklich einen gemeinsamen Urlaub vorgeschlagen? Hält er mich für ein Baby? Als meine Schwester und ich noch klein waren, standen Familienreisen ans Mittelmeer nämlich regelmäßig auf dem Sommerprogramm.
Ich sehe nach draußen in den trüben Himmel und stelle mir die Reaktion meiner Freundinnen vor, wenn ich ihnen erzählen würde, dass ich mit meinem Vater in Urlaub fahre, und dann auch noch zum Campen: Oh Gott, wie uncool ist das denn! Nicht für eine Million würde ich mit meinem Vater wegfahren!
»Ich dachte an Südafrika«, sagt mein Vater, »Mosambik, Simbabwe, Sambia vielleicht - und Namibia .«
»Oh!«
»Wär' das nicht was?«
Ich verschlucke mich an meinem Müsli und bekomme einen Hustenanfall. »Weiß nicht .«, keuche ich, während mein Vater mir auf den Rücken klopft.
»Alles okay?«
»Ja!« Ich muss erst mal verdauen, was ich da gehört habe, mein Gehirn muss es verarbeiten, das geht nicht so schnell. Afrika! Ich versuche, mir das vorzustellen .
»Wir könnten zusammen 'ne richtig tolle Zeit haben«, sagt mein Vater, und jetzt hört er sich an wie ein Motivationscoach.
»Hm, ja vielleicht .«, sage ich zögerlich. Ich finde die Idee eigentlich gar nicht so uncool. Im Gegenteil: Sie triggert etwas in meinem Inneren, ruft dort eine seltsam aufgeregte Freude hervor, eine unbestimmte Sehnsucht - wie einen alten, halbvergessenen und dennoch vertrauten Kindheitstraum. Ich denke an mein altes Kuscheltier, Matata den Plüschlöwen, an die tollen Afrikafotobände, die ich früher bei meinem Opa so gerne angeschaut habe, denke an fremde ferne Länder, und mein Herz macht einen Sprung. Meine Neugier ist geweckt! Und während ich auf die Regentropfen starre, die draußen an der Scheibe grau in grau hinunterlaufen, kann ich nicht anders, als meine Gedanken in sonnige orangefarbene Weiten abdriften zu lassen - ich sehe endlose Savannen vor mir, krasse Sonnenuntergänge und spannende Safaris durchs Löwen- und Elefantenland.
»Du müsstest dir aber das Geld für den Trip selbst verdienen, die Flugkosten, Impfgebühren .«
»Hä?« Echt jetzt? Das ist doch wohl nicht sein Ernst. Und die Impfungen . klar, die braucht man wohl, wenn man sich in Afrika nicht irgendwas einfangen will.
»Welche Impfungen denn?«
»Tollwut, Cholera, außerdem Malariaprophylaxe .«
Mann, klingt das verlockend. Ich hab wirklich überhaupt keinen Bock auf so was, aber jetzt habe ich schon »vielleicht« gesagt, da kann ich ja wohl schlecht einen Rückzieher machen. Und eigentlich will ich das auch gar nicht. Das aufgeregte Kribbeln in mir wird stärker. Ich werde es irgendwie schaffen, das Geld zusammenzukriegen, locker - Papa wird schon sehen.
»Okay!« Ich nicke entschlossen.
Hauke
Jetzt bin ich überrascht. Ich hatte zwar gehofft, dass Molin zustimmen würde, aber so ganz traue ich ihrem schnellen Einverständnis nun doch nicht. Seit meine Tochter vor zwei Jahren zu mir gezogen ist, gibt es immer wieder diese alterstypischen Reibereien. Auch wenn sie mittlerweile volljährig ist, bin ich schließlich nach wie vor ihr Vater, und als solcher will ich ihr natürlich mit gut gemeintem Rat und unterstützender Tat zur Seite stehen - obwohl ich vielleicht hin und wieder übers Ziel hinausschieße.
»Lass mich in Ruhe. Das geht dich nichts an!«, ist eine von Molins Standardantworten, und zumindest manchmal hat sie recht - in ihre Beziehungsgeschichten jedenfalls mische ich mich nicht mehr ein, obwohl ich spüre, dass es derzeit nicht gut läuft mit ihrem Freund. Vielleicht ist das ja ein Grund für ihre miese Laune und die fehlende Motivation, irgendetwas anzufangen. Vielleicht ist es aber auch einfach diese besondere Lebensphase voller Ungewissheiten und Zukunftsängste, die ihr Sorgen bereitet und sie bedrückt.
»Ich war noch ein gutes Stück jünger, als ich zum ersten Mal mit meinem Vater auf große Reise ging .«, versuche ich mit ihr ins Gespräch zu kommen.
»Ich weiß.«
»Und das Reisen kann dich vieles lehren, es kann dir Dinge zeigen, dir Begegnungen verschaffen, vielleicht sogar eine Richtung weisen, wo vorher keine war.«
»Also eigentlich hab ich im Moment genug Begegnungen .«
»Bei mir jedenfalls war es so.« Ich lasse mich nicht beirren und beobachte, wie Molin den Rest ihres Müslis aus der Schüssel trinkt. »Mich hat das Unterwegssein immer wieder aufs Neue weitergebracht, es hat mich selbstsicherer gemacht und mich letztendlich sogar dazu bewogen, Reisefotograf zu werden!«
»Schon gut, ich hab verstanden! Ich komm ja mit, hab ich doch schon gesagt!«, grummelt Molin und verdreht die Augen. Dann erhebt sie sich schwerfällig vom Tisch.
»Super!« Ich kann mir ein Grinsen und eine letzte Bemerkung nicht verkneifen: »Wie wär's, wenn du deine freie Zeit nutzt, um ein wenig über Afrika zu lesen, dich zu informieren, herauszufinden, was du dort tun und sehen willst?«
»Mhm .« Und schon tippt meine Tochter wieder auf ihrem Handy herum, und ich bin mir sicher, dass sie keine Afrika-Recherche betreibt. »Muss erst mal meinen Freundinnen davon erzählen«, nuschelt sie und schlurft ohne ein weiteres Wort zur Tür hinaus.
Trotz - oder vielleicht wegen - dieser Holprigkeiten habe ich das...
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