Schweitzer Fachinformationen
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»Ich kenne Sie«, sagte der Mann, der 48 Stunden zuvor seine Frau erschlagen hatte.
»Ach ja?«, fragte Lohmann, nahm gegenüber dem Tatverdächtigen Platz, legte einen hellgrünen Aktenordner vor sich auf den Tisch, klappte ihn auf, rückte mit dem Stuhl ein Stück näher und schaltete das digitale Aufnahmegerät an. »Donnerstag, 22. September. Es ist 10 Uhr. Vernehmung des Beschuldigten Helmut Wohberg im Tötungsverfahren Sibylle Wohberg. Anwesend sind der Beschuldigte selbst, Polizeiobermeister Günther Quambusch und Hauptkommissar Jürgen Lohmann, Kommissariat 11.«
»Aus der Oper«, sagte Wohberg und nahm die gefesselten Hände vom Tisch. »Sie sitzen doch immer im zweiten Rang links, Herr Hauptkommissar. Vor drei Wochen erst. Ich habe auch ein Abonnement, Wochentagsanrecht, wissen Sie? Man spart 30 Prozent vom üblichen Kartenpreis. Leider nur dritter Rang, aber der Klang ist immer noch sehr gut.«
Lohmann beschloss, sich auf das Geplänkel einzulassen, obwohl die Aufnahme bereits lief. »Puccini ist ja nicht jedermanns Sache«, sagte er.
»>Tosca< würde ich mir jedoch niemals entgehen lassen, Herr Hauptkommissar«, sagte Wohberg. Er lächelte. »Wobei Bernd Mandel sicherlich ein guter Cavaradossi ist, aber definitiv kein zweiter Placido Domingo oder Luciano Pavarotti.«
Ausgerechnet ein Opernfan, dachte Lohmann. Er warf einen Blick auf das Blatt des Erkennungsdienstes in der Akte. Helmut Wohberg, wohnhaft im Dresdner Stadtteil Löbtau, Deubener Straße, Jahrgang 1965, geboren in Erfurt, verheiratet - nein, jüngst verwitwet, um genau zu sein; keine Kinder, Musiklehrer und Chorleiter am Robert-Koch-Gymnasium. Und mit ziemlicher Sicherheit jetzt ein Totschläger. Als Tatwaffe hatte man eine Beethoven-Büste aus Bronze sichergestellt, 850 Gramm schwer. Die Fingerabdrücke darauf stammten eindeutig vom Tatverdächtigen.
»Was Domingo und Pavarotti betrifft, stimme ich Ihnen zu, Herr Wohberg«, sagte Lohmann und klappte die Akte zu. »Aber ich glaube nicht, dass es zurzeit außer Mandel einem anderen Tenor gelingen würde, die Gestalt des Cavaradossi so überzeugend zum Ausdruck zu bringen, darstellerisch wie auch stimmlich.«
»Und was ist mit Marcelo Álvarez? Oder José Cura?«, warf Wohberg ein.
»Aber nein! Mandel ist ganz klar die bessere Besetzung. Doch was ich Sie eigentlich fragen wollte, Herr Wohberg .« Lohmann machte eine Pause »Warum?«
»Sie haben doch meine Aussage bestimmt schon gelesen, Herr Hauptkommissar«, entgegnete Wohberg und kratzte sich an seinem ergrauten runden Kinnbart.
Typisches Lehrergestrüpp, fand Lohmann. Er selbst hatte nur ein einziges Mal versucht, sich einen Bart wachsen zu lassen. Vor zwei Jahren, im Urlaub, aber Angela hatte nach den drei herrlichen Wochen in der Toskana gemeint: »Jürgen, das steht dir gar nicht. Ein Bart passt einfach nicht zu dir.«
Nicht an Angela denken. Nicht jetzt. Lohmann atmete tief durch, räusperte sich und versuchte, sich zu konzentrieren. Vielleicht würde das hier sein letzter Fall sein. Ein Fall, der praktisch aufgeklärt war. Im nächsten Frühjahr, nach seinem 58. Geburtstag, wollte er der Kripo Adieu sagen und in den Vorruhestand gehen. Depressionen, hin und wieder auch das Herz. Aber noch war die Sache nicht spruchreif. Wohberg unterbrach ihn in seinen Gedanken. »Ich habe alles aufgeschrieben, und ich wüsste wirklich nicht, was ich dem noch hinzufügen könnte.«
Er sprach vollkommen ruhig, in freundlichem, verbindlichem Ton. Eine Spur zu gelassen für jemanden, der seiner Frau den Schädel so zertrümmert hatte, dass man das Ergebnis an allen vier Wänden des Musikzimmers bis zur Decke hinauf sehen konnte.
Stephanie Walter, die neue Kommissaranwärterin, hatte sich beim Anblick der Leiche sofort übergeben und den Tatort kontaminiert. Brenner von der KTU war stinksauer gewesen.
»Um noch einmal auf >Tosca< zurückzukommen«, sagte Wohberg, »in der letzten großen Arie .«
»>E lucevan le stelle
». ja, fantastisch, nicht wahr? Wie sich der Mandel als Cavaradossi vor seiner Erschießung vom Leben verabschiedet und all seine Verzweiflung über den Abschied von seiner Geliebten hineingelegt hat!« Helmut Wohberg schloss träumerisch die Augen und wiegte seinen Kopf wie in Zeitlupe hin und her.
»Der Mandel, das wird einmal ein ganz Großer. Das hat man auch an der Reaktion des Publikums gemerkt«, sagte Lohmann und konnte nicht verhindern, dass Angela erneut vor seinem geistigen Auge auftauchte. Angela Spengler, Oberkommissarin im Kommissariat 13, Organisierte Kriminalität, und die sprichwörtliche Liebe seines Lebens. Sie war vor sieben Monaten während einer Observation an der Autobahnraststätte Elbaue von Unbekannten in einen Lieferwagen gezerrt und entführt worden. Seitdem fehlte von Angela Spengler jedes Lebenszeichen; die Entführer hatten sich nicht gemeldet.
Hinter der einseitig verspiegelten Scheibe wandte sich Stephanie Walter an Werner Schubert. Der bullige Oberkommissar galt schon seit Längerem als der designierte Nachfolger von Jürgen Lohmann. »Über was reden die beiden da?«
Schubert verzog den Mund zu einem dünnen Lächeln. »Das ist so Lohmanns Art. Er folgt keiner klassischen Verhörtaktik. Meistens versucht er, sich einem Tatverdächtigen erst einmal zu nähern. Er wickelt ihn ein, zieht ihn auf seine Seite. Und der Erfolg spricht für ihn. Man sollte diese Plauderei nicht unterschätzen: Damit findet er überraschend schnell heraus, wo jemand eine Schwachstelle besitzt. Wer zuhören kann, Kollegin, liegt meistens vorn.« Schubert neigte zum Dozieren.
»Aber dieser Wohberg hat doch bereits alles zugegeben«, sagte Stephanie Walter verblüfft. Sie selbst hatte dem Musiklehrer in der Küche seiner Wohnung die Handschellen angelegt, und er hatte diese entwürdigende Prozedur beinahe reglos über sich ergehen lassen. Vor ihm auf dem Tisch hatte ein ordentlich zugeklebter Umschlag gelegen, adressiert an die »Sehr geehrten Beamten der Dresdner Kriminalpolizei«. Darin ein handgeschriebenes, siebenseitiges Geständnis, in dem er minutiös alle Gründe für die Tötung seiner Ehefrau Sibylle aufgezählt hatte.
Schubert war während der Lektüre zur Erkenntnis gelangt, dass er diese Frau vermutlich schon auf Seite zwei unten, spätestens aber auf Seite drei oben ebenfalls umgebracht hätte. »Wohberg hat nach der Tat selbst die Polizei gerufen und sich widerstandslos festnehmen lassen. Und er hatte bereits einen Koffer gepackt, für den Knast. Nach was sieht das für dich aus?«, fragte er.
»Er steht zu seiner Tat und ist bereit, dafür zu büßen«, sagte Stephanie Walter.
»Eben«, sagte Schubert, »und genau das wird später vor Gericht für Wohberg entscheidend sein.«
Drinnen im Verhörraum sagte Lohmann: »Ich würde Sie gern noch einmal fragen, Herr Wohberg: Warum? Warum diese ungeheure Wut?« Der Beschuldigte schwieg. »Sie machen auf mich eigentlich einen ausgeglichenen Eindruck.« Lohmann klappte den Ordner erneut auf und legte das erkennungsdienstliche Deckblatt zur Seite. Darunter befanden sich mehrere Dutzend Fotos vom Tatort. Er hatte nicht gefrühstückt, und das war auch besser so.
»Welchen Eindruck mache ich denn auf Sie?«, fragte Wohberg.
»Ruhig, sachlich, gelassen und entspannt. Sie wirken jetzt sogar fast ein wenig erleichtert. Doch was ist wirklich passiert, Herr Wohberg? Was ist da schiefgelaufen zwischen Ihnen und Ihrer Frau?« Natürlich hatte Lohmann das Geständnis des Musiklehrers gelesen. Aber er wollte es aus Wohbergs Mund hören.
»Also gut. Salopp ausgedrückt, denn ich will Ihre Zeit ja nicht unnötig beanspruchen: Meine Frau hat mir in >Nessun dorma< hineingequatscht.«
Lohmann rümpfte die Nase und sah den Tatverdächtigen scheel an.
Wohberg lächelte wieder. »Verrückt, was? Ich sollte den Müll rausbringen - aber sofort. Ich bin sicher, das war der Auslöser. Der berühmte Tropfen, wissen Sie? Ich habe meine Frau dann betont ruhig gefragt, ob der Müll nicht noch ein paar Minuten warten könne, woraufhin sie den Tonarm meines Plattenspielers aus seiner Halterung gerissen hat.«
Lohmann hörte interessiert zu.
»An das, was danach geschah, kann ich mich kaum mehr erinnern.«
Lohmann glaubte ihm nicht. »Na, kommen Sie, was haben Sie dann gemacht?«, fragte er.
»Ich bin aus meinem Sessel aufgestanden, habe nach dem Beethoven gegriffen .«
»Aufgestanden oder aufgesprungen?«
»Ich bin aufgestanden. Ganz normal. Wie fremdgesteuert, würde ich sagen.«
»Und die Büste stand wo?«
»Auf meinem Flügel. Das war wie ein Automatismus. Ich weiß noch, wie Sibylle mich angrinste und mir den abgebrochenen Tonarm triumphierend vor die Nase hielt. Aber dass ich ihr so vehement widersprechen würde, damit hat sie nicht gerechnet.«
Lohmann nickte. »Haben Sie noch etwas zu Ihrer Frau gesagt, bevor Sie zugeschlagen haben?«
»Nein. Aber sie hat gesagt, dass ich mich sowieso nicht trauen würde. Sie wollte mich auslachen, wie immer, aber dieses Mal kam sie nicht mehr dazu.« Wohberg seufzte. »Ich weiß übrigens nicht, wie oft ich zugeschlagen habe.«
»Der Gerichtsmediziner erwähnt in seinem Bericht insgesamt 17 Schläge, von denen mindestens sieben für sich allein tödlich gewesen wären«, sagte Lohmann. »Hat Ihre Frau sich nicht gewehrt?«
»Nein. Sie lag bereits nach dem ersten Schlag auf dem Boden und rührte sich nicht. Irgendwann bin ich wie aus einem Rausch aufgewacht und wusste...
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