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Ehe wir uns näher mit dem geheimnisvollen Fremden befassen, sollte ich Ihnen ein wenig mehr über Mr. Malik erzählen, und über Rose:
An beinahe jedem Dienstag seit nunmehr siebzehn Jahren, ob Regen oder Sonnenschein, fährt Rose Mbikwa pünktlich um halb acht mit ihrem Peugeot 504 Kombi vor dem Museum vor. Den Wagen hatte sie 1980 gekauft, dem Jahr, in dem das Modell zum dritten Mal in Folge die Internationale Ostafrika-Safari gewonnen hatte. Damals schien es ihr einfacher, ihren Sohn zur Schule zu fahren, als ihn auf den Schulbus warten zu lassen (Rose fuhr gerne und weigerte sich auch später noch, sich einen Fahrer zu nehmen, als sich die Lage verschlechterte). Außerdem konnte man frühmorgens mehr Vögel sehen, und sie hatte Vögel immer schon gemocht. Aber als Roses Ehemann zum ersten Mal verhaftet wurde, fand sie, es sei besser für ihren Sohn, woanders zu sein. Sie schickte ihn in ein Internat in der Nähe ihres Elternhauses gleich neben dem dreizehnten Loch des Golfplatzes in Morningside, Edinburgh, wo ihre Eltern auch heute noch lebten.
Haben Sie sich Rose als Schwarze vorgestellt? Nein, Rose ist weiß. Rose Macdonald (wie sie damals noch hieß), rothaarig und hellhäutig, war 1970 nach Kenia gekommen. Die Reise war als Urlaub geplant, ein Geschenk ihrer Eltern zum erfolgreichen Abschluss des Jurastudiums. Rose hatte eine glänzende Zukunft vor sich. Hatte sie sich nicht bereits eine gute Position in der Kanzlei Harrington, Harrington, McBrace und Harcourt gesichert? Wer weiß, meinte ihre Mutter, womöglich heiratete sie irgendwann einen der Partner? Als es an der Zeit war zurückzukehren, um das Diplom entgegenzunehmen und in der Kanzlei in unmittelbarer Nähe der Prince's Street anzufangen, hatte Rose ihre Zweifel bekommen an einem Leben, das sich um Strafdelikte und Eigentumsübertragungen drehte, und sie hatte sich verliebt. In das Land Kenia im Allgemeinen-und in einen seiner Bewohner im Besonderen. Trotz aller Stürme, die zeitgleich in Morningside und dem Muthaiga Club ausbrachen, wurden Rose und Joshua Mbikwa, der gerade seinen Doktor in Somatologie gemacht hatte, dessen Herz aber für die Politik schlug, am 16. Juli 1971 in der Kathedrale zur Heiligen Familie in Nairobi getraut. Im darauffolgenden Oktober wurde Joshua ins Parlament gewählt, und einen Monat später kam ihr Sohn Angus zur Welt. 1977 wurde Joshua Mbikwa wiedergewählt, 1985 das erste Mal verhaftet (nur eine Warnung, wie es hieß), und 1988 wurde er parlamentarischer Oppositionsführer. Im Dezember des nächsten Jahres wurde er zum zweiten Mal verhaftet, wegen Volksverhetzung angeklagt, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Und während Rose Tag und Nacht um die Freilassung ihres Mannes kämpfte, indem sie Briefe an jeden wichtigen Menschen schrieb, den sie kannte oder der ihr einfiel, fing sie außerdem an, die Pflanzen und Tiere in ihrer Umgebung zu beobachten. Sie hatte mit beidem Erfolg. Ihre Kampagne erzeugte in Kenia und über die Grenzen hinweg derartig großen Druck, dass Joshua Mbikwa freigelassen und freigesprochen wurde und seinen Sitz im Parlament zurückbekam, und Rose selbst war klargeworden, dass die afrikanischen Bülbüls und Weber sie genauso faszinierten wie früher schon die schottischen Amseln und Drosseln.
Als Joshua fünf Monate später bei einem ebenso tragischen wie mysteriösen Unfall mit dem Leichtflugzeug ums Leben kam, versicherte ihr der Präsident persönlich, dass er ebenso tief getroffen sei wie sie, und bestand darauf, sie möge sich direkt an ihn wenden, wenn er ihr bei der Rückkehr nach England in irgendeiner Weise behilflich sein könne. Rose Mbikwa, die Kenia inzwischen genauso glühend liebte, wie ihr Mann es geliebt hatte, und mehr über Pflanzen und Tiere und Politiker des Landes wusste als die meisten Menschen, die dort geboren waren, dankte ihm für seine Güte. Am nächsten Tag betrat sie das Büro der Ornithologischen Gesellschaft im Nairobi-Museum und wurde Mitglied. Sie bezahlte drei Jahresbeiträge im Voraus.
Als es Zeit wurde, die Mitgliedschaft zu verlängern, hatte Angus sein geliebtes Internat in Edinburgh verlassen, um an der Universität von St. Andrews Internationale Beziehungen (diese Vorstellung amüsierte sie beide) zu studieren, aber Rose lebte weiterhin im selben Haus in Serengeti Gardens, Hutton Rise, Nairobi. Und sie hatte einen Plan. Nur weil ihr geliebter Ehemann tot war, hieß das nicht, dass mit ihm auch seine Überzeugungen und sein Einsatz für ein besseres Kenia gestorben waren. Es wurde immer deutlicher, dass Kenia, von dem heftig wehenden Wind der globalen Veränderungen gebeutelt und in den verworrenen Netzen internationaler Korruption gefangen, Hilfe brauchte. Rose sah am Horizont ein einziges helles Licht aufscheinen, und das hatte nichts mit Recht und Gesetz zu tun. Es war der Tourismus. Was wollten die Menschen sehen, die nach Kenia kamen? Die Wildnis mit ihren Tieren und Pflanzen. Wer schulte die örtlichen Touristenführer darin, den Besuchern die Wildnis zu zeigen? Niemand. An diesem Punkt, fand Rose, könnte das Nairobi-Museum eingebunden werden. Mit dem Team von Kuratoren, den Sammlungen und Ausstellungen zu Pflanzen und Tieren, Land und Landschaft und den Bewohnern früher und heute böte das Museum den idealen Mittelpunkt für ein umfassendes, fundiertes Ausbildungsprogramm für Touristenführer.
Rose arbeitete hinter den Kulissen, sie recherchierte, beriet, überzeugte, plante. Natürlich gab es keinerlei Budget für ein derartiges Projekt, aber da ihr Sohn inzwischen mit der Ausbildung fertig war, investierte sie mit Freuden, was von ihrem bescheidenen Einkommen übrig blieb, um ihr Projekt voranzutreiben. Ihr Mann hätte das Gleiche getan, davon war sie überzeugt. Das Ausmaß ihres Erfolges trat zutage, als zu einem bestimmten Zeitpunkt der Tourismusminister und der Bildungsminister eine Pressekonferenz einberiefen, auf der sie das Ausbildungskonzept vorstellten, das Rose entwickelt hatte, wobei jeder der Minister davon überzeugt zu sein schien, dass die ganze Idee ihm allein zu verdanken war.
Rose übernahm die Stellung der Koordinatorin und Leiterin des Ausbildungsprogramms, eine Position, die sie heute noch innehat. Wenn Sie in Kenia auf Safari gehen, stehen die Chancen ziemlich gut, dass auch Ihr Führer dieses Ausbildungsprogramm durchlaufen hat-achten Sie am besten auf winzige Spuren eines schottischen Akzents. Roses Herz jedoch gehört immer noch den Vögeln, und als Honorardirektorin (Bereich Expeditionen) der Ornithologischen Gesellschaft nimmt sie sich auch heute noch jeden Dienstagvormittag frei, um die Vogelwanderung zu führen, so wie sie es die letzten sechzehn Jahre getan hat. Obwohl ihre roten Haare inzwischen fast weiß geworden sind, ist ihr Enthusiasmus noch immer ungebrochen, ihr Wissen unübertroffen und ihr Wagen ebenso alt und verbeult wie jeder andere Peugeot 504 in Afrika.
Mr. Malik ist, wie Sie vielleicht schon erraten haben, weder schwarz noch weiß. Er ist braun, einundsechzig Jahre alt, klein, rund und beinahe kahl. Die meisten Männer werden kahl. Man braucht nur ein X- und ein Y-Chromosom und muss außerdem lange genug leben, um irgendwann an den Punkt zu kommen, an dem die Haare dünn werden, zurückweichen oder einfach verschwinden, und die Tatsache, dass die Follikel, die den Schädel verlassen, offenbar früher oder später in Nase und Ohren zu neuer Kraft finden, ist gewöhnlich nur ein schwacher Trost. Deshalb steht jeder Mann irgendwann vor der Wahl: damit zu leben oder zurückzuschlagen.
Mr. Malik war gerade zweiunddreißig Jahre alt geworden, als ihm beim Besuch seines Friseurs in der Nkomo Avenue-den er regelmäßig alle vierzehn Tage zum Schneiden und Föhnen aufsuchte, und zwar schon seit den Zeiten, als die Nkomo Avenue noch King George Street hieß -, eröffnet wurde, dass «der Herr obenherum ein wenig schütter» würde. Für einen Mann, der stolz auf seine Lockenpracht war, waren dies wenig erbauliche Nachrichten. Sein Friseur erwähnte vorsichtig, es sei womöglich an der Zeit für einen neuen Schnitt.
Es muss gesagt werden, dass aus dem ästhetischen Blickwinkel einiges für diesen Vorschlag sprach. Die Brillantinetolle, die ein verwegener, junger Mr. Malik in den frühen Sechzigern einst aus London mit zurückgebracht hatte, mag ja damals den Kurzgeschorenen in seiner Heimatstadt Nairobi ein glückliches Seufzen entlockt haben, aber inzwischen schrieb man immerhin das Jahr 1976. Wollte man das Bild eines seriösen, erfolgreichen Geschäftsmannes vermitteln-und daran war Mr. Malik in der Tat gelegen -, so waren Brillantinetolle und zehn Zentimeter lange Koteletten inzwischen wahrscheinlich nicht mehr die beste Art und Weise, dies zu erreichen.
«Vielleicht etwas konventioneller, der Herr, konventionell, aber nicht altmodisch.»
Der Herr, der die Haarwäsche hinter sich hatte und soeben eine wohlige Kopfmassage genoss, war glücklich und freundlich gestimmt.
«Haben Sie etwas Bestimmtes im Sinn?»
Von einem Regal über dem Waschbecken zauberte der Friseur im Handumdrehen einen Prospekt hervor.
«An den Seiten vielleicht etwas weniger, hinten aber trotzdem kragenlang, könnte ich mir vorstellen», sagte er und blätterte in dem Prospekt. «Auch Koteletten, wenn der Herr darauf besteht, aber keinesfalls länger als zwei Zentimeter. So wie dies hier vielleicht?»
Er hielt seinem halb liegenden, in Tücher gehüllten Kunden das Heft unter die Nase. Bei dem Bild handelte es sich um die Werbeaufnahme des Hollywood-Schauspielers Rock Hudson für seinen neusten Film. Dem Halstuch und dem karierten Hemd nach zu urteilen, handelte es sich um einen...
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