Kapitel 1
Jackie würde zu spät zu ihrem Dinner mit Dan kommen. Außerdem hatte sie den Verdacht, dass heute ihr Sechs-Monate-Jubiläum war, und wünschte, sie hätte sich die Zeit genommen, im Kalender nachzuschauen. Aber im Laden war die Hölle los gewesen. Und Lech, der Ausfahrer, hatte wieder mal zwei Aufträge verwechselt und ein Rosenbouquet mit einer fröhlichen »Ich-liebe-Dich«-Karte an die Adresse einer Dame geliefert, die gestern gestorben war, während der Kranz bei einem jungen Paar landete, das, zum dritten Mal verabredet, in einem Restaurant zu Mittag aß. Jackie hatte dem Knaben daraufhin eine Abmahnung erteilt, was ihr zwar widerstrebte, aber was blieb ihr übrig? Flower Power begann gerade erst Gewinn abzuwerfen, und sie konnte sich solche Fehler einfach nicht leisten.
Vor Hektik schwitzend, wedelte sie sich mit der Hand Kühlung zu, während sie dahinhastete, so schnell es die neuen, roten Stiefel erlaubten. Oh, sie wusste, sie hätte sie nicht kaufen sollen. Rot stand ihr überhaupt nicht, und die Absätze waren viel zu hoch - in der Mittagspause hatte sie ein Windstoß beinahe umgeweht -, aber als sie sie im Schaufenster gesehen hatte, dachte sie, das waren genau die Schuhe, die eine tüchtige, sexy Karrierefrau tragen würde. Oder vielleicht auch ein Straßenmädchen.
Zweifelnd schaute sie auf ihre Füße hinunter - doch sie konnte mildernde Umstände geltend machen: Immerhin war sie noch eine Anfängerin, wuchs gerade erst in die Rolle der Unternehmerin hinein. Irgendwann würde ihre Garderobe zu ihr passen, da war sie ganz sicher. Die Kunden schienen sich jedenfalls nicht an ihrer Aufmachung zu stören. Sie wussten, dass sie, wenn sie einen Strauß bei ihr kauften, für sehr viel mehr bezahlten als nur für Blumen, und sie würde sie nicht beleidigen, indem sie sich ihnen in einer marineblauen Kittelschürze und Gesundheitslatschen präsentierte.
Da war Dan! Er saß im Le Bistro an ihrem Lieblingsfenstertisch. Jackie bekam ein komisches Gefühl im Magen. Als Dan sie entdeckte, erhellte sich sein flächiges, gebräuntes Gesicht, und sie war so glücklich darüber, dass es einen Menschen auf der Welt gab, dessen Abend durch ihren bloßen Anblick schöner wurde, dass sie den albernen Drang verspürte loszusingen. The Hills Are Alive With The Sound Of Music, um genau zu sein. Dan kannte die Geschichte nicht, denn sie hatte gelernt, dass es besser war, Männern nicht alles und jedes anzuvertrauen. Schließlich taten sie das auch nicht. Nein, Jackie hatte sich in ihrem Herzen einen kleinen Raum geschaffen, zu dem nur sie allein Zugang hatte.
Sie wartete auf eine Lücke im Verkehrsfluss, bevor sie über die Straße stürzte. Dan schnitt eine Grimasse. Aus irgendeinem Grund hatte er ein Problem damit, ihr zuzusehen, wie sie Straßen überquerte oder im Mixer Frucht-Smoothies zubereitete.
Sie stieß die Tür auf und winkte Fabien zu, dem das Restaurant gehörte.
»Bonsoir!«, begrüßte sie ihn wie immer. »Ça va?«
»Bien, bien«, antwortete Fabien ergeben. Manchmal machte er den Versuch, Englisch mit ihr zu sprechen, doch sie bestand darauf, ihren Beitrag zu den irischfranzösischen Beziehungen zu leisten, und so steckten sie nun schon seit einigen Jahren in diesen beiden Floskeln fest.
Dan stand auf, um sie zu begrüßen, und sie registrierte bestürzt, dass er eleganter angezogen war als sonst - und dass etwas seine Jacketttasche ausbeulte. Wahrscheinlich hatte er ihr ein Geschenk zu ihrem Sechs-Monate-Jubiläum gekauft, weswegen sie sich endgültig schuldig fühlte.
»Hi«, sagte er und beugte sich herunter, um sie zu küssen. Er war eins achtundneunzig groß und muskulös. Aber nicht irre muskulös, fügte sie jedes Mal hastig hinzu, wenn sie ihn Freundinnen beschrieb. (Bisher hatte sie ihn noch keiner von ihnen vorgestellt.) Nein, er war ein sportlicher Typ, hatte Rugby gespielt, bis eine Reihe schwerer Knochenbrüche und ein Bauchspeicheldrüsenriss ihn vom Platz verbannten. »Wann lerne ich ihn kennen?«, wollten alle wissen. »Bald«, versprach Jackie dann, doch sie arrangierte nie ein Treffen.
Heute war er sichtlich angespannt. Er trommelte mit den Fingern auf die Speisekarte und rutschte auf seinem Stuhl herum.
»So!«, sagte er.
Jackie fasste sich ein Herz. »Ich hab's vergessen, Dan, okay? Es tut mir leid. Die Woche war derart hektisch! Ich mach's wieder gut. Versprochen. Wie wär's - wenn wir nächstes Wochenende nach Paris flögen? Nur wir zwei.« Emma würde durchdrehen. Sie war für den Dienstplan zuständig und warf Jackie ständig vor, dass sie »einfach so« abhaute. Das letzte Mal nach einer Siebzig-Stunden-Woche! Aber Emma hatte kein Interesse an Männern: Sie war seit 1998 mit keinem Mann mehr ausgegangen, und sie hatte kein Verständnis für romantische Dinner und lüsterne Wochenendausflüge. Dann fiel Jackie ein, dass sie am nächsten Wochenende gar nicht wegkönnte: Sie waren für eine Hochzeit gebucht, und Emma beharrte darauf, dass sie nicht Jackies Gefühl für Atmosphäre habe.
»Natürlich nur, wenn du nichts anderes vorhast«, sagte sie in der Hoffnung auf eine Absage. Für gewöhnlich trieb er sich an den Wochenenden auf Plätzen herum, wo Bälle mit Händen und Füßen gespielt und Ballträger zu Boden gebracht werden.
»Nicht, dass ich etwas dagegen hätte«, sagte Dan vorsichtig, »aber warum Paris?«
»Um unser Sechs-Monate-Jubiläum zu feiern.«
»Oh.«
Sie sah ihm an, dass sie sich zum Narren gemacht hatte oder dabei war, sich dazu zu machen. Aber da gab es kein Zurück mehr, nur die Flucht nach vorn. »Habe ich das Datum falsch in Erinnerung?«
Er überlegte einen Moment, bevor er sagte: »Genau genommen war es am Mittwoch.«
»Ah. Ich verstehe! Na bitte ...« Damit wäre Paris erledigt. Sie waren am Mittwochabend nicht einmal ausgegangen. Er hatte im Fernsehen einen Dokumentarbericht sehen wollen, über die Wahlen in Kuba - nicht einmal über den Dreh eines Pornofilms oder etwas in der Art.
»Tut mir leid, Jackie.«
»Ist in Ordnung.«
Sie verschanzte sich hinter ihrer Speisekarte. Sie fühlte sich verletzlich. Und vor einer Minute noch hatte sie sich gerühmt, ihre Lektion gelernt zu haben! War so arrogant und selbstgefällig, sich sicher gewesen, dass kein Mann sie je wieder unterkriegen würde. Was war mit den Nächten, in denen sie in ihren Wein geheult hatte, sich all die Fehler vergegenwärtigt, die sie gemacht hatte, und sich geschworen, sie nicht wieder zu machen? Und jetzt war sie genau da, wo sie angefangen hatte! Und sie fragte sich tatsächlich, ob sie sich nicht sogar zurückentwickelte. Der Gedanke deprimierte sie derart, dass sie überlegte, das Brokkoli-Käse-Soufflé zu bestellen und sich nicht um die Kalorien zu scheren.
»Nein, es ist nicht in Ordnung«, Dan klang zerknirscht. Oje, wie der sich bemühte, nach ihrer Hand griff, vor ihr kroch! »Es ist einfach nur schwer zu glauben, dass schon sechs Monate vergangen sind, seit du den Platten hattest.«
Es war nicht gerade die romantischste Form gewesen, eine Beziehung zu beginnen. Sie war mit fünf Dutzend roten Nelken auf dem Rücksitz mitten im tiefsten Winter auf der M50 liegen geblieben, und Dan kam aus der Dunkelheit gejoggt, gleich einem goldhaarigen Ritter in schimmernder Rüstung, schweißglänzend und in den engsten, glänzendsten Shorts, die sie je gesehen hatte, die Art, die schon seit den Achtzigern aus der Mode war. Er hatte ihr erklärt, dass er mit einem Wagenheber umgehen könne, und sie hatte geschwindelt, dass sie das ebenfalls könne, damit er nicht glaubte, dass er ein hilfloses Frauchen vor sich hatte. Dann stellten sie fest, dass sie keinen Reservereifen hatte, und mussten wohl oder übel einen Abschleppdienst anrufen, auf den sie im Auto warteten. Jackie war so nervös, dass sie mit dem Schalthebel spielte - bis sie merkte, dass es sein Knie war.
Er ersparte ihr eine peinliche Erklärung, indem er nieste. Mehrmals. Dann schwollen seine Augen zu, und er fragte mit seltsam erstickter Stimme: »Haben Sie etwa Blumen im Wagen? Ich bin allergisch, wissen Sie.«
In der Notaufnahme - nachdem er eine Adrenalininjektion bekommen hatte und wieder atmen konnte - fragte er sie, ob sie mit ihm ausgehen würde.
»Halten Sie das für klug?«, meinte sie. »Ich bin Floristin.«
»Und ich bin Business Banking Manager«, setzte er unerschrocken dagegen. »Ich schlage bei Besprechungen mit Geschäftskunden auf den Tisch und sage Sachen wie: >Ihre Rendite ist allein in den letzten sechs Monaten um hundert Prozent gestiegen!< Ich wette, jetzt wollen Sie nicht mehr mit mir ausgehen.«
»Warum denn nicht?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen. Das war eine ihrer neuen Regeln: Ausflüchte machen, anstatt sich wie ein halb verhungerter Welpe aufs Futter auf den ersten akzeptablen Mann zu stürzen, der sie um ein Date bat. Manchmal kam sie sich ein wenig verlogen vor, doch dann sagte sie sich, dass es ein notwendiger Abwehrmechanismus sei: das Stählen der Jackie Ball.
»Na ja - ich hab das Gefühl, dass ich Ihnen vielleicht zu langweilig sein könnte.«
»Das habe ich nicht«, erwiderte sie, obwohl sie ihre Zweifel hatte.
»Sie haben keine Vorstellung, wie ich es ausschlachten werde, dass ich nach unserem Kennenlernen mit einer Blumenallergie in der Notaufnahme landete. Die Geschichte werde ich jahrelang erzählen. Da sehen Sie, wie langweilig ich bin.«
Sie hätte nein sagen sollen. Wozu hatte sie die ganze Zeit an ihren Mauern in ihrem Herzen gebaut? Andererseits könnte sie ja mit ihm ausgehen, ohne ihn reinzulassen, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Und offen gestanden...