Schweitzer Fachinformationen
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Er schreckte jede Nacht zur gleichen Zeit aus dem Schlaf auf, in den frühen Morgenstunden - wenn es am dunkelsten war. Durch seinen Oberkörper ging ein Ruck, er schlug die Augen auf. Mit einer Hand fuchtelte er nach der Nachttischlampe, stieß aber gegen das Moskitonetz. Es dauerte etwas, das Netz anzuheben und den Schalter am Lampenfuß zu finden, ehe er sich keuchend aufsetzte und über das Paradoxe daran nachgrübelte, so verschwitzt aufgewacht zu sein, dass er vom feuchten Film auf der Haut fröstelte.
Tagsüber war die Stromversorgung unzuverlässig, doch nachts ging das Licht problemlos an. Das Netz aus grober, dicht gewebter Baumwolle umhüllte das Bett. Es war wie in einem Zelt, draußen im Freien. In seinen Ohren rauschte das Blut immer so laut, dass er eine Zeit lang nichts anderes hörte. Dann atmete er tief ein und aus, versuchte seinen Herzschlag zu beruhigen und zu lauschen und sagte sich, dass er nicht draußen im Freien war, sondern in einer großen bequemen Hütte mit Holztüren, die mit Schnitzereien verziert waren, fest verschlossen von einem Riegel in Form eines klobigen Balkens auf dicken Bügeln.
Die Hütte lag zwar auf halber Höhe am Hang, doch das Tal war erfüllt vom Rauschen des Flusses Ayung, dem Tosen und Spritzen von Wildwasser über Felsen. In diesem Jahr hatte die Regenzeit lange angehalten, der Wasserstand war noch hoch. In der Nacht geschah etwas Seltsames mit den Geräuschen um die Hütte: Es war kaum auszumachen, wie nah oder weit entfernt sie waren - das Gewusel und Getrippel von Streifenhörnchen auf dem Dach, das schwerere Plumpsen, vielleicht eines Affen, auch auf dem Dach, oder kam es von der Veranda? Die knarrte manchmal - sie ruhte auf hohen Pfählen, nichts und niemand konnte sie lautlos überqueren.
Manchmal kam es ihm so vor, als hörte er ein leises Scharren unten an der Holztür. Vielleicht eine Flussratte? Kamen sie nachts so weit den Hang rauf? Bei seinen Spaziergängen im Tal hatte er welche gesichtet, schwarz und flink, wie sie im Gebüsch zwischen den üppigen grünen Blättern umherflitzten. Dann wieder dachte er: Doch, da ist eindeutig ein Tier auf dem Dach. Und lauschte, wie das Scharren von Klauen rhythmischer wurde und das Skritt-Skritt in ein Pitt-Pitt überging, Pause, Pitt-Pitt-Pitt, das sich zu Regenprasseln auswuchs. Und wie das Getöse rasch anschwoll, bis es so ohrenbetäubend wurde, dass selbst das Flussrauschen übertönt, Wasser von Wasser ertränkt wurde.
Bei Tageslicht stand er gern auf der Veranda und sah sich den Regen an, der aussah wie eine so massive Mauer, dass er gleichermaßen nach oben wie nach unten zu fallen schien. Bei Tageslicht war der Anblick schön - solange man nicht hinausmusste -, doch in den Stunden der Dunkelheit schlossen die Sturzfluten die Welt aus, übertönten alle anderen Geräusche: Regen, nichts als Regen.
Er war erst seit einer Woche in den Bergen, auch wenn ihm die Zeit viel länger vorkam. Seine letzten Fehleinschätzungen spukten ihm noch im Kopf herum. Wie dieser Schwachkopf Henrikson angekommen war und sich aufgespielt hatte. Na, zumindest Wahid und Amber hatten sich nicht blenden lassen; und dann diese Journalistin - unfassbar, dass er sich von der hatte einwickeln lassen! -, und schließlich Amsterdam, wie die zu allem Überfluss auch noch ständig seine Kompetenz anzweifelten. Immer und immer wieder gingen ihm seine Gespräche mit denen durch den Kopf, in den heißen dunklen Stunden, wenn er wach lag und das Gedankenkarussell Fahrt aufnahm.
In den letzten beiden Nächten hatte die Angst zugenommen. Die Geräusche auf dem Dach wandelten sich. Jetzt schreckte er von Nacht zu Nacht heftiger aus dem Schlaf hoch, fest davon überzeugt, dass er Schritte auf Holzdielen hörte, nicht draußen auf der Veranda, sondern drinnen, die immer näher an sein Bett schlichen. Dann wuchs seine Furcht so rasch an, dass er nur das Moskitonetz anheben, vom Bett klettern und eine Runde durch die Hütte drehen konnte, ruhelos, unter den Tisch schauen, den Eckschrank öffnen und in alle dunklen Ecken spähen musste, die das Lampenlicht nicht erreichte. Irgendwann drückte die Blase, und er überwand sich, den Riegel durch die Holzbügel zu schieben und einen Türflügel aufzustoßen. Er nahm es mit der Dunkelheit auf, blieb eine Zeit lang dort stehen und starrte in die Finsternis hinaus, während das schwache Licht hinter ihm einen Riesenschatten auf die Veranda warf, trat dann über die mit Schnitzereien verzierte Schwelle ans Geländer und pinkelte schwungvoll in die Dunkelheit hinaus; ging wieder hinein, legte den Holzriegel vor und machte sich erneut ans Ritual, in jeden Winkel der Hütte zu spähen, als hätte sich jemand oder etwas an ihm vorbeigeschlichen, nun jedoch gelassener, weil er mit dem Türöffnen einen Eindringling hereingebeten und so die Wahrscheinlichkeit verringert hatte, dass es passierte. Er hatte sich selbst seine Furchtlosigkeit bewiesen. Sie kamen nur, wenn man sich fürchtete.
Schließlich stieg er wieder ins Bett und knipste die Lampe aus, mit ruhigerem Herzschlag. Mit der rituellen Suche samt unerschrockenem Türöffnen hatte er sich selbst davon überzeugt, dass seine Ängste unbegründet waren, nichts als nächtlicher Spuk. So legte er sich abermals hin, schloss die Augen und zog sich das Betttuch über die Schulter. Gerade wenn er erneut in Schlaf sank . genau dann kam er, dann, wenn er kurz vor dem Einschlafen war. Immer dann: der Ruf des Geckos, wie eine Tröte, auf dem Dach genau über seinem Kopf, keinen Meter weit weg, plötzlich, laut und tückisch, mit seinem Hall lauter als alle anderen Geräusche: Toké! Eine höhnische, verächtliche Pause. Toké! Und schon saß er wieder senkrecht im Bett, wütend und aufgeschreckt vom Warnruf. Toké!
Dann rief er selbst, brüllte laut drauflos und hämmerte gegen die Hüttenwände, um das Viech zu verjagen. Wurde es nicht bald hell? Wo war Kadek?
In dieser einen Nacht, in der es ihm klar wurde, war der Ruf des Geckos so laut, so gnadenlos, dass er sich nicht mal mehr die Mühe machte, gegen die Hüttenwände zu hämmern, sondern sich nur schwer atmend aufsetzte, das Licht anknipste und schlapp dasaß, den Kopf in beiden Händen, wie um dem Gecko zu sagen: Ist ja gut, du hast gewonnen.
Da ging ihm auf, was geschehen würde. Sie würden ihn umbringen. Gönnen Sie sich eine Auszeit, hatte Amsterdam gesagt. Fahren Sie rauf in die Berge, wir haben ein Häuschen im Umland, das gelegentlich als Unterschlupf dient. Spannen Sie aus, Sie haben es sich verdient. Wenn wir mit der Westküste konferiert haben, melden wir uns bei Ihnen. Damals hatte er sich gefragt, warum sie überhaupt mit der Westküste reden mussten. Schließlich hatten sie Henrikson hergeschickt. Wenn Amsterdam beschlossen hatte, dass mit ihm kein Blumentopf mehr zu gewinnen war, hätten sie ihn stante pede zurückbeordert. Warum ihn in die Berge schicken - es sei denn, sie wollten ihn von der Bildfläche haben, falls die Story an die Presse durchsickerte. Tja, so hatte er sich das damals gedacht. Doch jetzt, in der finsteren Nacht, nahm der Beschluss, ihn herzuschicken, eine andere Bedeutung an.
Das war es also. Er war Ballast geworden. Sie hatten nichts mehr von ihm; obwohl ursprünglich ja gar nicht er hierher zurückgewollt hatte, sie hatten ihn schließlich überreden müssen. Absurd, oder?
Diese Einsicht war neu - endlich Gewissheit. Er legte sich aufs Bett zurück und gestattete sich zum ersten Mal seit seiner Rückkehr auf die Insel, ohne Angst die Augen zu schließen und auf den Ruf des Geckos zu lauschen.
Über ihm knarrte das Dach, und die Nachtinsekten zirpten und krakeelten - aber es regnete nicht. Eins stand für ihn fest: Sie würden auf Regen warten.
Am Morgen wurde er vom Frühlicht und dem eintönigen Zikadenkonzert geweckt. In der Nacht hatte er einen Traum gehabt, wahrscheinlich kurz vor dem Aufwachen - er wusste nicht mehr, was, nur, dass er geträumt hatte. Er hatte noch ein Bild von einem Mann mit offenem Hemdkragen vor sich, der ihm zur Begrüßung zulächelte, was ihm Furcht einflößte. Das Bild ergab keinen Sinn. Er schüttelte den Kopf, um es loszuwerden.
Bei seinen ersten Schritten durch die Hütte, schwerfällig und erschöpft wie jeden Morgen, machte sich Kadek auf der Veranda bemerkbar. Er wusste nie, wann genau Kadek eintraf, für gewöhnlich aber bei Tagesanbruch, um da zu sein, wenn Harper aufstand.
Er ging zu den Türen und schob den Holzriegel zurück, eine Aufgabe, die ihm bei Tageslicht so einfach und natürlich vorkam, dass er keinen Gedanken daran verschwendete. Er schlug die Türen weit auf und trat auf die Veranda hinaus. Draußen war es heiß und diesig. Vor ihm erstreckte sich das Tal: Der Berg gegenüber stieg nahezu senkrecht in die Höhe, eine himmelhohe, mit Palmen im Dunst bewachsene Steilwand in der Ferne, Gunung Agung, der heilige Berg, ein Vulkan, dessen untere Regionen so in Wolken steckten, dass es wie so oft aussah, als schwebte er über dem Wald. Er mochte an seiner Hütte, dass sie kaja war, zum Berg hin ausgerichtet. Vielleicht wurde er auf seine alten Tage religiös.
Kadek stand wie jeden Morgen am anderen Ende der Veranda, in respektvollem Abstand, abrufbereit, einen Eimer Wasser in der Hand.
»Guten Morgen, Mr. Harper«, sagte er mit der Andeutung einer Verbeugung, gefolgt von der ausdruckslos vorgebrachten Bemerkung: »Hoffentlich hatten Sie eine friedliche Nacht.«
Kadek verfügte zwar über keinen großen Wortschatz, aber eine korrekte englische Aussprache. Sein glattes ovales Gesicht wirkte offen und besorgt und vermittelte Harper das Gefühl, der Mann wisse um seine...
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