Schweitzer Fachinformationen
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Graz ist nicht die Reichsstadt, Graz ist keine Weltstadt, Graz ist keine bischöfliche Residenzstadt, Graz ist nicht die Bundeshauptstadt. Graz ist nicht die Stadt des Jugendstils, der Festspiele oder des Wintersports. Aber: Graz war Hauptstadt von Herzogtum und Kronland und ist seit 1918 jene des Bundeslandes Steiermark. Graz war Festungsstadt. Graz ist Messe- und Einkaufsstadt. Graz ist Universitätsstadt, Graz ist Verkehrsknotenpunkt, Graz war Europäische Kulturhauptstadt 2003, Graz ist Fahrradstadt, Graz ist Autoclusterstadt, Graz ist Feinstaubhauptstadt, Graz ist . Die Aufzählung, was Graz ist und was es nicht ist, ließe sich noch weiter fortsetzen. Doch es bleibt der schale Nachgeschmack von vielen Grazer*innen, dass »ihre Stadt« immer in der zweiten Reihe stand und steht: Graz ist nicht Wien, Graz ist nicht Salzburg, Graz ist nicht Innsbruck. Graz steht immer ein klein wenig hinter den großen Stadtgeschwistern. Nicht umsonst stand während des Kulturhauptstadtjahres 2003 an der Stadtausfahrt der Südautobahn in Wien ein Werbeschild mit der provokanten Aufschrift: »Willkommen in Wien, dem schönsten Vorort von Graz«. Unter dem Motto »Graz darf alles« wollte sich die Stadt zumindest in diesem Jahr aus dem Schatten der Bundeshauptstadt, der Mozartstadt an der Salzach und der Wintersportmetropole am Inn in das gleißende Licht der europäischen Öffentlichkeit stellen. Und, es gelang! Seitdem war und wurde Graz zunehmend auch nördlich der Alpen (wieder) wahr- und ernstgenommen, sowohl in Berlin, London, Amsterdam und nicht zuletzt in Brüssel. Zuvor war Graz eher den Menschen aus Zagreb, Maribor, Belgrad, Sarajewo, Triest, vielleicht auch Budapest ein Begriff. Bis zum Beginn der COVID-19-Pandemie im März 2020, die vieles veränderte. Vieles, das wir heute, mit Drucklegung dieses Buches - im Sommer 2022 - noch gar nicht abschätzen können.
Dass Graz aus einer europäischen Perspektive in der Reihe der österreichischen Städte immer ein wenig in der zweiten Reihe stand, hatte im Verlauf der Geschichte aber auch seine Vorteile. Vom Dreißigjährigen Krieg blieb die Stadt verschont. Auch die osmanischen Truppen hatten nicht Graz sondern Wien im Visier. Die Truppen der Roten Armee zielten 1945 ebenso auf Wien, lediglich die US-amerikanischen und britischen Bombergeschwader nahmen Graz nur zu oft ins Visier: Die kleine Industriestadt mit den strategisch wichtigen Eisenbahnlinien lag am Rückweg von den Hauptzielen Wien, Wiener Neustadt und Obersteiermark. Doch ein Schicksal wie Berlin, Budapest, Wien, Belgrad, Dresden blieb Graz erspart. Die Stadt überdauerte die größten Katastrophen der vergangenen Jahrhunderte den Umständen entsprechend gut, aber nicht unbeschadet. Denn, die Grazer*innen fügten sich selbst mehr als genug schwere Wunden zu: Die jüdische Bevölkerung wurde drei Mal aus der Stadt vertrieben, zwei Mal im 15. Jahrhundert, ein Mal im 20. Jahrhundert. Diese letzte Vertreibung in der Shoah verursachte die tiefsten Wunden. Das Zusammenspiel aus der Selbstunterwerfung unter die Ideologie des Nationalsozialismus (»Stadt der Volkserhebung«) und der Mittäterschaft vieler Grazer*innen brachte ein besonders schweres Erbe mit sich, dessen Aufarbeitung noch Generationen beschäftigen wird.
Ziel des vorliegenden Buchs ist es, einen Überblick über die historische Entwicklung von Graz und seinen Menschen vom Beginn der Besiedlung bis in die jüngste Gegenwart zu geben. Bewusst wurde diese Stadtgeschichte als Biografie betitelt: »Bios« stammt vom altgriechischen ßí?? (Leben). Städte sind von Menschen erbaute und erdachte Räume, die mit den Menschen verbundene Nutzungsfunktionen haben.1 Somit haben Städte wie Menschen Lebensphasen und unweigerlich ein Ende. Nämlich dann, wenn sie nicht mehr von Menschen genutzt werden. Im Einzelfall kennen wir viele Beispiele aus der Antike, aus dem präkolumbianischen Amerika aber auch von Wüstungen und Stadtverzwergungen in Europa.2 Bekanntes Beispiel einer nicht mehr existenten historischen Stadt nahe Graz ist Flavia Solva, ein römisches Municipium, das zwischen dem 1. und dem 5. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung das bedeutendste Wirtschafts- und Machtzentrum auf heutigem steirischen Boden war, dann aber verlassen wurde. Bauelemente und Grabsteine aus Flavia Solva dienten ironischerweise später als Baumaterial für Graz.3 Dieser Hinweis soll die heute oft als selbstverständlich wahrgenommene Existenz und den nahezu unendlichen Selbstzweck, den wir Städten geben, relativieren. Städte haben einen Beginn, ein Wachsen, vielleicht auch eine Rückentwicklung und eine potenzielle Endlichkeit, die immer in Zusammenhang mit den hier lebenden und wirkenden Menschen steht. Städte leben! Und, wenn sie dies nicht mehr tun, dann sterben sie. - Dies alles soll durch die bewusste Verwendung des Begriffs Biografie auf den Punkt gebracht werden.
Mit diesem Ansatz steht die vorliegende »Graz Biografie« nicht allein da. Wir können schon auf einen gewissen Trend in der »Vermenschlichung« des Blicks auf eine Stadt blicken.4 Auch wenn die individuell gewählten Ansätze der hier zitierten Stadtbiografien im Einzelnen differieren, so weisen sie alle eine Grundkonstante auf: Nämlich, die in der Stadt lebenden Menschen stärker in den Fokus zu nehmen. Den Stadtraum als einen solchen von Menschen gemachten wahrzunehmen, und eben diese Individuen auch in den Blick der Betrachtungen zu nehmen. Nicht als unspezifizierte Gruppe von »Stadtbürgern« - meist großen Männern, die große Entscheidungen treffen -, sondern als Einzelpersonen, die unter den spezifischen Kontexten ihrer Zeit die Stadt im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitprägen: Als Stadtbürger, als Arbeiterin, als Handwerker, als Wäscherin, als Gastwirt, als Hebamme, als Bader, als Künstlerin, als Stadtrichter, als Wissenschafterin, als Sportler, als Stadtpolitikerin .
Methodisch ist und bleibt es ein heikles Unterfangen, eine Stadtgeschichte zu schreiben, die mehr sein will als eine Chronik. Einerseits kann und darf sich eine solche Erzählung nicht in Details verlieren, andererseits müssen die wichtigsten historischen Ereignisse, Daten und Fakten genannt werden. Auch besteht bei einer Stadtgeschichte die Gefahr, die historische Entwicklung als Singularität darzustellen; dies muss in einer Stadtgeschichte des 21. Jahrhunderts jedenfalls vermieden werden. Vielmehr ist die Einbettung in den jeweiligen Landes-, Staats- und internationalen Kontext zwingend erforderlich. Eine Stadtgeschichte der Postmoderne kann auch nicht mehr einer »großen Erzählung« aus Sicht der Herrschenden folgen.5 Vielmehr geht es heute darum, eine offene Erzählung anzubieten, Interpretationen zu- und manchmal Fragen unbeantwortet zu lassen. Eine möglichst breite Perspektive einzunehmen, die hegemoniale Sicht zu brechen und auch Geschichte »von unten« - besser aus der Mitte der Gesellschaft! - zu integrieren.
Als wesentliche Stütze, um die »Diskursivität der Erzählung« zu fördern, werden im vorliegenden Band Abbildungen von Objekten und Archivalien herangezogen: Sie sollen nicht nur illustrieren, sondern auch andere Perspektiven als die im Text dargestellten zulassen. Auch wurden bewusst Abbildungen von Personen ausgewählt, die nicht der Gruppe der politisch Machtausübenden entsprangen, sondern die die Vielfalt des städtischen Lebens ausmachten.
Stadtgeschichte kann keine Universalgeschichte dahingehend sein, dass alles erzählt wird. Stadtgeschichte muss zwangsweise auswählen und damit auch auslassen. Sie wäre sonst nicht mehr von einem oder mehreren Menschen in einem Lebensalter zu leisten, sie würde auch keine Leser*innen mehr finden. Die vorliegende Graz-Biografie versucht deshalb aus der Menge der Möglichkeiten sich auf vier Ansätze zu fokussieren: Erstens, werden die wichtigsten Ereignisse der historischen Entwicklung von Graz vor dem überregionalen Kontext dargestellt. Wann entstand die Stadt? Wie formte sie sich zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten? Was waren ihre wichtigsten Rechtsnormen? Wer waren ihre wichtigsten Vertreter*innen? Welche Möglichkeiten zur Mitgestaltung ihrer Bewohner*innen gab es zu den verschiedenen Zeitpunkten? Welche Rolle spielte die Stadt im steirischen, österreichischen und europäischen Kontext? Was waren die Hauptproduktionsbereiche, die das ökonomische Überleben der Stadtbewohner*innen sicherten?
Zweitens, sollen jene Menschen zu ihrer Zeit dargestellt werden, die die Entwicklung von Graz mitgestalteten. Aus welchen gesellschaftlichen Gruppen kamen die Personen? Wie konnten sie sich einbringen? Woher kamen überhaupt die Einwohner*innen? Wohin gingen sie, wenn sie in größerer Zahl die Stadt verließen (verlassen mussten)?
Drittens, soll die Ausgestaltung des Stadtraumes durch die verschiedenen Akteur*innen in den Blick genommen werden. Wer hatte die Möglichkeit zu bauen? Warum wurde wie gebaut? Für wen wurde gebaut? Welche kulturellen Bezüge wurden bei der Ausformung der Bauwerke hergestellt?...
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