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Rio
»Es ist wirklich alles okay«, wiederholte ich zum gefühlt hundertsten Mal, was Dixie nur mit einem Augenrollen quittierte. Sie beugte sich noch etwas nach vorn, fast so, als wollte sie durch die purpur- und blau changierenden Flammen des Hadestelefons, die sich um ihr Gesicht züngelten, kommen und sich selbst davon überzeugen.
Vor einer Woche hatte ich diesen seltsamen Raum aus schwarzem Stein mit dem mächtigen Thron aus dem gleichen Material zum ersten Mal gesehen. Mittendrin Dixies wütende Stimme, die aus den flackernden Flammen erklang. Sie hatte mir erzählt, dass dieser Raum Teil des Hades war und sie deshalb mit uns - besser gesagt: mit mir - sprechen konnte. Direkt aus dem Hades heraus, ein Telefon in eine andere Welt.
Vor einem Monat hätte ich darüber gelacht. Jetzt war es meine Realität.
Dixie verengte ihre smaragdgrünen Augen und betrachtete mich eingehend, was mein Herz zum Flattern brachte. Sie konnte die Ängste von Menschen riechen, und meine Angst, die seit unserer Ankunft in New York ihre eisernen Schlingen um mich gelegt hatte, musste unheimlich stinken. Genauso wie die Schuld darüber, dass ich Dixie anlog.
Hoffentlich würde das Hadestelefon Dixies Kräfte blockieren.
»Na gut«, gab sie sich zufrieden, und ich unterdrückte ein erleichtertes Ausatmen. »Ich glaube dir. Aber sobald ich das Gefühl bekomme, dass es nicht so ist, schicke ich Rhada.«
»Nein!«, widersprach ich schnell. Zu schnell. Dixies Augenbrauen zogen sich als Antwort zusammen. Aber sollte Rhada hier auftauchen, würde ich Taru wohl gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. »Ich meine, das ist nicht nötig. Wirklich. Taru ist einfach nur grummelig, wie immer.«
Was für eine Untertreibung. Es wäre sogar schön, wenn Taru einfach nur grummelig wäre. Er war nichts. Es fühlte sich an, als existiere er nicht mehr. Wie ein Schatten, den man nur bei einem bestimmten Lichteinfall entdeckte.
Die Wahrheit über das, was wirklich in Pandoras Palast geschehen war, konnte ich Dixie nicht erzählen. Wenn sie wüsste, wer ich wirklich war - wer ich sein sollte -, würde sie mich nicht mehr als Rio sehen. Ich konnte mich ja selbst kaum ansehen. Und Taru . Ich verbannte die Gedanken an ihn, die mit einem scheinbar magischen Band an meine Tränendrüsen gekoppelt waren, schnell in jene Schublade, in der ich auch das ganze andere Zeug verwahrte, über das ich nicht nachdenken wollte.
»Erklär mir noch mal, weshalb Pandora - die mächtigste Frau im gesamten Universum - den Fluch nicht von Taru nehmen konnte.« Dixie lehnte sich wieder auf dem Thron zurück, auf dem für gewöhnlich Hades, der Herrscher der Unterwelt, saß, um mit seinem Sohn sprechen zu können. »Vielleicht können Hades oder Persephone mit ihr sprechen. Jetzt, wo ihr sie gefunden habt. Ich meine, sie gehören quasi alle dem >Wir hassen Zeus<-Club an. Wenn sie es nur wüsste, dann könnten wir noch einmal versuchen, sie zu überzeugen .«
»Sie weiß alles«, unterbrach ich Dixie und fühlte mich mit jedem Wort schlechter, obwohl dieser Satz näher an der Wahrheit lag als alles andere, was ich Dixie bisher gesagt hatte. »Wir haben alles versucht.«
Ich hatte ihr die Lüge aufgetischt, Pandora könnte Taru nicht helfen, weil sie nicht wüsste, wie. Dummerweise hatte Dixie das als simple Weigerung ihrerseits interpretiert und war seitdem wild entschlossen, Pandora vom Gegenteil zu überzeugen. Ich hatte ihr schlecht erzählen können, dass Atropos . dass ich diejenige war, die diesen Fluch von Taru nehmen konnte. Es musste die Schicksalsgöttin sein, die er geliebt hatte - das war die Bedingung, um den Fluch zu brechen. Nur wusste ich weder, wie ich das anstellen sollte, noch glaubte ich, wirklich eine Göttin zu sein.
Wäre ich eine, dann wäre ich doch mächtig, oder? Wäre ich eine verdammte Schicksalsgöttin, hätte ich abwenden können, dass meine Mom uns verließ. Ich hätte meinem Dad so viel Kummer erspart. Ich hätte Dixie vor ihrem Beinahe-Tod bewahren können. Ich hätte Taru helfen können.
Nur war alles, was ich tun konnte, bedeutungslos.
»Okay, okay«, gab sich Dixie geschlagen. »Aber wenn irgendetwas ist, dann melde dich, ja? Und sag Taru, dass er sich auch gerne blicken lassen kann. Ich fühle mich beinahe schon persönlich beleidigt, dass er mir sein prächtiges Dreiviertelgott-Gesicht vorenthält.«
Ich zwang mir ein Lächeln auf, während Dixie breit in das Feuer grinste und sich ihre Haare über die Schulter warf. Ich würde Tarus prächtiges Dreiviertelgott-Gesicht auch gerne wiedersehen. Jedenfalls öfter als nur in diesen kurzen Momenten in der Nacht.
Zwei Wochen waren vergangen, seitdem wir von Pandora zurückgekehrt waren und Taru sich in seinem Büro verschanzt hatte. Nur ab und zu, wenn ich Glück hatte, stand seine Tür offen. Doch die Stille zwischen uns war so laut, dass ich es kaum aushielt, länger bei ihm zu bleiben. Sobald ich zurück in dem Gästezimmer war, in dem ich neuerdings wohnte, presste ich mir die Hände auf die Ohren, damit das Rauschen meines Blutes die Stille vertrieb.
Die einzige Gesellschaft, die mir blieb, waren Alpträume.
Ich träumte oft von der Nacht, in der Mom verschwunden war. Von der Dunkelheit, ihren schroffen Anweisungen, zu verschwinden, und von anderen Worten, die ich nicht verstand, weil mich dieses schwarze Nichts wie Watte umhüllte. Und dann träumte ich von ihr. Atropos. Von langen Stränden aus Stein und Knochen, eingetaucht in das Licht des immerwährenden Sonnenuntergangs. Ich träumte von hellen Lichtern, von süßen Gerüchen und von zwei Frauen, die mich anflehten, nicht zu gehen. Und ich träumte vom weißen, kalten Stein, mit dessen eisiger Oberfläche ich zu verschmelzen schien. Es war Atropos' . mein Tod, von dem ich träumte.
Das waren die Nächte, in denen ich kein Auge zubekam und mich stattdessen auf die warmen Fliesen der Dusche setzte, damit das heiße Wasser die Kälte in meinen Gliedern vertrieb. Es waren die einzigen Nächte, in denen ich Taru sah.
Während ich unter dem herabprasselnden Wasser saß, lehnte er an der gläsernen Duschwand, seine Arme umspielt von Schatten. Und sobald ich aus der Dusche trat, verschwand er.
Auch in dieser Nacht hatte er wieder neben mir gewacht. Erst als meine Haut schrumpelig war und New York in rosarotes Licht getaucht wurde, hatte ich das Wasser abgestellt. Doch noch bevor der letzte Tropfen den Boden berühren konnte, war Taru schon weg gewesen.
»Wann kommst du wieder?«, fragte ich Dixie mit wackeliger Stimme und versuchte, mich mit aller Macht auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Ein mitfühlender Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. Sie war viel zu aufmerksam. Meine Hoffnung, sie würde mich nicht lesen können, geriet ins Wanken.
»Oh, Süße, ich weiß es nicht.« Sie senkte den Kopf, dass ihre langen Haare wieder über die Schulter fielen. »Es war wirklich knapp, und Persephone glaubt, dass ich noch Wochen brauche, um mich zu erholen. Meine Seele war kurz davor, ins Nichts zu fallen.«
Ich schluckte und konnte nur nicken. Die Erinnerungen daran, wie Dixie voller Blut auf meinem Bett im Penthouse gelegen hatte, wie sie aufgehört hatte zu atmen, waren noch viel zu präsent. »Dixie .«
»Aber bald nerve ich euch wieder.« Sie hob den Kopf und strahlte mich an. »Bis dahin wird die Zeit sicher wie im Flug vergehen, immerhin habt ihr das Penthouse gerade ganz für euch allein. Ich will gar nicht wissen, wo -«
Dixie wurde von einer hellen Frauenstimme unterbrochen. Sie drehte ihren Kopf und lächelte. »Ich muss los, Rio. Persephone und Hades haben irgendeinen unterweltlichen Kram geplant, an dem ich als Tarus Vertretung teilnehmen soll, da unser Prinz sich immer noch weigert, den Hades zu betreten. Aber wie auch immer.« Sie wedelte mit der Hand, warf ihre Haare wieder über die Schulter und wurde ernst. »Ich bin bald wieder da, und dann regeln wir die Dinge gemeinsam. Wir sind jetzt eine Familie, Rio.«
»Okay«, murmelte ich leise.
»Wir reden morgen wieder, ja?« Dixie suchte zwischen den kleiner werdenden Flammen meinen Blick. Und als ihre Augen schimmerten, viel zu grün für einen gewöhnlichen Menschen, fragte ich mich, ob sie mich nicht schon die ganze Zeit über gelesen hatte.
Wir verabschiedeten uns. Ich blieb noch einen Moment länger auf dem kalten Thron sitzen und sah zu den schwarzen, glatt polierten Steinwänden, die ohne die blauen Flammen des Hadestelefons kalt und finster wirkten. Es war immer noch unglaublich, dass dieser Raum ein direkter Teil der Unterwelt war. Mitten in New York.
Ich fuhr mit den Händen über mein Gesicht, um mich auf die dröhnende Stille im Penthouse vorzubereiten.
Es nützte nichts. Länger konnte und wollte ich hier nicht verharren und verließ den magischen Raum. Das Klicken des Türschlosses hallte unnatürlich laut nach und bescherte mir eine Gänsehaut. Mit leisen Schritten lief ich die dunkle Treppe mit den metallenen Handläufen hinauf und steuerte Tarus Büro in der unsinnigen Hoffnung an, seine Tür würde offen stehen. Vielleicht war er heute bereit, mit mir zu reden.
Doch die Enttäuschung überschwemmte mich wie ein Regenschauer und ließ mich kalt und klamm zurück.
Die Tür war verschlossen.
Der Fahrstuhl erreichte das Erdgeschoss des Marquand-Gebäudes, und erst jetzt konnte ich meine Hände lockern. Nur das Brennen, das meine Fingernägel auf meinen Handflächen hinterlassen hatten, blieb als Erinnerung an Tarus verschlossene Tür zurück.
Roter Teppich, marmorierte...
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