Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
2
Bernadette
Vor nicht einmal einer Viertelstunde hatten die letzten Gäste das Fest verlassen, und die Familie hatte sich in den Salon zurückgezogen, um auf die gelungene Veranstaltung zu trinken - eine Tradition, die sie in München gepflegt hatten und die sie auch in Wien nicht missen wollten.
Freude und Unsicherheit vollführten in Bernadettes Herz und Kopf ein Pas de deux. Eine lange nicht gekannte Seligkeit erfasste sie, wenn sie daran dachte, wie sich ihr Alltag in den nächsten Tagen ändern konnte, doch die Angst, Vater könne sich gegen diese Tätigkeit aussprechen, hinderte sie daran, das Wohlgefühl auszukosten.
»Meine Lieben!«, begann Rudolf von Althenau und ließ es sich nicht nehmen, selbst die Champagnergläser zu füllen. »Was für ein fulminantes Fest! Was für ein außergewöhnliches Vergnügen! Nun sind wir angekommen. Tatsächlich angekommen.« Er hielt inne, als würden ihn die Umstände, weshalb sie München so fluchtartig hatten verlassen müssen, heimsuchen, doch dann schüttelte er den Kopf, und das Strahlen trat wieder auf sein Gesicht. Er reichte seiner Frau ein Glas. Diese nahm es und lächelte angespannt. Wann würde sie die Neuigkeit ansprechen? Bernadette vermutete, dass sie den Vater erst noch ein wenig in seiner Glückseligkeit schwelgen lassen wollte, in der Hoffnung, diese werde seine Reaktion, die sie erwarteten und auch fürchteten, etwas mildern. Seine schlechten Erfahrungen mit der höfischen Welt beeinflussten bisweilen sein Denken und Handeln.
Er bedeutete Desirée, die Gläser an die Schwestern zu geben. Diese rollte mit den Augen und presste die Lippen fest aufeinander. Mach jetzt bitte keinen Aufstand, dachte Bernadette und beobachtete, wie ihre Schwester das Tablett mit den Gläsern aufnahm. Tatsächlich schien diese ihren Unmut aber herunterzuschlucken und reichte Charlotte, Antonia und ihrem Ehemann Benedict, die heute in ihrer Stadtwohnung nächtigen wollten, jeweils ein Glas.
»Vielen Dank, Desirée«, sagte Bernadette, als sie ihr Glas entgegennahm, und lächelte über die Maßen verbindlich. Ihre Schwester glich in den letzten Wochen einem emotionalen Überraschungspaket. Man konnte sich nie sicher sein, welche Reaktion einen erwartete. Eine freundlich geäußerte Bitte konnte ein Achselzucken oder ein Murren auslösen. Mutter hatte aber schon die eine oder andere unziemliche Bemerkung geerntet, und dem Dienstmädchen hatte sie gar die Tür ins Gesicht geknallt. Hoffentlich hielt sich Desirée jetzt zurück. Bernadette beobachtete, wie die Schwester das Tablett abstellte und sich selbst das letzte Glas nahm. Normalerweise hätte sie dies nicht gedurft. Doch Bernadette sah, wie Mutter diese Grenzüberschreitung registrierte und nicht ahndete, wahrscheinlich wollte auch sie jegliche Eintrübung der Stimmung vermeiden.
Vater hob nun sein Glas. »Mögen uns weiterhin so frohe Zeiten in Wien beschert sein! Ihr habt alle brilliert, meine lieben Töchter. Und ich bin mir sicher, dass mein Witz und meine Geschichten die Gäste blendend unterhalten haben. Ursula, bravissimo, das hast du gut gemacht.«
Antonia und Benedict wechselten einen Blick, vermutlich ob der Selbstbeweihräucherung des Vaters oder vielleicht auch, weil er ihrer Mutter ein Kompliment gemacht hatte.
»Eigentlich müsste er dem Personal danken«, flüsterte Charlotte hinter Bernadettes Rücken. »Weder Mutter noch er selbst haben seit heute Morgen Gemüse geschält und Pasteten gebacken und fassweise Getränke durch den Garten getragen.«
»Reiß dich zusammen!«, zischte Bernadette.
»Ist ja gut!« Charlotte zuckte mit den Schultern.
»Auf die wunderbaren Althenaus«, rief Papa und hob sein Glas.
Die Familienmitglieder taten es ihm gleich und erwiderten den Trinkspruch.
War es der Alkohol oder der Erfolg des Festes? Bernadette hätte es nicht zu sagen vermocht, aber irgendetwas versetzte Papa so in Hochstimmung, dass er zu einem weiteren Spruch anhob. »Ich bin überaus glücklich, dass du, Antonia, mit Benedict einen so wunderbaren Mann gefunden hast. Benedict, wir sind sehr froh, dich hier zu haben.«
Antonia legte die Hand auf den Arm ihres Mannes und strahlte ihn an. Er erwiderte diese Zuneigung, indem er den Arm um sie legte.
»Und Charlotte«, wandte sich Vater an die Drittgeborene, die auf dem Sofa saß, »auch du hast durch deine Anmut und deinen Liebreiz das Fest bereichert. Sogar Graf Tettenau hast du ganz für dich eingenommen. Eine solche Partie wäre in München gar nicht auf unser Fest gekommen!« Er strahlte wieder übers ganze Gesicht.
»Bernadette!« Ihr Vater hielt inne und atmete tief ein.
Die Nervosität setzte ihren ganzen Körper unter Spannung. Hoffentlich hatte sie ihn auch überzeugt. Hoffentlich würde er nun auch Lob über ihr ausgießen, und hoffentlich würde ihn dies milde stimmen und einen Ausbruch verhindern.
»Du bist einfach eine Meisterin der Konversation und der Etikette. Ich bin wahrhaft stolz auf dich!«
Nun, darauf konnte man aufbauen. Würde Mutter sich gleich einschalten? War dies nicht der vollkommene Moment?
Er sah sich um. »Desirée. Kleiner Bücherwurm. Wie schön, dass du .« Er schien nach Worten zu suchen. »Dass du deine Romane einmal beiseitegelegt hast und dich ebenfalls auf unserem Fest gezeigt hast.«
Bernadette wartete, dass ihr Vater noch etwas hinzufügte, blickte ihn beschwörend an. Lob sie für die Lampions, soufflierte sie stumm. Lob sie, dass sie sich mit dem langweiligen Grafen Steltzental unterhalten hat. Lob sie! Doch Vater schien seine Hymne an die Familie beendet zu haben.
Desirées Mundwinkel schoben sich nach unten.
Oh nein, dachte Bernadette, gleich legt sie los. Bernadette konnte förmlich sehen, wie sich der Trotz und die Enttäuschung über das verunglückte Lob zusammentaten und eine boshafte Replik vorbereiteten. Gleich würde sie diese abfeuern und die Freude dämpfen - bestenfalls. Wenn sie nicht sofort intervenierte, würde .
»Desirée hat die Tische und die Bäume geschmückt, von ihr kam die Idee, kleine Lampions in die Zweige zu hängen.« Mutter lächelte ihre Jüngste an. Offenbar witterte sie ebenso wie Bernadette die Gefahr einer Eskalation.
»Die Lampions waren das Tüpfelchen auf dem i oder die Garnitur auf der Sachertorte«, pflichtete Bernadette bei. Sie fand ihren Witz wenig gelungen, aber irgendwie musste sie die Stimmung retten.
»Hmm!«, sagte Vater, und Bernadette wünschte sich, er würde jetzt auch von den Lampions schwärmen. Er sah nach draußen, hoffentlich hatte er verstanden und würde den Beitrag seiner jüngsten Tochter würdigen. Da! Jetzt!
»Heute Abend«, begann er, »haben wir bewiesen, dass wir nicht mehr Münchner, sondern tatsächlich Wiener geworden sind. Natürlich bleiben wir Münchner im Herzen, aber da wir über große Herzen verfügen, hat unsere neue Heimat an der Donau nun ebenfalls einen Platz darin gefunden.«
Das war es? Bernadette wartete gespannt, dass er sich nun auf Desirée besann und seine Anerkennung nachholte.
Ihre jüngste Schwester hob den Kopf. »Also, ich fand es in München schöner«, sagte sie betont langsam. »Die Leute waren netter, und alles befand sich näher an unserem Haus.«
Das war nun vielleicht nicht der förderlichste Beitrag, aber bei Weitem nicht so schlimm, wie Bernadette befürchtet hatte.
»Das denkst du nur. Deine Bibliothek liegt doch viel günstiger. Und Frau von Rechberg tut dir wahrlich viel Gutes«, warf Mutter ein.
»Aber im Englischen Garten konnte ich besser reiten. Und er lag gleich vor der Haustür«, stellte Charlotte fest.
Bernadette stieß sie mit dem Ellbogen in die Seite. »Auch hier hast du wunderbare Orte zum Reiten. Denk doch an den Prater. Hast du nicht gestern erst gesagt, wie lange du hier galoppieren kannst?«
»Ach ja, stimmt. Wien ist doch in Ordnung.« Und als Bernadette sie noch einmal knuffte, fügte sie hinzu: »Eigentlich gefällt es mir hier inzwischen genauso gut wie in München.«
Bernadette beobachtete den Vater. Diese Diskussion hatten sie in den ersten Monaten mehrmals geführt, und er hatte diese immer wieder abgewürgt, teilweise sogar die Fassung verloren. Inzwischen galt der Umzug unter den Töchtern als ein Thema, das sie lieber umschifften, es sei denn, sie legten es darauf an, dass der Vater in Rage geriet. Charlotte schien ein wenig beschwipst zu sein und gerade nicht darüber nachzudenken, was sie da tat.
Anders verhielt sich das bei Desirée. »Warum sind wir denn jetzt eigentlich nach Wien gezogen? So richtig wissen wir das immer noch nicht.«
Antonia und Bernadette wechselten einen Blick. Sie hatten als die einzigen Töchter Kenntnis von dem wahren Anlass des Ortswechsels, und es gab sehr gute Gründe, weshalb die Althenaus die Jüngsten im Unklaren ließen. Wie konnte man einer Sechzehnjährigen auch begreiflich machen, dass ihre älteste Schwester eine heimliche Beziehung zu einem Mann gehabt hatte, der dann die Unverfrorenheit besessen hatte, in ihrem Beisein zu Tode zu stürzen. Ihre Eltern hatten die überstürzte Entscheidung getroffen, nach Wien zu fliehen, anstatt sich um eine praktikable Lösung in München zu bemühen. In stummem Einverständnis blickten die Schwestern zu ihrem Vater. Dieser ließ sich in einen Sessel fallen. Hatte er die Frage vielleicht überhört?
Antonia schien sich darauf nicht verlassen zu wollen. »Hör doch damit auf!«, fuhr sie Desirée an. Natürlich hatte sie am wenigsten Interesse daran, an den unangenehmen Vorfall erinnert zu werden, mit dem sie den Umzug ausgelöst hatte. Etwas versöhnlicher fügte sie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.