Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1
Antonia
»Ein unbedacht ausgesprochenes Ja, obwohl ein Nein angebrachter wäre«, pflegte Großtante Elinor zu sagen, »ist schon so manch tiefem Fall vorausgegangen.«
Die mahnende Stimme der Vernunft, die Antonia von Althenau davon abhalten wollte, das »Ja« auszusprechen, hatte frappierende Ähnlichkeit mit der ihrer Tante - und deren Ratschläge kamen oftmals so altbacken daher, dass Antonia sie getrost ignorieren konnte. Und so sagte sie »Ja«, als ihr der überaus attraktive Arvid von Bentheim während der Soiree, die ihre Eltern gaben, die Frage ins Ohr hauchte, ob er nicht noch etwas länger bleiben solle.
Er sollte. Antonia war nicht verliebt in ihn, aber sie fand ihn so anziehend, dass sie sich dieser kleinen Versuchung einfach nicht entziehen mochte. Sie versteckte ihn im Empfangssalon, wo zu so später Stunde niemand hineinschaute, und sie kam sich überaus verwegen vor, als sie - nachdem alle im Bett waren - die Treppe des imposanten Palais hinunterhuschte und sich zu Arvid im Salon gesellte. Sie küssten sich, und Antonia, nur bekleidet in Nachthemd und Morgenrock, fror schon bald in der Winterkälte des unbeheizten Raumes. Aber anders war es schlechterdings nicht möglich gewesen. Hätte sie sich nicht umgekleidet, hätte die Zofe womöglich Verdacht geschöpft. Denn welchen Grund könnte sie haben, in ihrem Abendkleid im Zimmer zu sitzen, wenn alle zu Bett gingen?
»Wollen wir irgendwohin, wo es wärmer ist?«, murmelte Arvid an ihrem Ohr, während seine Hand sich in den Morgenrock schob und ihre Brüste streichelte, deren Spitzen sich hart unter der feinen Seide abzeichneten. Ein Schauer durchfuhr sie, und tief in ihrem Bauch stieg ein sehnsuchtsvolles Pochen auf.
»Ja«, entgegnete sie atemlos.
Wie abenteuerlich das war, heimlich durch die finstere Halle zu laufen, die Treppe hoch in die Beletage, eine weitere hinauf in den zweiten Stock, wo die Schlafzimmer lagen. Arvid hatte die Schuhe ausgezogen, um jedes unnötige Geräusch zu vermeiden, und so waren in der nächtlichen Stille nur die leisen Seufzer zu hören, die sie zwischen innigen Küssen ausstießen.
Sie standen in der Mitte der Galerie, und Antonias Blick verlor sich in der verzierten Glaskuppel als sie den Hals bog und Arvid darbot, dessen Lippen daran entlangwanderten. Arvids Gehrock fiel zu Boden, das Halstuch folgte, ebenso das Hemd.
»Sollten wir nicht lieber in mein Zimmer?«, fragte Antonia, deren Herz ihr den Atem in wilden Zügen über die Lippen trieb.
»Ist es so nicht aufregender?« Arvids Hand fand zielstrebig den Weg unter ihr Nachthemd, und selbst wenn sie gewollt hätte, wäre sie nun schlechterdings nicht mehr imstande gewesen, auf mehr Privatheit zu bestehen.
»Ja .« Das Wort ging in ein leises Stöhnen über, als Arvids Hand die Innenseiten ihrer Oberschenkel hochglitt. Er unterbrach die Liebkosung nur lange genug, um aus seinen Hosen zu steigen, dann umschlang er Antonia wieder, küsste sie und streifte ihr den Morgenrock von den Schultern.
Im ersten Moment wusste Antonia nicht, woher das Knacken kam. Arvid, der nun mit dem Rücken am Geländer lehnte, hielt inne, reagierte schneller als sie, aber nicht schnell genug. Er angelte noch nach Halt an der Balustrade, und das Mondlicht, das durch die Glaskuppel fiel, spiegelte sich in seinem entsetzten Blick. Instinktiv umklammerte Antonia das Geländer, hielt sich fest, streckte im nächsten Moment die Hand nach Arvid aus, als könnte sie damit das Unvermeidliche noch verhindern. Dann hörte sie ihn schreien und im nächsten Moment den dumpfen Aufprall.
Erst stand sie nur da, und dann brach es aus ihr hervor. »Nein«, keuchte sie. »Nein, nein, nein.«
Sie taumelte zurück, hielt sich die Hand vor den Mund, drängte aufsteigende Übelkeit zurück. Nun, da war er, der tiefe Fall.
Obwohl sie wusste, dass es vollkommen unmöglich war, einen Sturz aus dieser Höhe zu überleben, rannte Antonia nach unten. Kein Geräusch machten ihre weichen Pantoffeln auf den marmornen Stufen, während Antonia gleichzeitig das Blut in den Ohren dröhnte. Als sie in der Halle ankam, reichte das bläuliche Licht von der Kuppel, um erkennen zu können, dass in diesem Körper mit dem unnatürlich verrenkten Kopf kein Leben mehr sein konnte.
Antonia erstickte ein Aufschluchzen. Arvid. Was sollte sie tun? Was sollte sie denn jetzt nur tun? Sollte sie Bernadette um Hilfe bitten? Nein, ihre Schwester konnte sie da nicht mit hineinziehen und ihr diesen Gewissenskonflikt aufbürden. Sie konzentrierte sich auf tiefe Atemzüge. Was jetzt? In drei Stunden standen die beiden Küchenmägde auf. Eine Stunde später das übrige Personal. In jedem Fall würde die Haushälterin ihn auf dem Weg durch die Halle entdecken. Das durfte nicht passieren. Ein Wunder, dass nicht das ganze Haus geweckt worden war durch das Knacken, mit dem die Balustrade gebrochen war. Antonia war es ohrenbetäubend erschienen.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihre Eltern einzuweihen. Wieder stieg Übelkeit in ihr auf, aber die Alternativen waren ungleich schrecklicher. Tränen trübten ihr den Blick, als sie sich abwandte und die Treppe hocheilte, im Laufen noch rasch den Gürtel des Morgenmantels wieder zuknotete. Als sie in der zweiten Etage ankam, wandte Antonia schaudernd den Blick ab, während sie über die Galerie lief und das herausgebrochene Stück der Balustrade passierte.
Sie eilte durch den Korridor und öffnete leise die Tür zur Zimmerflucht, ehe sie die Räumlichkeiten ihrer Eltern betrat. Kurz hielt sie inne, lauschte auf die ruhigen Atemzüge ihrer Mutter und das leise Schnarchen ihres Vaters. Mit bebender Hand berührte sie die Schulter ihrer Mutter, und Ursula von Althenau öffnete umgehend die Augen. So war es immer, sie nannte es den mütterlichen Instinkt.
»Antonia? Was ist passiert?«
»Mama«, ihr versagte die Stimme, »du musst sofort kommen. Es ist etwas Furchtbares passiert.« Sie unterdrückte ein Schluchzen, und nun regte sich auch ihr Vater.
»Was .«
Ursula von Althenau reagierte nicht auf ihren Ehemann, sondern erhob sich aus dem Bett und angelte nach ihrem Morgenmantel. »Was ist los?«, fragte sie halb verschlafen.
Auch Rudolf von Althenau war nun offenbar richtig wach, denn auch er richtete sich auf. »Was ist?«
Antonia versuchte, nicht zu weinen, aber ihre Atemzüge gingen in kurzen Schluchzern, dagegen konnte sie nichts tun. »Es tut mir so leid. Ich wollte doch nicht .« Es war nicht ihre Schuld. Und doch fühlte es sich so an, und Antonia wollte sich krümmen unter dem Schmerz. Arvid.
»Sag endlich, was los ist!« In der Stimme ihrer Mutter mischte sich Ungeduld mit Besorgnis.
»Arvid von Bentheim ist gestorben.«
»Wie bitte? Wann?« Ihr Vater wirkte eher erstaunt als erschrocken. Der Tod eines Bekannten war gewiss tragisch, aber war das ein Grund, ihn zu nachtschlafender Zeit zu wecken?
»Jetzt gerade. Unten in der Halle.«
»In der Halle?« Rudolf von Althenau stand aus dem Bett auf. »In unserer Halle?«
Ihre Mutter hingegen fragte nicht lange, sondern wandte sich ab, verließ das Zimmer, und Antonia folgte ihr. Hinter sich hörte sie die Schritte ihres Vaters, die barfuß patschende Geräusche auf der Treppe machten, als sie hinuntereilten. Ursula von Althenau lief durch die Halle, stoppte abrupt und stieß einen Schrei aus, presste sich die Hand vor den Mund. Antonia schlug das Herz so heftig, dass es in der Brust wehtat, und sie hörte, wie ihr Vater die Luft mit einem Schnauben ausstieß. Erst standen sie nur da, starrten auf den verrenkten Körper auf dem Boden.
Ihr Vater löste sich als Erster aus der Erstarrung und beugte sich vor. »Warum ist er fast nackt?«
»Da liegt ein Toter in unserer Halle, und das ist deine erste Frage?«, ätzte ihre Mutter. »Er dürfte aus genau dem Grund praktisch nackt sein, aus dem unsere Tochter hier im Nachthemd steht.«
Ihr Aufzug, so normal er zu nachtschlafender Zeit war, schien Rudolf von Althenau erst jetzt in vollem Umfang seiner Bedeutung klar zu werden. Er starrte Antonia an, die Augen in ungläubiger Fassungslosigkeit geweitet. »Ausgerechnet du!«
Offenbar war Antonias sinnbildlicher Fall schlimmer als Arvids buchstäblicher, denn auch von ihrer Mutter war keine Gnade zu erwarten. »Wie konntest du uns das antun? Gerade von dir hätte ich niemals gedacht, dass du uns in solche Schwierigkeiten bringst.«
Auf Charlotte musste man aufpassen, deren wildes Temperament zu oft mit ihr durchging. Aber auf Antonia? Geradezu verraten fühlten ihre Eltern sich offenbar von dieser Tochter, die stets so diszipliniert war und nun unvermittelt zeigte, welch bedenkliche Leidenschaften im Verborgenen geschlummert hatten. Würde es, so ihr Vater wutentbrannt in diesem Moment, bald weitere böse Überraschungen geben? War das hier gar der Anfang?
Antonia fragte sich, welche Art weiterer Überraschungen er wohl erwartete, wenn ein nackter Arvid von Bentheim, der tot in der Halle lag, erst der Anfang war.
»In Kürze wird das Personal seinen Dienst aufnehmen«, kam ihre Mutter auf die praktische Seite der Angelegenheit zu sprechen. »Er muss fort, so schnell wie möglich.«
»Du erkennst wie immer das Offensichtliche«, spottete ihr Vater. »Und wohin sollen wir ihn bringen? Im Garten verscharren?«
»Mir ist gleich, wohin. Nur fort aus der Halle.« Ursula von Althenau schürzte die Lippen. »Bringen wir ihn erst einmal ins Gartenhaus, dort steht eine Schubkarre. Dann sehen wir weiter.«
Das war falsch, so furchtbar falsch....
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.