Schweitzer Fachinformationen
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Wäre der Himmel an diesem Sommernachmittag nicht nachtschwarz gewesen, hätte man hier an der Flussmündung einen weiten Blick aufs Meer gehabt. Doch es war finster, und ziemlich kalt war es auch, wie schon im letzten Winter und im letzten Sommer.
Die beiden, die dazu etwas Sinnvolles zu sagen gehabt hätten, hatten die letzten 431 Tage nach Katastrophenbeginn damit zugebracht, sich in Schweigen zu hüllen. Sie zogen es vor, diesen ersten Wimpernschlag lang lediglich zuzuschauen. Und es hatte viel zu sehen gegeben während solch einem Weltuntergang, puh. Nachdem ihnen das Spannendste an Hören und Sehen vergangen war - es war nach den Feuern sowieso viel zu schnell dauerhaft dunkel geworden -, hatten sie sich aufs Schmecken verlegt. Bitter war das Ende gewesen, sehr bitter, und der Tod - niemand konnte das leugnen, der ihm entronnen war - roch nach faulen Eiern. Neben all der Epik, die ein herabstürzender Himmel mit Druckwellen, Schreien, Wegrennen, Feuersbrünsten und Tsunamis mit sich brachte, war der Geruch banal gewesen.
Die zwei, die das - natürlich - überlebt hatten, legten keine solchen Maßstäbe an Geruch, aber ordinär fanden sie die ganze Sache schon, und genau deshalb hatten sie bislang geschwiegen. Die Angelegenheit war so dermaßen unerquicklich, dass ihnen zunächst nichts dazu eingefallen war. Vielleicht schmollten sie auch ein bisschen. Die ganze Sache . war ihnen nicht zuletzt ein wenig peinlich. Schließlich waren sie davon ausgegangen, dass sie hier das Sagen hatten, und im Traum nicht daran gedacht, jemand von außerhalb würde ihnen eines Tages derart ins Handwerk pfuschen. Aber seit einigen Erdumdrehungen (sie konnten die Wechsel von Tag und Nacht in der andauernden Dunkelheit nicht erkennen, wohl aber spüren - besonders eines der beiden) merkte jedes die Unruhe des anderen. Wie unausgesprochene Gedanken, die trotzdem so deutlich am Brodeln und Schwappen sind, dass sie auf irgendeiner Ebene dennoch einen Laut zu senden scheinen. Und dieser Laut war auf beiden Seiten ein tiefes, schweres Seufzen.
An diesem Sommernachmittag stieß das Süße also das Salzige an. Natürlich war dafür nicht speziell dieser Ort an dieser Küste nötig gewesen. In gewisser Weise hätte dieses Gespräch an jeder Flussmündung stattfinden können - und das tat es auch -, aber ein Fokus auf eine konkrete Stelle half dabei, sich zu sammeln. Dunkel war es sowieso auf beiden Erdhalbkugeln, deshalb war die Optik des Ortes egal, und nach langem Schwanken hatten sie ihrer beider Bewusstsein hierher verlegt; an einen der Punkte, die genau zwischen der Unglücksstelle und dem von ihr am weitesten entfernten Punkt auf dem Planeten lagen. So, fand jeder von ihnen, waren ihre Gedanken nicht unmittelbar von der Erinnerung gebannt, kamen sie sich aber auch nicht feige vor, indem sie sich allzu weit vom Ursprung dieses Übels zurückzogen.
Nun schubste das Salzige sacht zurück. So ging es hin und her, denn so richtig wollte keines anfangen, und ein Weilchen ergötzten sich beide an ihrem Rhythmus und kicherten wortlos in sich hinein. Es lag eine Laune in der Luft, es mit dem Humor entweder gleich wieder sein zu lassen oder überzuschwappen. Die Tendenz ging zu Ersterem.
Das Brackwasser der Flussmündung war hinsichtlich seiner Verschmutzung nach wie vor übler als üblich, was es schwerer machen würde, klare Worte zu finden und den jeweils anderen zu verstehen. Beiden ging es im wahrsten Sinne des Wortes dreckig, aber es half ja nichts.
»Scheiße«, sagte das Süße und brach damit das lange Schweigen. »Einfach scheiße.«
»Scheiße, Dreck, Blut und Fleisch«, korrigierte das Salzige betont sachlich. »So viel Biomasse. Alles hin.«
»Da stehen wir ganz schön in der Kreide und uns trifft doch keine Schuld!«, sagte das Süße und lachte freudlos über seinen eigenen Witz.
»So was von. Wer hätte das ahnen können mit diesem Einschlag. So gemein. Zeit für ein neues Zeitalter würde ich sagen.«
»Hm, ja, schon schade. Du siehst übrigens, wenn ich das sagen darf, ziemlich sauer aus.«
»Wen soll das wundern? Das kommt vom ganzen Schwefel und dem Staubzeug. Was da alles freigesetzt worden ist, unfassbar. Das Zeug haben wir jetzt dauerhaft hier. Das muss man alles filtern und irgendwo unterbringen. Verrate mir - wer kann bitte so viel Carbonat gebrauchen? Und den Schwefel erst und den Ruß. Hätte ich eine Atmung, würde ich damit ein paar Jahre Pause machen, bis sich das Ganze gelegt hat. Wenn ich versuchen würde, mich wieder in den Vorher-Zustand zu restaurieren - ich wüsste nicht, ob ich mit einer Million Sonnenumläufe hinkäme, um das zu schaffen. Na ja, hat Zeit und ist im Moment nicht so wichtig. Ich für meinen Teil bin generell immer noch etwas verdattert. Ein Meteorit. Dazu fällt mir nichts ein. Aber bei mir ist eh grad Ebbe. Sag du doch mal was.«
»Bei mir sieht's auch nicht viel besser aus. Ich hab fast alles verloren. Bei der Kälte und Dunkelheit hat hier alles die Grätsche gemacht, was mit Photosynthese nicht mal eine Weile aussetzen kann. Wenn das so weitergeht, muss ich die Nummer mit den Moosen und Flechten eins zu eins noch mal von vorne durchziehen. Von den Tieren will ich gar nicht reden. Bin fast froh, dass es so dunkel ist. Reicht, wenn man das alles nur hören und riechen kann.« Es lachte erneut sein hohles Lachen. »Ha, schau uns an, zwei getrübte Wässerchen, denen der Durchblick fehlt. Und du musstest ja auch gleich so eine Riesenwelle machen, als es losging.«
»Ich hatte keine Wahl, als es passierte, und das weißt du genau! Das war ein direkter Effekt durch den Druck des Aufschlags. Und du musst gerade reden. Bei dir an Land stand doch unmittelbar alles Mögliche in Flammen. Kannst eigentlich froh sein, dass ich da einmal drübergerutscht bin, bevor deine komplette Flora und Fauna eingeäschert worden wäre. Selbst hast du ja wenig dazu beigetragen.«
»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte das Süße. »Ich war in meinen sofortigen Möglichkeiten limitiert. Und ganz ehrlich: Ich hab mich zwar ganz schön erschrocken, aber Entwicklung ist Entwicklung. Ich dachte: Jetzt ist die Zeit des Zuguckens. Weder du noch ich sind in Gefahr, so groß war das Teil ja nun auch wieder nicht. Ich sagte mir: Mal sehen, wie das Leben damit so umgehen wird.«
»Das hast du gedacht?«
»Ja. War eigentlich eh mal wieder Zeit für eine Wende.«
»Na ja, einiges von dem, was jetzt hin ist, war bereits auf dem absteigenden Ast, das stimmt schon. Bei den Sauriern ist dir, ehrlich gesagt, schon eine Weile entwicklungstechnisch nichts mehr eingefallen. Ich meine, das war mal eine immer neu aufstockende Vielfalt. Und zuletzt war von dem, was da ab und zu im Meer gelandet ist, klar ersichtlich, dass dir die Ideen ausgegangen sind. Aber du hattest dich eh längst auf Neues verlegt - leugne es nicht, diese ganzen Vögel und Insekten. Mir ist auch aufgefallen, dass du Reptilien erfunden hast, die man beim besten Willen nicht mehr Saurier nennen kann. Schade ist es trotzdem. Ich mochte die ganz großen. Ich hätte gern noch größere gehabt! Etwas, was uns gerecht wird vielleicht.«
»Ach was, du bist größenwahnsinnig. Schau es dir an«, sagte das Süße, »vor allem das Kleinzeug hat überlebt: Schnecken ja, Langhälse nein. Vögel ein paar, Mosas null. Dafür jede Menge deiner Fische, denn du hast dich auch nicht mehr nur an Saurier gehalten.«
»Scheiß Vögel«, warf das Salzige ein. »Fast alle Flatterviecher, die nicht ihre Flügel wieder runterentwickelt haben, haben Angst vorm Meer. Ist in den letzten Jahrtausenden kaum mal eines hier aufgetaucht. Oder abgetaucht. Von denen werd ich nichts vermissen. Aber ein paar, die sich vom Vogeldasein weiterentwickelt hatten, waren ganz vielversprechend.«
»Die Krokodile bleiben bei mir, damit das klar ist. Diese einstmaligen Vögel holst du dir nicht endgültig rüber, die haben schon viel zu viel von ihrem Ursprung verloren.«
»Wir werden sehen, wir werden sehen. Das Brackwasser ist ihnen bereits schmackhaft geworden. Das ist gut. Und sie sind nicht verschwunden, trotz des Einschlags.«
»Du hast genug Tiere, Salziges, halt dich an die. Aber ja, Krokodile sind zwar nicht groß, aber immerhin haben wir sie noch.«
»Ja, die halten was aus. Aber deine Theorie mit dem vielen >zu groß< passt sowieso nicht durchgehend. Es ist dir vielleicht nicht aufgefallen, aber alle meine Ammoniten sind hin. Ich habe in jede Bucht, jeden Gezeitentümpel und jede Tiefseerinne geschaut. Nichts. Seit ich sie gebastelt habe, haben bei jedem großen Tabula rasa immer ein paar überlebt und aus sich selbst heraus eine neue Vielfalt geschaffen. Ammoniten sind bezaubernd! . Waren bezaubernd.« Das Salzige seufzte. »Ich wurde nie müde, ihnen zuzuschauen und mit ihnen zu spielen. Diese ganzen Gase haben ihre Panzerchen aufgelöst, wie ich Vogelspuren am Strand. Ich dachte immer, die Kopffüßler wären sicher, aber zusammen mit der Planktonkrise hatten sie einfach gar keine Chance. Tja.«
»Du könntest sie neu schaffen, wenn du willst.«
»Das ist gegen unsere Regeln!« Die Welle, die sich aus dem Meer die Flussmündung hinauf warf, ließ keinen Raum für Zweifel an der Meinung des Salzigen. »Was sich einmal als untauglich erwiesen hat, wird nicht wiederholt, und da ist es egal, ob wir es selbst vernichtet haben oder etwas von außerhalb dafür gesorgt hat«, sagte es. »Bloß weil dieser Fall vorher noch nie eingetreten ist, heißt das nicht, dass diese Regel gebrochen werden kann. Also sind Ammoniten Vergangenheit.« Die Welle zog sich ins Meer zurück und das leise...
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