Schweitzer Fachinformationen
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Der Logistiker Klaus-Michael Kühne hatte den temporären Stillstand von Materialflüssen im Interview von 2016 nicht kommen sehen können. Doch für Logistikunternehmen wie K+N sind Grenzschließungen und Unvorhergesehenes aller Art ein Risiko, mit dem sie umgehen können, und zugleich eine Chance, die im Kern ihrer Geschäftsmodelle steht. Um einen Einblick in die Selbstdarstellung von Unternehmen und die Berichterstattung in den Medien zu erlangen, sind die Dokumentationsstellen in Wirtschaftsarchiven die beste Anlaufstelle.[1] Die verfügbare Dokumentation zu K+N bietet einen anschaulichen Einblick in die wachsende Bedeutung der Logistik, ihre steigende Präsenz in den Medien und auch in die Schwierigkeiten, sie historisch zu erforschen.
Es fällt auf, dass sich die Wirtschaftsberichterstattung seit Beginn der 1990er Jahre vermehrt mit der Logistikbranche beschäftigt. Auch K+N und Klaus-Michael Kühne sind seitdem regelmäßig in der Wirtschaftspresse präsent. Die neue mediale Publizität von K+N lag daran, dass das Unternehmen 1994 in Zürich und Frankfurt den Börsengang gewagt hatte, nach Danzas erst das zweite Speditionsunternehmen in der Schweiz.[2] Mit der Kapitalerweiterung sollte die außereuropäische Präsenz von K+N - vor allem in China - gestärkt werden. Klaus-Michael Kühne behielt 56,7 % der Aktien.
Seit Anfang der 1990er Jahre veröffentlichen Wirtschaftszeitungen nun im Quartalsturnus die von K+N im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zum Börsengang erstmals zur Verfügung gestellten Kennzahlen (Umsatz, Ertrag, Betriebsergebnis, Finanzergebnis, Gewinn, Cashflow). Sie interviewen Firmenvertreter:innen (oder zitieren ihre Voten aus den Geschäftsberichten) und lassen auch Finanzanalyst:innen der Banken zu Wort kommen, welche die Firmen bewerten und zum Kaufen, Halten oder Verkaufen von Aktien raten. Der Finanzanalyst der Credit Suisse (CS), der sich 1994 anlässlich des bevorstehenden Börsengangs mit K+N beschäftigte, riet zum Kaufen.[3] Der Abbau von Zollschranken und die Entfaltung von Binnenmärkten (EU, NAFTA, ASEAN), die Auslagerung der Produktion in Niedriglohnländer, die Öffnung neuer Märkte in Osteuropa, China, Vietnam etc. würden die Entwicklung von K+N positiv beeinflussen. Durch das weltweite Stützpunktenetz mit 400 Büros in 80 Ländern sei K+N bestens aufgestellt. Der Finanzanalyst sollte recht behalten. Beflügelt durch die Globalisierung stiegen die Kurse von K+N nach der Jahrtausendwende markant an.
Aus diesen auch an potenzielle Investor:innen gerichteten Informationen lassen sich dominante Selbstbeschreibungen der Logistik der letzten drei Jahrzehnte herausfiltern: zum einen die Selbstbeschreibung einer Branche im Umbruch, mit kapitalkräftigen Unternehmen wie K+N, die sich in den 1980er und 1990er Jahren Investitionen in Distributionssysteme auf Basis von vernetzter EDV und Übernahmen leisten konnten, die die turbulente Globalisierung und Digitalisierung im ausgehenden 20. Jahrhundert überlebt hatten und die sich auf dem durch Konzentrationsprozesse gekennzeichneten Logistikmarkt behaupten konnten. Zum anderen der Topos von äußerst agilen, flexiblen und anpassungsfähigen Betreiber:innen und Treiber:innen der Globalisierung, die in allem, so scheint es - sei es Deregulierung, Protektionismus, Kriege, Grenzregulative, Streiks oder Digitalisierung -, Chancen wittern und selbst auch aus Handelsschranken Profit zu schlagen vermögen. Diesen Chancen stehen Risiken gegenüber, insbesondere die starke Abhängigkeit vom Konjunkturverlauf. Firmen, die sich verschätzt haben, können schnell starke Einbußen erleiden und zu Übernahmekandidaten werden. Dies widerfuhr zum Beispiel dem Konkurrenten von K+N, Panalpina, der 2019 vom dänischen Logistikkonzern DSV akquiriert wurde.
K+N ist ein traditionsreiches Familienunternehmen, das 1890 in Bremen gegründet wurde und 1969 seinen Firmensitz ins steuergünstige Schindellegi in der Schweiz verlegte. Der Umzug sei eine Reaktion auf die sozial-liberale Regierungskoalition und Bedenken bezüglich ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik (etwa einer möglichen Ausweitung der Mitbestimmung von Arbeitnehmer:innen) gewesen, so lässt sich der Gründerenkel Klaus-Michael Kühne gerne in den Medien zitieren.[4] Im Jahr 2015 feierte das Familienunternehmen sein 125-jähriges Jubiläum. Eigentlich ein idealer Rahmen, um K+N und seinem Mehrheitsaktionär Klaus-Michael Kühne, der sich in den Medien gerne als Mäzen von Sport (HSV), Wissenschaft (z.B. Kühne Logistics University) und Kultur (etwa Elbphilharmonie, Klaus-Michael Kühne-Preis und Lucerne Festival) präsentiert, noch mehr Publizität zu verschaffen. Im Geschäftsbericht für das Jahr 2015 konnte das Unternehmen eine neue Bestmarke beim Jahresergebnis und eine Steigerung der Produktivität präsentieren. Von diesem positiven Ergebnis profitierten auch die Aktionär:innen, denen eine zusätzliche Jubiläumsdividende ausgeschüttet wurde.[5] Der Geldsegen kam insbesondere dem Mehrheitsaktionär Klaus-Michael Kühne zugute. Er rückte 2015 im Reichstenranking des Schweizer Wirtschaftsmagazins Bilanz mit einem geschätzten Vermögen von 8 bis 9 Milliarden Schweizer Franken unter die zehn reichsten Schweizer:innen vor.[6]
Zum Firmenjubiläum schickte die K+N-Gruppe von Bremen aus Infocontainer auf eine Weltreise.[7] Die Jubiläumscontainer legten zwischen Bremen, Schanghai, Tokio, Dubai, Utrecht, Mailand, Wien, Santiago de Chile, New York, Toronto und Hamburg 43000 Seemeilen und 7000 Kilometer Landweg zurück und haben, so der Geschäftsbericht von 2015, »Geschichte lebendig werden lassen«. Doch just im Jubiläumsjahr 2015, als K+N im Januar auf dem Marktplatz in Bremen seine Geschichte zur Schau stellte, wurden Stimmen laut, welche auf ein Kapitel der Geschichte von K+N hinwiesen, das in den Jubiläumscontainern ausgeblendet blieb. Der freie Journalist Henning Bleyl hat mit seinen Artikeln für die taz maßgeblich dazu beigetragen, dass trotz der beschönigenden Jubiläumsfeier von K+N seither in den Medien über die starke Belastung des Unternehmens zur Zeit des Nationalsozialismus berichtet wird.[8] Und er gehört auch zu den Initiator:innen eines »Arisierungs«-Mahnmals, das in Bremen gleich unterhalb der Firmenzentrale von K+N errichtet werden soll. Das Unternehmen war nämlich an der sogenannten »M-Aktion« (M steht für Möbel) der SS und des »Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg« beteiligt. Dabei ging es um den Abtransport des Besitzes der deportierten und ermordeten Jüdinnen und Juden in ganz Westeuropa. In einer Medienmitteilung ließ K+N im März 2015 verlauten, dass die Firmenarchive, die sich in den Büros in Bremen und Hamburg befunden hätten, im Zweiten Weltkrieg abgebrannt seien. Das Unternehmen sei unter den Bedingungen einer Diktatur in die Kriegswirtschaft eingebunden gewesen.[9] Doch mit dieser Medienmitteilung konnte K+N die Dynamik der Debatte nicht mehr aufhalten. Große Tageszeitungen und wichtige Wirtschaftsmagazine griffen das Thema auf. Auch die Sendungen Kontrovers des Bayerischen Rundfunks und die ARD-Tagesthemen berichteten im April 2015 über die Beteiligung Alfred Kühnes (des Vaters von Klaus-Michael Kühne) an der Plünderung von 70000 Wohnungen in Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden sowie an der Spedition der Möbel nach Deutschland.[10]
Das Unternehmen K+N behauptet, dass firmenintern keine Dokumente zur »M-Aktion« vorlägen. Es sei zudem unklar, ob der Auftrag wissentlich und willentlich durchgeführt worden sei. Henning Bleyl hat sich auf die Gegenüberlieferung gestützt und in öffentlichen Archiven trotzdem einige belastende Dokumente gefunden. K+N weigert sich bis heute, seine NS-Vergangenheit von unabhängigen Historiker:innen untersuchen zu lassen. Der Zeithistoriker Frank Bajohr, der zur »Arisierung« von jüdischem Eigentum geforscht hat, kritisierte diese Haltung mehrfach in den Medien.[11] Es sei nämlich in Deutschland seit den 1990er Jahren bei anderen Großunternehmen angekommen, dass diese sich ihrer Vergangenheit zu stellen hätten. Und es wäre wünschenswert, wenn sich das Unternehmen und sein Mehrheitseigentümer, der sich gerne in der Öffentlichkeit als Mäzen präsentiere, auch auf dem Gebiet der Aufarbeitung der Vergangenheit auf dem gegenwärtigen Standard zeigen würden. Das Mahnmal bei der Firmenzentrale in Bremen wird die Öffentlichkeit künftig daran erinnern, dass K+N zur Zeit des Nationalsozialismus mit dem Transport der Möbel der enteigneten und ermordeten Jüdinnen und Juden Geld verdiente.
Wegen seines wirtschaftlichen Erfolgs sorgt das Unternehmen nach der Pandemie in den Wirtschaftsmedien für euphorische Schlagzeilen. Unerwartete Ereignisse (etwa die pandemiebedingte Verschiebung des Konsumverhaltens und die Engpässe in globalen Transportnetzwerken) bescherten K+N Rekordumsätze. In einer 2022 veröffentlichten Unternehmensbroschüre konnte K+N für das Jahr 2021 eine Steigerung des Nettoumsatzes von 20,4 Milliarden auf 32,8 Milliarden Franken ausweisen.[12] Die Neue Zürcher Zeitung brachte Ende Juli 2020 die Dynamik hinter diesem auch für die Finanzanalysten unerwarteten Ausmaß des Erfolgs mit den in der...
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