In seiner trüben Stimmung erinnerte sich Schiller an den unglücklichen Dichter Schubart, der seine Freimüthigkeit mit einer strengen Haft auf der Festung Hohenasberg büßte. Ihn selbst konnte ein gleiches Schicksal treffen. Dringend ersuchte er daher in einem Briefe vom 15. Juli 1782 den Freiherrn von Dalberg, wenn sich für ihn zum Aufenthalt in Mannheim noch Aussichten zeigten, dieselben möglichst zu beschleunigen. Er wäre, schrieb er, außerdem gezwungen, einen Schritt zu thun, der es ihm unmöglich machen würde, in Mannheim zu bleiben. Vierzehn Tage wartete er vergebens auf eine Antwort. In seiner trostlosen Stimmung vermochten ihn weder seine Freunde, noch die Beschäftigung mit seinem neuen Trauerspiel zu erheitern. Nichts schien für ihn Reiz zu haben. Mit entschiedener Abneigung betrieb er seine medicinische Praxis, die ihm durch einige kühne, aber mißlungene Curen völlig verleidet worden war. In seiner früher erwähnten anonymen Selbstcritik der Räuber hatte er über den Verfasser jenes Schauspiels geäußert: "Er soll ein Arzt bei einem Würtembergischen Grenadier-Bataillon seyn, und wenn das so ist, so macht es dem Scharfsinn seines Landesherrn Ehre. So gewiß ich sein Werk verstehe, so muß er starke Dosen in %Emeticis% eben so sehr lieben, als in %Aestheticis%, und ich möchte ihm lieber zehn Pferde, als meine Frau zur Cur übergeben."
Die Idee, dem Herzog Vorstellungen zu machen gegen den erlassenen Befehl, verwarf Schiller nach reiflicher Ueberlegung. Ein solcher Schritt konnte leicht neue Vorwürfe oder Strafen über ihn verhängen. Er entschloß sich zu einer abermaligen heimlichen Reise nach Mannheim. Von dort aus wollte er in einem Schreiben seinem Landesherrn vorstellen, wie durch das erlassene Verbot seine ganze Existenz vernichtet worden. In Mannheim hoffte er als Theaterdichter angestellt zu werden. Diese Stadt wollte er daher, wenn kein Widerruf des herzoglichen Befehls erfolgte, zu seinem künftigen Wohnsitz wählen. Ueberall beobachtet in seinen Schritten, hielt er es für bedenklich, mehreren Freunden seinen Entschluß zu vertrauen. Nur einem einzigen konnte er mit Sicherheit sein Herz öffnen. Mit einer Hingebung und Aufopferung, die an Schwärmerei grenzte, hing Johann Andreas Streicher an ihm, ein geborner Stuttgarter, der sich der Musik widmete, und dessen Bekanntschaft Schiller vor ungefähr achtzehn Monaten gemacht hatte. Zwischen ihm und Streicher hatte sich bald das innigste Freundschaftsverhältniß gebildet. Sie sahen sich fast täglich, und ein unumschränktes Vertrauen fesselte sie an einander. Schillers unglückliche Lage war der immer wiederkehrende Hauptgegenstand ihrer Gespräche.
Den vorhin erwähnten Plan einer heimlichen Entfernung nach Mannheim hatte Schiller, außer seinem Freunde, auch seiner ältesten Schwester Christophine mitgetheilt. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt. Auch Schillers Mutter war in das Geheimniß gezogen worden. Sein Vater dagegen wußte nichts von der Sache. Beschleunigt ward die Reise durch den Umstand, daß Streicher, der im Frühjahr 1783 nach Hamburg gehen wollte, um dort unter Bach's Leitung sich in der Musik zu vervollkommnen, mit Zustimmung seiner Mutter sich schon jetzt zu jener Reise entschloß, um seinen Freund begleiten zu können.
Erst nach Vollendung seines neuen Trauerspiels, der "Verschwörung des Fiesko", konnte Schiller jedoch seinen Entschluß ausführen. Kaum bis zur Hälfte war jene Tragödie vollendet, aller Anspannung seines Geistes ungeachtet. Um seine Arbeit zu beschleunigen, brachte er oft die Nächte schlaflos zu. Von der Außenwelt halte er sich fast gänzlich zurückgezogen. Schon zu Anfange des August 1782 waren in Stuttgart, Hohenheim, Ludwigsburg u. a. Orten mehrfache Anstalten getroffen worden zum Empfang des russischen Großfürsten (nachherigen Kaisers) Paul und seiner Gemahlin, einer Nichte des Herzogs von Würtemberg. Unter den benachbarten Fürsten und unzähligen Fremden, die in der ersten Hälfte des Septembers in Stuttgart eintrafen, befand sich auch der Freiherr v. Dalberg, den Schiller besuchte, ohne ihm jedoch etwas von seinem Vorhaben zu entdecken. Außer Streicher begleitete ihn die Gattin des Mannheimer Theaterregisseurs Meier, die ebenfalls in Stuttgart angelangt war, als sich Schiller nach der Solitude degab [begab], um seine Eltern noch einmal zu sehen und besonders seine sehr um ihn besorgte Mutter zu trösten. Schillers Vater entwarf eine sehr ausführliche Beschreibung von den Festlichkeiten, die auf der Solitude statt finden sollten, und unterbrach auf diese Weise das oft stockende Gespräch. Als Schiller, der sich unbemerkt mit seiner Mutter entfernt hatte, wieder zurückkam, schien er in sich gekehrt, und die Feuchtigkeit und Röthe seiner Augen verrieth, wie schwer ihm der Abschied von seiner Mutter geworden war. Etwas heiterer ward er erst, als er wieder nach Stuttgart zurückgekehrt war.
Mit seinem Freunde Streicher war er überein gekommen, daß sie den 17. September ihre Reise nach Mannheim antreten wollten. Sie hatten absichtlich jenen Tag gewählt, weil an demselben, wie Schiller auf der Solitude erfahren, eine große Hirschjagd, theatralische Vorstellungen und eine prachtvolle Illumination statt finden sollten. Daß das Regiment, bei welchem Schillers Vater stand, an jenem Tage nicht die Wache hatte, befreite die beiden Freunde zugleich von der Besorgnis, unter den Stadtthoren Soldaten zu treffen, denen Schiller bekannt war. Die Nacht vor seiner Abreise brachte Schiller bei seinem Freunde Scharffenstein auf der Wache zu. Den folgenden Tag, Morgens um neun Uhr, sollte alles bereit seyn, was an Kleidern, Wäsche, Büchern u. s. w. aus Schillers Wohnung noch in Streichers Haus geschafft werden sollte. Dort wollten die Freunde abfahren.
Nicht das Mindeste fand jedoch Streicher vorbereitet, als er am andern Morgen in Schillers Wohnung sich pünktlich einfand. Dieser war vielmehr beschäftigt, ein Gegenstück zu einer Klopstock'schen Ode zu dichten. Streicher mußte, so sehr er auch zur Eile trieb, zuerst diese Ode und dann das Gegenstück anhören. Es dauerte lange, ehe Schiller aus seiner idealen Welt wieder in die wirkliche zurückkehrte. Durch Anschaffung der nöthigsten Kleidungsstücke und anderer unentbehrlicher Dinge war seine Casse so erschöpft worden, daß sie nur aus 23 Fl. bestand. Nicht viel mehr besaß Streicher. Indeß glaubten beide mit dieser Summe bis nach Mannheim zu kommen und dort einige Tage damit auszureichen. Von seiner Mutter, obgleich sie nicht vermögend war, hoffte Streicher noch nachgeschickt zu erhalten, was er zu seiner Reise nach Hamburg brauchte.
Mit zwei alten Pistolen unter seinem Civilkleide, die er Sicherheits halber mitgenommen, trat Schiller am 17. Sept. 1782 Abends neun Uhr in Streichers Wohnung. Es hatte zehn Uhr geschlagen, als der Wagen, in welchem die Freunde saßen, mit zwei Koffern und einem kleinen Clavier für Streicher bepackt, zum Eßlinger Thor hinausfuhr. Dieß Thor war eins der dunkelsten, war jedoch aber auch deßhalb gewählt worden, weil Schiller erfahren, daß dort einer seiner vertrautesten Freunde die Wache hatte, durch dessen Dazwischenkunst etwaige Hindernisse leicht beseitigt werden konnten. Schiller nannte sich am Thor Doctor Ritter, und Streicher gab sich für einen Doctor Wolf aus. Eßlingen ward als Reiseziel angegeben. Die Freunde mußten den Weg um die Stadt einschlagen, der sie auf die Straße nach Ludwigsburg führte. Schiller war in sich gekehrt und wechselte wenig Worte mit seinem Begleiter. Das hoch gelegene Lustschloß Solitude, von welchem sie ungefähr anderthalb Stunden entfernt seyn mochten, mit seinen weitläufigen Nebengebäuden prachtvoll erleuchtet, zeigte sich in einem herrlichen Feuerglanze. "O meine Mutter!" rief Schiller, auf den Punkt hindeutend, wo seine Eltern wohnten. Ueberwältigt von wehmüthigen Gefühlen, sank er mit einem halb unterdrückten Seufzer auf seinen Sitz zurück.
Beim Caffee, den die Freunde in Enzweihingen, wo gerastet werden sollte, einnahmen, recitirte Schiller aus einem Heft ungedruckter Gedichte des unglücklichen Schubart einige der bedeutendsten, unter andern "die Fürstengruft", die ihn bei seinem früher erwähnten Gedicht: "die schlimmen Monarchen" zum Muster gedient hatte. Das erhebende Gefühl, drückende Fesseln von sich abgeschüttelt zu haben, und der feste Vorsatz, sich nie wieder einem ähnlichen Zwange zu unterwerfen, bemächtigte sich Schillers, als eine kleine Pyramide, die sie um acht Uhr Abends erreichten, ihn und seinen Freund überzeugte, daß sie sich an der churpfälzischen Grenze befanden. Schiller machte seinen Reisegefährten auf die blau und weiß angestrichenen Pfähle aufmerksam. Eben so freundlich, wie diese Pfähle, meinte er, sei der Geist der Landesregierung. Ein politisches Gespräch knüpfte sich an diese Bemerkung, und die Zeit entschwand darüber den Freunden so schnell, daß sie sich wunderten, als sie um zehn Uhr schon in Bretten ankamen. Dort ward der Stuttgarter Wagen zurückgeschickt. Mit der Post fuhren die Freunde über Waghäusel nach Schwetzingen. Die Thore der Stadt Mannheim, die damals noch eine Festung war, konnten sie vor dem hereinbrechenden Dunkel nicht mehr erreichen. Sie mußten daher in Schwetzingen übernachten.
Am folgenden Tage, den 19. Sept., waren die Freunde schon früh Morgens beschäftigt, die besten Kleidungsstücke aus den Koffern hervorzuholen, um in Mannheim nicht gar zu dürftig zu erscheinen. Seine ziemlich erschöpfte Börse hoffte Schiller durch sein neues Trauerspiel: "die Verschwörung des Fiesko", wieder einigermaßen zu füllen. Ihm schien außer Zweifel, daß die Theaterdirection sich beeilen werde, auch dieß zweite Stück anzunehmen. Mit der Hoffnung eines nicht ganz unbedeutenden Honorars trat er in die Wohnung des Theaterregisseurs Meier, der sich höchlich verwunderte über seine Ankunft zu einer Zeit, wo in...