An der Seite seiner Gattin Dorothea Hillenbrandt fühlte Wieland sich sehr glücklich, obgleich sie, seinem eignen Geständniß nach, keine "Musarion" war. In einem Raum von funfzehn Jahren hatte er so manche Erfahrungen in der Liebe gemacht, daß er sie wohl im Stillen einer Musterung für werth hielt. Schon in früherer Zeit hatte Wieland den Plan entworfen, eine "philosophische Geschichte der Liebe" zu schreiben. Dieser Plan blieb unausgeführt; aber er bot ihm den Stoff zu seinem Gedicht "Idris und Zenide," in welchem er beabsichtigte, die verschiedenen Arten der Liebe gegen einander in Contrast zu stellen, und zu diesem Behuf verschiedene Charaktere in eigentümlichen Situationen sich entwickeln zu lassen. Im Wesentlichen unverändert kehrte die Idee, die dem erwähnten Gedicht Wielands zu Grunde lag, in seinem "Neuen Amadis" wieder, mit dem er sich gleichzeitig beschäftigte. Ariost's rasender Roland war sein Vorbild. Den Sieg der Natur über die Schwärmerei, der Wahrheit über die Heuchelei zu verherrlichen, war nach Wielands eignen Worten die Aufgabe, die er sich bei seinem "Neuen Amadis" stellte. Von dem Muster, das ihm bei diesem Gedicht vorgeschwebt hatte, entfernte er sich in seinen "Grazien." Nach seinen eignen Aeußerungen wollte er in diesem Gedicht "den Uebergang des Menschen aus dem Naturstande zur Stufe einer verfeinerten Bildung" schildern.
Von dem Eindruck, den seine Schriften auf das Publikum machten, erfuhr Niemand weniger, als Wieland selbst. Aus den öffentlichen Kritiken, die oft parteiisch und befangen waren, konnte er jenen Eindruck nicht kennen lernen. Es lag aber auch in seinen Verhältnissen, daß er überhaupt mit dem Gange der Literatur unbekannt blieb. Die meiste Zeit brachte er in der Kanzlei, in den Rathssessionen und an seinem Actentisch zu, ohne am Abend eine andere Gesellschaft zu finden, als an einem Kartentisch oder in häuslichen Cirkeln, wo er seine Literaturkenntniß eben nicht sonderlich erweitern konnte. Durch Gewohnheit fühlte er sich nicht unbehaglich in diesem einförmigen Lebenskreise, und aus seiner scheinbaren Verstimmung blickte oft ein unverwüstlicher Humor hervor. "Wenn ich," schrieb er, "auch zuweilen schwermüthig werde, und mit dem Strumpfband in der Hand mich nach einem tauglichen Nagel umzusehen anfange, so besinne ich mich doch allemal so lange, bis wieder nichts daraus wird - ein überzeugender Beweis, daß ich noch etwas in meinem Zustande finde, das der Versuchung, mich aufzuhängen, wenigstens das Gleichgewicht hält."
Diese Zeilen hatte Wieland noch vor seiner Verheirathung geschrieben. Seine sehr glückliche Ehe zeigte ihm auch seine Amtsverhältnisse, so bitter er sich auch oft darüber beklagt hatte, in einem minder ungünstigen Lichte. In einem seiner damaligen Briefe bat er einen Freund, "sich die Sache nicht so gar gräßlich vorzustellen." Ueber die Nachmittage, äußerte Wieland, könne er frei disponiren, und seine Geschäfte gingen ihm leicht von der Hand. "Dafür bin ich aber auch," fügte er hinzu, "einer der expeditivsten Leute im ganzen Schwabenlande. Nur ein kleines Tusculanum geht mir noch ab, und bis ich erben werde (wozu in den nächsten zwanzig Jahren wenig Hoffnung ist) sehe ich auch keine Möglichkeit, eins zu bekommen. In Ermangelung dessen habe ich ganz nahe an der Stadt, aber doch in einem etwas einsamen Orte, ein artiges Gartenhaus gemiethet, wo ich die angenehmste Landaussicht von der Welt habe, und, so nahe es meinem Hause in der Stadt ist, doch völlig auf dem Lande bin. Hier bringe ich im Sommer meine meisten müssigen Stunden zu, solus cum sola, oder ganz allein mit den Musen, Faunen und Grasnymphen, deren ich von Zeit zu Zeit einige im Gesicht habe, welche auch den enthaltsamsten Einsiedler unversucht lassen würden. Ich rieche den lieblich erfrischenden Geruch des Heu's, ich sehe schneiden und Flachs bereiten. Auf der einen Seite erinnert mich aus der Ferne der Kirchhof, wo die Gebeine meiner Voreltern liegen, daß ich leben soll, so lange und gut ich kann; auf der andern Seite lockt mir ein durch Gebüsche halb verdeckter Galgen fernher den Wunsch ab, daß ein halb Dutzend Schurken, die ich ganz trotzig tète levée herumgehen sehe, daran hängen möchten. Ich sehe Mühlen, Dörfer, einzelne Höfe, ein langes angenehmes Thal, das sich mit einem zwischen Bäumen hervorragenden Dorfe mit einem schönen schneeweißen Kirchthurm endet, und über demselben eine Reihe ferner blauer Berge. Das zusammen macht eine Aussicht, über der ich alles, was mir unangenehm seyn kann, vergesse, und, mit diesem Prospect vor mir, sitze ich an einem kleinen Tisch, und - reime."
Wegen seiner Zukunft, wenn sich sein Blick dahin verirrte, konnte Wieland unbesorgt seyn. Durch Pünktlichkeit und unermüdete Berufstreue hatte er sich die Achtung und das Vertrauen seiner Obern erworben. Seine ökonomischen Verhältnisse überhoben ihn der Sorgen. Noch nie hatte sich der Wunsch in ihm geregt, seine Lage mit einer andern zu vertauschen. Er wußte es daher anfangs seinen Freunden wenig Dank, als sie ihm eine andere Stellung zu verschaffen suchten, die, wie sie glaubten, mit seinen Fähigkeiten und Neigungen mehr harmonirte.
Eine flüchtig hingeworfene Aeußerung Wielands, daß er nicht abgeneigt wäre, ein akademisches Lehramt zu bekleiden, hatte in dem Churmainzischen Minister v. Großschlag, der ihn in Warthausen kennen gelernt, die Idee geweckt, ihn nach Erfurt zu ziehen. Wieland schwankte eine Zeit lang, ob er dem an ihn ergangenen Rufe folgen sollte. Zufrieden mit seinen bisherigen Verhältnissen, fesselten ihn Familienverhältnisse, Eltern und Schwiegereltern an seine Vaterstadt Biberach. Er fürchtete außerdem von seiner neuen Lage manche Unannehmlichkeiten. Die Promotion war das Erste, was er zu umgehen wünschte. Magister zu werden, meinte Wieland, werde sich für ihn um so weniger schicken, da er "die Ehre habe, Comes Palatii Caesarei zu seyn, und vermöge seines Diploms selbst fähig sei, Meister der freien Künste zu creiren." Manche dieser Hindernisse räumte Wielands Freund, der Professor Riedel in Erfurt, hinweg. Was ihn hauptsächlich bestimmte, den Ruf nach Erfurt anzunehmen, war die Vorstellung, daß er dort die ersehnte Muße zu literarischen Arbeiten zu erlangen hoffte. Das Schreiben, in welchem ihm eine Professur der Philosophie mit dem Charakter eines Churfürstl. Mainzischen Regierungsraths und einem Gehalt von 600 Rthlrn. zugesichert worden war, enthielt zugleich die schmeichelhafte Aeußerung, daß sein Name das Hauptmotiv gewesen wäre, ihn nach Erfurt zu ziehen. Man sei, hieß es ausdrücklich in jenem Schreiben, "schon zufrieden, wenn er nur komme, sollte er auch gleich nichts anderes thun, als da seyn und machen, was ihm selbst gefalle." Diese Aussicht einer unbeschränkten literarischen Thätigkeit hatte so viel Lockendes für Wieland, daß er sich entschloß, den Ruf nach Erfurt anzunehmen, und der Magisterpromotion sich zu unterwerfen, so manches er auch, wie vorhin erwähnt, dagegen einzuwenden gehabt hatte.
In der letzten Zeit seines Aufenthalts in Biberach beschäftigten ihn mancherlei schriftstellerische Pläne, die er in Erfurt zu realisiren hoffte. Er wollte unter andern "Briefe über die Literatur" schreiben, und sie "in kleinen Bändchen in die Welt fliegen lassen." Die Muße, welche ihm seine Kanzleigeschäfte irgend gönnten, benutzte er zu einer Revision seiner poetischen Schriften, die damals neu gedruckt werden sollten. Längst zerfallen mit seinem früheren Freunde Bodmer, der sogar Spottgedichte gegen ihn gerichtet hatte, folgte Wieland, der schönen Vergangenheit sich dankbar erinnernd, nur den Eingebungen seines Herzens, als er jene Sammlung "seinen alten und ehrwürdigen Freunden, dem Herrn Kanonikus Breitinger und dem Herrn Professor Bodmer" mit einer für beide sehr schmeichelhaften Dedication widmete.
Am 1. Juni 1769 kam Wieland in Erfurt an, durch Hitze, Staub und andere Unannehmlichkeiten der Reise so gänzlich erschöpft, daß er, seinen eignen Aeußerungen nach, "einem Ritter von der traurigen Gestalt um einen großen Theil ähnlicher sah, als einem der sieben Weisen." Das Schicksal hatte ihn wieder in die Stadt zurückgeführt, wo er seine philosophischen Studien begonnen, doch damals durchaus keine Neigung zu einem akademischen Lehramt in sich verspürt hatte. Außer seinem Freunde Riedel fand er in Erfurt Meusel, Chr. H. Schmid, den Verfasser einer vielgelesenen Theorie der Dichtkunst, den eben so berühmten als berüchtigten Dr. Bahrdt u.A. Keiner von diesen talentvollen Köpfen hatte damals schon einen so festbegründeten literarischen Ruf, als Wieland, der von mehreren seiner Collegen schon deßhalb beneidet werden mochte. Vorzüglich fühlten sie sich verletzt durch seine Ernennung zum ersten Professor der Philosophie. Neue Nahrung erhielt ihre Mißgunst, als Wieland nach einem halben Jahre auch zum außerordentlichen Beisitzer des Collegii academici ernannt ward.
Auf seinen Freund, den Professor Riedel, beschränkte Wieland seinen Umgang. Mit den übrigen Lehrern der Erfurter Hochschule kam er in wenige Berührung. Den Freuden des geselligen Lebens, die nie besondern Reiz für ihn gehabt, sich in Erfurt fast gänzlich zu entziehen, ward ihm nicht schwer. Ersatz dafür bot ihm seine freundliche Gartenwohnung im Gasthofe zum Schwan, hinter dem Schottenkloster. Dies Asyl befriedigte in jeder Hinsicht seine mäßigen Wünsche. Er fühlte sich glücklich, seiner Familie, sich selbst und den Musen ungestörter leben zu können, als es seine Verhältnisse in Biberach gestattet hatten. Sein Lehramt eröffnete er mit Vorträgen über die Geschichte der Menschheit, nach einem bekannten Werke von Iselin über diesen Gegenstand. Späterhin hielt er...