Teil II Jerusalem
Heimkehr
In Neapel steigt sie an Land. Auf dem Gütchen arbeitete ihr Bruder als wäre nichts geschehen.
Langsamen Schrittes an Valerios Grab.
Sie schüttete die Blumen, die sie in beiden Armen trug, über den Hügel. Sie wirft sich selbst auf den Hügel. Sie bittet ihn um Verzeihung, beschuldigt die anderen und gelobt ihm, ihn nicht im Stich zu lassen. Er sei nicht verloren, so lange sie lebe.
»Ich war in Rom. Ich komme aus Rom. Ich habe noch nicht unser Häuschen betreten. Dies ist mein erster Gang, Valerio, mein Geliebter, - zu dir. Deine Aetheria ist hier. Hörst du mich? Ich bin ganz dicht bei dir, geliebtes Gesicht, geliebter Mund, geliebte Hände.
Ich war in Rom. Verzeih mir. Es war unser einziger Streit, daß ich zu den Christen ging, und du wolltest nicht. Du hattest recht. Ihr Gott hat sich meiner nicht erbarmt. Sie versprechen so viel, ich war so kindisch, es zu glauben. Schwach hat mich ihr Gott gemacht. Ich muß mich vor ihm retten. Ich will nichts mehr von ihm wissen, ich kenne ihn nicht mehr, Valerio, sei gewiß. Nichts trennt uns.«
Während Aetheria, die junge Bäuerin, auf dem blumenbestreuten Hügel liegt und sich mit ihrem toten Mann ganz aussöhnt, steht ein Bote Gottes, ein himmlischer Engel, ihr Schutzengel, hinter ihr und schweigt.
Er beugt sich über Aetheria und berührt ihre Schulter.
Es sind aber Engel unsichtbare Geschöpfe Gottes. Sie brauchen sich nicht mit einem Körper zu beladen.
Es ist müßig, ihre Leichtigkeit zu beschreiben und zu sagen, daß sie leichter sind als Federn oder Luft.
Sie sind wahrhaftig gewichtslos.
Und weil uns nur Menschen und Bilder aus unserer Erfahrung zur Verfügung stehen, können wir auf keine Weise richtig sagen, wie sie sind.
Aber weil sie sind, soll man sich trotz aller Schwierigkeiten bemühen, für ihr Handeln und für ihr Verhalten Worte unserer Sprache und Bilder, die sie spiegeln, zu finden.
Sie tauchen auf, es ist uns eine Stimmung, ein Gesicht,
Sie verschwinden,
Sie überlassen uns uns selbst.
Ein anderes Gesicht,
Eine andere Stimmung.
Wir glauben,
Das sind wir,
Nur wir, -
Aber wer sind wir ohne sie?
Matt stand Aetheria vom Grabe auf und trocknete sich das Gesicht. Sie war besänftigt.
Klarheit und Sicherheit fühlte sie in sich.
Es war eine andere Klarheit und Sicherheit in ihr, als sie wußte.
Die Monate vergehen - die Jahre vergehen
Es hat dann Aetheria, von ihrer Pilgerreise zurückgekehrt, auf ihrem kleinen Gut neben ihrem Bruder gelebt und gearbeitet.
Die Monate vergehen.
Die Jahre vergehen.
Sie wird ernster und gleichmäßiger. Ihre Schönheit bleibt. Sie wird eine andere Schönheit. Der Wohllaut ihrer Stimme bleibt. Es wird ein anderer Wohllaut.
Sie hat wie viele andere im Ort draußen auf dem Friedhof einen Toten. Es ist ihr Mann. Sein Grab wird gepflegt und geschmückt.
Sie war einmal, bis zum Tod dieses Mannes, des jungen Fischers Valerio, Christin. Der Mann kam um bei einem der üblichen Bandenüberfälle. Das Eigentümliche war, daß damals zwei Banden zusammenstießen, die sonst gemeinsame Arbeit machten, diesmal aber auf verschiedenen Seiten standen, was Valerio und seine Leute erst beim Überfall selbst bemerkten und dann nicht dulden wollten, ja, für Unrecht hielten. Darauf griff er seine Freunde von gestern an und kam dabei um. Die siegreiche Bande tat in der Folgezeit alles, um den Schmerz der Frau Valerios, der Witwe Aetheria, zu lindern, und man traf auch zwischen den Banden, gewarnt durch den traurigen Vorfall, eine Abmachung, wie einer den andern nicht mehr darüber im Unklaren lassen sollte, wenn er einer reisenden Truppe einen Streich spielen wollte. Die Abmachung wurde gehalten, in Erinnerung an das Unglück, und sie übte eine heilsame Wirkung.
Die Witwe selber, nicht in Not, löschte bald nach ihrer Rückkehr von einer Romreise, das heilige Zeichen der Christen, das Bild des Fisches in ihrem Zimmer und unter dem Dach ihres Häuschens aus. Sie war der Meinung, da sie nichts ändern könnte, wenigstens dies ihrem Mann schuldig zu sein.
Man machte erst hämische Bemerkungen hinter ihr, wenn sie auf den Friedhof ging. Dann trat alles zurück.
Die Monate vergehen.
Die Jahre vergehen.
Ihre Schönheit ist geblieben, es ist eine andere, ernstere Schönheit geworden. Der Wohllaut ihrer Stimme ist geblieben, es sind neue Töne in der Stimme aufgetreten, sie weiß es nicht.
Die Engel tauchen auf.
Sie verschwinden.
Sie überlassen uns uns selbst, -
Ein anderes Gesicht,
Eine andere Stimmung.
Wir glauben,
Das sind wir,
Nur wir.
An der Stelle der Wand, die früher das Zeichen des Fisches trug, das Zeichen Christi, des Erlösergottes, der, wie berichtet war, am Kreuz in Palästina starb, - an diesem täglich von liebenden Blicken begrüßten, geküßten Platz steht ein Schränkchen und darauf aus gebranntem Ton, die ihnen teure Figur der Hestia. Sie ist bei den Heiden, welche das römische Reich regieren, die Göttin des friedlichen Hausfeuers, Tochter der Göttin Rhea Kybele, der auf ihren Fahrten durch das Land die Korybanten folgen mit Hörnern, Zimbeln und Flöten. Der schöne phrygische Jüngling Attis wurde von ihr mit Liebe verfolgt. Er begehrte ein sterbliches Mädchen - aber bei der Hochzeit erschien sie, Kybele. Schrecken, Grauen fiel über alle, wie die große Göttin erschien. Von Wahnsinn gepackt, floh Attis, der schöne Bräutigam. Er floh in die Berge und stieß sich das Schwert in die Brust. Und Jammer über die verlassene, verschmähte Rhea. Und Jahr um Jahr seit da, zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche, stürmen die Korybanten, Rheas Gefolge, durch die Berge und rufen »Attis, Attis!« und suchen Attis, der die Liebe der großen Göttin verschmähte und den die große Göttin bei einer Hochzeit mit einem sterblichen Mädchen heimsuchte, Schrecken und Grauen warf sie auf Attis und seine Freundschaft; von Wahnsinn gepackt, tötete sich Attis im Gebirge. Aus seinem Blut sprossen Veilchen.
Kybeles Liebe brachte eine Tochter hervor. Es war die Hestia. Sie hielt sich still. Sie begehrte keinen Mann. Götter stellten sich und wollten sie freien. Aber sie, - sie nahm Jahr um Jahr am Schmerz ihrer Mutter um Attis, dem schönen phrygischen Jüngling, dem ihr entrissenen, teil. Oft lief sie, als sie jung war, mit den tollen Korybanten durch die Berge, schlug das Zimbel und rief: »Attis, Attis«. Sie dachte, ihn ihrer Mutter zu erwecken.
Aber er zeigte sich nicht.
Lange waren Veilchen aus seinem Blut geblüht.
Da kniete sie vor ihrer Mutter hin. Sie hielt die Hände der kummervollen Rhea und bat sie, den König der Götter, Zeus, um eine Gnade zu bitten, für sie, für die junge traurige Hestia. Denn sie sähe, wie es mit der Liebe, mit der schrecklichen Liebe zwischen Männern und Weibern sei, ob sie Menschen oder Götter seien.
»Und um welche Gnade, Hestia, meine innig geliebte, meine beste Tochter, soll ich den König der Götter für dich bitten?«
»Daß er mir erlaube, mein Leben fern von Männern zuzubringen. Daß er mich vor dem gewaltigen Schmerz der Liebe bewahre.«
»Oh, es ist nicht nur Schmerz in der Liebe, meine geliebte Tochter.«
»Ich sehe dich, Mutter, und halte deine Hände. Ich weiß, wie du leidest. Ich lief um die Zeit der Tag- und Nachtgleiche Jahr um Jahr in die Berge und schlug das Zimbel: Die Korybanten bliesen die Flöte, sie schlugen Zimbeln und stießen in die Hörner, daß der Wald schallte, und die Vögel schrien und flogen davon. Wir fanden Attis nicht. Wir erweckten dir Attis nicht, Mutter. Sie haben sich die Arme, die Brüste, die Schenkel mit Ruten geschlagen, Attis, Attis, haben sie gerufen, sie ließen ihr Blut fließen, Mädchen liefen mit, sie gaben ihre Ehre hin für dich, - sie werden es noch Jahr um Jahr tun, - sie erwecken dir Attis nicht.
Sie können es nicht, denn das, sehe ich jetzt, ist das Gesetz der Liebe.
Und darum bitte ich dich, Mutter, gehe zu Zeus und erweiche ihn, - daß mich kein Mann berühren möge, und daß Apollon und Poseidon aufhören mögen, mich zu bedrängen.«
Rhea Kybele, die große Mutter, zog die Tochter auf ihren Schoß. Die Wangen Hestias waren kalt, ihre Hände zitterten. Hestia flüsterte: »Wirst du zu ihm gehen, zu Zeus?«
»Gewähre es ihr«, flehte Rhea.
Zeus: »Du willst sie morden?«
Rhea: »Ich habe dich behütet, Zeus, in der Höhle des Berges Ida, als du ein Knabe warst. Alle Fruchtbarkeit der Erde, was von Tieren und Pflanzen kommt, erwecke und pflege ich. Laß mir dies frei. Gib mir dieses Ausruhen. Nimm meine Tochter von dem großen, gewaltigen, schrecklichen Gesetz der Liebe aus.« Zeus sann. Ihm gefiel nicht, was sie forderte. Es war ein fremder Ton, es kam ihm vor, als wenn sich hier etwas Gefährliches ankündigte.
»Ich will«, ließ er sich schließlich vernehmen, während Rhea schon bangte. »So soll sie, wenn sie selbst sich von der Liebe fernhalten will, über die Liebe der andern wachen, daß sie nicht wild und rasend, zerstörend werde. Ich kann sie nicht von dem Anblick der Liebe befreien. Ich will es nicht. Sie - könnte sonst auf den Gedanken kommen, aus dem Bau meiner Welt auszubrechen. Ich binde, ich fessele sie an die Liebe der anderen. Es soll nicht deine brennende Liebe sein, die den Toten noch im Jenseits verfolgt. Am Herd soll sie sitzen, das Herdfeuer soll sie beschützen, den Frieden des Hauses pflegen. Du bist meine Mutter, die...