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Dieses notierte ich im Herbst 52.
Schon lagen Schatten auf mir. Ich fuhr wie immer in das Bureau gegen 9 Uhr vormit[t]ags, zur Zitadelle hinauf und hatte begonnen, nach Durchsicht einiger Briefe etwas zu diktieren. Die Sekretärin saß seitlich an ihrem Tisch mit dem Rücken gegen mich. Da fängt sie plötzlich an zu sprechen. Ich höre es. Und wie sie sich umdreht, sitze ich, berichtet sie später, in mich gesunken auf meinem Stuhl, habe ein eingefallenes bläulich weißes Gesicht. Und wie sie sich nähert, kann ich ihr zuflüstern, sie möchte den Doktor, den ich ihr nenne, anrufen, er möchte zu mir in die Wohnung kommen, mir wäre nicht gut, ich würde bald da sein. Ich murmelte auch: »kalt kalt«. Kalter Schweiß fließt in Strömen von meiner Stirn und rieselt am Hals herunter. Sie nimmt ihr Taschentuch und sucht mich abzutrocknen, aber es läßt nicht nach.
Was war mir? Traumhaft verschwommen erschien mir alles, und ein eigentümlicher Druck und Schmerz meldete sich hinter dem Brustbein und stieg in den Hals hinauf. Ich war nicht bei vollem Bewußtsein. Man schleppte mich die kleine Treppe hinunter in das Auto, bald lag ich auf meinem Bett und wurde notdürftig entkleidet. Wenige Minuten später erschien meine Frau, der Arzt war grade gekommen. Sie begriff beim Eintreten die Situation sogleich. Die Sekretärin und der Chauffeur lehnten an meinem Bett, sie verschwanden jetzt. Und nun fingen der Arzt und meine Frau an, fieberhaft an mir zu arbeiten. Er gab mir Injektionen und ließ sie elektrische Heizkissen und auch Wasserheizkissen bringen. Sie machten Kompressen auf die Brust. Wärme, Wärme überall. Spritzen brachten den zunächst völlig aussetzenden, dann fadenförmigen Puls zurück. Da bat meine Frau den Arzt, der den Zustand für ernst hielt, doch unverzüglich einen Spezialisten hinzuzuziehen.
Ich hatte keine Beschwerden. Es hatte gleich im Beginn des Zustandes etwas eingesetzt, was mich überraschte: ein Wohlbehagen. Ich fühlte mich zufrieden, die Schmerzen waren nicht erheblich, ich war froh, zu liegen. Ich dachte an Todesschweiß, aber mir war nicht ängstlich zu[m]ute. Stark lief der Schweiß mir noch immer vom Gesicht, von der Stirn den Hals herunter. Schwierig, das Schweiß zu nennen, es war eisiges Wasser, das ohne Grund meinen Körper verließ. Und während ich so lag, freute ich mich darüber, daß meine Frau da war und sprach. Während sie mich betastete, küßte ich zärtlich ihre Hand und war eigentlich wie nie. Später hörte ich, der Arzt hatte ein Kampherdepot angelegt, der Spezialist, der Internist spritzte Strophantin.
Von dem, was an den folgenden Tagen mit mir geschah, weiß ich nichts zu melden. Es ist alles verwaschen und verworren, eins in das andere geronnen. Nicht ein einziges Datum aus diesen drei Tagen weiß ich mit Sicherheit. Es handelte sich um den Bruch eines Kranzgefäßes im Herzen, der Herzmuskel und eine Partie seiner Hinterwand war paralysiert, mein Geh[i]rn anämisch.
Sonderbar, wie da Erinnerungen und Vorstellungen durcheinanderlaufen. Als ich am dritten oder vierten Tag in ein naheliegendes Krankenhaus transportiert wurde, hatte ich die Vorstellung in Californien zu sein und sagte, man möchte doch den armen indianischen Kindern draußen etwas zu essen geben.
Und dann lange Wochen einsames Liegen, bewegungslos im Krankenhaus. Aus den erst angegebenen 6 Wochen wurden 10. Ich war ganz appetitlos und blieb es noch viele Wochen. Mein Magen und Darmapparat wollte nicht funktionieren. Und wie immer bei länger dauernden Krankheiten, stellten sich neue Übel ein. Eine äußerst schmerzhafte Cystitis entwickelte sich, während in meiner Brust das Herz sich schon beruhigte. Die Schmerzen der Blase, krampfhaft, lokalisiert am Schließmuskel, waren so stark und durch kein Medikament zu beeinflussen, daß man Morphiumspritzen verabfolgte. Sie wirkten zauberhaft, sie und die Hitze und dazu noch Spritzen und Peniz[il]lin.
Währenddessen lag ich und lag, mein Kopf wurde wieder heller aber es war etwas neues in mich eingezogen. Ich konnte liegen ohne zu denken, gewissermaßen vollkommen von der Materie verschluckt. Ich ließ mir dann aus der Zeitung vorlesen und schlug wenigstens für ein und zwei Stunden eine Brücke zwischen mir und der Außenwelt. Ich brachte aber die Außenwelt niemals ganz mit mir zusammen und vergaß immer wieder wo ich war. Nach Wochen durfte ich mich aufsetzen, ja einige Schritte versuchen, und schon erfolgte ein Rückfall der Cystitis.
Ein merkwürdiger Krankenhausaufenthalt. Es war ein Hospital der Hildegardisnonnen. Wer Hildegardis war, hatte ich vorher nicht gewußt. Ich hörte, sie war eine Heilige und starb auf dem Rupertusberg bei Bingen. Man feiert sie am 17. September. Im Benediktinerinnenkloster wurde sie erzogen, wurde Priorin und verlegte ihr Kloster nach dem Rupertusberg. Sie war Seherin und eiferte für eine Annäherung von Clerus und Volk. Groß waren auch ihre Kenntnisse der Medizin. 81 Jahre war sie alt, als sie im Jahre 1179 starb. Nonnen, Krankenschwestern dieses Ordens umgaben mich jetzt. Unverwechselbar der Geist in dies[e]m Hause, das wir Kranke bevölkern, als Gäste, wenn ich so sagen soll, der Nonnen. Bete und arbeite heißt die allgemeine Parole, aber diese Nonnen hier, regelrecht medizinisch ausgebildet, ackern nicht und bebauen nicht den Erdboden. Sie haben es mit Menschen zu tun. Diese Arbeiten an Kranken zu verrichten, ist ihr religiöser Dienst. Ihre freundliche, vertieft herzliche Art, mit Kranken umzugehen, ihre Geduld, ihr sanftes Lächeln fiel mir auf, sobald ich überhaupt hier um mich blickte. Welch Unterschied zu den weltlichen Schwestern, die ja auch erfahren sind. Diese können medizinisch gut und äußerlich freundlich sein, hier kommt die mehr als herzliche Vertiefung des Gefühls hinzu, mit der sie sich bewiesen. Indem sie mit uns Leidenden, Geschlagenen umgehen, sprachen und verhandelten, arbeiteten sie ja an sich und für sich. Da waren jüngere und ältere Nonnen, sie hatten alle, welch ungeheurer Entschluß, auf die Freuden und Zerstreuungen dieser Welt verzichtet. Sie gingen nicht aus, sie tanzten nicht, besuchten kein Kino, - sie pflegten ihre Kranken und beteten zu Gott. Ja, sie beteten viel, frühmorgens um 5 Uhr kamen die ersten drei Glockenschläge, die sie weckten, bis 8 Uhr abends verlief der Tag, eine heilsame bildende Monotonie, und kein Geschwätz. Sie hatten eine sichere Antwort auf alle Fragen, ich bin bei keiner auf Zweifel gestoßen, sie waren dabei ohne große allgemeine geistliche Kenntnisse. Aber Glauben war da, und herzlich und siegreich hatte er ihre Seelen in Besitz und teilte sich anderen mit. So sah ich sie in Gruppen gehen, in ihre schöne Kapelle wandern, leicht und ruhig, da waren sie zu Haus. Vor dem Altar lag ihr Jerusalem. Welch schönes Beispiel. So zu fühlen, so aufgehoben zu sein.
Ich lag und grübelte.
Ich finde bestätigt, was ich draußen sah: Ich bin da, mit dem, was Himmel und Erde erfüllt, zusammen mit Himmel und Erde. Ich stehe aber in einer doppelten Beleuchtung: einmal zugehörig zu der Natur, das andere Mal ihr gegenüber. Aber wo fängt die Natur an, bei mir, der hier liegt, und wo hört sie auf, wo fange ich an? Mein Körper, das Fleisch, die Knochen, das Blut, wie weit bewegt sich hier die Natur hinein und wo findet sich mein Ich[?] Rätselhafte Dinge, nein, allbekannte, natürlich wie Geburt, reifen und welken, geschehen auch an mir. Draußen gibt es Tag und Nacht, Kriege und Gewitter, an mir arbeiten Krankheiten, wie durchschaue und erkenne ich sie[?] Ich spekuliere darüber, wie diese Herzattaque zusammenhängt mit meine[n] alten Nerven- und Knochenleiden, mit denen ich mich schleppe. Was geschieht da an mir? Was arbeitet, was vollzieht sich an mir, an diesem fleischernen und knöchernen Ding, mit dem ich hingestellt bin?
Da na[gt] seit vielen Jahren etwas schmerzhaft an meinen Nerven. Sie haben es mit meinem rechten Arm zu tun. Wir fuhren einmal in die Pyrenäen, nach dem schönen Luchon, Dampfbäder linderten die Schmerzen, aber in Amerika plagten sie mich wieder. Jetzt wurde an eine Nervenwurzel gedacht und auf die Halswirbelsäule wurden wohltätige Röntgenstrahlen gerichtet, Grenzstrahlen. In Europa aber, in Baden-Baden fing das Gespenst an, von Neuem sich mit mir zu befassen und nun mit einer besonderen Herzlichkeit. Jetzt begannen die Finger meiner Hände zu vertauben, die ganze rechte Hand, dann [schlief] die linke Hand ein. Das Gespenst ging systematisch vor, immer eins nach dem andern. Ich hatte ja auch noch Beine, jetzt wurden sie erfaßt. Wie war das alles gemeint? Mit Staunen sah ich den sogenannten positiven Befund im Röntgenbild. Die Schatten der Knochenwucherungen. Die Abläufe draußen folgten Gesetzen, welche die Wissenschaft feststellte. Man kann große Zusammenhänge herstellen. Aber hier? Es ging weiter seinen Weg. Ich hatte das Gefühl bei dem Einschlafen und Vertauben des Ertrinkens. Und nun das Herz. Es ist ein Stück Natur. Es ist ein starker Muskel, aber Muskel ist nicht bloß Fleisch. Umsponnen werden die Muskelzellen von Nervenfasern, die Muskeln sind Erfolgsorgane. Und was die Nerven anlangt: das vielleicht äußerlich ruhige Leben eines Schreibers b[irg]t Gefahren in sich. Ich erinnere mich während der Arbeit an meinem Buch »Berge Meere und Giganten« in einen fast neurotischen Zustand geraten zu sein, der mich zwang, die Arbeit zu unterbrechen: die Phantasien waren zu wild und mein Gehirn gab mich nicht frei. Und so ging es eigentlich Jahr um Jahr mit kleinen...
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