Schweitzer Fachinformationen
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Heute könnte ein vielversprechender Tag werden. Nachdem ich mir gestern von den mickrigen Einnahmen meiner Ausbeute gerade mal ein Sandwich hatte leisten können, weiteten sich meine Augen vor Begeisterung beim Anblick der ausrangierten Markenturnschuhe, die ich soeben unter einem zugeknoteten Sack entdeckt hatte. Zu meinem Glück kam der Schmutz auf dem weißen Leder nicht vom Verschleiß, sondern von der Müllhalde, in der meine schwarzen Springerstiefel knöcheltief versanken. Das konnte ich problemlos abwaschen. Genau wie den Gestank von Verfaultem und Morast um mich herum, der sich bereits auch in dem Gewebe meines Rockes und der dunklen Lederjacke festgesetzt hatte. Durch den Fund blieb es mir heute wenigstens erspart, mich durch die gesamte Flut an Abfall auf dem Müllablageplatz im Slope wühlen zu müssen. Für die Turnschuhe würde Straßenhändler Jasper mir einen guten Betrag zahlen und sie dann anschließend als Neuware auf der anderen Seite des Berges von Hill City verschachern.
Schon der Morgen war von Erfolg gekrönt. Auf meiner üblichen Tour hinauf auf den Hill zu dem wesentlich attraktiveren Bereich der Stadt war mir auf dem Wanderweg zwischen Kiefernadeln und Moos ein schillernder Silberreif aufgefallen, den dort sicher jemand verloren hatte. Vielleicht hatte der kühle Herbstwind auch die Erde aufgewühlt, jedenfalls wurde mir damit eine schöne Möglichkeit geboten. Im Pfandhaus der Secter hatte ich den Reif sofort gegen ein schönes Sümmchen einlösen können. Mir war durchaus bewusst, dass der Pfandleiher mich über den Tisch gezogen hatte. So bereitwillig drei Scheine zu zücken, machte nur derjenige, der wusste, welchen Wert er in den Händen hielt. Ich verkaufte meine Ausbeute meistens unter Wert. So war es mir lieber. Ich wollte keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Als kleine Hehlerin, die ihre Ware mehr oder weniger auf legalem Weg beschaffte, segelte ich unter dem Radar der Behörden vorbei. Außerdem war ich genügsam. Mit meinen neunzehn Jahren etwas dürr, aber mein wirtschaftlicher Handel reichte aus, um über die Runden zu kommen. Auch wenn ich gerade zwischen fauligen Essensresten und aufgeweichter Pappe stand, achtete ich auf meine Körperhygiene, was ich nicht über jeden am Fuß des Berges sagen konnte. Natürlich war es vorteilhaft, dass meine Mom den Trailer meines Erzeugers geerbt hatte.
Ich schnappte mir die Turnschuhe und stapfte durch die Berge an Müll zurück, bis ich wieder die Querstraße erreichte. Es dämmerte bereits, was mich ein wenig nervös machte. Ich klopfte mir schnell den Dreck von der Kleidung und fischte irgendetwas Matschiges aus den blonden Wellen meiner Haare, während sich meine zu krumm geratene Nase angewidert kräuselte. Ich musste mir ein Würgen unterdrücken.
Es war nicht angenehm, jeden Tag aufs Neue den Müll zu durchkämmen, den die reichen Snopes auf dem Hill und die mittelständigen Secter hier unten abluden. Doch mir blieb nichts anderes übrig, um im Armenviertel der Stadt zu überleben. Da Jasper um diese Uhrzeit seine Tour im Slope bereits beendet hatte, würde ich die Turnschuhe erst einmal in meinem Versteck aufbewahren müssen, bis ich sie bei ihm in Zahlung geben konnte. Jeder Cent, den ich nicht für die alltäglichen Bedürfnisse benötigte, sparte ich an. Ich klammerte mich an die Hoffnung, eines Tages genügend Geld zusammenzukratzen, um aus dieser gottverlassenen Stadt zu entkommen.
Die riesigen Bagger und Walzen der Deponie wirkten in der Abenddämmerung nicht mehr ganz so bedrohlich. Ich machte mich mit zügigen Schritten auf den Weg, ehe es noch später wurde. Der Müllabladeplatz lag zwischen der nördlichen Bergflanke und dem angrenzenden Waldgebiet, sodass ich nicht weit gehen musste, um das Fabrikgelände zu erreichen, wo ich all meine Habseligkeiten verwahrte. Den äußeren Randbezirk im Norden des Slopes hatten die Bewohner des Hills komplett in Beschlag genommen. Hier funktionierten die aufgestellten Straßenlaternen einwandfrei, Schlaglöcher im Asphalt waren eine Seltenheit. Neben der Deponie reihte in großen Abständen ein mit Backstein hochgezogenes Fabrikgebäude nach dem nächsten. Welche Funktion das Konstrukt mit den zwei hässlichen Schornsteinen und großen Sprossenfenstern vor mir besaß, wusste ich nicht. Und auch wenn über uns das 2. Polizeirevier im Section wie ein Palast auf dem Vorsprung des Berges thronte und tagsüber einen perfekten Ausblick auf das Gebiet darunter ermöglichte, war die dünnbesiedelte Gegend ideal, um meine Habseligkeiten zu verstecken. Die meisten Firmen und Industriebauten waren mit Zäunen und ausgeklügelten Sicherungssystemen bestückt, was den Bereich für die Anwohner des Slopes unattraktiv machte. Mir war jedoch schon vor einigen Jahren aufgefallen, dass man das mit Gras umwachsende Gelände vor mir ungehindert betreten konnte, ohne von den Kameras am Backsteingebäude erfasst zu werden oder eine Alarmanlage auszulösen. Bisher war ich anscheinend auch die Einzige, die die äußeren, freizugänglichen Gegebenheiten der Fabrik zum eigenen Vorteil nutzte.
Sobald ich auf der Straße an dem in Dunkelheit umhüllten Eingangsbereich des Gebäudes vorbei war, blieb ich stehen. Trotz gefütterter Stiefel waren meine Füße zu Eisklötzen erstarrt und mir war arschkalt. Ich zog die Schultern hoch und die zu kurz gewordenen Jackenärmel über die Handgelenke, um meine Finger zu schützen. Dabei warf ich einen Blick nach links, dann einen nach rechts die leblose Straße hinauf. Es war niemand zu sehen. Auch wenn kaum jemand hier vorbeikam und die Mitarbeiter der Fabrik bereits auf dem Heimweg waren, wollte ich dennoch nicht dabei beobachtet werden, wie ich mich auf dem Gelände herumtrieb. Ich überquerte die Wiese, beschleunigte meine Schritte, bis ich im Schatten der seitlichen Hauswand bei der Lüftungsanlage abtauchen konnte.
Die Mitarbeiter der im äußeren Randbezirk ansässigen Firmen stammten nicht aus dem Slope. Wissenschaftler mit weißen Kitteln oder todschicke Anzugsträger wagten sich auf dieser Seite des Berges bloß herunter, um ihre Erfolgserlebnisse zu bestaunen. Klär- und Kraftwerke waren auf dem Hill nicht schön anzusehen, weshalb sie nun die Aussicht vom Slope versperrten. Die reiche Elite oder Pöbel, wie wir hier unten die Hill-Bewohner gerne unpassend nannten, investierte viel Geld, um die Wasser- und Energieversorgung effizienter zu gestalten. Zum Missfallen der in ihren Augen unterbelichteten Bewohner von Hill City und vor allem auf Kosten derer Gesundheit. Die Luft im Slope war an manchen Tagen unerträglich. Die Abgase und Dämpfe stanken, verunreinigten das gesamte Tal. Lediglich die angrenzenden Wälder und der dadurch produzierte Sauerstoff verhinderten, dass die Schadstoffe den Slope nicht unbewohnbar machten. Dennoch verlor das Grundwasser kontinuierlich an Qualität und die Lebenserwartung sank rapide. Es war früher bereits vom Klimawandel und der globalen Umweltverschmutzung die Rede gewesen, doch niemand außerhalb der Stadt sah sich genauer die Infrastruktur von Hill City an. Zudem herrschte immer noch eine strikte Trennung der Reichen und Armen. Die mittelständige Gesellschaft lebte in bescheidenen Bauten auf einem Vorsprung des Berges - dem sogenannten Section - und fungierte als Arbeiter und Laufbursche für die Oberschicht.
Ich machte mich an einem lockeren Gitter im Boden zu schaffen, das einen darunterliegenden, metertiefen Schacht mit dem großen, kastenförmigen Außentemperaturfühler des Gebäudes bedeckte. Ich musste nicht einmal die Steigleiter hinunterklettern. Kniend beugte ich mich vor, bis ich an den breiten Spalt zwischen Wand und Gerät herankam. Ich zog ein viereckiges Kästchen mit Deckel hervor, in dem ich meine bisherigen Ersparnisse aufbewahrte. Ein Schein des Pfandleihers verblieb für ein ausgewogenes Abendessen in meinem Rucksack, den Rest verstaute ich dem Kästchen. Behutsam schob ich es wieder zurück in den dunklen Spalt und steckte die Turnschuhe daneben.
Als ich mich aufrichtete, wanderten meine Augen hinauf auf den Hill. Beim Anblick der beleuchteten Wohnhäuser sanken meine Mundwinkel nach unten. Mir missfiel diese exquisite Gesellschaft dort oben schon immer. Im Gegensatz zu meiner Mutter lebte ich seit Geburt an im Slope. Ich gehörte hierher, eine minderwertige Hehlerin, die ihre Besitztümer in einer Lüftungsanlage versteckte.
Gerade wollte ich hinter der Hauswand hervortreten, da entdeckte ich den Umriss eines Schattens auf dem gepflasterten Gehweg, der sich zum Eingangsbereich der Fabrik zubewegte. Ich strauchelte sofort zurück, drückte mit klopfenden Herzen meinen Rücken dicht an den kühlen Backstein. Verdammte Scheiße, wer oder was war das? Und seit wann trieb sich bei Dämmerung überhaupt noch jemand im äußeren Randbezirk herum? Ich war die Letzte, die den Müllabladeplatz verlassen hatte und nie zuvor war mir um diese Uhrzeit noch ein Mitarbeiter der ansässigen Firmen aufgefallen. Ich durfte unter keinen Umstände hier erwischt werden. Zum einen hatte ich unbefugt ein fremdes Gelände betreten, zum anderen könnte es künftig mein Versteck...
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