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Wenn er seinen Kopf ganz vorsichtig drehte, konnte Ezekiel Reed, eingeklemmt hinter dem verzogenen Lenkrad, erkennen, dass das Baby noch atmete. Die Schnallen der Sitzgurte hoben und senkten sich auf der winzigen Brust. Ezekiel dachte, er hätte ein Miauen wie von einem Kätzchen vernommen, aber das Zischen der Dämpfe, die aus dem Autowrack entwichen, schwächte alle anderen Geräusche ab. Erste Anzeichen eines Blutergusses breiteten sich auf dem Gesicht des Kleinen aus, weitere Verletzungen konnte Ezekiel aus seinem Blickwinkel nicht sehen; was den schlimmsten Schaden angerichtet hatte, war nicht so leicht zu entdecken. Er blieb vorerst verborgen, tief im Inneren des kindlichen Körpers.
»Gelobt sei der Herr, der barmherzig ist gegen sein kleines Lamm«, murmelte Ezekiel und richtete seine Aufmerksamkeit auf den reglosen Haufen neben ihm. Lydia. Er hielt ihr Handgelenk fest umklammert, und seine Finger wurden allmählich taub. Es schien undenkbar, dass sie nur einige Augenblicke zuvor noch zusammen gelacht hatten, weil das Baby seine ersten Gesangsversuche unternommen hatte.
»Ruff rifted me«, hatte ihr Sohn verkündet.
Dass der Kleine auf dem Rücksitz so plötzlich und spontan versucht hatte, ein Lied nachzusingen, hatte Lydia veranlasst, ihre entspannte Haltung neben Ezekiel aufzugeben und sich dem Jungen zuzuwenden. Als das Auto von der Straße abkam, hatte sie vor ihrem Kind gekniet und war zu seinen ersten Versuchen, ein Kirchenlied aus dem Radio mitzusingen, auf und ab gehopst.
Es war ein wunderschöner Tag, der Himmel blau. Lydia war jung und gesund. Eine glückliche Ehefrau und liebevolle Mutter. Sie war völlig bezaubert von ihrem Sohn, der ständig neue Wörter dazulernte und nun die Musik für sich entdeckte. Er machte gerade seinen ersten Versuch, laut zu singen, als der Tod sie holte.
»Ruff rifted me. Ruff. Ruff. Rifted me!«, trällerte der Junge.
Das Kind erlebte gerade das Wunder, selbst musikalische Töne zu produzieren. Inspiriert vom Himmel und gesendet von evangelikalen Radiowellen.
»Hör doch! Hör doch mal, Zeke. Luke singt! Mach lauter. Mach das Radio lauter! Hör doch nur. Es ist Love Lifted Me. Luke singt das!«
Der Kleine strahlte seine Mutter an, während seine kindliche Stimme und die Musik das Auto erfüllten. »Ruff rifted me«, verkündete er abermals voller Stolz. Die Stimme im Radio hatte zwar mehr Schliff, aber dass ihr Kind mitsang, war für Lydia als Mutter weit mehr als bemerkenswert: Es war nichts weniger als ein Wunder Gottes, der Erfindung des Rades ebenbürtig.
Lydia brach in ein ansteckendes Lachen aus und klatschte in die Hände.
»Hör dir doch nur unser Baby an, Zeke. Er singt! Er singt Love Lifted Me! Ist er nicht unglaublich? Er singt mit. Ohne Fehler! Ja, mein Schatz, die Liebe hat dich erhöht.«
Lydia kramte eilig ein kleines Notizbuch aus ihrer Handtasche hervor, in dem sie regelmäßig Lucas' neueste geniale Taten und Sprechversuche festhielt. Sie nahm einen kurzen, mit einem Stiftmesser angespitzten Bleistift zur Hand und leckte die Spitze an, bevor sie zu schreiben begann.
»Wenn ich 'Liebe' und 'erhöht' dazuschreibe, ist er schon bei 57 Wörtern, Zeke. Weit über dem Durchschnitt für zwei Jahre, weißt du? Weit darüber«, versicherte sie Ezekiel ehrfürchtig flüsternd. »Und er singt! Ich hatte ja keine Ahnung, dass er singen kann. Ich sollte vielleicht ein zweites Notizbuch anfangen, nur für seine musikalischen Talente. Hast du das gehört, Zeke? Love lifted me!«, wiederholte sie. Anscheinend hatte Gott Lydia gehört. Und so hob Er sie ohne Umschweife genau in diesem Augenblick direkt aus ihrem Leben heraus in die Höhe.
Obwohl Ezekiel als Kind eines Pfarrers mit seinem Vater oft an Totenbetten gestanden hatte, war dies seine erste Erfahrung mit einem leblosen Körper. Hatte Lydia gehört, dass er ihr in dieser kurzen Sekunde, als ihm klar wurde, wie schwer das Auto ins Schlingern geraten war und wie schlimm es sich überschlagen würde, noch etwas zurief? Sicher hatten weder Mann noch Frau begriffen, dass selbst für das kürzeste Lebewohl keine Zeit mehr blieb.
Noch immer quetschte Ezekiel Lydias Handgelenk, fest entschlossen, das Blut durch pure Willenskraft wieder in ihren Körper fließen zu lassen und einen Puls zu erzeugen - doch sie war bereits leblos. Ezekiel sehnte sich danach, Lydia an seine Brust zu drücken. Sie zum Atmen zu zwingen. Sie zu trösten. Sich selbst zu trösten. Doch sie blieb unerreichbar - begraben unter den rauchenden Trümmerteilen des Motors. Ein Teil ihrer linken Schulter drückte gegen sein Knie und durchtränkte seine Sommer-Khakihose bis zum Knöchel mit ekelerregend klebrigem Blut, das bereits zu stocken begann. Lydias Blut bedeckte beide Seiten der Bodenplatten und sickerte auf den weichen heißen Teer des Highways; es war eine Offenbarung für Ezekiel, dass aus einem menschlichen Körper so viel Blut fließen konnte.
Entschlossen, an das Baby heranzukommen, kämpfte Ezekiel gegen die drohende Ohnmacht an und unterdrückte seine Übelkeit. Die Luft im Auto roch nach metallischem Rauch und brennendem Gummi. Er stemmte seinen knochigen Körper mit ganzer Kraft gegen die Türschwelle, und es gelang ihm, die zerquetschte Tür aufzustoßen und sich vom Vordersitz zu hieven. Dann griff er durch ein zerborstenes Fenster und zog den Kleinen an seine Brust. Er blickte auf Lydia herab und überlegte, wie er auch sie aus dem Wrack herausbekäme. Ihre schlanken Beine wirkten blass und unversehrt - im Gegensatz zu ihrem restlichen bis zur Unkenntlichkeit entstellten Körper. Ihr geblümter Rock bauschte sich unzüchtig oberhalb der Taille, die Sommersandalen waren verschwunden. Ihre Füße sahen noch immer gepflegt aus. Verzweifelt wollte Ezekiel ihren Rock wieder herunterziehen. Er sah sich um, in der Hoffnung, ihre Schuhe wiederzufinden. Benommen wie er war, überkam ihn das rasende Verlangen, die Ordnung wiederherzustellen und systematisch alles aufzuräumen, was der Tod verwüstet hatte. Weinend und wutschnaubend verfluchte er Gott und entfernte sich eilig vom Auto, um zu retten, was noch zu retten war.
Er taumelte zum staubigen Straßenrand und legte seinen Sohn im Schatten einer kleinen Sichelblättrigen Eiche ab; ganz in der Nähe kauten Kühe unbekümmert auf trockenen Gräsern herum. An diesem geschützten Ort untersuchte er das reglose Kind, drehte es sanft von einer Seite auf die andere. Ezekiel spuckte in seine Handflächen und strich das Haar des Jungen glatt; er spuckte noch einmal und versuchte, den rostigen Staub um Lucas' Mund herum zu entfernen. Er legte die Gliedmaßen des Kindes, das ruhig dalag, ordentlich zurecht und rieb die warme Grübchenhand des Babys an seiner Wange; Lucas, klein und erschlafft, reagierte nicht auf seine Berührung. Obwohl er sich nicht rührte und nach wie vor ohne Bewusstsein war, tröstete sich Ezekiel damit, dass der Kleine warm war und bis auf den Bluterguss keine sichtbaren Verletzungen zeigte.
Es fiel Ezekiel schwer, das ganze Ausmaß des Unfalls zu begreifen. Er dachte über sein Kind nach und betete für den Jungen. Lucas atmete noch. 'Mein Sohn ist noch am Leben, er sieht kaum verändert aus', tröstete sich Ezekiel. 'Er ist einfach nur bewusstlos oder schläft vielleicht. Gott in seiner unendlichen Weisheit will mein Kind wohl vor dem Grauen des Unfalls beschützen und hat es deshalb für eine Weile bewusstlos gemacht.' Als er seine Panik überwunden hatte, zog Ezekiel ein großes Stofftaschentuch aus seiner hinteren Hosentasche, um sich das klebrige Blut von Händen und Gesicht abzuwischen, doch Übelkeit übermannte ihn. Instinktiv hielt er nach einem mit grünen Sommergräsern bewachsenen Streifen Ausschau und entfernte sich ein paar Meter von dem Kind, um sich zwischen den Metallkappenspitzen seiner Cowboystiefel zu übergeben. 'Verrückt. Verrückt ist das', dachte er zwischen zwei Würgeattacken. 'Ich bin doch nicht ganz bei Trost! Mein Vater, der Scheißkerl, ist seit 20 Jahren tot und sagt mir immer noch, wie ich kotzen soll!'
»Wenn dir übel ist, Sohn, dann mach's wie ein richtiger Mann! Geh raus und such dir eine Stelle mit Gras, damit du dir die Stiefel nicht bespritzt.«
Im Schatten der Eiche legte Ezekiel dem Baby seine Hand auf die Brust und ging den Unfall noch einmal in Zeitlupe durch. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war Lydias Lachen und dann der Schlenker, um etwas auf der Straße auszuweichen - etwas, das groß war und sich nur langsam bewegte. Er stand auf, um den Unfall noch einmal durchzuspielen. Ihn schwindelte noch, als er zu dem dampfenden, hochkant stehenden Auto kam; von dort ging er den Weg zurück. Er folgte den Reifenspuren auf der Fahrbahn, bis er auf eine sich windende Klapperschlange stieß.
Einige der verloren gegangenen Augenblicke kehrten wieder zurück: Eine Schlange war der Grund für seinen tödlichen Schlenker gewesen. Ezekiel rannte zum Auto zurück und verbrannte sich die Hand, als er das schwelende Handschuhfach aufbrach. Seine Brille, eine geladene Pistole und die Bibel seines Vaters flogen ihm entgegen. Als er sich die Pistole und die Bibel in den Hosenbund gestopft hatte und sich bemühte, sich die Brille wieder ordentlich aufzusetzen, blieb sein Ärmel an einem abstehenden Stück heißen Metalls hängen. Mehrere Sekunden lang hing er so unfreiwillig fest und musste abermals die zerschmetterte Lydia betrachten. Dann aber rannte er voller Zorn zurück zu der Schlange und fixierte sie mit dem Schuh. Er...
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