Schweitzer Fachinformationen
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Detective Inspector Hal Challis duschte mit den Füßen in einem Eimer. Er ging sparsam mit dem Wasser um, aber trotzdem lief der Eimer über. Er frottierte sich trocken, zog sich an, und während die Espressokanne auf dem Beistellkocher in der Küche heiß wurde, schüttete er das Wasser im Eimer in die Waschmaschine. Noch ein paar Duschen, und er hatte genügend Wasser für eine Ladung Wäsche. Erst der neunzehnte Dezember, aber schon näherte sich der Pegel seiner Wassertanks dem Tiefstand und es war ein langer, trockener Sommer vorhergesagt. Er wollte nicht wieder Wasser kaufen müssen wie im letzten Sommer.
Der Kaffee war fertig. Während er sich eingoss, warf er einen Blick auf den alten Kalender, den er vor drei Jahren im Versandhandel bestellt hatte und seitdem beim März aufgeschlagen ließ. Der Flugzeugoldtimer dieses Monats war ein Prototyp der de Havilland DH84 Dragon, >Drache<. Dann klackte der Toaster und Challis machte sich auf die Suche nach Butter und Marmelade und nahm schließlich seinen Toast und den Kaffee mit auf die Veranda hinter dem Haus.
Die Strahlen der frühen Morgensonne trafen ihn durch die Glyzinien hindurch. Heute würde sicher wieder ein heißer Tag werden. Er fühlte sich todmüde. Verdacht auf eine Entführung auf dem Old Peninsula Highway vor zwei Nächten - und die Ermittlungen waren schließlich an ihm hängen geblieben. Die Streifenpolizei in Frankston hatte den Anruf entgegengenommen und an den Superintendenten des gesamten Gebiets weitergeleitet, der seinerseits um ein Uhr nachts Challis angerufen und gesagt hatte: »Möglicherweise hat ihr Knabe ein zweites Mal zugeschlagen, Hal.« Challis hatte die nächsten vier Stunden vor Ort verbracht und die ersten Ermittlungen geleitet. Als er dann gestern um fünf Uhr früh endlich zurück war, hatte er nicht mehr viel Sinn darin gesehen, wieder ins Bett zu gehen, und den Rest des Tages im Auto oder am Telefon zugebracht.
Ein kleiner Viertaktmotor tuckerte am Damm seines Nachbarn entlang. Früher war dort eine Viehtränke gewesen. Jetzt waren die Kühe verschwunden und entlang der Hügelflanke erstreckten sich ordentliche Reihen von Weinstöcken. Challis konnte seinen Nachbarn nicht zwischen den Rebstöcken erkennen. Aber der Mann war bestimmt irgendwo dort, jätete Unkraut, schnitt die Stöcke zurück, sprühte Insektenschutzmittel, las die Trauben. Challis musste an die Insektizide denken, die der Wind auf sein Dach trug und der Regen in seinen unterirdischen Tank spülte, und goss seinen Kaffee weg.
Er stieg von der Veranda und machte einen Rundgang entlang seines Grenzzaunes. Ein halber Hektar, an einer ungeteerten Straße westlich des Old Peninsula Highway, eingebettet zwischen Obstgärten, einem Weingut und einem Gestüt. Challis unternahm diesen Spaziergang jeden Morgen und Abend als eine Art Test für seine Gefühle. Fünf Jahre schon, und der Ort war immer noch sein sicherer Hafen im Sturm.
Als er die Zeitung aus dem Briefkasten an der Schotterstraße vor seinem Haus holte, rief eine Stimme aus der nächsten Einfahrt: »Hal, haben Sie mal eine Minute Zeit?«
Der Mann vom Weingut kam auf ihn zu. Klein, die Augen vor der Sonne zugekniffen, um die Sechzig. Challis wartete und musterte ihn ausdruckslos, wie er es mit Verdächtigen tat. Tatsächlich wurde der Mann unruhig.
Challis riss sich zusammen. Der Typ hatte seine Kripotricks nicht verdient. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich weiß, dass es nur eine Kleinigkeit ist, aber Sie kennen doch den Teich, den ich drüben beim Haus angelegt habe?«
»Ja.«
»Jemand hat darin geangelt«, sagte der Nachbar. »Nach Forellen. Das Problem ist, dass sie mir die Vögel verjagen.«
Ibisse, Reiher, ein schwarzer Schwan, Sumpfhühner. Challis hatte sie einmal einen halben Tag lang von einem winzigen Versteck aus beobachtet, das der Mann im Schilf angelegt hatte. »Wissen Sie, wer?«
»Kinder wahrscheinlich. Ich habe ein paar verknäulte Schnüre gefunden und Angelhaken, sowie ein halbes Dutzend leere Coladosen.«
Challis nickte. »Haben Sie die zuständige Wache verständigt?«
»Ich dachte, Sie als Inspector -«
»Verständigen Sie die hiesige Wache«, sagte Challis. »Die werden ab und zu einen Streifenwagen vorbeischicken und Präsenz zeigen.«
»Könnten Sie nicht.«
»Tut mir sehr Leid, aber es wäre besser, wenn Sie Anzeige erstatten.«
Bald darauf machte Challis sich auf den Weg. Er sperrte das Haus ab, lenkte seinen Triumph rückwärts aus der Garage, bog am Tor rechts ab und fuhr die Straße vorsichtig im ersten Gang entlang. Im Winter musste er sich vor Schlaglöchern, Schlamm und kleineren Überschwemmungen in Acht nehmen, im Sommer vor Spurrillen und trügerischen weichen Banketten.
Er fuhr Richtung Osten und hörte dabei die Achtuhrnachrichten. Um fünf nach acht traf er ganz in der Nähe des Schauplatzes der Entführung auf den Old Peninsula Highway, bog ab und fuhr in Richtung Süden weiter, auf die Stadt Waterloo zu, während er den Nachhall der verzweifelten Schreie der Sterbenden hinter sich zu hören glaubte.
Er hätte seinem Nachbarn gegenüber hilfsbereiter sein sollen. Er fragte sich, was der Mann wohl von ihm hielt, dem Inspector, und von der >Neuen Halbinsel<.
Die Halbinsel. Die Leute redeten von ihr, als wäre sie eine homogene Einheit. Das tat man nur, wenn man sie nicht kannte, dachte Challis. Das tat man nur, wenn man dachte, dass ihre unverwechselbare Form - ein kommaähnliches Landstück, das sich südöstlich von Melbourne ins Meer hineinkrümmte - ihr eine eigene Identität verlieh, oder wenn man nur ein einziges Mal durchgefahren war und dabei lediglich Strände, Ackerland und ruhige Küstenorte gesehen hatte.
Nicht, dass sie eine große Fläche bedeckt hätte - weniger als eine Autostunde von oben bis unten und an der breitesten Stelle etwa zwanzig Minuten quer hindurch -, aber für einen Polizisten wie Challis gab es mehrere Halbinseln. Die alte Halbinsel mit ihren kleinen Farmen und Obstgärten, abgeschiedenen Landsitzen, ein wenig Kleinindustrie und Fischerei und ruhigen, von Rentnern und Urlauberfamilien bevölkerten Küstenorten wich langsam der neuen Halbinsel der Weinboutiquen, Wochenendfarmen und Nebenstraßen voller Bed&Breakfast-Pensionen, Töpfereien, Naturheilkundekliniken, Kongresszentren, Teestuben und Galerien. Der Tourismus war einer der größten Industriezweige, und Leute, die ihrem Beruf nachgehen mussten - wie Challis selbst -, flüchteten aufs Land, um sich dort einen Schlupfwinkel zu sichern. Einige einheimische Firmen verdienten gut daran, Scheunen in amerikanischem Stil hochzuziehen und gusseiserne Kochherde einzubauen. Und die Ortschaften waren verstopft mit teuren Allradfahrzeugen.
Aber obwohl mehr Geld im Umlauf war, verteilte es sich nicht zwangsläufig auf mehr Menschen. Eine befreundete Sozialpädagogin in der Stadtverwaltung hatte Challis von der wachsenden Anzahl obdachloser, drogenabhängiger Jugendlicher berichtet, mit denen sie zu tun hatte. Industriebetriebe und Geschäfte wurden aufgegeben, gleichzeitig zogen immer mehr Familien in die billigen Wohnsiedlungen, die sich an den Rändern der größten Orte, Waterloo und Mornington, ausbreiteten. Die Regionalverwaltung, einst einer der größten Arbeitgeber, kürzte die Ausgaben auf das Allernotwendigste und beschäftigte Manager, deren Menschlichkeit ebenfalls auf das Allernotwendigste reduziert war. >Freistellungen< erfolgten ohne Vorwarnung und niemals von Angesicht zu Angesicht. Die Sozialpädagogin verkaufte jetzt hausgemachte Pickles und Marmeladen auf den Märkten der Gegend. Sie hatte einen Brief mit der Mitteilung bekommen, dass sie überflüssig sei und ihre ganze Abteilung geschlossen werde. »Nur drei Tage Frist, Hal.«
Das geschah jetzt überall, und mit den Folgen musste sich die Polizei herumschlagen.
Was nicht hieß, dass die Halbinsel kein angenehmer Ort zum Leben war. Challis hatte das Gefühl, endlich nach Hause gefunden zu haben.
Und die Arbeit lag ihm. Wenn er früher in Mord- oder Entführungsfällen ermittelt hatte, war er mit einer Truppe von Spezialisten durch das ganze Land gehetzt worden, durch Stadt und Busch, aber der Commissioner hatte ein neues System eingeführt, das den Beamten vor Ort mehr Erfahrung bei der Untersuchung von Schwerverbrechen verschaffen sollte, neben den üblichen Kleindelikten wie Einbrüchen, Körperverletzung oder Diebstahl. Mittlerweile waren höhere Kriminalbeamte wie Challis für ein bestimmtes Gebiet zuständig. In Challis' Fall war es die Halbinsel. Obwohl er ein Büro im regionalen Hauptquartier hatte, verbrachte er die meiste Zeit in den verschiedenen Polizeirevieren der Halbinsel, führte die Ermittlungen mithilfe der örtlichen Kripo durch und zog die Spezialisten nur hinzu, wenn er anders nicht mehr weiterkam. Es war eine Aufgabe, die Takt erforderte, denn er durfte die Kompetenzen der örtlichen Kripo nicht zu sehr einschränken. Das hätte zu Missstimmungen und schleppenden Ermittlungen geführt.
Bei der Kripo von Waterloo rechnete er nicht mit etwas Derartigem. Er hatte schon früher mit ihr zusammengearbeitet.
Challis fuhr zwanzig Kilometer weiter in südlicher Richtung. Der Highway folgte dem Ostrand der Halbinsel, sodass er gelegentlich einen Blick auf die Bucht hatte. Dann kam hinter den Mangrovensümpfen die Raffinerie von Waterloo in Sicht mit ihren grellweißen...
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