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Hier in Victoria firmierte er unter Rising Stars Agency, oben in New South Wales war es Catwalk Casting gewesen und davor in Queensland Model Miss Promotions. Pete Duyker schätzte, dass ihm wohl noch etwa drei Monate auf der Peninsula bleiben würden, bevor die Bullen und das Oberste Gericht ihm wieder auf die Schliche kommen und ihn dazu zwingen würden, weiterzuziehen.
»Hinreißend«, sagte er und machte ein paar Aufnahmen mit seiner Nikon, in der gar kein Film war, die aber eindrucksvoll groß war und professionell wirkte und all die klickenden und surrenden Geräusche von sich gab, die man von einer solchen Kamera erwartete. Bei seinem anderen Job benutzte er nur Digitalkameras.
Die Mutter lächelte albern. »Fön«, sagte sie, was Pete an einen alten Film erinnerte, wo der Arzt mit seinem Stethoskop sagt: »Bitte freimachen«, worauf die kesse Teenagerin in seiner Praxis erwidert: »Fön, mit dem gröften Vergnügen.« Pete machte noch ein paar Aufnahmen von der fünfjährigen Tochter der Frau. Das strähnige Haar der Kleinen wehte schwach in der Brise, die über Arthur's Seat strich; hinter dem Kind erstreckten sich malerisch die Bucht und die gebogene Küstenlinie der Halbinsel, die vom Smog vernebelten Wolkenkratzer von Melbourne im Nordwesten waren nur zu erahnen. »Einfach hinreißend«, wiederholte er und knipste weiter.
Nichts an dem Kind war hinreißend. Aber das machte nichts. Viele von ihnen waren hinreißend und hatten im Laufe der Jahre durchaus in sein Konzept gepasst. Dieses Kind hier hatte dürre Beinchen, knubblige Knie, krumme Zähne und trug ein abscheuliches pinkfarbenes Ginghamkleid. Pete hatte nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass Mütter vor Liebe blind sind und der Ehrgeiz für ihre Kinder unerschöpflich.
»Goldig«, sagte Pete jetzt und setzte ein Weitwinkelobjektiv auf die Kamera, das er aus einer seiner Taschen gezogen hatte, die ramponiert und abgewetzt war und bestens zu einem hart arbeitenden Fotografen passte. »Die letzte Aufnahme war einfach goldig.«
Die Mutter, knochig und dürr, in hautengen Jeans und blendend weißem T-Shirt, mit riesiger rauchgrauer Sonnenbrille und hochhackigen Sandalen, strahlte und nickte in den milden Frühling hier auf der Halbinsel hinaus. Sie hatte das hässliche Gesicht einer von Gier zerfressenen Mutter. Sie sah schon ein Portfolio voller schmeichelhafter Fotos von ihrem Kind vor sich, sah die Arbeit beim Fernsehen, die sich daraus ergeben würde, und das alles für nur dreihundertfünfundneunzig Dollar, im Voraus zu entrichten, plus fünfundsiebzig Dollar Anmeldegebühr. In etwa einer Woche würde sie nervös werden und auf seinem Handy anrufen, aber Pete hatte mehrere Handys, die alle nicht zurückverfolgt werden konnten, Wegwerfgeräte.
Pete blickte auf die Uhr. Er hatte der Mutter die Geschichte aufgetischt, dass er zurück nach Melbourne müsse, um die Sedcard einer Klientin aufzufrischen, des Mädchens, das in A Twist in Time, der Soap auf Channel 10, die kleine Bethany spielte.
»Sie hören bis nächsten Freitag von mir«, log er.
»Fön«, lispelte die Mutter, das Kind kratzte sich an der Wade, und Pete Duyker fuhr in seinem weißen Tarago-Van davon und strich die beiden aus dem Gedächtnis.
Es war 14.45 Uhr, ein Donnerstagnachmittag Ende September. Der Unterricht in der Grundschule von Waterloo war um Viertel nach drei zu Ende, er würde es locker schaffen. Zwar blieben ihm immer noch der Freitag und das Wochenende, aber da war es riskant, und außerdem trieb es ihn jetzt dazu, leise und drängend, also musste es heute sein.
Er fuhr weiter in Richtung Westernport, kurvte durch Dörfer und Farmland, an vielen Hügeln erstreckten sich terrassenförmig angelegte Weinberge und Obstgärten. Nicht gerade unberührt, dachte er, als er ein hässliches pseudotoskanisches Anwesen sah; hier und dort standen kleine Gruppen abgestorbener Eukalyptusbäume. Pete grübelte: »Wurzelfäule« nannte man das. Irgend so eine Baumkrankheit. Doch der Gedanke machte ihm nicht zu schaffen, nicht an so einem klaren, ruhigen Tag, an dem die Luft duftgeschwängert und die Halbinsel trunken war vom Frühlingswachstum rings um ihn: Baumblüte, Unkraut, Gras, das neben der Straße in die Höhe schoss, reifte, auch der Zylinderputzer blühte.
Er kam zum Flachland an der Küste und war schon bald in Waterloo. Pete war eine Art Soziologe. Er schaute sich erst gern um, bevor er aktiv wurde, und er wusste bereits, dass Waterloo eine Stadt der Extreme war: reich und arm, städtisch und ländlich, privilegiert und benachteiligt. Die Reichen bekam man nicht allzu oft zu Gesicht. Sie lebten ein paar Kilometer außerhalb der Stadt oder auf Anhöhen, von denen man einen großartigen Blick auf die Bucht hatte, in umgebauten Bauernhäusern oder architektonischen Albträumen. Die Armen wohnten in kleinen Häusern aus Holz und Klinker hinter den paar Einkaufsstraßen von Waterloo oder in neueren, aber genauso deprimierenden Wohnblöcken am Rande der Stadt. Man sah keine Armen, die sich Rasentraktoren kauften, Zaumzeug, Luzernenheu oder den Pinot Noir der Region für dreißig Dollar die Flasche. Nein, die aßen bei McDonald's, kauften Weihnachtsgeschenke in Ramschläden, tuckerten mit riesigen, alten spritschluckenden Karren mit V-8-Motor durch die Gegend. Sie fuhren nicht Rad, gingen nicht joggen oder ins Fitnessstudio, sondern tauchten in den Arztpraxen mit lange unbehandelt gebliebenen Krankheiten auf, die durch schlechte Ernährung, Alkohol- und Drogenmissbrauch verursacht worden waren, oder mit Verletzungen, die sie sich durch harte körperliche Arbeit in der nahe gelegenen Raffinerie oder auf dem schicken Weinberg eines Reichen zugezogen hatten. Das waren die Extreme. Es gab jede Menge Leute, denen es ganz gut ging, Gott sei Dank, weil sie beim Staat oder der Kommune arbeiteten oder weil Reiche und Arme gleichermaßen auf sie angewiesen waren.
Anfang der Woche war Pete über die Straße, die an den Mangrovensümpfen vorbeiführte, in die Stadt gekommen, doch heute nahm er den direkten Weg durch das Stadtzentrum, fuhr langsam die High Street entlang, dachte nach, bemerkte Veränderungen und Entwicklungen, stellte Verbindungen her. Er hätte darauf gewettet, dass der neue Feinkostladen prächtige Umsätze machen würde, war aber nicht allzu überrascht über die »Zu verkaufen«-Schilder an den Camping- und Elektronikläden; einen Block weiter hatte ein K-Mart eröffnet. Für einen kurzen Moment wurde er stinksauer. Instinktiv stand er aufseiten des kleinen Mannes.
Pete fuhr weiter, kam an ein paar Apotheken vorbei, an einem Reformhaus, einer Bäckerei, der ANZ-Bank, einem Reisebüro, dem Secondhandladen der Heilsarmee, der Bücherei und den Kommunalbehörden. Schließlich weitete sich die High Street hin zum Strandstreifen: ausgedehnte Parkanlagen mit Bäumen, Picknicktische, Skateboardrampen, Mangroven, die einen Ring um die Bucht bildeten, und ein Bereich, der der jährlichen Waterloo Show überlassen worden war. Heute war dort zwar nichts los, aber am Wochenende würden alle Fahrgeschäfte und Sonderausstellungen gut besucht sein.
Pete fuhr an dem Gelände vorbei zum hinteren Ende des Naturschutzgebiets und parkte dort neben einem Toilettenhäuschen, das er schon Anfang der Woche ausgespäht hatte: schmierige Ziegel, verstunken, an seiner Bestimmung ließ es keinen Zweifel. Pete ging hinein, kontrollierte, ob er allein war, und verkleidete sich mit einer grauen Perücke, einem grauen Schnurrbart zum Ankleben, einem weißen Laborkittel und einer schwarzen Hornbrille mit Fensterglas. Dann fuhr er zur Trevally Street und hielt an einer Stelle, wo das Sonnenlicht, das durch die Platanen fiel, Muster auf ihn und seinen Van warf und die Umrisse verzerrte. Er rauchte nicht, aber er hatte an einem Tatort schon die Kippen von anderen Männern weggeworfen, um die Bullen zu verwirren.
Dann wartete er. Er stand neben der offenen Tür des Vans und hielt ein Klemmbrett in der Hand. Die Zeit verging. Vielleicht musste sie nachsitzen, vielleicht war sie im Hort, vielleicht trödelte sie noch auf dem Schulhof herum. Pete ging bis zur Straßenecke und wieder zurück. Sie würde sicher bald kommen, den Fahrradhelm schräg auf den glänzenden Locken, und verträumt vor sich hin radeln, während ihr der Rucksack gegen die mit leichtem Flaum bedeckte Wirbelsäule schlug.
Vielleicht kam sie auch nicht, aber zweimal hatte Pete sie schon dabei beobachtet, wie sie nach der Schule diesen Umweg genommen hatte. Statt auf direktem Weg war sie die Trevally Street entlang bis zum Strandpark gefahren, zu den Verlockungen der Waterloo Show mit ihren Autoscootern, dem Riesenrad, der Verrückten Maus, der Geisterbahn, der Zuckerwatte. Die Kirmes zog alle möglichen Kinder an, aber Pete hatte sich für eines von ihnen entschieden. Er ging auf und ab, die Wagentür war leicht geöffnet, und er lauschte den Bienen, die nicht weit weg in den Rosenbüschen summten.
Dann tauchte sie auf. Genau so, wie er es sich vorgestellt hatte. Er stand da und wartete, als sie näher kam.
Schließlich war sie neben ihm. Er stellte sich ihr in den Weg und sagte: »Deine Mama ist krank geworden. Ich soll dich zu ihr bringen.«
Sie schaute ihn skeptisch an, ganz zu Recht, aber sein Kittel sah nach Arzt aus, nach Krankenpfleger oder Sanitäter, und er setzte auf ihren ureigenen Instinkt, bei ihrer Mutter sein zu wollen. »Ist schon in Ordnung«, sagte er und sah sich nach beiden Richtungen um, »spring rein.« Falls nötig, würde er ihr das...
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