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Kapitel 1
Als Patrick sein Notizbuch öffnete, um nachzuschauen, welche Themen er bei der Mediation ansprechen wollte, bohrte Caitlin die Fingernägel in die Handfläche. Sie fragte sich, wo sie gelesen hatte, dass einen gerade die kleinen Besonderheiten eines Menschen, in die man sich am Anfang verliebt hatte, am Ende dazu brachten, ihn mit der Gabel erstechen zu wollen.
Patrick sah immer noch gut aus, mit den prägnanten Wangenknochen und dem dichten braunen Haar, das schneller wuchs als ihres. Er war immer noch energiegeladen und verdammt munter für jemanden, der unübersehbar darunter litt, dass er von Frau und Kindern getrennt war - vermutlich wegen der Extraportion Schlaf, dachte Caitlin gehässig. Er roch immer noch nach Kaffee und Rasierwasser, hielt ihr bei den Mediationssitzungen immer noch die Tür auf und trug immer noch die Manschettenknöpfe in Bonbonform, die ihm Joel und Nancy zu Weihnachten geschenkt hatten. Aber das wurde alles zunichtegemacht von seiner unerbittlichen, nervtötenden, zur Weißglut treibenden Kontrollsucht, die Caitlin anfangs für altmodische Galanterie gehalten hatte.
Trennung und Scheidung, dachte sie, brachte das Schlimmste in einem Kontrollfreak zum Vorschein. Mehr noch als die Ehe.
»Nur, um noch einmal auf die Alimente zu sprechen zu kommen.« Patrick tippte mit dem Stift auf die Seite. »Ich bin mir nicht sicher, ob die Zahlen, die meine Frau .« Sein Gesicht fror für den Bruchteil einer Sekunde ein und ließ eine unerwartete Verletzlichkeit durchscheinen. Dann hatte er sich wieder im Griff und konzentrierte sich auf die Fakten. »Die Zahlen, die Caitlin nennt, scheinen mir jeder Basis zu entbehren. Ich habe mir die Quittungen für die wöchentlichen Lebensmitteleinkäufe mal angeschaut, und da komme ich auf ganz andere Beträge.« Er hielt inne. »Auf ganz andere.«
Caitlin betrachtete den Kaktus auf dem Schreibtisch der Mediatorin. Patrick hatte es immer geliebt, sie als seine Frau zu bezeichnen; dabei hatte er immer töricht gelächelt, als könnte er sein Glück kaum fassen. Das war allerdings Patrick, der Ritter in der goldenen Rüstung, gewesen - der Einzige, der vor sechs Jahren auf dem windgepeitschten Seitenstreifen der M25 hinter ihrem leblosen Renault angehalten hatte, in dem sie allmählich in Panik geraten war. Joel hatte mit großen Augen in seinem Kindersitz auf der Rückbank gesessen, der Autobahnverkehr war an ihnen vorbeigerauscht und hatte den kleinen Wagen zum Zittern gebracht, und ihr Handy hatte keinen Mucks mehr von sich gegeben. Aber dann hatte Patrick ans Fenster geklopft. Sie hätte Angst haben sollen, aber die offenkundige Sorge, die sich in seinem Gesicht spiegelte, weil eine Frau mit einem kleinen Jungen liegen geblieben war, verlieh Caitlin sofort ein Gefühl der Sicherheit. Patrick marschierte zur Notrufsäule - im Gegensatz zu ihr hatte er die passende Kleidung für dieses Sauwetter - und wartete bei ihnen, bis Hilfe eintraf. Als in der dichten Dunkelheit die Blinklichter der Pannenhilfe aufschienen, reichte sie ihm verlegen die Hand und dankte ihm stumm, und er ließ sie nicht wieder los.
Als er sie nach ein paar Verabredungen zauberhaft altmodisch umwarb und eine Beziehung daraus erwuchs, rettete er Caitlin noch auf ganz andere Weise. Damals war ihr das Leben längst entglitten. Das Haus, die Finanzen, alles. Für Patrick war nichts zu schlimm, um nicht Abhilfe zu schaffen. Kein Schaden in ihrem Haus war so gravierend, dass er ihn nicht behoben hätte. Er hatte eine Abneigung gegen Unordnung und Ungerechtigkeit, schloss eine eigene Restschuldversicherung ab und befreite mit bloßen Händen Spinnen aus dem Badezimmer. Ein moderner Ritter. Und Caitlin - mit ihrem vaterlosen Kind, dem verkorksten Abschluss und dem vollkommenen Mangel an Selbstachtung - ließ sich nur zu gerne retten.
Dieselbe methodische Ruhe kam Folter gleich, seit Patrick ihre Ehe aufgegeben hatte. Während er redete, erschrak Caitlin vor seiner Fähigkeit, alle Ursachen und Fehler auf verschiedene Stapel zu sortieren, damit sich die Mediatorin ein präzises Bild machen konnte. Auf dieselbe Weise hatte er die Einzelteile des ersten Ikea-Schranks ausgebreitet, damit ja keine Schraube oder Unterlegscheibe verloren ging. Ein paar relevante Punkte hier, ein paar rationale Berechnungen dort, hübsch sauber und endgültig. Keine schwammigen Gefühle würden seine Schlussfolgerungen tangieren können.
Das war genau der Unterschied zwischen ihnen, dachte Caitlin, als Patrick seine laserscharfe Aufmerksamkeit auf Steuergutschriften richtete. Sie hatte sich auf ihre Trennung vorbereitet, wie sie vor ihrer Begegnung mit Patrick einen Ikea-Schrank zusammengebaut hatte: Ohne sich groß um Expertenmeinungen zu bekümmern, hatte sie sich direkt hineingestürzt. Schmerz, Frustration und Tränen waren die Folge gewesen. Tränen und Wein und ein stundenlanges Studium von Trennungsratgebern im Internet, die ebenso gut auf Schwedisch hätten geschrieben sein können. Das Schlimmste war das Schuldgefühl, dass sie es geschafft hatte, den kostbaren Sechskantschlüssel zu Patricks Herzen zu verlieren.
Patrick hatte sie einst für die perfekte Frau gehalten. Jetzt konnte er ihr kaum noch in die Augen schauen, und die glückliche, solidarische, sichere Beziehung, nach der sie sich ein Leben lang gesehnt hatte, war dahin.
Caitlin lehnte sich auf ihrem Plastikstuhl zurück. Vielleicht waren Patrick und sie einfach zu verschieden, um es auf lange Sicht miteinander auszuhalten. Und während Patrick und die Mediatorin redeten, freute sich ein Teil ihres Gehirns, dass sie endlich die Spülmaschine einräumen konnte, wie sie es wollte, und dass sie sich eine blonde Strähne ins Haar färben könnte, ohne dass jemand irritiert eine Augenbraue hob. Sie würde schon klarkommen. Sie war ja auch vorher klargekommen. Das eigentliche Problem war, wie man es schaffen konnte, nicht mehr so zerstörerisch in das Leben der beiden verwirrten Zuschauer dieses Dramas einzugreifen, denn das hatte keiner von ihnen verdient.
Joels und Nancys ängstliche Gesichter vertrieben Caitlins heimliche Fantasie, sich eine dezente Tätowierung stechen zu lassen, und sie zuckte zusammen. Andererseits war es für die beiden sicher besser so, als ständig zwischen zwei streitenden Erwachsenen zu stehen, oder?
»Die finanziellen Vereinbarungen müssen wir in dieser Sitzung noch nicht endgültig festlegen«, sagte Andrea, die Mediatorin. Ihre Stimme war angenehm, aber ihre Miene stellte klar, dass sie nichts von der eingeplanten Stunde für Rechthabereien verschwenden wollte. »Höchste Priorität hat es, ein Arrangement für die Kinder zu finden. Wir reden hier über .«, sie schaute auf ihren Zettel, ». Joel, der zehn ist, wie ich sehe, und die vierjährige Nancy.«
»Viereinhalb nächsten Monat«, sagte Caitlin. »Am fünften September wird sie fünf.« Sie schenkte Andrea ein Lächeln. Die sah selbst wie eine Mutter aus und wusste sicher, welcher Teil der Mediation wirklich wichtig war. Nicht das Geld. Nicht die Frage, wer das Auto bekam. »Ich begreife es immer noch nicht ganz, dass sie im September schon in die Schule kommt! Mein kleiner Wildfang.«
»Unser kleiner Wildfang«, sagte Patrick. Caitlin schlug die Beine übereinander, um sich zu bremsen. Klar, sie hätte unser sagen sollen. Patrick ließ sie ständig so auflaufen und witterte Verletzungen, wo gar keine beabsichtigt waren. Andererseits war es ja tatsächlich sie, die den Kindern Essen kochte, ihre originelle, immer wieder neue Sprache verstand, ihre Tränen vorausahnte, ihre Müdigkeit, ihr Lächeln, ihren Hunger. Ihr, Caitlins, Leben war verwoben mit ihrem Schlaf, ihren Läusen, ihren endlosen Fragen und den Stimmungen, die rasend schnell zwischen Liebe und Frust schwanken konnten. Nach ihr reckten sich die Hände der Kinder. Patrick hatte immer mit einem trockenen Lachen erklärt, dass er nur die Person sei, die für die Kinder zahle. Was ihnen beiden ein schlechtes Gefühl eingeflößt hatte.
»Ich möchte mich an der Erziehung beteiligen«, fügte Patrick hinzu. »Für mich ist es wichtig, so viel Kontakt wie möglich zu den Kindern zu haben.«
Caitlin konnte es sich nicht verkneifen, ihm einen schrägen Blick zuzuwerfen. Patrick arbeitete so hart, dass er die Kinder selbst vor der Trennung nur selten zu sehen bekommen hatte. Sie kämpfte gegen die Versuchung an, ihn nach den Namen von Nancys drei Lieblingsteddys zu fragen. Er wusste ja nicht einmal, dass jede Woche ein anderer von den dreien ihr absoluter Lieblingsbär war.
»Was ist?« Patrick schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Caitlin registrierte, dass sich ein paar neue Silbersträhnen in seine Koteletten geschlichen hatten. »Willst du sagen, du möchtest das nicht, dass die Kinder uns beide sehen?«
»Natürlich nicht.« Gott, ging ihr das auf den Wecker. »Warum um alles in der Welt sollte ich das nicht wollen?«
Patricks heimliche Unterstellung hing aber nun in der Luft. Das war ungewöhnlich hinterhältig von ihm. Er mag mich einfach nicht mehr, dachte Caitlin unglücklich. Das passiert, wenn man auf ein Podest gestellt wird - der Absturz ist programmiert.
»Das ist gut, dass Sie sich die Verantwortung teilen wollen.« Andrea nahm einen Stift, um sich Notizen zu machen. »Wie sieht Ihre Wohnsituation im Moment aus? Caitlin, Sie leben noch im Haus der Familie in Bristol?«
Sie nickte. »Ja, es ist mein Haus.«
»Wer ist hier spitzfindig?«, ging Patrick dazwischen. »Es...
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