Schweitzer Fachinformationen
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Luaide ahnte, dass ihr nur noch wenige Atemzüge blieben, bevor sie sterben würde. Vielleicht war es das, was die Göttin verlangte. Dann würden Rigana und die anderen Alten ihr den Bauch aufschneiden und das Kind herausholen, das Heilige Kind. Luaide sah das Messer in Riganas Hand blitzen und begriff, was die Alte damit vorhatte. Sie werden nicht warten, bis ich tot bin, dachte sie. Eine neue Welle des Schmerzes überrollte Luaide mit der nächsten Wehe und raubte ihr die letzte Kraft. "Ich flehe euch an, lasst mich so lange leben, bis ich das Kind gesehen habe."
"Das Wasser!", schrie Teaglach und presste sich mit aller Macht gegen die Tür. Aber der Jüngling konnte dem Wind, der die Tür von außen einzudrücken drohte, kaum etwas entgegensetzen. Zu seinen Füßen bahnte sich ein Rinnsal den Weg über den Lehmboden des Versammlungshauses. Das Rinnsal breitete sich zu einer Lache aus und einen Atemzug später war es zu einem Strom angeschwollen.
"Flieht! Der Fluss wird das Haus mit sich reißen und uns darunter begraben!"
Die Frauen und Männer, die Kinder und Alten, die im Versammlungshaus Zuflucht gesucht hatten, griffen in wilder Panik nach ihren Habseligkeiten und drängten zum Ausgang. Luaide sah, dass Rigana sich nicht entscheiden konnte, ob sie das Kind noch vor der Überflutung aus ihrem Leib holen oder die Gebärende mit sich schleppen sollten. Sobald die Türe geöffnet wurde, schoss das Wasser in einem großen Schwall herein und durchnässte das Strohlager, auf dem Luaide gebettet war. Zwei Frauen packten sie unter den Armen. "Die Flut! Weg! Weg!" Luaide suchte mit den Füßen Halt, aber sie glitt auf dem nassen Stroh aus.
Ihre Lederfußlinge sogen sich mit Wasser voll und das Stroh, auf dem sie gelegen hatte, wurde von der schmutzigen Brühe weggeschwemmt. Halb ohnmächtig ließ sich Luaide von den Frauen mitschleifen, während sie spürte, wie sich die nächste Wehe näherte.
Achmanon, der Häuptling des Mondanbeterstammes, blieb bis zuletzt. Er schleppte die Kranken, die kaum gehen konnten, mit Hilfe von ein paar anderen Männern hinaus. Da sah er, dass eine der Wände nachgab.
"Lauft!", schrie er die Männer an. "Es stürzt ein!" Mit letzter Not brachte er sich selbst in Sicherheit. Einer der Männer und zwei Hand voll der Kranken blieben im Versammlungshaus zurück, als die Wände unter der Wucht des anstürmenden Wassers einknickten, und das Dach des Hauses über ihnen niederging. Achmanon suchte unter den Trümmern nach den Verschütteten, so lange, bis er sich selbst in Schutz bringen musste, weil der Wind die losen Teile wie Steinbrocken gegen ihn schleuderte. Er folgte den Fliehenden, die im Schneetreiben verschwunden waren.
Luaide spürte, wie das Kind aus ihrem Leib drängte.
"Lauf", schrien die Frauen, aber Luaide hatte die Herrschaft über ihre Beine verloren. Sie fiel in den Schnee, die Frauen zerrten sie wieder hoch. Sie musste einen geschützten Ort finden, um das Kind zur Welt zu bringen. Aber wo? Die Stammesmitglieder flohen den Hang hinauf, um sich vor dem Wasser in Sicherheit zu bringen. Unten im Dorf würde keine der Hütten dem Wasser standhalten. Der Wind peitschte ihr den Schnee ins Gesicht. Lange werde ich nicht mehr durchhalten, dachte sie, ich kann nur noch auf ein Wunder hoffen. "Große Göttin! Gütige, Sanftmütige, Liebende, Gebärerin, Schöpferin, steh uns bei. Wir vertrauen auf deine unergründliche Weisheit und Kraft."
Das Ende, dachte Achmanon. Es ist das Ende. Es gibt keinen Ort, an den wir fliehen können. Im Wald werden uns die umstürzenden Bäume erschlagen. Draußen werden wir im Sturm untergehen. Der Weg zur Höhle ist zu steil, um sie in der Dunkelheit und bei diesem Wetter zu erreichen. Er sah, dass Teaglach, der Sohn seines Bruders, neben ihm auftauchte.
"Wohin?", hörte er ihn durch den Sturm schreien.
"Ich weiß es nicht."
"Was sollen wir tun?"
"Wir können nichts tun. Wir werden sterben." Eine Lähmung erfasste Achmanon, als er die letzten Worte aussprach. Er wusste, dass der Herr der Anderswelt seine Hand nach ihm ausgestreckt hatte. Seine Glieder erstarrten und er war unfähig, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Eine grauenhafte Angst packte ihn, nicht um sein eigenes Leben, sondern um das seines Stammes. Er hatte sein Leben dem Schutz des Stammes gewidmet und nun konnte er nichts mehr für ihn tun. Während sein Körper immer schwächer wurde, begriff er, dass er seinen Stamm nicht wiedersehen würde. Sein Leben als Häuptling der Mondanbeter ging zu Ende. Ein unsäglicher Schmerz erfasste ihn, darüber, dass er sie im Stich lassen musste. Dafür gab es keinen Trost. Wie sehr hatte er sie geliebt, wie sehr hatte er für sie gekämpft und jetzt war alles verloren.
"Was ist?", hörte er Teaglach.
"Lass mir einen Augenblick Ruhe", erwiderte Achmanon und Teaglach gehorchte. Der Häuptling sank in den Schnee und spürte, wie ihn die letzte Kraft verließ. Eine große Ruhe breitete sich in ihm aus. Mitten im Sturm, ohne Hoffnung, weitete sich sein Blick. Nicht nur sein Stamm, alle Stämme der Göttin waren verloren. Das Zeitalter der Heiligen Hochzeit zwischen der Göttin und dem Hirschkönig neigte sich dem Ende zu. Die neuen Siedler breiteten sich immer mehr aus und unterwarfen die Eingeborenen ihrer Herrschaft. Sie kannten nicht die Güte der Göttin, die wie eine Mutter für alle ihre Kinder sorgte. Sie verehrten einen Gott des Krieges und der Gewalt. Nicht einmal Dana, die Große Mutter, hatte die Macht, den Lauf der Dinge aufzuhalten.
Mitten im Sturm hörte er Ihre süße Stimme, als spräche Sie ein letztes Mal zu ihm.
"Geh zur Quelle", hörte er Sie flüstern.
"Zur Quelle?"
Er spürte, wie etwas Kraft in seine Glieder zurückkehrte. Aber es waren nicht seine Beine und Arme, nicht sein Kopf und sein Rumpf, es war nicht sein Körper, der sich zögerlich bewegte. Achmanon kannte diesen Körper nicht, der sich in ihm rührte, der sich schließlich erhob und seine großen, starken Muskeln dehnte und mit großen, kräftigen Schritten ausholte.
Obwohl sie noch nicht geboren war, kannte sie ihren Namen: Epona, das Kind des Pferdes. Sie kannte auch die Dauer ihres Aufenthalts auf der Erde. Sie sah die Dunkelheit, in die sie geboren wurde und Traurigkeit erfüllte sie. Es war nicht die Traurigkeit der Göttlichen, die Abschied nehmen musste vom Paradies, es war eine Menschentrauer. Und Epona wusste, dass sie dabei war, ein Mensch zu werden. Für die Menschen gab es, anders als für die Götter, keinen Trost, ihre Traurigkeit war unentrinnbar wie der Atem, der ihnen Leben einhauchte. Sie hatten die Gabe verloren, das Licht der Göttin zu sehen und waren darüber untröstlich. Sie kannten nur noch den Widerschein des Lichts, seinen Schatten.
Epona sah, wie ihr Vater, Achmanon, mit dem Tiergeist kämpfte. Er kämpfte darum, in seine menschliche Gestalt zurückzukehren. Aber das war nicht möglich. Denn die Göttin wollte es so. Achmanon war ein starker Führer, aber er würde seinem Volk erst dienen, wenn er sich der Göttin ganz hingab. Nur dann würde sein Kind auf die Welt kommen. Erst wenn Achmanon sich ganz dem Licht der Göttin hingab, würde sich die Geburt vollziehen.
Der Schmerz ihres Vaters glich dem Schmerz ihrer Mutter. Ihre Mutter und ihr Vater gebaren mit demselben Schmerz das Göttliche Kind. Während Achmanons Seele sich dem Licht näherte, verließ Eponas Seele wehmütig den geborgenen Schoß der Göttin. Sie weinte über die Schönheit, die sie zurücklassen musste, sie trank ein letztes Mal von der Reinheit der Heiligen Quelle und segnete die Wesen, die den Garten der Göttin bewohnten. Sie sog die Liebe der Heiligen Pferde in sich auf.
Während die Erinnerung an den Garten der Göttin verblasste, erschien das Antlitz des Jünglings vor ihr. Seine Augen sprachen von noch größerer Trauer, als der Trauer, den Garten der Göttin verlassen zu müssen. Der Jüngling lebte in dieser Welt, in die sie eintreten würde. Sein Verstand wusste nichts vom Garten der Göttin. Nur seine Seele kannte ihn und seine Seele wartete auf sie. Epona studierte sein Gesicht. Seine Lider waren schwer von der Last seines Schmerzes, sein Herz noch schwerer, seine Seele gefangen in einem dunklen Gefängnis. Sie sah, wie er die Hand nach ihr ausstreckte. Seine Hände berührten ihre Hände und die Wände des Gefängnisses bröckelten. Epona spürte die Liebe und den Stolz dieses Mannes. Seine Liebe rief nach ihr, seine Seele verzehrte sich nach ihr und ihre Seele antwortete auf den Ruf wie eine Stute auf den Ruf des Hengstes. Sie erfuhr seinen Namen: Caled, der Unbeugsame. Deine Liebe ruft mich, dachte sie. Wegen dir komme ich. Du bist der Grund, warum ich den Garten zurücklasse und in die irdische Welt hinabsteige.
In diesem Augenblick sah Epona, dass Achmanon den Kampf aufgegeben hatte. Sein Körper hatte sich vollkommen in die Gestalt des schwarzen Hengstes verwandelt und Epona erkannte, dass das Gesetz erfüllt war. Der Leib ihrer Mutter öffnete sich und Epona glitt hinaus in die Welt.
"Achmanon?" Teaglach suchte nach dem Häuptling, den er auf seinen Wunsch hin zurückgelassen hatte. "Achmanon!" Er kehrte zu der Stelle zurück, wo er ihn zuletzt gesehen hatte. Sein Blick fiel auf die Pelzmütze des Häuptlings, die halb vom Schnee begraben war. Er verscheuchte die Hunde mit einem Stock und fand neben der Mütze Federn, Steine und das Mondamulett des Häuptlings, die Zeichen seiner Macht. Aber wo war der Häuptling? Hatte ein Tier ihn gerissen und fortgeschleppt? Teaglach wurde von einer großen Trauer befallen und sank auf die Knie. Da sah er, im Nebel, ein großes schwarzes Tier stehen, aus dessen Nüstern der...
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