SCHIFFFAHRT DER KAISERZEIT UND DES DRITTEN REICHES
An der Funktion Kapitän scheiden sich viele Geister. Die einen heroisieren ihn wie Reinemuth und andere, wie beispielsweise Welke, machen aus ihm eine Herrschaftsform. Für mich ist die Messlatte für die Person in dieser Funktion, wie er seine Aufgaben als Seemann, dem ein Schiff, eine Besatzung und eine Ladung anvertraut wurde, bewältigt. Um erfolgreich zu sein, benötigt er einerseits eine Reihe von Voraussetzungen und er muss andererseits Wege und Mittel finden, um die Gesetze und Regeln des Flaggen- und Hafenstaates, die wirtschaftlichen Vorgaben des Reeders und/?oder Managers sowie des Charterers, der Versicherung usw. zu erfüllen.
Die Rostocker Cap Horniers (Fischer, Just, Rath, Brunne, Erdmann und Schommartz)
Die Besatzung mit ihren Auffassungen und Wünschen darf er nicht übersehen, denn mit ihr muss er die Reisen bestreiten. Er soll, bei einem Reeder, der diesen Namen verdient, unter diesen Bedingungen das Schiff sicher und effizient führen. Für viele Kapitäne hieß und heißt das, die Quadratur des Kreises zu lösen. 1836 hatte das Unterhaus des britischen Parlaments ein Komitee zur Untersuchung der großen Anzahl der See- und Personenunfälle eingesetzt. Die Schlussfolgerungen des Komitees4 zu den Ursachen der Unfälle waren: fehlerhafter Bau, unzureichende Ausrüstung, ungenügende Reparatur der Schiffe, falsche und übermäßige Beladung, unangemessene Schiffsentwürfe aufgrund der existierenden Vermessungsvorschriften, was zu kleinen Schiffen mit zu großer Ladefähigkeit führte, inkompetente Kapitäne, Alkoholmissbrauch bei Offizieren und Mannschaft, Versicherungsbestimmungen, die die Reeder verleiteten, sich weniger um Bau, Ausrüstung und Sicherheit des Schiffes zu kümmern, mangelhafte Häfen und fehlerhafte Seekarten.
Wie der jeweilige Kapitän versucht, diesen Gordischen Knoten zu durchschlagen, hängt wesentlich von der Kultur ab, in der er erzogen wurde. Auch wenn er nie Teil eines genossenschaftlichen Unternehmens war, waren seine Möglichkeiten, Disziplinarverstöße zu ahnden, begrenzt. Der Extremfall ist der amerikanische Kapitän, der selbst oder über seinen "bucko mate" mit den Fäusten gnadenlos Disziplin herstellt. Als Gegensatz dazu möchte ich auf Richard Wossidlo und seine Berichte von der Seefahrt unserer Vorfahren in seinem berühmten Buch Reise Quartier in Gottesnaam verweisen. In seinem Abschnitt "Matrosen und Schiffer" beginnt er den letzten Absatz mit folgenden Worten: "Öfter freilich werden es die Matrosen gewesen sein, die das harte Regiment des Schiffers zu spüren bekommen haben. Dies mag zur Aufrechterhaltung von 'Ruhe und Ordnung' gelegentlich notwendig und heilsam gewesen sein." Abgesehen davon, dass man den Begriff "hartes Regime" sehr unterschiedlich definieren kann, ist von der Anwendung physischer Gewalt niemals die Rede. Welke ist zu der Auffassung gekommen, dass im 19. Jahrhundert die Rolle des Kapitäns neu definiert wurde. Er schreibt5: "Im 19. Jahrhundert bereitete das Klischee der undisziplinierten, zu Trunksucht und zu rechtlosem Verhalten neigenden Seeleute den Boden, auf dem sich die neue Kapitänsgewalt mit Zustimmung eines breiten Publikums entfalten konnte. Und tatsächlich näherte sich die Praxis der Schiffsführung im Lauf des Jahrhunderts auf bemerkenswerte Weise dem Bild an, das in literarischen Vorlagen entworfen wurde. Lange hatten beide einen Makel. Gab es für die personale Herrschaft, die Kapitäne an Bord über ihr Schiffsvolk ausübten, doch keine legale Basis. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bemühten sich namhafte Rechtstheoretiker, diesem Mangel abzuhelfen."
In Hamburg der Hansa Hafen 1907, Postkarte
Wenn er damit recht hätte, müsste sich das in den Gesetzen dieser Zeit, vor allem in der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872, niederschlagen. Folgende Paragraphen geben darüber Auskunft:
§ 57.
Der Schiffer kann den Schiffsmann, abgesehen von den in dem Heuervertrage bestimmten Fällen, vor Ablauf der Dienstzeit entlassen:
2) wenn der Schiffsmann eines groben Dienstvergehens, insbesondere des wiederholten Ungehorsams oder der fortgesetzten Widerspenstigkeit, der Schmuggelei sich schuldig macht;
3) wenn der Schiffsmann des Vergehens des Diebstahls, Betrugs, der Untreue, Unterschlagung, Hehlerei und Fälschung, oder einer nach dem Strafgesetzbuche mit Zuchthaus bedrohten Handlung sich schuldig macht; .
§ 61.
Der Schiffsmann kann seine Entlassung fordern:
1) wenn sich der Schiffer einer schweren Verletzung seiner ihm gegen denselben obliegenden Pflichten, insbesondere der Mißhandlung oder durch grundlose Vorenthaltung von Speise und Trank schuldig macht; .
Vierter Abschnitt
Disziplinar-Bestimmungen.
§ 72.
Der Schiffsmann ist der Disziplinargewalt des Schiffers unterworfen .
§ 79.
Der Schiffer ist befugt, alle zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Sicherung der Regelmäßigkeit des Dienstes erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. Zu diesem Zwecke darf er namentlich auch herkömmliche Erschwerungen des Dienstes oder mäßige Schmälerung der Kost, Letztere jedoch auf höchstens drei Tage, als Strafte eintreten lassen. Geldbuße, körperliche Züchtigung oder Einsperrung darf er als Strafe nicht verhängen.
Bei einer Widersetzlichkeit oder bei beharrlichem Ungehorsam ist der Schiffer zur Anwendung aller Mittel befugt, welche erforderlich sind, um seinen Befehlen Gehorsam zu verschaffen. Er darf gegen die Betheiligten die geeigneten Sicherungsmaßregeln ergreifen und sie nöthigenfalls während der Reise fesseln .
Die Seemannsordnung legte für zahlreiche Vergehen des Schiffsmannes, aber auch des Schiffers, Strafen in Form von Geldbußen und Gefängnis fest. Beim Schiffer gehörten dazu Missbrauch der Disziplinargewalt, unzureichende Verproviantierung des Schiffes, ungebührliche Vorenthaltung der Kost, unzureichende Führung des Tagebuches, wenn er die Seemannsordnung den Seeleuten nicht zur Verfügung stellte, wenn er verhinderte, dass sie zum Seemannsamt gehen konnten usw. Dass mit der Seemannsordnung im Sinne von Welke eine Herrschaftsform geschaffen wurde, ist nicht erkennbar.
1902 wurde eine neue Seemannsordnung erlassen, die die Festlegungen zu den Pflichten und Rechten des Kapitäns sowie der Besatzungsmitglieder nicht wesentlich veränderte. Vor allem in der HANSA finden sich viele Beispiele, die eine besondere oder neue Herrschaftsform nicht erkennen lassen.
Die HANSA (48/?1906) berichtete über eine Sitzung des Vereins Deutscher Kapitäne und Offiziere der Handelsmarine am 22. November. Auf der Sitzung wurde bekannt, dass es auf den Frachtschiffen einer Reederei in Schleswig nicht nur dem Ersten Offizier, sondern auch dem Kapitän zur Pflicht gemacht wird, dass er gelegentlich beim Arbeiten der Leute selbst mit Hand anlegt. Die Versammlung fasste einstimmig den folgenden Beschluss: "Der Verein hält es für durchaus verwerflich, daß eine Reederei Vorschriften erläßt, welche Kapitänen und Offizieren Anweisung geben, wie sie ihren Dienst auszuführen haben. Die Reederei hat ihre Aufträge über die Bestimmung des Schiffes zu erteilen; ein weiteres Eingreifen in den Dienst an Bord bedeutet mitunter Schädigung der einzelnen Personen, wie durch seeamtliche Untersuchung im Jahre 1904 zur Genüge dargelegt ist."
Fritz Brustat-Naval6 schrieb: "In dem ebenso einzigartigen wie schönen Buch von Dr. Jürgen Meyer Hamburgs Segelschiffe 1795 - 1945 ist ein Kapitänskontrakt vom 1. Juni 1909 abgedruckt, der für sich spricht. Der Kapitän übernahm dort die Führung des Vollschiffes 'Melete' gegen eine Monatsgage von 100 (einhundert) Mark sowie 2 ½ Prozent der Brutto-Fracht nach Abzug der Maklergebühren. Er mußte also auf Teufel komm raus fahren, um zu Geld zu kommen. Dabei behielt sich, wie es dort schwarz auf weiß steht, die Rhederei das Recht vor, den Kapitän zu entlassen, wann und wo es ihr gefällt, ohne Angabe von Gründen und ohne Verbindlichkeit zur Rückbeförderung vom Auslande . und hat derselbe ohne Widerspruch vom Kommando zurückzutreten.'"
Der Kapitän verfügte entsprechend diesem Vertrag über keine Sicherheit, seine Funktion ausschließlich nach den Regeln guter Seemannschaft ausüben zu können. Die Wünsche des Reeders waren wichtiger als Seemannschaft, Gesetze und Gesundheit der Besatzung. Auch von ihm wurde ein physischer Einsatz erwartet, der über den vernünftigerweise von einem Menschen zu erwartenden Umfang hinausging. Nur sehr selten wurde es selbst den Seeämtern zu viel und sie gaben das in ihren Sprüchen zu erkennen. Die HANSA berichtete in Nummer 6 im Jahre 1904 über den Spruch des Stralsunder Seeamtes: "Gegen den Führer eines in der Kalmarbucht gestrandeten Schoners stellte der Reichskommissar den Antrag auf Entziehung der Befugnis zur Ausübung des Schiffergewerbes, weil der Seeunfall durch einen Irrtum des Kapitäns in seiner Navigation verursacht worden war. Das Seeamt, das dieses Verfahren nicht in Abrede stellt, hat aber dem Kapitän eine vertretbare Schuld an der Strandung nicht beigemessen, weil er...