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In jener Nacht, als sich der Mond wie ein Feuerball in den prächtigen Wasserbecken der Palastgärten spiegelte, überwand eine Anzahl vermummter Gestalten lautlos die Mauern der Alhambra. Katzenhaft suchten ihre Augen die Umgebung ab, bereit, sich auf jeden zu stürzen, der ihnen begegnete. Dann schwärmten sie aus. Einige schlugen den Weg zum Gannat al-Arif ein, dem Garten der Architekten, andere wählten den Pfad, der die Festung mit dem Sommerpalast der Nasriden verband. Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen und lauschten, bevor sie weiterschlichen.
Im Innern des Palastes blieb alles still. Kein Laut war zu hören. Nicht einmal von den schlaftrunkenen Wächtern der Alcazaba, auf die sich die Eindringlinge nun stürzten. Blitzschnell zogen sie den Männern ihre Dolche durch die Kehlen und eilten weiter.
Die Vermummten waren Diener der Stille und vermieden jedes Geräusch. Sie sprachen nicht, weil kaum einer von ihnen noch über seine Zunge verfügte. Ihr Auftrag lautete, den Palast einzunehmen und diejenigen zu töten, die den Rivalen um den Thron von Granada zu mächtig geworden waren. Ein einziges Mal schallte ihr Kampfschrei durch die Nacht: der Ruf eines Pfaus, der von den rötlichen, mit Koranversen verzierten Mauern widerhallte und durch die offenen Fenster des Palastes drang.
Erschrocken richtete sich die junge Floreta auf und ließ die Decke, die ihr eine Sklavin über die Beine gelegt hatte, geräuschlos zu Boden gleiten. Die Nacht war viel zu heiß, um sich zuzudecken. Seit Tagen schon brütete ganz Granada unter einem Teppich aus flimmernder, glühender Luft. Floreta, die ihren Großvater hin und wieder zur Kasbah begleitete, hatte sich gefreut, dass der Schlafplatz, den man ihr und der Tochter ihres Onkels gegeben hatte, im Sommerpalast lag, denn die Springbrunnen in dem großen, von blühenden Blumenanlagen gesäumten Bassin versprachen wenigstens einen Hauch von Kühlung.
Noch einmal schrie der Pfau schrill auf. Floreta vermutete, dass er durch den angrenzenden Garten der Sultanin streifte, schlaflos wie sie und auf der Suche nach Bewunderern. Der Emir liebte diese Tiere für die Anmut ihrer hoheitsvollen Bewegungen und bestand darauf, seinen aus Zedernholz geschnitzten Stuhl mit ihren Federn zu schmücken. Von seinen Lieblingsvögeln um den Schlaf gebracht zu werden, hasste er jedoch, weshalb die Tiere für gewöhnlich in den Gärten seines Wesirs umherspazierten, die ein wenig abgelegen waren.
Floreta richtete ihren Blick auf den Hügel im Osten. Im Schein der Wachfeuer sahen die niedrigen, weiß gestrichenen Häuser darauf aus wie die Punkte auf einem Fliegenpilz. Das Mädchen spürte ganz deutlich, dass in dieser Nacht etwas anders war als sonst. Aber was? Sie suchte nach dem von Zypressen und Mauern umgebenen Gebäude mit dem bunten Sonnensegel auf dem Dach, unter dem sie und ihre Cousine so gern schliefen, wenn sie es in der stickigen Kammer nicht mehr aushielten. Das Haus überragte alle anderen auf dem Hügel, doch es sah leblos aus, fast so als wäre es von seinen Besitzern schon vor langer Zeit aufgegeben worden. Doch dieser Gedanke war absurd. Hatte sie dort nicht erst vor wenigen Stunden geeisten Honig genascht und der alten Salome bei der Arbeit am Webstuhl zugesehen? Die Frau, die seit ihrer Kindheit ein Kämmerchen im Haus bewohnte, schuf die prachtvollsten Teppiche, die Floreta sich vorstellen konnte, und war in ganz Granada für ihre Kunstfertigkeit geachtet. Floretas Großvater verschenkte ihre Teppiche an Freunde in ganz Spanien. Er war stolz darauf, dass einige davon sogar in den Gemächern des Emirs lagen.
Der Arzt Samu liebte die prachtvollen Paläste der Alhambra und betrachtete es als Ehre, in der Nähe seines Gebieters luxuriöse Räume bewohnen zu dürfen. Floreta dagegen war es stets ein wenig peinlich, in der Kasbah zu übernachten. Auf Befehl des Emirs lasen die Sklavinnen der Alhambra ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Sie badeten sie in Lavendelwasser, salbten ihren Körper mit wohlriechenden Pasten und servierten ihr die köstlichsten Speisen. Und das allein, weil ihr Großvater bereits dem Vater des jungen Emirs Muhammad als Leibarzt gedient hatte. Der Alte galt als einer der besten Ärzte Andalusiens und wurde darüber hinaus auch als persönlicher Vertrauter der Herrscherfamilie geschätzt.
Floreta beugte sich über die Brüstung und starrte hinunter in den Garten. Es war windstill, nicht die leiseste Brise erfrischte die Nacht. Ein süßlicher Blütenduft, schwer und klebrig wie Honig, stieg ihr in die Nase. Auf einer Bastmatte hinter ihr rief eine ältere, dunkelhäutige Sklavin im Schlaf nach einer gewissen Yasemin, möglicherweise ihre Tochter oder Schwester.
Plötzlich fiel Floretas Blick auf einige schattenhafte Umrisse, die sich entlang der Mauer des gegenüberliegenden Gebäudes bewegten. Erschrocken registrierte sie ein dumpfes Krachen aus der Richtung, in der sich das südliche Tor befand. Ein letztes Mal erklang der Pfauenruf. Floreta stürzte zu dem Gong, der neben der Tür stand, doch noch ehe sie den Klöppel fand, um Alarm zu schlagen, wälzte sich ein Strom von Männern durch das äußere Tor und stürmte geradewegs auf den Palast zu. Alle waren mit Säbeln und Dolchen bewaffnet. Endlich kamen die Wachen des Emirs herbeigelaufen. Todesmutig warfen sie sich auf die Eindringlinge, doch gegen die Übermacht der Diener der Stille hatten sie keine Chance. Einer nach dem anderen fielen sie unter den tödlichen Hieben der Angreifer.
Diese kannten keine Gnade. Wie gelähmt vor Entsetzen beobachtete Floreta, wie der junge Gardehauptmann Mustafa, mit dem sie als Kind manchmal gespielt hatte, mit einigen wenigen Verteidigern in den Hof des Wasserkanals gedrängt wurde. Mustafa wehrte sich tapfer und verbissen. Obwohl er schon aus mehreren Schnittwunden blutete, parierte er die meisten Säbelhiebe mit dem Mut der Verzweiflung. Floreta sah, wie ihr Jugendfreund einem der Vermummten seine Klinge durch die Kehle zog, doch ihm blieb keine Zeit, Atem zu holen, denn im Nu löste sich aus dem Schwarm der Angreifer ein anderer, der wie das Spiegelbild des Gefallenen aussah. Lautlos wie eine Katze stürzte dieser sich auf Mustafa und drängte ihn mit seinem Säbel zurück zu den Wasserbecken.
Die Männer des Hauptmanns blickten sich nach einem Ausweg um, fanden aber keinen. Schreie hallten durch die Gärten. Es gab kein Entkommen. Das Wasser des großen Beckens spritzte auf, als die ersten Gardesoldaten des Emirs hineingestoßen wurden. Im Nu färbte es sich rot.
Mustafa focht nunmehr ganz allein am Rand des Wasserbeckens um sein Leben. Er war zu Tode erschöpft. Mit letzter Kraft parierte er einige Hiebe, die nun von allen Seiten auf ihn einprasselten. Dennoch schien er Floreta mit den Augen eine Warnung zu schicken: Der Palast ist verloren und mit ihm der Emir. Flieh! Sieh zu, dass du am Leben bleibst!
Für ihn selbst gab es indes keine Rettung, das schien er zu ahnen. Floreta schrie von Grauen erfasst auf, als ein heftiger Säbelhieb Mustafas Schulter spaltete. Blut schoss aus der Wunde. Mustafa ließ seinen Säbel fallen und riss den Arm über den Kopf, reflexartig, als hinge er an den Schnüren eines Puppenspielers. Dann erhielt er einen Stoß und fiel rücklings in das Wasserbecken, in dem er leblos unterging.
Der Mann, der auf ihn eingeschlagen hatte, wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er sich langsam umdrehte und Floreta entdeckte. Einen Atemzug lang begegneten sich ihre Blicke.
Plötzlich wurde Floretas Tür aufgestoßen, doch es war keiner der Eindringlinge, sondern ihr Großvater, der kreidebleich über die Schwelle stolperte. Der alte Mann hatte sich einen knöchellangen Kaftan übergeworfen, den er raffen musste, um nicht über den Saum zu stolpern. Sein sonst so gepflegtes weißes Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. Floretas Blick fiel auf den Dolch in seiner Hand. Nie zuvor hatte sie ihn bewaffnet gesehen, und die Art, wie er die Waffe hielt, weckte in ihr Zweifel, dass er sich oder sie damit verteidigen konnte.
«Rasch, Kind, wir müssen fliehen!» Samu blickte sich in dem halbdunklen Raum um, als befürchtete er, die Mauern könnten jeden Augenblick einstürzen. «Wo ist Ceti?»
Floreta zuckte ratlos mit den Schultern. Ceti war die Tochter ihres Onkels, der vor einigen Jahren an der Pest gestorben war, und wurde seitdem im Haus ihres Großvaters erzogen. Anders als Floreta hatte ihre Verwandte jedoch nie Interesse für die Arbeit des Alten gezeigt. Erst seit diesem Sommer bettelte sie häufig darum, ihn und Floreta zur Kasbah begleiten zu dürfen. Während Floreta Samu dabei half, Kranke zu behandeln, trieb sie sich im Palast oder in den Gärten herum. Samu gefiel das nicht. Er und Ceti hatten sich deswegen schon einige Male gestritten. Dass sie aber ausgerechnet in dieser Nacht das Schlafgemach verlassen hatte, erschütterte Samu.
Die alte Dienerin, die wie angenagelt auf ihrer Bastmatte verharrte, begann zu jammern, zu beten und sich die ergrauten Haare zu raufen. «Wir werden alle totgeschlagen», stöhnte sie gequält auf.
Samu beachtete sie nicht. Stattdessen packte er Floreta am Handgelenk und zerrte sie hinter sich her. Auf dem Weg durch den Korridor des Gästehauses befahl er ihr, die Augen zu schließen, denn sie mussten über die Leichen zweier Diener steigen, die in einer Blutlache lagen. Die Eindringlinge waren demnach bereits hier gewesen, wovon auch die Todesschreie und das Stöhnen der Sterbenden zeugten, welches durch diesen Teil der Palastanlage hallte. Floreta war wie gelähmt, dennoch widerstand sie nur mühsam dem Drang, sich loszureißen und hinüber zum Wasserbecken zu...
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