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Kapitel 1 Die zweitgrößte Show auf Erden
Dem jungen Tom Parker schien das Leuchten Tampas wie ein Signalfeuer in der Nacht. Die Natur hat die Städte Tampa und St. Petersburg durch eine riesige inländische Salzwasserbucht zusammengefügt, doch sie unterscheiden sich sehr voneinander. St. Petersburg, mit seinen Sandstränden am Golf von Mexiko, ist seit Langem die Spielwiese der Reichen und Schönen an Floridas Westküste. Tampa ist herber und von der Arbeiterschicht geprägt. Die Stadt war fast die gesamte Frühgeschichte hindurch als Zielhafen für Bananenboote aus Kolumbien bekannt.
Seit die Region im sechzehnten Jahrhundert von Juan Ponce de Leon und Hernando de Soto entdeckt wurde, genießt Tampa dank seiner Mineralquellen mit wundersamen Heilkräften einerseits den Ruf eines Naturparadieses, andererseits aber auch den einer gesetzlosen Hafenstadt, wo Glücksspiele, Prostitution und Alkohol in Maßen toleriert wurden, solange ein gebührlicher Abstand zu den gepflegten Vierteln der feinen Gesellschaft gewahrt blieb.
Tampa bot Tom Parker alles, was ein junger Mann sich nur wünschen konnte. Als er in den frühen 1930er-Jahren zum ersten Mal in der Gegend um die Bucht von Tampa auftauchte, war der Land-Boom der 1920er-Jahre in Florida abgeklungen und hatte eine Flut von Neuankömmlingen zurückgelassen, darunter manche mit Vermögen, das sie investieren konnten, aber auch andere, die verzweifelt Arbeit suchten. Für Parker war dies sowohl der ideale Zeitpunkt als auch der ideale Ort, um Wurzeln zu schlagen. Mit Ausnahme der Region um die Bucht von Tampa war die gesamte Westküste Floridas trostloses Brachland.
Da Tampa den einzigen bedeutenden Hafen zwischen Key West und Pensacola besaß, wurde die Stadt von zahllosen illegalen Einwanderern frequentiert, welche die Häfen mit dem größten Zulauf an der Westküste umgehen wollten. Tausende von Kubanern kamen, um in den Zigarrenfabriken der Gegend zu arbeiten, und Tampa war auch der Hafen der Wahl für jene, die durch die Hintertür in die Vereinigten Staaten kommen wollten. Von allen Häfen Amerikas wurden im Hafen von Tampa die wenigsten Fragen gestellt. Es war genau der richtige Ort, wenn man eine Vergangenheit hatte und noch einmal von vorn anfangen wollte.
Tom Parker kam in den frühen 1930er-Jahren zum ersten Mal nach Tampa. Aus der Zeit davor gibt es keine Aufzeichnungen über seine Existenz in Amerika, und es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis jemand herausfand, dass sein wahrer Name Andreas van Kuijk lautete. Dem sichersten existierenden Beweismaterial zufolge - Material, das später von einem Nachlassgericht in Tennessee anerkannt wurde und von Tom Parker selbst unangefochten blieb - wurde er am 26. Juni 19091 als Andreas van Kuijk in Breda in den Niederlanden geboren.
Als Andreas auf die Welt kam, wurde er von fünf Brüdern und Schwestern begrüßt; noch vor seinem zehnten Geburtstag folgten vier weitere Geschwister. Seine Eltern waren Adam und Maria van Kuijk. Allen Angaben zufolge hatte er eine ganz normale Kindheit. Johannes und Marie Ponsie, seine Großeltern mütterlicherseits, verdienten sich ihren Lebensunterhalt als reisende Händler auf den Wasserwegen der Niederlande und verhökerten billigen Plunder.
Andreas war sechzehn Jahre alt, als sein Vater starb. Die Familie versuchte, sich irgendwie über Wasser zu halten, nachdem sie den Hauptverdiener verloren hatte, aber die Situation war verzweifelt. Wo sollten sie wohnen? Was sollte Maria arbeiten, um die Familie zu ernähren? Andreas verschwand wiederholt für kurze Zeiträume. Später stellte sich heraus, dass er sich auf dem Werftgelände herumgetrieben hatte. Eines Morgens verließ er sein Zuhause und kam nie mehr zurück.2
In den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren war Andreas von der Bildfläche verschwunden. Irgendwo zwischen den Niederlanden und den Vereinigten Staaten - mehr wissen wir nicht - legte er seine alte Identität ab und erfand sich neu. So wurde Tom Parker geboren, vollständig ausgewachsen und in seinem Mund eine gigantische handgerollte kubanische Zigarre zur Schau tragend.
»Hallo«, sagte er bei seiner Ankunft in der nüchternen Hafenstadt Tampa, »mein Name ist Tom Parker und ich komme aus Huntington, West Virginia.«
* * *
Die 1920er- und frühen 1930er-Jahre hindurch gab es Dutzende von Schaustellerbetrieben, die kreuz und quer durch Amerika reisten und Jahrmärkte, Ausstellungen und Messen mit ihrem Unterhaltungsangebot bereicherten. Einer der bekanntesten war die Johnny J. Jones Exposition, aber es gab viele andere, darunter die Rubin & Cherry Shows, Beckmann & Gerety's C. A. Wortham Shows und John M. Sheesley's Mighty Midway.
Eines der aggressivsten Unternehmen war das in Tampa ansässige Royal American Shows, das in den frühen 1920er-Jahren den Betrieb aufgenommen hatte. Das gesamte Jahrzehnt hindurch kämpfte es darum, mit anderen Shows gleichzuziehen, und Anfang der 1930er-Jahre war es zur führenden Attraktion auf den Rummelplätzen im Land geworden, eine Position, die es bis ins darauffolgende Jahrhundert hinein behauptete.
Im Wesentlichen waren die Schaustellerbetriebe auf den Rummelplätzen eine weiterentwickelte Form der reisenden Medizinshows, die in den späten 1880er-Jahren und bis ins neue Jahrhundert hinein populär waren. Die Kickapoo Indian Medicine Company etwa war in jener Zeit ein typisches Beispiel für diese Art von Show, die ein buntes Unterhaltungsprogramm bot. Gewöhnlich bestand das Programm aus zehn Einzelvorstellungen mit tanzenden Indianern, Schlangenmenschen, einem Trapez-Akt, Gewehr- und Handwaffenausstellungen und einem Seiltänzer.3
Als sich auf den Rummelplätzen glamourösere Shows immer größerer Beliebtheit erfreuten, wurden die Medizinshows immer weiter zurückgedrängt, bis sie gegen Mitte der 1960er-Jahre nahezu ausgestorben waren. Aber als Tom Parker nach Tampa kam, waren sie noch sehr präsent, vor allem im Süden. Im kleinstädtischen Amerika waren sie oft die Einzigen, die den Menschen Liveunterhaltung boten.
Der Ablauf war immer derselbe: Die Medizinshow errichtete ihre Zelte vor den Toren der Stadt, und der Marktschreier der Vorstellung ging in Begleitung eines »Jake«, eines Weißen mit schwarz geschminktem Gesicht, und eines Indianers in die Stadt, um ein paar Nummern an hochfrequentierten Straßenecken vorzuführen. Diese Darbietungen hatten den Zweck, Menschen zu den Vorstellungen, die gewöhnlich ein paar Stunden dauerten, ins Zelt zu locken. Die wahre Absicht hinter den Medizinshows - und später der Shows auf den Rummelplätzen - war jedoch nicht, die Menschen zu unterhalten, sondern ihnen Waren zu verkaufen.
Die ganzen 1920er-Jahre hindurch war Johnny J. Jones der Pate der amerikanischen Schaustellerbetriebe, ein Mann von sanftem Gemüt und kleiner Statur, dem der Ruf anhaftete, geschäftlich gerissen und seinen Angestellten gegenüber fürsorglich zu sein. Er war sehr beliebt unter den Schaustellern. Als sich in deren Kreisen im Dezember 1930 die Nachricht von seinem Tod verbreitete, waren zunächst alle traurig, denn in Schaustellerkreisen hieß es, dass Jones seinesgleichen niemals absichtlich etwas Schlechtes angetan habe; doch die Trauer wich schnell der Besorgnis darüber, wer nun die Führungsrolle übernehmen würde.
Schausteller brauchen eine Galionsfigur, jemanden, der das große Geschäft mit der Welt draußen machen kann. Sie haben ihre eigene Sprache, ihren eigenen Verhaltenskodex und ihre eigenen Erwartungen an die Welt außerhalb ihrer eigenen. Der Tod von Johnny J. Jones hinterließ in der Schaustellerwelt eine große Lücke. Die erfolgreichsten Schausteller werden nicht demokratisch gewählt, auch nicht durch göttliche Intervention in ihre Position gebracht. Sie kommen an die Spitze, wenn sie natürliche Führungsqualitäten vorweisen können.
Der aussichtsreichste Kandidat für diese Führungsrolle im Jahr 1931 war Carl J. Sedlmayr, der (zusammen mit den Velare-Brüdern) Eigentümer und Geschäftsführer der Royal American Shows aus Tampa war. Sedlmayr war am 20. Oktober 1886 in Falls City, Nebraska, auf die Welt gekommen; er war also fünfundvierzig Jahre alt, als Jones starb. Er war nicht in eine Schaustellerfamilie hineingeboren worden, was seinen Aufstieg zu einer Berühmtheit noch beeindruckender macht.
Sedlmayrs Kindheit verlief ohne besondere Vorkommnisse, bis im Jahr 1897 sein Vater starb, wonach er nach Kansas City, Missouri, geschickt wurde, um bei Verwandten zu leben. Im Alter von vierzehn Jahren wollte er nichts lieber werden als Apotheker. Dieser Traum zerplatzte, als er sich für die Stelle eines Apothekers in Omaha and Council Bluffs, Iowa, bewarb und seine Bewerbung abgelehnt wurde.4
Stattdessen antwortete Sedlmayr auf eine Zeitungsanzeige, in der Verkäufer für ein neuartiges Schreibgerät, den Tintenfüller, gesucht wurden. Er brachte die neumodische Erfindung hinaus in die Welt und wurde ein erfolgreicher Handelsreisender. Auf seinen Reisen traf er auf etliche Marktschreier, die für Medizinshows warben, und fand Interesse an der Lebensführung, die damals der Inbegriff des amerikanischen Showbusiness war. Im Jahr 1907 stürzte er sich im Alter von einundzwanzig Jahren Hals über Kopf ins Schaustellerleben und nahm eine Stelle als Ticketverkäufer im Riverview Park in Chicago an. Schließlich hatte Sedlmayr genug Geld gespart, um sich einen Schaustellerbetrieb...
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