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Am Dienstag, dem 11. Oktober 1988, endete die Jason Taverner Show dreißig Sekunden zu früh. Einer der Techniker fror den letzten Credit im Videoabspann ein und winkte Jason Taverner, der schon die Bühne verlassen wollte, von der Kontrollkuppel aus zu. Der Techniker tippte auf sein Handgelenk, dann deutete er auf seinen Mund.
Entspannt sagte Jason in das Hänge-Mikrophon: »Schickt uns weiter all die Karten und V-Briefe, Leute. Und bleibt dran für Die Abenteuer von Scotty, dem außergewöhnlichen Hund.«
Der Techniker lächelte, Jason lächelte zurück - dann schalteten sich Bild und Ton klickend aus. Ihre einstündige Variety-Sendung mit Musik, die die zweithöchste Einschaltquote unter den besten Fernsehshows des Jahres hatte, war vorbei. Und alles war gutgegangen.
»Wo haben wir denn eine halbe Minute verloren?«, fragte Jason seinen Gaststar des Abends, Heather Hart. Es beschäftigte ihn. Er legte Wert darauf, dass der Zeitablauf seiner Shows eingehalten wurde.
»Lass gut sein, lief doch bestens«, erwiderte Heather, legte ihre kühle Hand auf seine etwas klamme Stirn und massierte zärtlich seinen sandfarbenen Haaransatz.
»Ist dir eigentlich bewusst, welch große Macht du hast?« Al Bliss, ihr gemeinsamer Agent, trat dicht - wie immer viel zu dicht - an Jason heran. »Dreißig Millionen Menschen haben heute Abend miterlebt, wie du dir den Reißverschluss deiner Hose hochgezogen hast. Auch eine Art Rekord.«
»Den Reißverschluss ziehe ich mir jede Woche hoch«, sagte Jason. »Das ist mein Markenzeichen. Oder hast du die Show noch nie gesehen?«
»Aber dreißig Millionen«, entgegnete Bliss, das runde, gerötete Gesicht mit Schweißtropfen bedeckt. »Stell dir das mal vor. Und dann noch die Wiederholungen.«
»Bis die Wiederholungen dieser Show sich auszahlen, bin ich längst tot. Gott sei's gedankt.«
»Du kannst froh sein, wenn du heute Nacht mit dem Leben davonkommst«, sagte Heather, »bei all den Fans, die sich da draußen drängen. Sie warten nur darauf, dich in lauter kleine Fetzen von Briefmarkengröße zu zerreißen.«
»Manche von denen sind auch Ihre Fans, Miss Hart«, hechelte Al Bliss mit seiner hundeähnlichen Stimme.
»Zum Teufel mit ihnen«, entgegnete Heather schroff. »Warum verschwinden sie nicht? Verstoßen sie nicht gegen irgendein Gesetz, Wegelagerei oder so?«
Jason ergriff ihre Hand und drückte sie so heftig, dass sie ihn stirnrunzelnd ansah. Er hatte ihre Abneigung den Fans gegenüber nie verstanden - für ihn waren sie das Herzblut seiner öffentlichen Existenz. Und seine öffentliche Existenz, seine Rolle als weltweiter Entertainer, war für ihn Existenz pur, nicht mehr und nicht weniger. »Du solltest nicht im Showgeschäft arbeiten«, sagte er zu ihr, »wenn du so empfindest. Such dir etwas anderes. Werd Sozialarbeiterin in einem Zwangsarbeitslager.«
»Aber da gibt es auch Menschen«, erwiderte Heather grimmig.
Zwei Spezialagenten der Polizei bahnten sich mit breiten Schultern einen Weg zu Jason und Heather. »Wir haben den Korridor so weit wie nur irgend möglich geräumt«, keuchte der dickere der beiden. »Gehen wir jetzt, Mr. Taverner. Bevor das Publikum aus dem Studio durch die Seiteneingänge kommt.« Er gab drei weiteren Agenten ein Zeichen, die daraufhin durch den stickigen, von hartnäckigen Verehrern noch immer fast verstopften Korridor vorausgingen, der schließlich auf die nächtliche Straße führte. Und zum Rolls-Flugschiff, das dort in seiner kostspieligen Pracht parkte, das Raketenende im Leerlauf pulsierend. Wie, dachte Jason, ein mechanisches Herz. Ein Herz, das einzig für ihn schlug, für ihn, den Star. Und dadurch natürlich auch zum Wohle Heathers.
Sie hatte es verdient: Sie hatte heute Abend gut gesungen. Beinahe so gut wie . Jason grinste in sich hinein. Zum Teufel, seien wir mal ehrlich, dachte er dann. Die Leute schalten ihre 3-D-Geräte doch nicht ein, weil sie den besonderen Gaststar sehen wollen. Über das Antlitz der Erde sind tausend besondere Gaststars verteilt - und in den Marskolonien gibt's auch noch ein paar. Sie schalten ein, weil sie mich sehen wollen. Und ich bin immer da. Jason Taverner hat seine Fans noch nie enttäuscht, und er wird sie auch nicht enttäuschen. Egal, was Heather von ihren Fans hält.
»Du magst sie nicht«, rief Jason ihr zu, während sie sich schiebend und drückend durch den dampfenden, nach Schweiß riechenden Korridor kämpften, »weil du dich selbst nicht magst. Insgeheim wirfst du ihnen schlechten Geschmack vor.«
»Sie sind dumm«, stöhnte Heather und fluchte leise, als ihr der große, flache Hut vom Kopf fiel und für immer im Walfischbauch der dichtgedrängten Fans verschwand.
»Es sind gewöhnliche Menschen«, sagte Jason, die Lippen nun an ihrem Ohr, das im Gewirr einer leuchtend roten Haarpracht fast ganz verborgen war. Die berühmte wogende Mähne, die in zahllosen Schönheitssalons überall auf Terra ausgiebig und fachmännisch kopiert wurde.
Heather krächzte: »Sprich dieses Wort nicht aus.«
»Es sind gewöhnliche Menschen, und es sind Trottel. Weil« - er knabberte an ihrem Ohrläppchen -, »weil nur Trottel gewöhnlich sein können. Stimmt's?«
Sie seufzte. »O Gott, in einem Flugschiff durch die Leere fliegen. Danach sehne ich mich am meisten - nach unendlicher Leere. Ohne menschliche Stimmen, ohne menschliche Gerüche, ohne menschliche Kiefer, die Plastikkaugummi in neun verschiedenen Farben kauen.«
»Du hasst sie wirklich.«
»Ja.« Sie nickte knapp. »Und du auch.« Sie blieb kurz stehen und wandte den Kopf, so dass sie einander ansahen. »Du weißt, dass du deine verdammte Stimme verloren hast. Du weißt, dass du vom Ruhm vergangener Zeiten zehrst, die niemals wiederkehren werden.« Dann lächelte sie ihn an. Warmherzig. »Werden wir alt?«, fragte sie über das Gekreisch und Gequietsche der Fans hinweg. »Gemeinsam? Wie Mann und Frau?«
»Sechser werden nicht alt«, erwiderte Jason.
»O doch. O doch, das werden sie.« Heather hob die Hand und berührte sein welliges braunes Haar. »Wie lange färbst du es schon, Liebster? Seit einem Jahr? Seit drei Jahren?«
»Steig ins Flugschiff«, sagte er brüsk und schob sie vor sich her, aus dem Gebäude hinaus, über den Gehsteig des Hollywood Boulevard.
»Ich steige ein, wenn du mir ein sauberes hohes B vorsingst. Weißt du noch, als du .«
Er stieß sie unsanft ins Flugschiff, zwängte sich hinterher und half Al Bliss beim Schließen der Tür. Dann stiegen sie in den regenverhangenen nächtlichen Himmel auf. In den prächtigen, widerscheinenden Himmel von Los Angeles, der so sehr strahlte, als wäre helllichter Tag. Genauso ist es für dich und für mich, dachte Jason. Für uns beide, für alle Zeit. Es wird immer so sein wie jetzt - weil wir Sechser sind. Wir zwei. Ob sie es wissen oder nicht.
Sie wussten es nicht. Er erfreute sich an der düsteren Komik. An dem Wissen, das sie miteinander teilten und mit niemandem sonst. So sollte es sein. Und so war es . selbst jetzt, nachdem sich alles zum Schlechten gewandt hatte. Jedenfalls schlecht in den Augen der Designer. Der großen Gelehrten, die zahllose Vermutungen angestellt und sich immer wieder getäuscht hatten. Vor fünfundvierzig wunderschönen Jahren, als die Welt noch jung gewesen war und Regentropfen an den inzwischen verschwundenen japanischen Kirschbäumen in Washington, D.C., gehangen hatten. Und ein Hauch von Frühling und Aufbruch über dem edlen Experiment gelegen hatte. Wenigstens für eine Weile.
»Fliegen wir nach Zürich«, sagte er laut.
Heather sah ihn an. »Ich bin zu müde. Außerdem ödet mich dort alles an.«
»Das Haus?« Er konnte es nicht fassen. Heather hatte es für sie beide ausgesucht, und seit Jahren zogen sie sich dorthin zurück - versteckten sie sich vor den Fans, die Heather so sehr hasste.
Sie seufzte. »Das Haus. Die Schweizer Uhren. Das Brot. Das Kopfsteinpflaster. Der Schnee auf den Hügeln.«
»Bergen . Ach, zum Teufel, dann fliege ich eben ohne dich.«
»Und nimmst jemand anderen mit?«
Er konnte es einfach nicht verstehen. »Möchtest du denn, dass ich jemand anderen mitnehme?«
»Du und deine Anziehungskraft. Dein unwiderstehlicher Charme. Du könntest jedes Mädchen auf der Welt zu dir in dieses große Messingbett holen. Nicht dass du besonders aufregend wärst, wenn du erst darin liegst.«
»Gott«, sagte er voller Abscheu. »Das nun wieder. Immer dieselbe alte Leier. Und dann diese völlig aus der Luft gegriffenen Vorwürfe - an denen hängst du besonders.«
Heather wandte sich ihm mit ernster Miene zu. »Du weißt, wie gut du aussiehst, auch jetzt noch, in deinem Alter. Du bist wunderschön. Dreißig Millionen Menschen gaffen dich eine Stunde pro Woche an. Dein Gesinge interessiert sie nicht . es ist deine unveränderliche körperliche Schönheit.«
»Das Gleiche lässt sich von dir sagen.« Jason fühlte sich erschöpft, sehnte sich nach der Privatheit und Abgeschiedenheit dort in der Nähe von Zürich, nach dem Haus, das stumm darauf wartete, dass sie beide einmal zurückkehrten. Ja, es war, als wolle das Haus, dass sie blieben - nicht nur für eine Nacht oder eine Woche, sondern für immer.
»Man sieht mir mein Alter nicht an«, sagte Heather.
Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu, dann musterte er sie genauer. Massen roten Haares, blasse Haut mit einigen wenigen Sommersprossen, eine kräftige römische Nase, tiefliegende, große, violettfarbene Augen. Sie hatte recht - man...
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