Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die automatische Weckvorrichtung der Stimmungsorgel neben seinem Bett weckte Rick Deckard mit einem fröhlichen kleinen Stromstoß. Überrascht - er war immer überrascht, wenn er sich so schlagartig wach fand - setzte er sich im Bett auf, stellte sich in seinem bunten Pyjama hin und streckte sich. Drüben in ihrem Bett schlug jetzt auch seine Frau Iran ihre grauen, lustlosen Augen auf, blinzelte und schloss sie seufzend wieder.
»Du hast deine Penfield zu schwach eingestellt«, sagte er zu ihr. »Ich stelle sie dir neu ein, dann wachst du auf und .«
»Lass die Finger von meiner Einstellung!«, fuhr sie ihn an. »Ich will gar nicht wach werden.«
Er setzte sich auf ihre Bettkante, beugte sich über sie und erklärte sanft: »Wenn du die Spannung hoch genug einstellst, freust du dich, wach zu sein. Das ist das ganze Geheimnis. Bei Einstellung C überwindet sie, wie bei mir, die Schwelle, die das Bewusstsein aussperrt.« Er tätschelte freundlich ihre nackte, blasse Schulter, weil er sich gegenüber der ganzen Welt aufgeschlossen fühlte - sein Gerät war auf D eingestellt.
»Fass mich nicht mit deinen groben Polizistenhänden an!«, sagte Iran.
»Ich bin doch kein Polizist.« Er fühlte sich jetzt gereizt, obgleich er diese Stimmung nicht gewählt hatte.
»Du bist noch schlimmer als ein Polizist«, sagte seine Frau mit immer noch geschlossenen Augen. »Du bist ein von den Bullen angeheuerter Mörder!«
»Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein menschliches Wesen getötet.« Seine gereizte Stimmung breitete sich nun aus und wurde ausgesprochen feindselig.
»Nur die armen Andys.«
»Mir ist jedenfalls aufgefallen, dass du keine Skrupel dabei empfindest, wenn du die dafür bezahlten Prämien für irgendwelche Dinge ausgibst, die dir im Augenblick gerade gefallen.« Er stand auf und trat ans Schaltpult seiner Stimmungsorgel. »Statt das Geld zu sparen, damit wir uns endlich ein richtiges Schaf kaufen könnten und nicht so einen elektrischen Schwindel, wie wir ihn oben auf dem Dach stehen haben. Bloß ein elektrisches Tier, das ist alles, was ich mir im Laufe all dieser Jahre hart verdient habe.« Vor dem Pult zögerte er und überlegte, ob er einen Thalamus-Hemmer wählen sollte, der seine wütende Stimmung ausgleichen würde, oder lieber ein Thalamus-Stimulans, das ihn genügend aufkratzen würde, um aus diesem Streit als Sieger hervorzugehen.
Iran hatte die Augen geöffnet und beobachtete ihn. »Wenn du jetzt eine giftigere Laune wählst, dann wähle ich dasselbe. Ich wähle die höchste Einstellung, und du wirst einen Streit erleben, der alles Bisherige in den Schatten stellt.« Rasch stand sie auf, sprang ans Schaltpult ihrer eigenen Stimmungsorgel, blitzte ihn herausfordernd an und wartete.
Ihre Drohung ernüchterte ihn. Seufzend sagte er: »Ich werde nur die für heute eingeplante Einstellung wählen.« Er sah nach, was für den 3. Januar 1992 auf seinem Plan stand: Eine sachlich-nüchterne Haltung war vorgeschrieben. Bekümmert fragte er: »Wenn ich die Planeinstellung wähle, wirst du es dann auch tun?« Er wartete ab, schlau genug, sich nicht festzulegen, bevor seine Frau einwilligte, seinem Beispiel zu folgen.
»Auf meinem Plan stehen für heute sechs Stunden selbstanklagende Depression«, sagte Iran.
»Was? Warum hast du so etwas eingeplant?« Das widersprach vollkommen dem Zweck der Stimmungsorgel. Düster fügte er hinzu: »Ich habe gar nicht gewusst, dass man so etwas einstellen kann.«
Iran erklärte: »Eines Nachmittags saß ich hier und hatte selbstverständlich die Sendung mit Buster Friendly und seinen freundlichen Freunden eingeschaltet. Er redete gerade von einer wichtigen Meldung, da wurde diese schreckliche Werbung eingeblendet, die ich so hasse. Du weißt schon, für Mountibanks Bleischutzteile. Ich schaltete deshalb für eine Minute den Ton aus. Da hörte ich das Haus, dieses Haus hier, ich hörte die .« Sie machte eine Handbewegung.
»Die leeren Wohnungen«, sagte Rick. Manchmal hörte auch er sie, nachts, wenn er eigentlich schlafen sollte. Dabei rangierte ein intakt gebliebenes, zur Hälfte bewohntes Gebäude in diesen Zeiten in der Skala der Bevölkerungsdichte schon sehr weit oben; draußen in den Bezirken, die vor dem Krieg die Vororte darstellten, konnte man vollkommen leerstehende Wohnblocks finden. Das hatte er jedenfalls gehört. Aber er hatte es als Wissen aus zweiter Hand belassen, wie die meisten wollte er es nicht unmittelbar kennenlernen.
Iran fuhr fort: »In diesem Augenblick, als ich den Fernsehton abgeschaltet hatte, befand ich mich in einer 382er-Stimmung. Ich hatte sie kurz zuvor gewählt. Daher nahm ich die Leere zwar geistig wahr, aber ich fühlte sie nicht. Meine erste Reaktion bestand darin, dankbar zu sein, dass wir uns eine Penfield-Stimmungsorgel leisten konnten. Doch dann wurde mir klar, wie ungesund es ist, das Fehlen von Leben zu spüren, nicht nur in diesem Gebäude, sondern überall, und nicht darauf zu reagieren - verstehst du? Ich glaube, das tust du nicht. Aber früher betrachtete man das als Anzeichen für eine bestimmte Geisteskrankheit, man bezeichnete sie als >Fehlen des angemessenen Affekts<. Ich ließ den TV-Ton also abgeschaltet, setzte mich an meine Stimmungsorgel und begann zu probieren. Schließlich fand ich die Einstellung für Verzweiflung heraus.« Ihr dunkles, keckes Gesicht drückte Zufriedenheit aus, als habe sie damit eine wirklich wertvolle Leistung vollbracht. »Also habe ich diese Stimmung zweimal monatlich auf meinen Plan gesetzt. Ich erachte diesen Zeitaufwand als durchaus angemessen für ein Gefühl der allgemeinen Hoffnungslosigkeit und dafür, dass wir hier auf der Erde geblieben sind, während die Schlaueren alle längst ausgewandert sind. Meinst du nicht auch?«
»Aber bei einer solchen Stimmung besteht doch die Gefahr, dass du darin verharrst«, sagte Rick, »dass du nicht mehr den Ausweg daraus wählst. Diese Art von Verzweiflung über die Wirklichkeit setzt sich ewig fort.«
»Ich programmiere für drei Stunden später eine automatische Umstellung«, sagte seine Frau überlegen. »A481. Bewusstsein der vielfältigen Möglichkeiten, die mir die Zukunft bietet, neue Hoffnung, dass .«
»Ich kenne 481«, unterbrach er sie. Er hatte diese Kombination selbst schon oft gewählt; er war sehr auf sie angewiesen.
Rick setzte sich auf die Bettkante, nahm ihre Hände und zog sie zu sich herunter. »Hör mal«, sagte er, »selbst mit einer automatischen Neueinstellung ist es immer gefährlich, sich irgendeiner Depression auszusetzen. Verzichte auf deine Einstellung, und ich verzichte auf meine. Wir wählen gemeinsam 104, genießen es miteinander, dann behältst du es bei, und ich programmiere meine normale sachlich-nüchterne Haltung. In mir wird dann der Wunsch entstehen, für einen Sprung hinauf aufs Dach zu gehen, nach dem Schaf zu sehen und nachher ins Büro zu fahren, und du sitzt nicht hier herum und brütest ohne Fernsehen vor dich hin.«
Er ließ ihre langen, schlanken Finger los und ging durch die geräumige Wohnung hinüber ins Wohnzimmer, wo es noch ein wenig nach Zigaretten von gestern Abend roch. Er bückte sich und schaltete den Fernseher ein.
Aus dem Schlafzimmer erklang Irans Stimme: »Ich vertrage vor dem Frühstück kein Fernsehen!«
»Dann wähle 888«, gab Rick zurück und wartete auf das Warmwerden des Geräts, »den Wunsch fernzusehen, egal was läuft.«
»Ich habe im Augenblick überhaupt keine Lust, irgendetwas einzustellen.«
»Dann wähle 3.«
»Ich kann doch nicht eine Einstellung wählen, die in meiner Großhirnrinde den Wunsch zum Wählen wachruft! Wenn ich nicht wählen will, dann will ich schon gar nicht das wählen, weil ich dann nämlich wählen will, und das Wählenwollen erscheint mir im Augenblick als der denkbar abwegigste Drang. Ich will nichts weiter als hier auf der Bettkante sitzen und zu Boden starren.« Ihre scharfe Stimme durchdrangen düstere Obertöne in dem Maße, wie ihr Gerät gefror, und ihre Aufregung legte sich, nachdem sich eine unwillkürliche, allgegenwärtige große Schwere, eine fast vollkommene Trägheit wie ein Film auf sie niederließ.
Er drehte den Fernseher laut. Die dröhnende Stimme von Buster Friendly füllte den Raum.
»Hallo, Freunde! Jetzt wird es Zeit für einen kurzen Blick auf unser heutiges Wetter. Der Satellit Mungo meldet, dass der radioaktive Niederschlag gegen Mittag besonders stark sein wird, um dann später etwas abzuflauen. Wer von den Zuschauern sich also ins Freie wagen will .«
Iran tauchte in ihrem langen, dünnen Nachthemd neben ihm auf und schaltete den Fernseher aus. »Schon gut, ich gebe es auf. Ich wähle, was du willst, selbst äußerste sexuelle Verzückung - mir ist so hundeelend, dass ich selbst das über mich ergehen lasse. Zum Teufel auch, was macht es schon für einen Unterschied?«
»Ich stelle die Orgeln für uns beide ein«, sagte Rick und führte sie ins Schlafzimmer zurück. Dann trat er an ihr Pult und programmierte 594: freudige Anerkennung der geistigen Überlegenheit des Ehemannes in allen Dingen. An seinem eigenen Pult wählte er eine frische und schöpferische Einstellung zur eigenen Arbeit, obgleich er sie kaum nötig hatte. Es war seine gewöhnliche, angeborene Einstellung, unabhängig von Penfields künstlichem Gehirnstimulans.
Nach einem hastigen Frühstück - er hatte durch den Wortwechsel mit seiner Frau viel Zeit verloren - stieg er in seinem...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.