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ARABELLA
Sonntag, 1. Dezember, Abend
Angeblich glauben alle Männer, ihre Frauen seien verrückt, so wie alle Frauen angeblich fürchten, ihre Männer könnten Versager sein. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass mein Mann sowohl verrückt als auch ein Versager ist.
Ein verrückter Versager, den ich nach wie vor liebe.
Er hockt über das iPad gebeugt da. Ein schwerfälliger Mann, ein Neandertaler beim Feuermachen.
Er blickt auf und zeigt mir den Bildschirm. »Das ist die Website.«
»Couples Encounters?«, sage ich. »Sie haben den Apostroph vergessen.«
Er wirft mir diesen gewissen Blick zu: ein Kopfschütteln mit gerunzelter Stirn und dem Anflug eines Lächelns. Diesen Blick schenkt er mir oft - und ich verdiene ihn.
»Nach dem >s< in >Couples< müsste ein Apostroph stehen«, füge ich hinzu.
Er zuckt mit den schweren Schultern. »Wen kümmert das schon? Wir wollen ja nicht Scrabble mit ihnen spielen.«
Ich bin versucht, ihm zu sagen, dass es im Scrabble keine Apostrophe gibt, doch damit liefe ich Gefahr, ihn mal wieder zu verstimmen.
Er zieht das iPad weg und tatscht auf dem Display herum. Ich will nicht behaupten, er sei unattraktiv, denn ist er ein gut aussehender Mann. Nur eben nicht mehr der Mann, den ich vor elf Jahren geheiratet habe. Damals war er ein großer TV-Star. Der Amerikaner in einer Top-Krimiserie der BBC - der Hingucker, für den Frauen den Fernseher einschalteten. Er war Dominic Stone - der schlagfertige, knallharte Privatdetektiv, der im London der 40er-Jahre ermittelte. Damals sah sein Oberkörper aus wie ein auf der Spitze stehendes Dreieck, jetzt erinnert er mehr an ein Rechteck.
»Die zwei sehen nett aus«, sagt er und wird rot dabei. Er zeigt mir erneut das Display.
»Romeo und Desdemona? Ich wette, das sind ihre richtigen Namen .«, sage ich.
»Natürlich sind das nicht ihre richtigen Namen. Warum sollten sie ihre richtigen Namen im verdammten Internet veröffentlichen?«
»Na ja, immerhin haben sie Bilder von ihren Gesichtern und ihren nackten Körpern dort veröffentlicht. Also wozu einen falschen Namen verwenden? Es ist einfach seltsam. Außerdem stammen Romeo und Desdemona aus zwei verschiedenen Stücken.«
»Das weiß ich, Arabella. Ich bin Schauspieler, schon vergessen? Aber wir wollen hier ja keine Laientheatergruppe gründen.« Er nimmt das iPad wieder an sich und öffnet die nächste Dose. Bier spritzt übers gesamte Display.
Er wirft mir einen Blick zu, mit dem er mich davor warnt, einen Kommentar abzugeben. Er hat große, kastanienfarbene Augen. Diese Augen sind mir damals quer durchs Grenadier Arms als Erstes aufgefallen. Sie hypnotisierten mich regelrecht. Ganz egal, wie viel er auch zunimmt, diese Augen werden ihm immer bleiben, und deshalb sei ich ein Glückskind, wie er mir in gespielter männlicher Eitelkeit oft erklärt.
Er leert die Budweiser-Dose mit einem einzigen langen Schluck, und sein Adamsapfel ruckt auf und ab, während das Bier durch seine Kehle rinnt, direkt hinab in seinen Bauch. Immer wieder sage ich ihm, dass er, wenn er seine alte Figur zurückhaben will, auf Maltose verzichten muss - Maltose sei das allerschlimmste Kohlenhydrat. Schließlich heißt es ja nicht umsonst »Bierbauch«. Er braucht nur Dr. Agatstons Buch über die South-Beach-Diät zu lesen, da steht alles drin. Aber er weigert sich standhaft. Und so wird er seinen Sixpack nie wiedersehen. Was bedauerlich ist - sein Anblick war eine Sensation.
Ich sehe ihm an, wie er dem Drang widersteht, die Dose zu zerdrücken. Er weiß, dass ich das hasse.
»Also, machen wir das nun oder nicht?«, fragt er.
Ich überlege. Will ich, dass eine andere Frau, Desdemona oder wie auch immer sie wirklich heißt, seine Hände auf sich spürt? Will ich ihn in ihr sehen? Vielleicht bin ich in Wahrheit nicht mehr so eifersüchtig wie früher. Vielleicht liegt es daran, dass die Frauen ihn nicht mehr so anschauen wie damals. Ich finde das bedauerlich, für ihn und für mich.
Oft denke ich, es ist so wie in diesem alten Witz über Orson Welles, der seine Karriere rückwärts gelebt hätte. Dieses Genie, das als attraktiver junger Mann Citizen Kane drehte, um dann als dicker alter Mann zu enden, der schlechte Filme und Werbung für billigen Sherry machte. Damit will ich nicht sagen, dass Zander genauso extrem ist, aber auch er hat sein Leben rückwärts gelebt. Einfach deshalb, weil die meisten Menschen ihre größten Erfolge später im Leben feiern, nicht gleich zu Beginn ihrer Laufbahn. Diese großen Verheißungen, als er ein junger Mann gewesen ist. Diese vielen Angebote für weitere Fernsehserien, sogar Filmrollen waren dabei. Und jetzt - nichts mehr. Jetzt trinkt er Budweiser auf unserem Sofa und sieht sich dabei endlos Sportsendungen im Fernsehen an. Herrgott noch mal, inzwischen interessiert er sich sogar für Kricket. Sogar die meisten Engländer verstehen das Spiel kaum, aber Zander ist mittlerweile selbst für die undurchschaubarste Regel zum Experten geworden, kennt zudem die Namen der Spieler und jede noch so langweilige Einzelheit. Was für einen Amerikaner nun wirklich der Beweis für vergeudete mittlere Lebensjahre ist. »Das machen Männer eben«, sagt Zander oft. »Sie trinken Bier und schauen Sport.« Nun ja, ein Mann ist er auf jeden Fall. Ein Alpha-Mann, der während seines langen Kampfes gegen die Depression auf Abwege geraten ist. Und nun quält es ihn, dass ich die Hauptverdienerin bin, die Erfolgreiche, die ständig auf Geschäftsreise ist, mit Kunden essen geht und ihn allein zu Hause sitzen lässt. Das ist zu einem unserer Probleme geworden. Vielleicht würde sich alles ändern, wenn er die Hauptrolle in einem neuen Spionagethriller bekäme. Er ist einer der beiden letzten Kandidaten für die Rolle, und das letzte Vorsprechen steht bereits in ein paar Tagen an.
Ich stehe auf und gehe zu den raumhohen Fenstern hinüber. Wir leben in einer Penthouse-Wohnung mit Aussicht auf die Kensington High Street. Alles dort glitzert weihnachtlich. Unser Baum fällt mir ein. Eine drei Meter hohe norwegische Fichte. Wir haben sie am Nachmittag aufgestellt - am ersten Tag im Dezember. Das Thema, das unserer Diskussion zugrunde liegt, erscheint mir wie ein Verrat an den kommenden festlichen Tagen und an der unschuldigen, wohligen Stimmung, die ihnen innewohnt. Ich erinnere mich, mit welcher Geduld Zander die Lichterketten angebracht hat, daran, wie ich den Baum mit buntem Weihnachtsschmuck behängt habe, den wir vorsichtig gemeinsam ausgepackt hatten. Ein Ornament sticht mir besonders ins Auge: ein funkelndes weißes Einhorn aus Glitter und Glas, das an der Spitze eines Zweiges baumelt, als könne es jeden Moment herunterfallen. Ich tue nichts, um es davor zu bewahren.
»Also, was meinst du?«, fragt Zander. Angespannt steht er mit der leeren Bierdose in der Hand da, seine Miene wie die eines kleinen Jungen, der auf die Erlaubnis seiner Mum wartet, in den Zoo gehen zu dürfen.
Ich weiß, dass ich Zeit schinde. Mir erscheint diese Idee wie der Ausverkauf unserer Beziehung.
»Bist du wirklich sicher?«, frage ich ihn schließlich. Was ich wirklich meine, ist: Warum willst du uns das antun?
»Hör mal, wir haben doch darüber geredet. Ausführlich.«
»Aber wollen wir einfach auf gut Glück ein Paar aussuchen? Sollen wir nicht erst ein bisschen genauer nachforschen?«
Er zuckt die Achseln. Da wird mir klar, dass er seine Nachforschungen bereits betrieben hat. Wahrscheinlich schon vor Tagen. Vielleicht auch Wochen. Dies ist DAS Paar. Dies ist die Frau, die er will. Mein Magen macht einen kleinen Satz, als ich begreife, dass all meine Bedenken nur darum kreisten, Zander mit einer anderen Frau zu sehen. Ich habe noch keinen Gedanken daran verschwendet, mit einem anderen Mann zusammen zu sein.
Ich greife nach meinem Glas Puligny-Montrachet und trinke es aus. Anderen könnte es seltsam vorkommen, denke ich schließlich, aber wenn wir uns auf diese Art untreu werden, tun wir es wenigstens gemeinsam. Wenn wir gemeinsam untreu sind, ist das dann nicht das Gleiche, wie treu zu sein? Zwei Falsch, die ein Richtig ergeben? Ich bin Zander nie untreu gewesen, und ich bin sicher, dass auch er mir nie untreu war. Er ist von Natur aus ein treuer Mensch, seine Loyalität ist fast hündisch. Wenn ich ihm sagen würde, dieser Mann hat mich angegriffen, bitte bring ihn um, Zander würde es im Handumdrehen tun. Er würde dem Mann den Kopf abreißen, ohne auch nur nachzufragen. Nicht, dass er gewalttätig wäre - das ist er nicht. Für einen Mann seiner Größe ist es erstaunlich, wie selten er in irgendwelchen Ärger verwickelt war. Es gab nur das eine Mal in den Zeiten, als er noch Kokain nahm. Damals hat er zwei Suffköpfe zusammengeschlagen, die ihn provoziert hatten, und war mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Zu guter Letzt hat ihm dieser Vorfall jedoch dabei geholfen, das Koksen aufzugeben. Er hat das Zeug seitdem nicht mehr angerührt. Ich will lediglich sagen, dass er mir gegenüber besonders loyal ist. Und das ist heutzutage eine Seltenheit, eine Eigenschaft, die fast altmodisch wirkt.
Dazu kommt sein Kinn. Ein großes, amerikanisches, kantiges Kinn. So viele Männer hier in England, denen das fehlt. »Kinnlose Schnösel« nennt Zander sie. Ich wollte schon immer einen Mann mit einem markanten Kinn. Bereits früher habe ich mir vorgestellt, dass ich einmal einen Amerikaner heiraten würde - vor allem wegen des Kinns. Meine Schwester und ich haben als Mädchen ständig...
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